Ach wie gut, dass niemand weiß...
Metagame
Von Peter
Februar 1279: Solonia, Königreich der zwölf Auen, in der Kronau
Es war früher Nachmittag, die Wintersonne schien über die verschneite Kronau und kitzelte Atheris in der Nase. Der Greifenhexer lag seit einigen Minuten versteckt hinter einem großen Felsen und beobachtete den Eingang zu einer alten Gruft. Hier hatte sich eine Gruppe von drei Ghulen versammelt, die sich wild über ein Stück Aas hermachten. „Sheyss, wir sind zu spät. Das wird wohl David gewesen sein!“ zischte der nilfgaarder Hexer leise. „Er hätte nie alleine losziehen sollen, der verrückte Junge“ erwiderte der junge Stallknecht Robert, der an der Seite von Atheris kauerte. Robert hatte sich bereit erklärt den Hexer zur verlassenen Gruft zu führen, zu welcher der Jäger David aus dem nahe gelegenen Dorf aufgebrochen war, um einem Gerücht über Monstersichtungen nachzugehen. „Und was machen wir nun? Dein Auftrag vom Bürgermeister lautete ja David zu finden und hier ist er, naja zumindest was von ihm übrig ist“ fragte er. „Ich werde mich um die Ghule kümmern. Ich habe einen mir heiligen Eid geschworen, Menschen vor solchen Bestien zu schützen, das ist meine Bestimmung als ein Vatt’ghern und ich gedenke diesen zu erfüllen!“ entgegnete Atheris und zog seine Silberklinge vom Rücken.
Aus einer Tasche, die er an der Seite trug holte er ein kleines Fläschchen und ein sauberes Leinentuch. Er entleerte den Inhalt auf das Tuch und fing an, die Klinge einzufetten. „Was machst du da? Das stinkt ja widerlich!“ fragte Robert leise. Der Stallknecht beobachtete mit großen Augen, den Hexer. „Nekrophagen sind an giftige Gase gewöhnt. Doch selbst die widerlichsten Ghule und Graveir sind den giftigen Wunden nicht gewachsen, die eine mit Nekrophagenöl bedeckte Klinge schlägt, so habe ich es von meinem Meister Valerian gelernt. Dieses Öl besteht im Wesentlichen aus Hundetalg und Pusteblumen, das klingt zwar nicht spektakulär, aber wird mir bei meinem Vorhaben gleich große Dienste leisten.“ erklärte Atheris ruhig. Sein Blick wanderte von der Klinge in seiner Hand zu den Ghulen. „Das Glück scheint mir hold zu sein, der Wind hat sich nicht gedreht, sie werden mich gegen den Wind erst spät wittern können.
Je näher ich an sie unbemerkt herankommen kann, desto leichter wird es für mich!“ fuhr der Hexer mit seinen Erklärungen fort. Er verstaute das Fläschen samt Leinentuch wieder in der Tasche, prüfte ob der Rest seiner Ausrüstung korrekt saß und erhob sich lautlos. „Se’ege na tuvean!“ flüsterte Atheris wie vor jedem seiner Kämpfe und schlich mit gezogener Klinge hinter dem Stein hervor. Wie eine Katze pirschte er sich durch den frisch gefallenen Schnee an seine Beute heran. Wenige Meter vor der Gruppe verharrte er für einen kurzen Moment, fokussierte sich auf den mittleren der drei Ghule und sprang mit dem Schwert über dem Kopf erhoben nach vorne. Die Silberklinge blitze in der Sonne, als sie aus der Kehle des ersten Monsters wieder zum Vorschein kam. Blut spritze auf den weißen Schnee und die Augen des Wesens erloschen noch während es verwundert auf die Klinge herabstarrte, die ihm das Ende bereitet hatte. Den eigenen Schwung nutzend zog Atheris sein Schwert aus dem erschlaffenden Körper um den Ghul zu seiner Rechten abzuwehren, der gerade mit einer seiner großen hässlichen Klauen nach seinem Bein griff. Wie ein heißes Messer durch Butter schnitt die scharfe Klinge durch das Fleisch und durchtrennte die Sehnen und Knochen des Unterarms, was mit einem qualvollen Heulen des Ghuls quittiert wurde. In einer flüssigen Bewegung ließ er die Klinge zur anderen Seite tanzen um dem letzten heranstürmenden Ungetüm entgegenzutreten. Atheris wich mit einem Ausfallschritt zur Seite aus und verpasste dem Ghul einen ‚en passant‘ Streich, welcher diesem die entblößte Flanke aufschlitzte. Der letzte verbliebene Gegner brüllte vor Wut, blieb aber auf Distanz. „Nou goed, lass es uns zu Ende bringen!“ schrie Atheris und sprang über eines der toten Wesen und stürmte mit erhobenen Schwert geradewegs auf den Ghul zu, welcher es ihm gleichtat. Kurz vor dem Zusammenprall wich der Hexer dem Angriff mit einer Hechtrolle aus und ließ den Ghul ins Leere stürzen. Atheris rollte sich schnell über die linke Schulter ab, drehte sich in der Hocke verbleibend halb herum und ließ die Klinge in einem weiten Bogen die Luft zerschneiden. Es war ein blinder Schlag, aber er traf das Monster noch am Hinterlauf und brachte es zu Fall. Langsam erhob sich der Hexer und ging in Richtung seines Opfers und gab dem sich am Boden wälzenden Wesen den Gnadenstoß.
