Das letzte Gefecht um Kaer Iwhaell
Das letzte Gefecht um Kaer Iwhaell
Metagame
Von Peter
Kapitel 1 – Abschied
Greifenburg Kaer Iwhaell, Solonia, Winter 1279
Der Großmeister der Greifenhexer Valerian „Draugr“ von Novigrad stand in seinem grauen Morgenmantel mit einer Tasse heißen Kräutertee auf dem Balkon vor seinem Gemach und schaute hinunter zum verschneiten Innenhof der alten Burg Kaer Iwhaell. Vier seiner verbliebenen fünf Schüler waren gerade dabei, ihre morgendlichen Übungen im Innenhof zu absolvieren. Der ehemalige nilfgaarder Soldat Atheris lieferte sich gerade einen erbitterten Schwertkampf mit Viktor. Die Fähigkeiten der beiden hatte sich in den letzten Monaten erneut deutlich verbessert. Valerian nickte zufrieden und er wendete seine Aufmerksamkeit auf seine beiden jüngsten Schüler. Logan und Egon mussten härter als seine anderen Schüler an ihrer Physis arbeiten, um den Nachteil der fehlenden Kräuterprobe zumindest ein wenig ausgleichen zu können. Das Wissen um die Kräuterprobe, welche die Mutationen bei den Hexern erzeugte, war verloren gegangen. Valerian war strickt dagegen einen seiner Schüler ohne die verbesserten Fähigkeiten auf Monsterjagd zu entsenden, er musste einen Weg finden, das Wissen zurück zu erlangen. Er blickte zu seinem Gepäck, das vor seiner Kleidertruhe für die anstehende Expedition bereitstand. Auf dieser würde er auf die Suche nach dem verlorenen Wissen gehen. Außer den Hexern waren inzwischen viele Bewohner aus dem naheliegenden Dorf ‚Treuhall‘ damit beschäftigt, verschiedenste Kisten, Fässer und Truhen auf Ochsenkarren zu verladen. Gerade erst verließ ein vollbepackter Wagen die Tore in Richtung Hafen an der Elfenküste, um einen Teil der Bibliothek vor dem kommenden Untergang zu bewahren – zumindest was von der Bibliothek nach deren Diebstahl und der langsamen Restaurierung des Bücherbestandes übrig war. Valerians Blick richtete sich zum Himmel. Obwohl die Sonne bereits aufgegangen war, konnte er die Ursache der sich anbahnenden Katastrophe deutlich sehen: Der Mond am Firmament war vor vier Monaten in drei Teile zerbrochen, hatte seine Bahn verlassen und stürzte nun unaufhaltsam auf sie zu. Einige Gelehrte, die Valerian gut kannte, hatten geschätzt, dass im Winter nächsten Jahres der Himmelskörper einschlagen würde, wobei schon deutlich früher Umweltkatastrophen eintreten würden. Valerian hatte daraufhin die Evakuierung von Kaer Iwhaell befohlen und dafür die wenigen Goldreserven verwendet, die er auf die Schnelle zur Verfügung hatte. Sein Ziel war es, soviel Ausrüstung wie möglich zu retten. Die ‚Funkenflug‘, eine alte Handelskogge, die den Greifenhexern gehörte, lag an der Elfenküste vor Anker und wartete auf ihre wertvolle Ladung. Mit dem Schiff würden alle durch die geheime Nebelbank, die vor dem Kontinent Solonia lag und eine Art permanentes Portal bildete, dessen Ursprung Valerian nicht kannte, in die ‚alte Welt‘ gelangen. Einige Minuten verharrte der alte Mann in seiner Beobachterrolle und rief dann laut in den Hof hinunter: „Versammlung in fünfzehn Augenblicken!“ Er drehte sich um und schritt in das Innere der Räumlichkeiten. Viele von seinen persönlichen Sachen waren bereits verladen worden, wodurch der Raum kalt und ungemütlich wirkte. Erneut musste er also ein ihm lieb gewonnenes Heim aufgeben. In seinem, mit vielen Fellen ausgestatteten Bett, lag noch eine blonde Elfe, die ihn halb verschlafen zulächelte, während er sich anzog. Nella würde ihn auf der anstehenden Reise nicht begleiten und dieser Umstand machte ihn, obwohl er doch ein vermeintlich gefühlsloser Hexer war, sehr traurig. Valerian verließ sein Quartier, lief den langen Gang des Wohntraktes entlang, blickte