KI3 - Epilog: Misere Redaniae

Metagame

von Earl

Pferdehufe donnerten über die Landstraße. Die Sonne stand hoch am Himmel. Nirgends war auch nur ein Wölkchen zu sehen. Die drei Reiter trieben ihre Pferde an, sie hatten einen unangenehmen Auftrag und diesen wollten sie so schnell wie möglich hinter sich bringen. Sie ritten vorbei an Brombeerhecken, an Seen und Tümpeln, an weiten schlecht bestellten Feldern. Hier und dort drängten sich ein paar reetgedeckte Hütten zusammen. Sie ritten schneller. Weiter, immer weiter…

„Meister Schlinger, ich denke eine kurze Pause würde uns allen gut tun“, ließ sich einer der in rot und schwarz gekleideten Männer vernehmen als sie gerade in leichtem Trab ein kleines Wäldchen passierten. „Wir haben seit heute Morgen nicht gerastet und die Wasserschläuche sind fast leer. Vielleicht gibt es in diesem Wald ein Bächlein, an dem wir Wasser auffüllen könnten.“ „Ähem, ja. Klingt tatsächlich nach einer guten Idee. Aber lediglich ein paar Augenblicke. Ich will diese Burg noch vor dem Abend erreichen und diese Sache so schnell wie möglich hinter mich bringen. Ich traue diesen ekelhaften Mutanten nicht!“, lies sich der kleinste der drei Männer vernehmen. Er war untersetzt, hatte eine Halbglatze und wirkte sehr nervös. Sie zogen also die Zügel an und stiegen von ihren Tieren ab. Die Pferde führten sie zu einem Baum in der Nähe und banden sie dort an. Der Soldat, der nach einer Pause gefragt hatte nahm seinem Kameraden und Herrn Schlinger die ledernen Feldflaschen ab und verschwand, nachdem er sich aufmerksam umgesehen hatte, im Wald. Rudolph Schlinger ließ sich auf einen herumliegenden Baumstumpf plumpsen und seufzte. „Meister Schlinger, ich habe noch etwas Trockenfleisch. Falls ihr hungrig seid…“, lies sich der zurück gebliebene Soldat vernehmen. Er machte sich an den Satteltaschen seines Pferdes zu schaffen. Der Untersetzte antwortete unter Kopfschütteln: „Naja ein kleines Stück nehm ich wohl. Aber ich gebe ehrlich zu, ein gut gebratenes Stück Fleisch, ein kühles redanisches Helles, danach ein Strenger und ein Mädel aus der Passiflora wären mir weitaus lieber. Ich hasse diese Außeneinsätze!“

Auf der Burg Kaer Iwhaell waren die Aufräumarbeiten fast abgeschlossen. Das Tor war repariert und verstärkt worden. Das Dachgebälk, welches durch den Brandanschlag der Redanier verkohlt und halb eingestürzt war, hatte man in den Tagen und Wochen darauf fachgerecht abgerissen und durch ein Neues ersetzt. Doch die vielen Dokumente und Artefakte die dort oben im Speicher gelagert hatten, die waren nun unwiederbringlich verloren.