„Warte noch hinter dem Stein Robert!“ rief Atheris in Richtung seines Begleiters. „Ich prüfe zuerst noch die Gruft!“ Nachdem er sich vergewissert hatte, dass kein weiterer Ghul in der Nähe lauerte, holte sich der Hexer jeweils die Köpfe seiner Beute und verstaute diese in einen großen Leinensack, den ihm Robert geholt hatte. Den Rest überließ er den natürlichen Aasfressern. Die Überreste von David brachten Robert und er in ein leeres Grab in der Gruft und verschloss dieses mit einem Steindeckel. Auf dem Rückweg zu den Pferden sprach der junge Robert: „Das sah ganz einfach aus, wie du mit den Monstern fertig geworden bist, sie hatten keine Chance gegen dich! Hätte ich schwerer erwartet.“ Atheris blickte auf den Jungen, der ihn freudig anstrahlte. „Das hängt von vielen Faktoren ab Robert.“ entgegnete Atheris freundlich und sprach weiter. „Ich wusste, welche Art von Wesen mich erwartete, ich kannte ihre Schwächen und war bestens vorbereitet. Mein Meister Valerian hat mir alles Hilfreiche über Ghule im theoretischen Unterricht beigebracht. Zudem hatte ich den Überraschungsmoment auf meiner Seite und letztlich gehört neben dem eigenen Können auch etwas Glück dazu.“ Der Hexer schmunzelte und fuhr mit seinen Erläuterungen zum Kampf fort, während der Junge ihm gefesselt lauschte. Einige Minuten später erreichten sie ihre Pferde und Atheris verstaute seine Ausrüstung in den Satteltaschen. „Ruhig Ker’zaer! Alles ist gut.“ besänftigte Atheris seinen großen Rappen, der vom Geruch der Trophäen nicht gerade begeistert schien. Anschließend stieg er in den Sattel und machte sich mit seinem Begleiter auf den Rückweg zum nahe gelegenen Dorf, um vom Bürgermeister das Geld für den Auftrag zu kassieren.
Drei Tage später:
Die Wintersonne war früh untergegangen und es zog ein kalter Wind durch die tief eingeschneiten Gassen des kleinen Dörfchens. In den Wohnhäusern war das Licht bereits erloschen und die Bewohner lagen in ihren warmen Betten und träumten vom kommenden Frühling. Lediglich in der Taverne zur ‚Goldenen Garbe‘, die direkt am Marktplatz lag, brannte noch Licht. Im Schankraum war nicht mehr viel los, ein wenig begnadeter Musikant zupfte an seiner Laute und versuchte sich eher schlecht als recht an ein paar Versen. In der Mitte der Schänke stand ein großer Tisch, an dem vier ältere Männer in ein Kartenspiel vertieft waren. Der Wirt und seine hübsche Schankmaid standen am Tresen und unterhielten sich gut gelaunt miteinander. Ein junges, wohl frisch verliebtes Pärchen saß eng umschlungen in der Ecke und vernachlässigten ihren bereits erkalteten Eintopf. Am Tisch neben den beiden saßen zwei junge Kerle, die es sich offenbar zur Aufgabe gemacht hatten, diesen Abend ihren Monatslohn zu versaufen. An der langen Tafel, die an der Stirnseite des Schankraumes stand und an der gut und gerne zehn Personen hätten Platz finden können, saß Atheris. Er hatte vor sich ein kleines Buch aufgeschlagen und füllte gemütlich dessen leere Seiten. Neben ihm stand noch der Rest von einem reichlichen Abendessen und ein Krug mit Rotwein. Bei einem Blick über seine Schultern konnte man die ersten Zeilen der Seite gut lesen: ‚Mein Name ist Atheris von Toussaint, ein Vatt’ghern der Greifenschule und dies ist meine Geschichte.‘ Atheris hatte sich schon länger vorgenommen seine Gedanken und Erinnerungen nieder zuschreiben und somit zu bewahren. Der Volksmund sagt nicht umsonst, dass noch nie ein Hexer alt und schwach in seinem eigenen Bett gestorben sei und Atheris fand die Vorstellung schön, dass eines Tages jemand das Buch in die Hände bekommen würde und für einen Moment die Erinnerung an einen Hexer mit dem Namen Atheris auf flackern würde. Natürlich war ihm bewusst, dass er weder ein bekannter Held noch ein sonderlich guter Hexer war, aber interessante Geschichten konnte er schon einige erzählen zum Beispiel über sein Leben als Vatt’ghern, über seine Zeit als Offizier im Dienste des Kaiserreichs Nilfgaard während