in die leer geräumten Zimmer und gelangte über eine lange gewundene Treppe hinunter. Wenig später waren alle Bewohner von Kaer Iwhaell in der gemütlichen Halle des Marstalls versammelt. Neben den Greifenhexern waren noch die blonde Elfenmagierin Nella, der Händler und Dienstleister Heskor, sowie der Wolfshexer Volmar von Brugge mit seiner Begleiterin Charlotte anwesend. Valerian war ein Führer wider Willen und mochte keine großen Reden halten, deswegen fasste er sich wie immer kurz und knapp: „Die Vorbereitungen zur Evakuierung laufen seit Wochen und sind fast beendet. Die wichtigsten bürokratischen Angelegenheiten hier sind ebenfalls geklärt. Volmar, Charlotte und ich werden heute Mittag bereits abreisen. Ich habe Volmar versprochen, ihn auf der Suche in Kaer Morhen nach essenziellem Wissen für die Zukunft unserer Schule zu unterstützen. Hoffentlich gelingt es mir, das benötigte Wissen bezüglich der Kräuterprobe zu erlangen, an der Saleha und Eiwa so emsig mit uns forschen… wir werden sehen.“ Valerian machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr „Atheris, ich bitte dich die Evakuierung von Kaer Iwhaell wie besprochen zu Ende zu führen. Wir sehen uns dann im Frühjahr in der Leuenmark, bei der Fischzuchtanlage von Alastriona wieder. Noch Fragen?“ Valerian blickte in die Runde und Atheris zeigte ihm mit einem Nicken, dass er verstanden hatte. Der Großmeister der Greifenhexer wartete bis alle den Raum verlassen hatten, um ihren Aufgaben wieder nachzugehen und rief dann nochmal seinen ältesten Schüler zurück. „Atheris, noch eine Sache! Eigentlich war geplant, das Artefakt nun in Bruenors Koschbasalttruhe zu lagern… ich hab mich umentschieden. Du hast bisher gute Arbeit geleistet und die Maske stets in sicherer Bewegung gehalten. Hier – nimm sie erneut an dich“ er drückte dem großen Hexer eine versiegelte, kompakte Truhe in die Hand und fuhr fort, „ich vertraue dir das Artefakt an, erneut. Du kennst die Gefahr und die Macht, die damit verbunden ist, also bleibe nach der Abreise immer in Bewegung, halte dich von Ärger fern und wir treffen uns in einigen Wochen am verabredeten Treffpunkt wieder!“, Valerian packte seinen Schüler noch einmal kräftig an dessen breiten Schultern, schaute ihm tief in die katzenhaften Augen und wendete sich dann ab. Er schritt aus dem Marstall, und traf im Flur den wartenden Volmar – der ihm verstehend zunickte: Sie gingen zusammen in Valerians Studierzimmer: es gab noch einiges vor der Reise mit dem Wolfshexer unter vier Augen zu besprechen.
Am späten Nachmittag war der Moment des Abschiedes gekommen. Während Volmar und Charlotte bereits auf ihren Pferden saßen, befestigte Valerian noch seinen Schlafsack hinten am Sattel. Die restlichen Bewohner der Schule hatten sich am Tor versammelt und unterhielten sich angeregt miteinander. Nachdem der alte Hexer auch seine Schwerter verstaut hatte, schwang er sich auf seine Schimmelstute ‚Brunhild‘, nickte nochmal allen zu und gab dann seinem Tier die Sporen. Die drei Gefährten ritten durch das offene Tor, folgten der geraden, bergab verlaufenden Straße durch das Dorf und erreichten nach einigen hundert Metern das offene Feld.
Atheris stand noch einige Zeit mit Logan auf der Burgmauer und beobachtete die Abreise seines Meisters. Als die drei Reiter am Horizont verschwunden waren, drehte er sich zu seinem Freund um und sagte mit einem Lächeln im Gesicht: „Scheint als ob wir die Ehre haben, als letzte die Lichter auszumachen. Komm, es gibt noch einiges zu erledigen, bevor wir uns ebenfalls zum Hafen aufmachen!“ Der jüngere Hexer schüttelte seinen blonden Schopf und folgte seinem Freund in den Hof, in dem die anderen Schüler bereits warteten.
