Verfluchte Küste
Küste vor Cidaris Frühling 1281
Nach dem langen Winter, den ich in Toussaint bei meiner Familie verbracht hatte, war ich mit einem Schiff ‚der feuchten Berta‘ in die Leuenmark aufgebrochen um mich mit Großmeister Valerian und den anderen Greifen in unserer Notunterkunft zu treffen.
Der Aufenthalt in der Fischzuchtanlage von Alastriona, die der Greifenschule Obdach über den Winter gewährt hatte, währte nur wenige Tage, wofür ich echt dankbar war zu dem Zeitpunkt. Der Allgegenwärtige Gestank von Fisch ist nichts für die feine Hexernase und ich kann mich nur glücklich schätzen, dass ich im Vergleich zu den anderen nicht den ganzen Winter hier ausharren musste. Valerian hatte auf mein Eintreffen gewartet, damit wir uns gemeinsam auf die Suche nach einer neuen Bleibe für unsere Schule begeben konnten. Zudem sprach Valerian von einigen Hinweisen, denen er bei der Gelegenheit nachgehen wollte.
Unser erstes Ziel auf dem Festland sollte die alte Handelsstadt Novigrad sein. In Abwesenheit unseres eigenen Schiffes – der Funkenflug – hatten wir Glück, dass die ‚feuchte Berta‘ noch im Hafen lag. Nach einem kurzen Verhandlungsgespräch mit dem Kapitän, erklärte er sich bereit uns überzusetzten.
Ich werde nie ein Freund von Seereisen werden, auch wenn das Meer eine beruhigende Wirkung haben mag, so wird der Alltag an Bord eines Schiffes schnell eintönig, zudem war die Unterkunft mehr schlecht als Recht und der Proviant…war nicht der Rede wert. Umso beachtlicher war der Smutje des Schiffes, der aus dem Zeug tatsächlich etwas Genießbares zaubern konnte. Die ‚feuchte Berta‘ machte ihrem Namen auch alle Ehre. Die Feuchtigkeit in dem Schiff war allgegenwärtig und zuweilen fühlte es sich mehr nach einer Tropfsteinhöhle denn nach einem Schiff an. Permanent war ein Teil der Seeleute am Leck flicken.
Die Eintönigkeit nahm ein jähes Ende, als ein furchtbarer Sturm aufzog und sich die glatte See zu einem zerklüfteten Gebirge erhob. Am Anfang trotze die ‚feuchte Berta‘ noch den Naturgewalten… aber was dann geschah, daran kann ich mich nicht erinnern. Den Ausführungen Valerians nach, hatte ich im Sturm einen Mast gegen den Kopf bekommen und so das Bewusstsein verloren.
Nach Stunden der Bewusstlosigkeit und einer bösen – schlecht behandelten – Platzwunde an der Stirn, kam ich in einer kleinen Hütte … in einem kleinen unbedeutenden Ort wieder zu mir. Neben Großmeister Valerian waren lediglich noch der Löwenhexer Vladim, die Elfenmagierin Nella, Jiri einer der Seemänner der ‚feuchten Berta‘ und ein mir unbekannter Melitele-Prieser namens Benedarius, anwesend…über das Schicksaal der restlichen Mannschaft konnte keiner genaueres Berichten, nur dass das Schiff gesunken war.
Valerian erzählte mir in seiner kurzen und knappen Art, was ich verpasst hatte und machte mir klar, dass wir vom Regen in die Traufe gekommen waren. Im Dorf herrschte einer dicker, unnatürlicher Nebel, durch den kaum das Sonnenlicht brach und die Dorfbewohner betrieben eine Art Kult, der eigene oder fremde Körperteile einem Leshen opferten und dabei sogar öffentlich Strichlisten führten, wer wieviel geopfert hatte…einfach absurd. Das Ganze erinnerte mich an die Vorkommnisse im letzten Spätsommer, als ich zusammen mit dem Bärenhexer Gabhan unterwegs gewesen war und wir in einem abgelegenen Dorf auf einen Waldschrat getroffen waren, der seinen Wald gerne mit Dorfbewohnern düngte.
Nachdem ich über meine Erfahrungen berichtet hatte, machte sich Vladim fachmännisch daran, die Fenster und Türen mit Holz zu verbarrikadieren, während Valerian, Heskor und ich uns auf die Suche nach den Zutaten für ein wirksames Relikt-Öl machten. Es war auch nicht sonderlich schwer in dem kleinen Dorf den örtlichen Schlachter ausfindig zu machen, dafür aber umso schwerer dem massiven Mann das benötigte Fett abzuringen, da unsere Geldreserven mit der ‚feuchten Berta‘ untergegangen waren. Obwohl ich dem schielenden Metzger davon abgeraten hatte, wollte er in einer von Valerian eingesteuerten Wette im Armdrücken um das Fett ringen. Rücksichtsvoll wie immer bot ich dem Mann an, den linken Arm zu verwenden, worauf er auch einging. Nachdem wir das erste Fettnäpfchen errungen hatte und der Metzger mit einer gebrochenen linken Hand den Wetteinsatz verdoppeln wollte – er bot uns eine Rehkeule an – ließ ich mich auf eine zweite Runde mit der Rechten ein. Niemand soll mir nachsagen, dass ich den Mann nicht mehrfach gewarnt hatte, denn auch die zweite Runde endete in einer weiteren zertrümmerten Hand. Sein Unglück war jedoch unser Glück, denn für ein drittes Fässchen Fett und eine Wildschweinhälfte bot Valerian an, dem Mann eine Heilsalbe für seine Hände anzufertigen.