der nördlichen Kriege oder über das Leben auf der Greifenhexerfestung Kaer Iwhaell mit all seinen Freunden. Der Gedanke an letztere ließ ihn unwillkürlich schmunzeln. Atheris blickte von seinem Buch auf und ließ den Blick durch den Schankraum schweifen und überlegte in welcher Form er erzählen sollte. „Eigentlich ist das doch irrelevant, ich bin kein Poet und letztlich kommt es auf die Geschichte an, die ich erzählen möchte“ sprach er mit sich selbst. Er nahm einen tiefen Schluck aus seinem Weinbecher und überlegte kurz, ob man dieses Getränk überhaupt Wein nennen durfte, denn mit den sehr guten Tropfen aus seiner Heimat Toussaint hatte dieser Fusel wirklich nichts gemein. Eigentlich war er schon viel zulange nicht mehr in seiner Heimat gewesen, mit den wunderschönen Weinbergen, dem milden Klima und den schönen Straßen der Hauptstadt Beauclair! Aber seit er aus der kaiserlichen Armee ausgetreten war und sich den Greifenhexern um Großmeister Valerian angeschlossen hatte, war einfach zu viel passiert und der Weg von Solonia nach Nilfgaard war ohne die Verwendung von Portalen nicht gerade der kürzeste. Atheris setzte wieder die Feder an und fuhr fort: ‚Soweit ich weiss bin ich der uneheliche Sohn des Grafen Ramon du Lac aus Toussaint, der aus einer Liebelei mit einer seiner Zofen hervorgegangen ist. Dies muss im Sommer 1220 gewesen sein, Genaueres habe ich nie herausfinden können.‘ Er schaute auf und blickte seine Hand an: wie 58 Jahre sah sie nicht aus, das musste an den Mutationen der Hexer liegen. Valerian hatte ihm einmal erklärt, dass der Metabolismus dadurch deutlich verlangsamt würde und der Alterungsprozess sich verzögerte. Wie alt dann wohl sein Meister sein musste? Der alte Mann war in einer körperlich sehr guten Verfassung nur beim Pissen über die Burgmauer hörte man ab und an die Beschwerden des Alters. ‚Als Bastard war ich am Hofe des Grafen politisch nicht gewünscht und ich wurde in sehr jungen Jahren zu den Vatt’ghern der Vipernschule gegeben.‘ Atheris nahm erneut einen Schluck aus dem Kelch, war es überhaupt von Belang, wo er herkam, wer seine Eltern waren und wie er aus dem elterlichen Haus gerissen wurde? Was wäre aus ihm geworden, wenn er am Hofe aufgewachsen wäre? Während er noch überlegte, flog auf einmal die Tür der Taverne auf und der junge Stallknecht Robert kam kreidebleich hineingestürmt und blickte sich in der Taverne um. Seine Augen fanden den ihm bekannten Hexer und er eilte zu ihm an den Tisch. „Atheris!“ keuchte er völlig außer Atem, „wir benötigen dringend deine Dienste!“ Atheris schob ihm den Weinkelch über den Tisch zu „Trink erst mal einen Schluck und dann erkläre mir in Ruhe, was ich für dich machen kann.“ Robert schob den Kelch dankend zur Seite „Wir haben keine Zeit dafür! Er hat das Baby meiner Schwester mitgenommen und hat das Dorf bereits verlassen!“ „Wer hat das Baby mitgenommen und warum?“ fragte Atheris überrascht. „Ein Kobolt war es! Erik, der Mann meiner Schwester, und sie selbst sind schon mit einigen anderen Knechten losgezogen, um die Verfolgung aufzunehmen! Ich bitte dich, beeile dich, helfe ihnen, du bist doch ein Hexer, du hast uns doch auch mit den Ghulen geholfen, verdammt, unternimm etwas! Sitze hier nicht einfach rum!“ kreischte Robert voller Panik. „In Ordnung, lass uns losziehen!“ mit diesen Worten erhob sich Atheris von der Bank, griff hinter sich und holte seinen Brustgurt mit den beiden Schwertern hervor, warf sie sich diese über die Schulter und eilte zur Tür. „Erzähle mir mehr, warum sollte ein Kobolt das Kind entführen, kennst du ihn etwa?“ fragte Atheris, während sie durch den tiefen Schnee liefen. „Er war des Öfteren zu Gast bei unserem Hof, ich weiß nicht genau, was er wollte oder um was es ging! Aber er war vorhin da und auf einmal gab es Schreie und als ich die die Stube kam, waren der Kobolt und das Baby weg und meine Schwester kniete heulend am Boden!