Die Wintersonne war hinter der alten Burg untergegangen, die letzten Dorfbewohner stellten ihre Arbeit für den Tag ein und die verbliebenen Bewohner von Kaer Iwhaell hatten sich im umgebauten Marstall versammelt. Diese Halle war in den letzten Jahren maßgeblich das Zentrum der Burg gewesen. Vorlesungen, Festmahle, Trainingshalle und so manch einen feuchtfröhlichen Abend hatten die Hexer in den letzten Jahren hier erlebt. Nun wirkte die Halle kahl, die Einrichtung war bereits auf die Ochsenkarren verladen worden und nur der letzte Eichentisch mit zwei langen Bänken stand noch an seinem angestammten Platz. Die Tischplatte war alt und erzählte durch ihre Flecken und Gravuren so manch eine unterhaltsame Geschichte. Da waren zum einen eine fast schon künstlerische Gravur, welches die Wappen der größeren nördlichen Königreiche in einem Quadrat darstellte, welches von der großen flammenden Sonne Nilfgaards umgeben wurde. Böse Zungen behaupteten es sei der nilfgaardische Hexer Atheris gewesen, der dieses Meisterwerk in den Stammtisch geschnitzt hatte, doch dieser widersprach selbst nach dem siebten Schnaps noch und leugnete, dass er für dieses Werk verantwortlich war. Logan hatte eine seiner Eroberungen künstlerisch auf der Platte verewigt und zuletzt gab es noch einen großen roten Fleck, der tief in die Poren des Holzes eingedrungen war und trotz mehrmaligen Schrubbens nicht mehr zu entfernen ging. Diesen legendären Fleck hatte Großmeister Valerian persönlich verursacht und wurde nur liebevoll von seinen Schülern als ‚Pax Valerian‘ bezeichnet. An ihrem letzten Abend, saßen nun die verbliebenen Greifen an ihrem Lieblingstisch und feierten ein letztes Mal. Atheris hatte den Abschied von Kaer Iwhaell als Anlass genommen, seine letzte Flasche ‚Est Est‘ zu öffnen und jedem seiner Freunde einen Schluck des besten und erlesensten Weines aus seiner Heimat Toussaint zu spendieren. Nach dem alle Kelche gefüllt waren, erhob sich Atheris und begann zu sprechen: „Meine Freunde, wenn ich mich in unserer erlauchten Runde umschaue, stelle ich fest, dass wir alle verschiedene Vaterländer haben. Der Begriff Vaterland fühlt sich männlich an. Vaterland kann blutrünstig sein. Vaterland ist gerade in Redanien und Temerien –aber nicht nur dort – auch ein missbrauchter Begriff. Für das Vaterland wurden schreckliche Kriege begonnen. Ich selber habe drei dieser Kriege jahrelang erlebt und bin zu der Erkenntnis gelangt, dass ich mir wünsche, dass es in jedem Staat Männer geben möge, die über die Vorurteile der Völkerschaft hinwegsehen könnten, und genau wüssten, wo Patriotismus Tugend zu sein aufhört. Vor nunmehr fünf Jahren begegnete ich bei einem Sommerfeldzug per Zufall unseren Großmeister Valerian und auch, wenn es noch einige Zeit dauerte, fand ich hier bei den Greifen eine neue Familie, eine neue Heimat.“ Atheris machte eine rhetorische Pause und blickte seinen Freunden einzeln in die Gesichter bevor er fortfuhr. „Heimat! Heimat fühlt sich weiblich an. Heimat bietet Schutz, wie der Schoß einer Mutter. Heimat ist ein Ort der Geborgenheit, der freien Entfaltung, ein Ort der Liebe. Heimat kommt von ‚Heim‘, von Haus. In diesen Tagen starren die Bewohner Solonias genauso wie wir aus unseren Häusern gen Himmel und betrachten den Mond, wie dieser unsere Welt zu zerstören droht. Wir haben die Wahl, erneut gegen die unbesiegbar erscheinenden Lichtelfen ein letztes Mal ins Gefecht zu ziehen oder die Flucht. Pest oder Cholera. So oder so, wir verlieren alle unsere Heimat Kaer Iwhaell. Aber ich frage euch, was macht Kaer Iwhaell aus? Die alten Mauern? Diese Halle hier? Der Tisch an dem wir sitzen? Nein! Meister Valerian hat es bereits vor zwei Jahren bei der Belagerung durch die Redanier richtig erkannt: Wir sind Kaer Iwhaell, wir sind die Greifen und unsere Heimat ist da, wo wir sind! Also lasst uns an diesem letzten Abend kein Trübsal blasen, denn wir schlagen Morgen ein neues Kapitel in der Geschichte der Greifenschule auf! Deswegen lasst uns nicht auf unsere Vaterländer anstoßen, sondern auf unsere Heimat! Auf uns!