Valerian unterhielt sich gerade mit dem Baumeister aus der Burgau über die letzten Aufräum- und Renovierungsarbeiten, als ein Ruf vom Burgtor her erschall. Der alte Hexer drehte sich um und erblickte sofort drei Gestalten auf Pferden, die zum Burgtor herauf ritten. Unverkennbar Redanier! Raaga, der gerade mit den anderen Hexergesellen und Lehrlingen trainiert hatte, war bereits mit seiner großen Axt unterwegs zum Burgtor. „Nein! Raaga! Ich glaube nicht, dass diese drei Herren hier sind um eine erneute Auseinandersetzung anzuzetteln“, rief Valerian, er war gerannt und packte Raaga nun bei der Schulter. „Pah, wenn du meinst.“ Raaga spuckte verächtlich aus, blieb aber trotzdem mit erhobener Waffe stehen. Der kleinste der drei Männer stieg von seinem Pferd und trat auf Valerian zu. „Guten Tag, ich bin Advokat Rudolph Schlinger. Ich bin in der Angelegenheit „Greifenschlacht“ hier. Diese beiden Herren“, er deutete zu seinen Begleitern hinüber, „ sind meine Leibwächter. Sollten wir nicht alle 3 wohlbehalten zurück nach Dreiberg kommen…“ Er blickte vielsagend zu dem großen Hexer auf. „Schon gut. Schon gut.“ Valerian hob abwehrend die Hände. „Uns ist nicht an einer neuerlichen Auseinandersetzung mit Novigrad oder Redanien gelegen. Wir wollen endlich in Ruhe und Frieden hier leben können. Aber vielleicht wäre es besser, wenn wir das alles nicht hier draußen besprechen. Gehen wir doch in mein Studierzimmer. Ihre beiden Begleiter dürfen sich gerne in der Taverne „Zum durstigen Igel“ ausruhen.“ Er fügte lauter hinzu: „Atheris, Raaga, Logan kommt ihr bitte mit?“

Während sich die beiden Soldaten hinüber zur Taverne im Marstall begaben, schnallte der Advokat eine der Satteltaschen los und wurde dann von Valerian hinüber zum Aufgang ins Obergeschoss geleitet. In Begleitung der anderen Hexer stiegen sie die steile, ausgetretene Steintreppe hinauf. Oben angekommen wandte sich Valerian an Raaga: „ Geh bitte schnell rüber in Nella´s Studierzimmer und hol sie. Mei müsste gerade bei ihr sein. Sie bringst du auch mit.“ Während Raaga sich in die entgegengesetzte Richtung entfernte, ging der alte Hexer weiter den Korridor entlang, vorbei an den diversen Dormitorien und Studierzimmern, vorbei an den eingestaubten Gobelins und Gemälden, bis er vor einer schweren Eichentür stand. Er drückte die Klinke herunter und öffnete. „Bitte nach ihnen, Herr Advokat.“ Er machte eine zuvorkommende Geste. Der kleine Mann trat beherzt ein.

Vor ihm stand ein großer ovaler Tisch. Zur rechten konnte er auf einem weiteren Tisch ein Sammelsurium von Reagenzgläsern, Kolben, Brennern, Röhrchen und Tiegeln ausmachen. Dahinter stand offenbar ein weiterer Tisch, allerdings konnte er das nur erraten, denn dort lagen Unmengen von Papieren verstreut. Und dahinter auf einem Regal… er machte einen Satz. Monster! Nein! Ausgestopfte Köpfe von Monstern. Ghule, Moderhäute und etwas, das einem Wolf sehr ähnlich sah. Von hinten war Valerian an ihn herangetreten: „Ist alles in Ordnung? Das dort sind lediglich Trophäen. Also kein Grund zur Beunruhigung“, sagte er mit dem Anflug eines Lächelns. „Aber setzt euch doch Herr Advokat.“ Er bot dem Redanier einen Stuhl an. „Etwas zu trinken? Ich habe hier einen hervorragenden Beauclair Jahrgang 1275.“ Der Advokat verneinte. Die anderen Hexer hatten sich bereits gesetzt und nun tauchte auch Raaga mit Nella und Mei auf. Die beiden Magierinnen blickten etwas verdutzt drein. „Kommt. Setzt euch. Das hier ist Advokat Rudolph Schlinger. Er ist hier um über die aktuelle, etwas verfahrene Situation mit Redanien zu reden.“