“ antwortete Robert, der sichtlich Probleme hatte, mit dem Hexer Schritt zu halten. „In welche Richtung sind der Kobolt und die Verfolger gezogen?“ fragte Atheris und blickte sich suchend um. „Richtung Norden zum alten Wald, direkt hinter den Äckern! Es ist erst wenige Augenblicke her, sie können nicht viel Vorsprung haben!“ entgegnete der Stallknecht. „Hör mir zu Robert, du willst sicher deiner Schwester helfen, es ist aber wichtig, dass du zum Bürgermeister gehst und ihn bittest, die anderen Dörfler zusammenzutrommeln!“ entgegnete Atheris und zog seinen braunen Mantel enger um den Hals, es war bitter kalt und die Zeit drängte: bei der Kälte würde für das Baby nicht lange durchhalten, falls es der Kobolt böse mit ihm meinte. Atheris folgte der Dorfstraße Richtung Norden und schon bald fand er die Spuren der Verfolgten im tiefen Schnee und machte sich daran, sie einzuholen. Der Schnee peitschte ihm inzwischen schmerzhaft ins Gesicht und er verfluchte sich selbst zum wiederholten Male, dass er sich nicht noch mehr warme Sachen übergezogen hatte. In der kaiserlichen Armee sagte man immer, es gibt kein schlechtes Wetter, sondern nur die falsche Kleidung! Nach einiger Zeit erreichte er den beschriebenen Waldrand. „Die Spuren der Verfolger trennen sich hier, sie haben sich in Dreiergruppen aufgeteilt, offensichtlich haben sie die Spur des Kobolten hier verloren.“ sprach Atheris seine Gedanken laut aus. Er selber hatte bisher keine Spur eines Kobolten erkennen können. Bis hierhin hatte er nur Spuren der Verfolger gefunden. „Es müssten vermutlich kleinere Fußabdrücke zu sehen sein oder hatte der Kobolt etwa große Füße?“ dachte Atheris. „Um was für eine Art von Kobolt handelt es sich überhaupt? Kann er Magie wirken und somit seine Spuren verwischen! Verdammt, ich wünschte Valerian oder Raaga wären hier“. Raaga war einer der besten Fährtenleser, die Atheris jemals kennen lernen durfte und Großmeister Valerian würde in so einer Situation sicherlich durch seine Erfahrung wissen, was zu tun war. Atheris hatte im Vergleich zu den beiden einen Großteil seines Lebens in der kaiserlichen Armee gedient und war zwar ein gut ausgebildeter Soldat und oft auch hinter den feindlichen Linien als Aufklärer aktiv, aber für diese Art von Auftrag war er einfach der falsche Hexer am richtigen Ort. Letztlich entschied er sich einfach, die Richtung einzuschlagen, die bisher noch keiner der Verfolger genommen hatte. Selbst wenn es nicht richtig war, so konnte er zumindest den Suchradius erhöhen und einen weiteren Teil des Waldes absuchen. Der alte Wald mit seinen großen Bäumen wirkte in der winterlichen Dunkelheit schön und mystisch. Es war eine jener Gegenden, wo der menschliche Verstand einem allerlei Monster und Dämonen suggerieren konnte. Immer wieder verharrte Atheris und schaute sich um und versuchte, etwas Verdächtiges wahrzunehmen, aber da war einfach nichts. Etwa eine halbe Stunde später überlegte er sich, ob diese planlose Suche noch Sinn ergeben würde. Der Wald war sicherlich riesig und er könnte hier Tage lang durch die Gegend irren und nichts finden. Nicht einmal die anderen Dörfler, die auf der Suche waren konnte er noch wahrnehmen. Der Wald schluckte fast alle Geräusche. „Verdammt, es geht hier um ein kleines Baby, ein unschuldiges Leben! Mach was! Aufgeben ist keine Option! Denk nach!“ versuchte sich Atheris selbst zu motivieren und ging weiter. Als seine Verzweiflung immer größer wurde, fing auf einmal sein Hexermedaillon an, leicht zu vibrieren. Auch wenn er sich nicht sicher sein konnte, dass es was mit den Kobolt zu tun hatte, war es zumindest mal ein Zeichen, dass irgendetwas oder irgendjemand in der Nähe sein musste, das magischer Natur war. So schnell es ihm möglich war, nahm er die magische Fährte auf und rannte wie von Sinnen durch das Unterholz. Er sprintete eine längere Strecke als er vermutet hatte, demnach musste die Quelle der Magie relativ groß sein, sonst hätte das Medaillon nicht in so einer großen Entfernung angeschlagen. Schließlich gelangte Atheris an den Rand einer kleinen Lichtung, in deren Mitte tatsächlich ein kleines Männchen mit dem Rücken zu ihm stand. Vor dem Wesen in ein Tuch gewickelt lag das Baby auf etwas, das aussah wie ein großer Pilz. Um die beiden herum erkannte Atheris einen aus Steinen gebildeten Ring. Einer der Steine schien noch nicht lange an seinem Platz zu liegen, er war der einzige, der noch keine dicke Schneehaube trug. „Ist das etwa eine Art Portal?