“ Atheris erhob den Kelch und die anderen Greifen standen von ihren Plätzen auf und erwiderten die letzten Worte unisono. Es sah so aus, als ob es ein feuchtfröhlicher Abend werden würde. Während sich die Hexer eine interessante Geschichte von Logan über eine seiner Eroberungen anhörten, bemerkte Heskor, dass die Elfenmagierin Nella gedankenversunken auf Valerians freien Platz starrte. Der alte Haudegen nahm seinen Kelch und setzte sich zu ihr „Alles in Ordnung meine Liebe?“ fragte er. Sie blickte Heskor an und antwortete mit einem Lächeln: „Ich musste gerade an die letzten Jahre hier auf Kaer Iwhaell denken. Die Zeiten hier waren nie einfach gewesen, aber wir haben viele Freunde kennen gelernt und auch Gutes bewirkt. Nun geht unsere Zeit hier zu Ende, wir haben unser Heim so gut wie geräumt und viele Gefährten der letzten Jahre haben uns inzwischen verlassen, um eigene neue Wege zu gehen. Valerian ist zu seiner Expedition aufgebrochen, Raaga wird irgendwo in Skellige unterwegs sein und auch wir machen uns demnächst auf den Weg in die Leuenmark. Das ist wirklich das Ende eines Kapitels!“ Heskor trank einen Schluck und betrachtete den Honigwein in seinem Kelch, bevor er ebenfalls anfing zu philosophieren „und gleichzeitig der Anfang einer neuen Geschichte. Ich sehe es wie Valerian und Atheris: Wir sind eine Familie und egal an welchem Ort wir uns befinden, die Wege führen uns wieder zusammen. Diese alte Burg hat ihren Zweck als Heimat und Schule erfüllt und ich für meinen Teil freue mich auf die Leuenmark. Wir haben viele sehr gute Freund dort und ich bin überzeugt davon, dass wir dort die Schule wiederaufbauen werden!“ „Ja, ich freue mich auch auf das Neue, aber es fühlt sich schon so an, als wenn wir die Menschen hier in Solonia im Stich lassen…“ fuhr die Elfe fort. Der Unternehmer Heskor hob die Schultern und erwiderte pragmatisch wie er war: „Fast göttliche Wesen, die den Mond zerbrechen lassen können… Zeitblasen und deren Explosionen, von denen ich nichts verstehe und vieles mehr…“ er schwieg einen Moment „Nein, ich sehe wirklich nicht, wie wir hier noch von Hilfe sein können! Das Unheil zu verhindern haben wir die letzten drei Jahre versucht, und die Situation ist nach jedem unternommenen Schachzug schlimmer geworden. Dass wir alle noch am Leben sind, grenzt an ein Wunder!“ Nella war mit ihren magischen Fähigkeiten eine der Wenigen gewesen, die beim letzten Feldzug noch etwas bewirken konnte, aber auch sie gestand sich ein, dass sie hier und jetzt nicht mehr viel ausrichten konnte. Gerade als die Magierin wieder ihr Wort erheben wollte, wurde die Tür zur großen Halle aufgerissen und ein völlig entkräfteter Raaga stürzte hindurch. Geistesgegenwärtig sprangen Viktor und Atheris von der Bank auf und stürmten die zehn Meter bis zur Tür und schafften es gerade noch ihn aufzufangen, bevor er den Boden unfreiwillig küsste. Während die beiden älteren Hexer ihren Freund stützend zum Tisch führten, hatte Egon einen frischen Humpen Met besorgt, den der Skelliger dankend in einem einzigen großen Zug leerte. Nella war inzwischen hinter den erschöpften Hexer getreten und begann leise einen magischen Spruch zu skandieren, woraufhin ihre Handflächen ein leicht rötliches Licht abstrahlten. Sie legte die Hände an Raagas Schläfen und der Neuankömmling seufzte angenehm auf. Nachdem Nella mit ihrem Wirken geendet hatte, schien der Patient wieder soweit bei Kräften zu sein, dass er anfing zu berichten „Freunde, wir haben ein ernsthaftes Problem.“