Als wir zurück am Haus ankamen waren sowohl Heskor als auch Vladim mit ihren Aufgaben erfolgreich gewesen. Während Valerian anschließend loszog um die Zutaten für die Heilsalbe zu suchen und Jiri anfing das Abendessen vorzubereiten, machte ich mich an die Herstellung des Relikt-Öls.
Nachdem mehr oder weniger alle Vorbereitungen – nicht zuletzt dank Meister Valerian – erfolgreich abgeschlossen waren. Machten wir uns über das Essen von Jiri her. Was soll ich sagen, ich kann mich nicht daran erinnern, jemals einen so guten Rehbraten gegessen zu haben.
Nachdem die Nachtwachen eingeteilt waren – wobei sich alle darüber freuten, dass ich die Hundswache ‚freiwillig‘ übernommen hatte – sicherte Nella die Hütte mit einem Ritualkreis (den sie mit Mistelpulver streuen konnte (welches als Nebenprodukt der Relikt-Öl Herstellung übriggeblieben war), der uns alarmieren sollte, wenn sich jemand der Hütte näherte. Dass dadurch die Wacheinteilung fast wieder obsolet war, sprach ich nicht an – ich wollte den Kameraden ja nicht ihre Freude nehmen.
Entsetzliche Schreie und ein rhythmisches Klopfen weckten uns mitten in der Nacht – keine Frage, die Dorfbewohner schienen ihren Waldschrat zu huldigen. Für mich war es keine Frage, wir sollten uns nicht in die Angelegenheiten der Fremden einmischen und da die anderen die gleiche Meinung vertraten, blieben wir ruhig in der Hütte. Erst als wir die einsetzenden Schreie von Benedarius vernahmen, sahen wir uns zum Handeln gezwungen. Wann hatte sich der Melitele-Priester eigentlich von der Gruppe entfernt?
Heskor erklärte sich sofort bereit nach dem Rechten zu sehen und verschwand in der Dunkelheit.
Geduldig warteten wir anderen auf ein Zeichen unseres Freundes – welches nicht kam. Wie lange benötigte er, um sich einen Überblick zu verschaffen? War er selber in Gefahr? Letztere Frage war klar, der Assassine konnte sehr gut auf sich alleine Acht geben und keine Frage, die Schreie waren ein gutes Stück entfernt – es dauerte eben, wenn man vorsichtig vorging.
Auf einmal veränderten sich die Hilferufe des Priesters zu markerschütternden Schmerzens- und Entsetzensschreien. Großmeister Valerian handelte sofort, schnappte sich seine Silberklinge und stürmte aus der Hütte – wir hinterher.
(Notiz an mich: Der Bannkreis wirkt tatsächlich nur in eine Richtung, denn beim Verlassen der Hütte erfolgte das Alarmsignal nicht.)
Wir fanden Benedarius auf einen Altarstein gefesselt vor. Einer der Bewohner hatte bereits mit einer Sichel angefangen ihn langsam die Haut vom Leibe zu schneiden. Wie ich vermutet hatte, war der Waldschrat bereits anwesend, um sein Opfer entgegenzunehmen.
Während Großmeister Valerian, Vladim und Nella losrannten um die Priester zu retten, sollten Jiri und ich nach den Totems (zehn an der Zahl) suchen, deren möglicher Standort am Mittag zuvor durch Valerian in Erfahrung gebracht worden waren. Leshen ziehen den Großteil ihrer Macht aus diesen Totems und er kann nur final vernichtet werden, wenn eben jene vernichtet oder entweiht werden.
Das nächste Totem, an das ich mich erinnern konnte, musste auf der anderen Seite des Altars zu finden sein, weshalb ich mich dazu entschloss, meinem Meister in den Kampf zu folgen, der inzwischen in Richtung Priester losgerannt war.
Während die Dorfbewohner nur mit Messern und Dolchen bewaffnet uns entgegentraten und somit keine wirkliche Gefahr darstellten, entbrannte ein fürchterlicher Kampf mit dem riesigen Leshen.
Mir wird wohl keiner glauben, dass ich einen Wuchtschlag des Waldschrats mit der Klinge blocken konnte, mich anschließend mit meinen Schenkeln an dessen Hals klammern konnte und letztlich auf ihm geritten bin … aber das ist letztendlich auch egal. Während Jiri drei der Totems zerstörte und den Leshen dadurch schwächte, setzten wir anderen dem Monster gemeinsam ein Ende.
Warum Benedrius während seiner Rettung ein Bein verlor und Nella es nachwachsen lies … wie wir den Dorfbewohnern versucht haben im Anschluss an die Ereignisse zu erklären, was passiert war … und wie sie auf ihre vermeintliche Rettung reagiert haben und warum mich Nellas Feuerbälle unangenehmer Weise an die Schlacht von Sodden erinnerten… ist ein andere Geschichte.