“ dachte sich Atheris. Er hatte vor einigen Wochen mit der Magierin Nella, einer Freundin Valerians, einmal über solche Steinportale gesprochen. Nella hatte ihn gewarnt, dass mit jedweder Art von Portalen nicht zu spaßen sei und man als nicht ausgebildeter Magier tunlichst die Finger von so was lassen sollte, aber er sah auf die Schnelle keine andere Lösung. Atheris trat auf die Lichtung, bückte sich beim Betreten des Kreises nach dem nicht schneebedeckten Stein und nahm diesen in die Hand. Das kleine Männlein drehte sich augenblicklich zu ihm um. Seine Fratze war angsterregend. Die zwei kleinen gelben Augen starrten Atheris aus einem voller Narben, Warzen und Falten verunstaltetem Gesicht entgegen, seine Nase war lang und sah aus wie die eines Boxers. Es trug einen langen Bart und grüne verdreckte Kleider. An der Hüfte des Kobolten konnte er ein kleines Messer erkennen. Die spitzen Zähne in seinem Mund kamen zum Vorschein, als es beim Anblick des Hexers anfing zu grinsen. „Was sehen meine alten müden Augen hier, ein Vatt’ghern, der auszog ein kleines Baby vor dem Bösen Monster zur retten, wie heroisch!“ sprach das Männchen zu Atheris. „und nun? Wirst du deine Silberklinge ziehen und mir das Baby mit Gewalt entreißen? Hast du auch das richtige Waffen-Öl aufgetragen?“ sprach der Kobolt mit einer für seine Größe sehr tiefen Stimme weiter. Atheris beobachtete die Bewegungen des Wesens weiter, nicht sicher, was er zu erwarten hatte. Er antwortete schließlich: „Es kommt auf dich an, wenn du mir das Baby aushändigst, habe ich kein weiteres Problem mit dir! Wie sieht es aus?“ Das Wesen antwortete ohne zu zögern: „Lass es mich erklären Hexer, es ist im Grunde ganz einfach! Ich habe mit der Bäuerin einen Vertrag. Ich habe ihr in einer Notsituation geholfen und sie hat mir ihr Erstgeborenes versprochen. Es ist also ähnlich wie bei euch Vatt’ghern die Kinder der Vorsehung.“ er machte eine kurze Pause und musterte den Hexer, bevor er fortfuhr: „Da mir die Bäuerin und ihr Ehemann das Kind aber nicht freiwillig geben wollten, trotz meiner höflichen Erinnerung und mit dem Verweis auf den Vertrag, habe ich mir das Kind letztlich selber geholt und ich möchte anmerken, ohne jemanden dabei zu verletzen.“ Wieder machte es eine kurze Pause, „Willst du mir also mein Anrecht auf das Kind streitig machen oder gestehst du ein, dass deine Auftraggeber im Unrecht sind? Es liegt also in diesem Fall bei dir Hexer, wie die Sache hier weitergeht!“ Das Wesen schwieg und wartete offensichtlich auf eine Antwort. Atheris überlegte einen Moment, der Kobolt hatte grundsätzlich nicht ganz unrecht, die Vatt’ghern hatten tatsächlich auch mit den Kindern der Vorsehung eine Art Entlohnung, die dazu führte, dass Kinder von ihren Eltern getrennt wurden. Atheris selber erging es ja in seiner Kindheit nicht anders, wobei in seinem Falle von einem liebenden Vater nicht dir Rede sein konnte und von seiner Mutter wusste er einfach zu wenig. „Ich kann deine Punkte verstehen!“ erwiderte Atheris nach einer kurzen Zeit. „Aber es ist moralisch nicht vertretbar, kleine Kinder von ihren Eltern zu trennen. Auch wenn wir Vatt’ghern es mit den Kindern der Vorsehung ebenso handhaben, rechtfertigt dies nicht deine Handlung. Ich persönlich und viele Vatt’ghern, die ich kennen gelernt habe, lehnen diese Praxis ab. Sie ist ein Relikt aus längst vergangenen, finsteren Tagen und hatte damals wie heute keine Daseinsberechtigung. Ich bin hier aber nicht derjenige, der für die Einhaltung von Gesetz und Ordnung verantwortlich ist, mir geht es hier und jetzt nur um das Wohlergehen des Babys und deswegen fordere ich dich auf, es mir zu übergeben und friedlich deines Weges zu ziehen.