Kapitel 2 – Unerwartete Wege
Ein Tag früher am Rande der Schwertau, Solonia
Die Wintersonne war inzwischen seit einer ganzen Weile untergegangen und der Wind fegte hörbar um die Taverne, in der sich Raaga für die Nacht niedergelassen hatte. Er saß alleine in einer Ecke des geräumigen Schankraums, hatte die Füße auf einen zweiten Stuhl hochgelegt und nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Humpen. „Hmmmm… was für ein beschissenes Gesöff verkaufen die denn hier als Met!“ grummelte er und nahm zur Sicherheit noch einen großen Schluck hinterher, man konnte sich schließlich auch mal irren. Im Schankraum herrschte ein reges Treiben. Er kannte das aus seiner Heimat, den Skellige-Inseln. Besonders wenn die Winter lange und kalt waren, zog es die Bewohner in die Schenken, um die Wärme und Geselligkeit der Gemeinschaft zu suchen. Eigentlich wollte er schon seit Wochen in seiner alten Heimat sein, um einigen privaten Angelegenheiten nachzugehen, aber es kam anders als erwartet. Ein lukrativer Auftrag hatte ihn in der Schwert-Au gehalten und es war ihm erst heute Morgen gelungen, dem Biest ein Ende zu bereiten. Es war sein bisher härtester Kampf gewesen. Das Ungeheuer hatte sich mit allem gewehrt, was es aufzubieten hatte, aber letztendlich hatte seine scharfe Silberaxt sein Ziel gefunden und es erledigt. Nun lag seine Trophäe neben ihm in der Ecke und morgen früh würde er für sie eine stattliche Summe Gold erhalten. Sein Blick wanderte zum stinkenden, triefenden Bündel, bei dem man, mit ein wenig Fantasie, die Umrisse des Basiliskenkopfes darin erahnen konnte. Raaga richtete seine Aufmerksamkeit zurück auf die Leute im Schankraum. Die Stimmung im Raum war bedrückend, die Welt Solonia mit ihrem gespaltenen Mond war dem Untergang geweiht und die Bewohner wussten es. Zwei Bauern, die sich einige Tische entfernt unterhielten, erregten sein Interesse. Die beiden schienen ihn immer wieder zu beobachten und sich über ihn zu unterhalten. Offensichtlich hatten die beiden zwar was von Hexern gehört, aber nichts von ihren guten Sinnen und somit ahnten sie nicht, dass er die beiden teilweise verstehen konnte. „…sie lagern hier ganz in der Nähe! Wir sollten uns anschließen!“ sagte der schwarzhaarige Jüngling mit dem Lockenkopf. „Sie versprechen einen Ausweg! Einen Weg unser aller Leben zu retten! Lass es uns tun!“ erwiderte der Zweite. Die beiden tranken sich noch etwas Mut an und verließen die Taverne. Raaga zögerte einen Moment „Verdammt, was mach ich hier eigentlich!“ fluchte er, schnappte sich seine Sachen, schnippte eine kullernde Silbermünze auf den Tisch und folgte den beiden in die Nacht hinaus.
Er sah wie die beiden über den schneebedeckten Marktplatz des kleinen Dorfes schlenderten, dann in eine Seitengasse abbogen und schließlich die Dorfgrenze überschritten. Ihr Weg führte sie durch ein kleines Wäldchen, über eine Brücke, die über den teilweise zugefrorenen Fluss ragte, hinaus auf die Felder. Raaga war der beste Spurenleser der Greifenhexer und so fiel es im leicht, den beiden mit genügend Abstand und ungesehen durch die Nacht zu folgen. Nach einer Weile sah der Hexer einen breiten Lichtschein hinter einer Anhöhe und als er sich weiter näherte, hörte er tosenden Krach und lautes Stimmengewirr aus der Ferne. „Das müssen ja hunderte sein!