„Nun, also…“, der Advokat kramte in seiner Satteltasche und holte eine dicke Mappe aus Leder hervor und lies diese geräuschvoll auf den Tisch klatschen, „ich bin heute hier um Ihnen mitzuteilen, dass das Königreich Redanien und seine königliche Majestät, Radovid V., König von Redanien, keinerlei militärischen oder zivilen Nutzen mehr darin sehen würden, die Akte „Mei’idwyn Agnieszka Naecheighn“ weiter zu verfolgen.“ Er blätterte in seiner Mappe. „Es wurden bei der Militäroperation „Greifenschlacht“ mehr Material und Nachschubgüter sowie Soldaten verloren, als diese ganze Angelegenheit wert war. Hier hat die Generalität schlichtweg versagt.“ Er seufzte. „Wir werden diese Akte also schließen. Straffrei werden Sie alle trotzdem nicht davon kommen, wie ich hier lese: Sämtliche Bewohner der Treuburg, genannt „Kaer Iwhaell“, werden mit einer Reichsacht sowie einer Verbannung belegt. Sollten sie also jemals wieder die Außengrenze zum Königreich Redanien überschreiten, so werden die Grenzposten dazu berechtigt sein, sie zu Verhaften und ohne Gerichtsverhandlung zu exekutieren“, las er vor. Er blickte die Anwesenden scharf an. „Es werden Steckbriefe und Zeichnungen von Ihnen allen an die Grenzstationen geschickt werden. Seien sie sich also gewiss, dass die Grenzer sie ihrer gerechten Strafe zuführen werden, sollte es zu einer Überschreitung kommen. Ich denke damit wäre alles gesagt.“

Mei räusperte sich. „Tut es eigentlich sehr weh zu wissen, dass man gegen Mutanten, Zwerge, Elfen und Magier ein gesamtes Regiment eingebüßt hat? Tut es sehr weh zu wissen, dass Redanien doch kein Kögigreich voller Übermenschen ist?“ Advokat Schlinger sprang auf. Ebenso waren die Greifen hoch geschnellt. Der Advokat war puterrot geworden. Doch als er sprach klang er sehr kontrolliert: „Sollte diese…diese militärische Katastrophe jemals, ich wiederhole, jemals in Redanien publik werden, so wäre das nicht nur ein Skandal, sondern auch das Ende ihrer kleinen Enklave von Ausgestoßenen und Flüchtlingen. Ich kann Ihnen versichern, dass Redanien sodann eine Streitmacht entsenden würde, die diese jämmerliche Provinz verheeren würde, dagegen wäre Velen ein Paradies!“ Es herrschte Stille, doch die Spannung lag in der Luft wie unmittelbar vor einem Unwetter. Valerian hustete. „Hmm, nun sie können sicher sein, dass dies nicht geschehen wird. Um es nochmals zu wiederholen, uns ist nicht daran gelegen erneut mit dem Königreich Redanien in Konflikt zu geraten.“ Der Advokat packte wortlos seine Mappe ein und wandte sich zum gehen, während die Greifen wie versteinert da saßen.

Er war schon fast zur Tür hinaus, da rief Valerian: „Noch kurz auf ein Wort. Was ist eigentlich mit Vertigo?“ Herr Schlinger drehte sich um. „Nun ja, ich habe eine Abschrift der Militärakte „Hieronymus Katz vom Aschenberg“ bei mir. Der letzte Eintrag darin ist ein Verhörprotokoll, welches zur Zeit der „Greifenschlacht“ angefertigt wurde. Der Verräter und Deserteur Hieronymus Katz wurde demnach gefangen genommen und peinlich verhört. Er hat laut diesem Protokoll schwerste Verletzungen davon getragen. Ein Exekutionsbescheid wurde angefügt. Eine Durchführungsbescheiniungung ist in Dreiberg allerdings niemals angekommen. Wir sind unter den gegebenen Voraussetzungen und nach Berücksichtigung aller Fakten davon ausgegangen, dass er seinen Verletzungen erlegen sein muss. Er hat seine gerechte Strafe wohl erhalten! Die Akte wurde mit dem Vermerk „Verschollen-Wahrscheinlich Tot“ geschlossen.“ Valerian sackte auf seinem Stuhl zusammen. Auch die anderen wirkten betroffen. „Ich finde den Weg alleine. Einen schönen Tag noch“, feixte der Advokat. Und schon war er verschwunden.

Da ging die Tür erneut auf und ein junger Mann mit einer ziemlich verbeulten roten Bibermütze trat ein: „Was war denn hier gerade los?“ Valerian blickte auf und seufzte: „Mummenschanz Vertigo. Mummenschanz.“