“ Atheris war sich nicht sicher, wie der Kobolt reagieren würde, machte sich aber auf alles gefasst. „Es tut mir leid, dass du es so siehst, aber ich werde nicht auf meinen Lohn verzichten!“ entgegnete das Wesen und seine Mine verfinsterte sich noch einmal, was Atheris gar nicht für möglich gehalten hatte. „Kann ich dich nicht mit etwas Anderem entschädigen? Wir können uns doch sicher auf ein faires Geschäft einigen!“ versuchte Atheris eine friedliche Lösung zu finden. „Man sagt euch Hexern nach, dass eure Lenden genauso vertrocknet sind wie die heißesten Wüsten und dass von dort kein Leben entspringt. Da ich jedoch für meine Vorhaben Kinder benötige, gibt es somit nichts, was du mir bieten kannst!“ lehnte der Kobolt kopfschüttelnd ab. „So sage mir, was hast du mit den Kindern vor?“ warf Atheris ein. „Das geht dich nichts an Hexer, es ist gleich ob ich Heroen ausbilden möchte, sie teuer verkaufe oder sonst etwas mit ihnen mache, es sind meine und damit muss ich mich nicht rechtfertigen und schon gar nicht gegenüber einem Rumstreuner wie dir!“ antwortete das Wesen scharf. „Wie kam es denn zu dem Vertrag mit der Bäuerin?“ versuchte Atheris die Lage zu entspannen. „Der Großgrundbesitzer, dem das Land gehört, welches die Bäuerin gepachtet hat, hatte gehört, dass sie aus Stroh Gold spinnen könne und da der Ehemann ihm noch einiges an Pacht schuldete, hat er sie gefangen genommen, damit sie ihm einen Strohballen in Gold umspinnt, ansonsten hätte er ihrem Mann seine Schläger auf den Hals gehetzt. Da sie allerdings keinerlei besonderes Talent hatte, habe ich ihr den Handel angeboten und meinen Teil der Abmachung auch eingehalten, wo wir wieder bei dem Baby und somit meinem Lohn wären.“ erzählte der Kobolt. „Warum um alles in der Welt sollte der Großgrundbesitzer glauben, dass die Bäuerin so etwas tun kann, ich bin kein Magier, aber Stroh in Gold zu transformieren habe ich bisher noch nicht gesehen. Die Bäuerin wäre zudem in der Lage, ihren eigenen Hof zu kaufen, wenn sie über so eine Fähigkeit verfügen würde, das ist doch kaum zu glauben!“ erwiderte Atheris. Der Kobolt setzte ein breites Lächeln auf: „Ihm werden schon die richtigen Beweise zugespielt worden sein!“ kicherte er. „Dir ist schon klar, dass die Geschichte meine Entscheidung, dir das Kind nicht zu überlassen, untermauert oder?“ erwiderte Atheris in einem schärferen Unterton. „Na wenn schon, du hast doch deine Entscheidung schon längst gefällt! Schon beim ersten Anblick deiner Fresse wusste ich, dass diese Nacht für dich nicht gut ausgehen wird. Ich wollte nur sehen, ob du wirklich so bescheuert bist, den Versuch zu starten, mir meine Beute zu entreißen!“ Mit diesen Worten zog das kleine Wesen blank. Atheris löste langsam sein Silberschwert vom Rücken, hielt es samt Scheide waagrecht vor sich und zog ebenfalls blank. Anschließend legte er die Schwertscheide ab, dehnte sich etwas und lockerte seine Muskeln. „Also lass uns beginnen!“ sagte Atheris und ging in seine seit Jahren gewohnte Ausgangsstellung mit dem Schwert erhoben über seinem Haupt. „Dann zeig mal was du kannst, ich habe gehört ihr Hexer seid schnell, wollen wir mal sehen wie schnell!“ mit diesen Worten schoss der Kobolt in einer unfassbaren Geschwindigkeit nach vorne. Es hagelte eine ganze Reihe von schnell ausgeführten Hieben und Stichen auf Atheris ein, nur mit Mühe konnte er das Wesen auf Distanz halten. Bisher war sein Freund Raziel der schnellste Schwertkämpfer gewesen, dem Atheris bisher begegnet war, aber dieses kleine Monster hier war bedingt durch seine Körpergröße noch gewandter als er. Nach einem ersten Schlagabtausch ließ das Wesen ab und sprach breit grinsend: „Es war ein Fehler von dir, du bist schnell, das muss man dir lassen, aber du bist bei weitem nicht schnell genug und wie ich sehe, hast du dir weder einen magischen Schild aufgebaut noch irgendeines eurer magischen Zeichen gewirkt, was ist los Hexer? Erkennst du den Ernst der Lage nicht, in der du dich befindest?