“ dachte er sich und schlich von nun an sehr vorsichtig weiter. Er sah, wie die beiden Verfolgten über einen schmalen Pfad die Anhöhe erklommen und aus seinem Sichtfeld verschwanden. Der Skelliger bog vom Pfad ab und kämpfte sich leise durch die dicht bewachsene Böschung nach oben. Die Böschung gab aufgrund des Winters nur bedingt Sichtschutz, aber Raaga rechnete auch nicht mit besonders aufmerksamen Wachen. Schließlich fand er eine geeignete Stelle, die genügend Schutz bot, den Rand der Anhöhe zu observieren. Von seinem kleinen Versteck aus erblickte er ein riesiges Heerlager – wobei ‚Heerlager‘ der falsche Ausdruck war, verbesserte Raaga seinen eigenen Gedankengang. Für ein Militärlager herrschte hier zu viel Chaos, lediglich im Zentrum konnte der Hexer eine gewisse Grundordnung erkennen. Seine Sinne hatten ihn nicht getäuscht: Grob überschlagen sah er an die hundert Zelte und ein Vielfaches an Menschen. In der Mitte des Lagers war ein größerer freier Platz, in dessen Mitte ein großes Lagerfeuer brannte. Hier auf dem zentralen Platz hatte sich ein Großteil der Menschen versammelt; sie trugen lange weiße Roben, die mit einem zerbrochenen roten Vollmond bemalt waren. Auf dem Kopf trugen sie ebenfalls weiße Gugeln, die so tief ins Gesicht gezogen waren, dass man ihre Gesichter nicht erkennen konnte, bei einigen sah es danach aus, dass sie extra Sehschlitze in den Stoff geschnitten hatten. Auf einem Podest stand ein Mann in roter Robe und einem langen rötlichen Vollbart. Er wirkte in Verbindung mit dem flackernden Lichtschein des Lagerfeuers sehr bedrohlich. Dieser Bärtige sprach im lauten, hetzerischen Tonfall zu seinen Anhängern:“… seitdem der unselige, verstorbene König Gernot diesen Bastarden ein Lehen überlassen hat, haben die Probleme in Solonia erst begonnen! Untote Drachen, Dämonenbeschwörungen, adoptierte, betrunkene Trolle, die wahllose Züchtung tollwütiger Wildtiere, ausländische Besatzungsarmeen und Lichtelfen! Selbst die Orks befinden sich auf der Flucht! Der Ursprung allen Übels liegt nicht mehr weit von hier! Ich sage euch meine Brüder! Lasst uns zu ihrer Burg ziehen und sie ein für alle Male ausrotten! Die Götter werden uns ob dieses Dienstes gnädig sein und unsere Welt verschonen!“ die Vorwürfe gingen noch weiter und Raaga musste immer wieder verwundert den Kopfschütteln. Er war dabei gewesen, als die Greifenhexer zum ersten Mal nach Solonia gekommen waren und er hatte die meisten Ereignisse, die nun gegen die Hexer gerichtet wurden, selbst miterlebt. Die Greifen waren während der ganzen Krisen in den letzten Jahren immer an vorderster Frontlinie gestanden und hatten viel bluten müssen, um die Bewohner der Welt zu schützen und nun wurde von diesem Blender alles gegen sie verwendet. Raaga kochte innerlich vor Wut, aber er schaffte seine Emotionen unter Kontrolle zu halten und hörte der Brandrede weiter zu „… Alle neuen Brüder, die sich uns heute angeschlossen haben: Bewaffnet euch, wir ziehen morgen weiter!“ Der Fanatiker sprach noch ein paar weitere Plattitüden, bevor er das Zentrum des Lagers unter tosendem Applaus und lautem Geschrei verließ. Er lief einmal um das Feuer, ließ sich ausgiebig feiern und zog sich schließlich mit einigen Männern und Frauen in ein großes Zelt zurückzog, vor dem zwei Wachen standen. „Die haben sie doch nicht mehr alle!“ grummelte Raaga geschockt, nachdem er die Worte vernommen hatte. Er lag noch eine ganze Weile in seinem Versteck und versuchte, so viele Informationen wie möglich zu sammeln, die für die Greifen relevant werden könnten: Mannstärke, Bewaffnung, Belagerungsgerät, Vorräte und vieles mehr. Unerwartet tat sich ihm auf einmal eine günstige Gelegenheit auf, als einer der Fanatiker sich seiner Position näherte, um auszutreten. Als der Mann seine Hose öffnete, schlich sich der Hexer in einem kurzen Bogen hinter ihn und setzte ihm sein gezücktes Jagdmesser an den Hals. „Da habe ich dich wohl mit runtergelassenen Hosen erwischt! Ist dir etwa kalt? Scheint heute nicht mehr dein Tag zu werden!