“ Es stimmt, Atheris war zwar in seiner Kindheit als Vatt’ghern ausgebildet worden und durch die Kräuterprobe mutiert, aber seine damalige Schule war untergegangen und er war als Kind in die Hände des Kaiserreichs Nilfgaards gefallen, die ihn zwar hervorragend im Kampf ausgebildet hatten, aber eben nicht als Hexer. Erst Großmeister Valerian, dem er vor drei Jahren das erste Mal begegnet war, hatte ihn als Schüler aufgenommen und seine Ausbildung übernommen. Er war bei weitem nicht begabt genug, in einer Kampfsituation ein Zeichen wirken zu können. „Ach komm schon du kleiner Mann! Für so was wie dich benötige ich doch keine Magie, mit dir werde ich auch so fertig!“ brachte Atheris ruhig hervor. Beim nächsten Angriff sprang der Wicht kräftig ab und griff Atheris auf Augenhöhe an. Widernatürlich lang dauerte der Sprung und der letzte Stich des Angreifers durchstieß Atheris `s Deckung und die kleine scharfe Waffe drang tief in seine linke Seite ein. Atheris stöhnte auf. Der Kobolt stand wieder vor ihm und leckte das frische Blut von seiner Klinge. „Nicht schlecht mein lieber, nicht schlecht! Und damit meine ich nicht dein Können mit dem überdimensionierten Zahnstocher, sondern dein Blut. Es ist stark, schmeckt zwar wie bei Menschen üblich nach Eisen, aber durch aus zu gebrauchen!“ freute sich das Wesen und ging wieder in den Angriff über. Diesmal umkreiste der Kobolt Atheris und führte einige Scheinangriffe aus. „Beinarbeit…in Bewegung bleiben, lass dich nicht stellen! Halte ihn auf Distanz und setzte die Finten ein, die ich dir beigebracht habe!“ Valerians Worte, die er immer in den Übungskämpfen mit Raziel gebetsmühlenartig wiederholt hatte, schossen Atheris durch den Kopf. „Wenn er dir zu schnell ist, dann versuch ihn aus den Takt zu bringen! Setze die Zeichen sinnvoll ein, Aard kann deinen Gegner aus dem Gleichgewicht bringen, Blendbomben können dir für kurze Zeit einen Vorteil verschaffen und denk an deine Waffenöle, wenn der Gegner schnell ist, dann lähme ihn einfach! Mach es nicht so kompliziert! Nutze das Gelände zu deinem Vorteil!“ Ging die Predigt weiter. Atheris hatte leider keine Blendbomben am Mann, und um ein Waffenöl aufzutragen, war in Anbetracht der Lage auch keine Lösung, aber das Gelände nutzen, dass konnte funktionieren! Atheris spähte nach einer Möglichkeit, die ihm helfen konnte und tatsächlich kam ihm eine Idee. Er ließ sich von dem Wesen zurückdrängen bis er in einer größeren Mulde war, hier lag der Schnee deutlich höher und Atheris bemerkte sofort, dass der kleine Kobolt mit seinen kurzen Beinen mehr Schwierigkeiten hatte, seine Schnelligkeit auszuspielen. Einige leichte Treffer konnte er inzwischen auch verbuchen, aber die schienen seinen Gegner nicht zu beeinträchtigen. Atheris sammelte in seinem Inneren seine magische Energie und formte das Zeichen Aard. Er wirkte das Zeichen nicht direkt auf das Wesen, denn dafür war er viel zu schlecht, sondern er zielte mit dem Windstoß vor das kleine Männchen auf den Boden und blies ihm damit eine ordentliche Schneewehe mitten ins Gesicht. Den kleinen Augenblick, der sich bot nutze Atheris, machte einen großen Satz nach vorne und rammte mit aller Kraft sein Silberschwert in den Leib der Kreatur. Das grünliche Blut spritzte auf den weißen Schnee, und mit großen Augen starrte der Kobolt auf das Schwert, dass bis zum Parier in seinem Brustkorb steckte. Wie von einem Hammerschlag wurde Atheris von der kleinen Faust des Wesens getroffen und durch die Luft gewirbelt. Beim Aufschlag presste es ihm die Luft aus den Lungen und er sah nur noch verschwommen. Der Kobolt kam auf ihn zu, zog mit einem hasserfüllten Lachen das Schwert aus seinem Leib und warf es von sich in den Schnee. Atheris versuchte auf die Beine zu kommen, aber diese gehorchten ihn nicht mehr. Das Wesen näherte sich und sagte: „Ich habe dich unterschätzt, aber jetzt ist es mit dir vorbei, bereite dich auf dein Ende vor!“ Atheris tastete nach seinen Dolchen, die er immer am Oberschenkel trug und zog beide. Er hatte kaum noch Gefühl in den Händen, irgendwas muss beim Aufprall kaputtgegangen sein. Das kleine Männchen zögerte nicht und sprang ihn an. Mit seinen Händen, die es wie Klauen einsetzte, versuchte es Atheris das Herz herauszureißen und gleichzeitig ihm mit seinen Zähnen die Kehle zu zerfetzen. Einen Dolch hatte das Männchen ihm schon bei der ersten Attacke aus der Hand geschlagen, mit der zweiten stach er verzweifelt auf das Männchen ein, das aber die Wunden komplett zu ignorieren schien. „Verdammt, warum stirbst du nicht!“ schrie Atheris unter großen Schmerzen, er merkte wie seine Rippen brachen und der Kobolt den Brustkorb gewaltsam öffnete. Vollkommen verzweifelt und dem Ende nahe, griff Atheris nach der Sonne Nilfgaards, die er immer noch als Zeichen an seiner Jacke trug. Obwohl diese golden glänzte war sie doch vor allem aus Eisen gefertigt worden. Mit letzter Kraft wirkte er das Zeichen Igni und erhitze das Metall in seiner Hand. Dieses fing sofort an zu glühen und verbrannte Atheris die Handflächen. Wild schlug er mit den rotglühenden Sonnenstrahlen auf den Kopf und besonders auf die Augen des Kobolts ein. Immer mehr Energie legte Atheris in das Zeichen und das Metall fing an zu schmelzen. Aber es zeigte Wirkung, der Kobolt schrie vor Schmerzen und versuchte sich von Atheris zu lösen, dieser umklammerte ihn aber mit seinem freien Arm und zog ihn eng an sich. „Gloir aen Ard Feainn!“ schrie Atheris und mit einem letzten Schlag drang Atheris in das schreiende Maul des Wesens ein und dort ließ er das schmelzende Metall endlich los. Der Kobolt zuckte wild bevor er in sich zusammensackte und nur noch ein Röcheln von sich gab. Atheris stieß ihn von sich. „A d’yeabl aép arse, lieber lasse ich mir bei lebendigen Leib das Herz rausreißen, als meinen Eid nicht zu erfüllen!“ hauchte Atheris. Langsam kroch er auf das nur noch zuckende kleine Männlein zu, neben diesem lag im Schnee versunken sein Silberschwert, er nahm es in die unverletzte Hand und trennte mit vier Hieben das Haupt des Wesens von seinem Körper. Mit letzter Kraft krabbelte Atheris zurück zu dem Baby und umschloss es mit seinem Körper. „Ich schaffe es leider nicht mehr, dich in Sicherheit zu bringen, es tut mir unendlich leid!“ flüsterte Atheris ihm ins Ohr. Das Baby schien mit einem verspielten Lächeln zu antworten. Atheris schaute sich um, zog alle Tränke die er noch irgendwo am Körper fand raus und warf diese gegen einen Baum. Mit einem letzten Igni, das nicht mehr als ein Fünkchen Hoffnung war, setzte er alles in Brand und kauerte sich um das Baby zusammen. Die Hitze in seinem Rücken tat gut und nach einer kurzen Weile verlor er das Bewusstsein. Die Schatten, die sich schnell der Lichtung näherten, nahm er nicht mehr war.
Vier Tage später
Atheris öffnete die Augen und sah ein ihm alt bekanntes Gesicht. „Mei, was machst du hier in der Kronau?“ flüsterte Atheris, „wo ist das Baby?“ fuhr er fort. „Das, was ich immer mit dir mache, mein Guter, ich flicke dich wieder zusammen und du kannst dich beruhigen, dem Kind geht es den Umständen entsprechend gut und ist bei seiner Mutter!“ antwortete Mei lächelnd. In der Tat war es nicht das erste Mal, dass die Magierin Atheris retten musste und er war froh, sie zu sehen! „Wann können wir nachhause aufbrechen Mei?“ frage er. „In ein bis zwei Tagen teleportieren wir zurück nach Kaer Iwhaell, es ist einiges in Deiner Abwesenheit geschehen, aber jetzt ruhe dich erstmal weiter aus, diesmal war es verdammt knapp! Wäre ich auch nur drei Stunden später hier eingetroffen, hätte ich nichts mehr für dich tun können.“ antwortete sie und verließ das Zimmer. Atheris schloss wieder die Augen und schlief seelenruhig ein.