“ flüsterte Raaga dem Fanatiker ins Ohr. Mit einem kräftigen Schlag auf den Hinterkopf schickte er diesen ins Land der Träume. Raaga fesselte den Bewusstlosen und versteckte ihn. Der Hexer betrachtete das Gesicht des jungen Mannes, er war keine zwanzig Jahre alt, seine Mine wirkte friedlich. „Verdammter Fanatismus!“ fluchte Raaga, und packte den Mann in seinen Schlafsack, damit dieser nicht über Nacht erfrieren würde. Wenig später marschierte der Hexer durch das Lager, die erbeutete Gugel hatte er tief ins Gesicht gezogen und die weiße Robe verdeckte sein Stahlschwert, das er vor sich auf den Bauch gebunden hatte. Nicht, dass Raaga damit rechnete aufgrund seiner markanten Gesichtszüge oder seines blonden Bartes erkannt zu werden, aber wegen seiner katzenartigen Augen. Mit seiner langen Axt in der Hand wanderte er langsam durch das Lager, blieb bei manchen Grüppchen stehen und lauschte den Gesprächen. Es gab so viel Hass unter ihnen und alles fokussierte sich auf Kaer Iwhaell und die dort lebenden Hexer. Endlich stand er vor seinem eigentlichen Ziel, dem großen Zelt im Zentrum des Lagers, in dem der vermeintliche Anführer verschwunden war. Vor dem Eingang standen immer noch zwei Wachen. Er schlenderte unauffällig zum Eingang und stellte sich neben eine der Wachen und wirkte das ‚Axii‘-Zeichen. Mit diesem Zauber beeinflusste er den Verstand des Wachmanns, bevor Raaga ihm mit freundschaftlichen Tonfall begrüßte: „Hol dir ein Bier, mein Bruder. Ich werde solange für dich hier die Stellung halten!“ Mit einem wohlwollenden Nicken schritt der Fanatiker davon, auf der Jagd nach etwas ‚Gutem‘ zu Trinken. Als Raaga an die nun freigewordene Stelle trat, musterte der zweite Mann vor dem Zelt den Neuankömmling. Zum Glück trug der Hexer nicht wie die meisten seiner Gefährten zwei ikonische Schwerter auf dem Rücken, sondern bevorzugte seine Silberaxt zusätzlich zu dem Stahlschwert. „Schönes Stück trägst du da bei dir, mein Bruder!“ sprach der Fanatiker nach einem kurzen Moment und zeigte auf die Axt. „Danke, … Bruder. Ich kann es kaum erwarten, das gute Stück in die Köpfe der Bastarde zu versenken!“ antwortete Raaga, spuckte auf den Boden und versuchte dabei so angewidert wie möglich zu klingen. In seiner neuen Position stand er lange Zeit ruhig vor dem Zelt und richtete seine Aufmerksamkeit auf das, was er vom Inneren des Zeltes vernahm. Viel konnte er trotz seiner guten Sinne nicht vernehmen, aber er hörte immer wieder die Worte ‚Isador‘, ‚Maske‘ und ‚unvorstellbare Macht‘. Bei den Worten verzog Raaga das Gesicht, er hasste den bösartigen Magier Isador und viel schlimmer war, dass diese Fanatiker oder zumindest ihre Führung von dem Artefakt wussten, das sich seit einigen Wochen in der Verwahrung der Greifenhexer befand. Er musste so schnell wie möglich zu Valerian gelangen und seinen Ziehvater vor der Bedrohung warnen. Endlich kehrte der Wachmann von seinen ein, zwei oder vielleicht auch drei Getränken zurück. Als er an Raagas Seite trat, konnte dieser eine deutliche Alkoholfahne wahrnehmen. Der Hexer nickte dem Mann kurz zu und schlenderte ruhig und lässigen Schrittes aus dem Lager. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte er endlich den Rand des Lagers, seine Schritte beschleunigten immer mehr und als er sich sicher war, dass er außer Sicht war, warf er die Gugel und die Robe hinter einen Busch und begann zu rennen.
Als die Wintersonne über der Schwert-Au aufging und die verschneite Welt in einen Winterzauber verwandelte, entdeckten zwei Fanatiker beim morgendlichen Austreten einen ihrer Brüder. Er lag bewusstlos, und gut in einen Schlafsack verpackt, in einem Gebüsch. Aus dem neben ihm stehenden, blutigen Sack kam ihnen ein übelriechender Gestank entgegen und mit etwas Fantasie, konnte man die Umrisse eines Basiliskenkopfes erahnen.
Kapitel 3 – Es beginnt
Wieder in der Gegenwart, Greifenburg Kaer Iwhaell, Solonia Raaga rang nach Luft, außer Atem nach seinem Dauerlauf zur Burg: „Ich bin vor einem Tag auf eine Gruppe von Fanatikern gestoßen und sie haben nur ein Ziel – uns!“ „Var’oom? Ich meine ‚warum‘?“ fragte Atheris, dessen Laune sich schlagartig verdüstert hatte. „Sie geben uns die Schuld an den Ereignissen in den letzten Jahren! Mit unserem Eintreffen hat der Niedergang Solonias begonnen und sie verbreiten die Ansicht, dass, wenn sie uns auslöschen, die Götter das Unheil abwenden werden!“ „Je extremer die Situation, desto leichter lassen sich die Menschen durch so einen Blödsinn beeinflussen!“ schimpfte der sonst stille Viktor. „Was machen wir jetzt?“ fragte Logan. „Wir sollten einen Boten Valerian hinterhersenden, er sollte unterrichtet werden! Raaga, wieviel Zeit bleibt uns schätzungsweise noch, bevor die Fanatiker hier eintreffen?“ fragte Atheris. Raaga überlegte einen kurzen Moment und schätze, dass eine entsendete Vorhut aus Reitern innerhalb weniger Stunden eintreffen könnte. Nach einer kurzen, aber intensiven Diskussion über ihre Lage, waren sich die Hexer einig, dass eine sofortige Evakuierung der Burg die einzige sinnvolle Lösung war. Egon und Logan liefen daraufhin los und trommelten die Dorfbewohner erneut zusammen. Sie mussten über die Gefahr informiert werden. Nathan, einer der beiden Stallburschen wurde Valerian hinterhergeschickt und die Hexer begannen noch in der Nacht mit dem finalen Auszug aus Kaer Iwhaell.
Die ganze Nacht über herrschte reges Treiben in der Burg. Vier vollbeladene Ochsenkarren verließen im Morgengrauen die Burg, drei weitere standen noch im Innenhof und wurden in Eile beladen. Atheris hatte seinen schwarzen Hengst Ker’zaer bereits fertig gesattelt und prüfte den Sitz der Satteltaschen. Logan und Egon waren noch im Hauptgebäude und liefen ein letztes Mal die Räumlichkeiten ab, um zu prüfen, ob etwas Wichtiges vergessen worden war. Die Magierin Nella instruierte gerade noch zwei kräftige Kerle, die dabei waren, eine schwere Kiste aus Valerians Labor auf einen der Wagen zu hieven. Die verpackten Gläser darin klimperten und klirrten aufgeregt. Heskor verstaute den letzten Rest seiner Handelswaren auf dem zweiten Wagen und Viktor stand seit Stunden oben auf dem alten Bergfried von Kaer Iwhaell und hielt Ausschau nach den Fanatikern. Lediglich Raaga hatte sich für einige Stunden zum Schlafen hingelegt. Es war eine heftige Diskussion gewesen, da er sich störrisch geweigert hatte sich auszuruhen. Letztlich war es Nella, die es geschafft hatte, ihn zur Vernunft zu bringen. Es würde nicht mehr lange dauern und sie würden sich auf den Weg zum großen Hafen in der Elfen-Au machen, um diese Welt für immer zu verlassen. Es war Viktors lauter Schrei, der sie alle aufschrecken ließ
„Sichtung! Eine Gruppe von fünfzehn Reitern kommt auf uns zu!“ Die anderen Hexer rannten zur Burgmauer neben dem Haupttor und mussten mit ansehen, wie die Reiter über die vier Ochsenkarren herfielen, die vor wenigen Augenblicken Kaer Iwhaell verlassen hatten. Die Fahrer wurden brutal massakriert und die wertvolle Ladung in Brand gesteckt. Einige Dorfbewohner, die nichts mit der Evakuierung der Burg zu tun hatten, kamen schreiend aus ihren Häusern gerannt und liefen auf das noch offene Burgtor zu, um sich in die vermeintliche Sicherheit der Mauern zu bringen. „Nein! Diese verdammten Bastarde!“ schrie Logan und zog in einer fließenden Bewegung sein Schwert. Atheris war inzwischen in den Innenhof gesprungen, schwang sich gekonnt auf sein Streitross und preschte im gestreckten Galopp durch das offene Burgtor. Mit gezogenen Stahlschwert ritt er die enge gepflasterte Straße hinunter, vorbei an den flüchtenden Bewohnern und erreichte nur wenige Augenblicke vor den Angreifern die Dorfgrenze. Dort zügelte der nilfgaarder Hexer sein Pferd und wartete. Die Fanatiker verlangsamten ihr Tempo und versuchten die neue Situation einzuschätzen. Einen Moment betrachtete die Gruppe den in schwarz-gold gerüsteten Reiter, der sich ihnen in den Weg gestellt hatte. Die goldene Sonne des Kaiserreichs Nilfgaard, die auf seiner Rüstung angebracht war, strahlte passend in der nun aufgegangenen Morgensonne und die scharfe Stahlklinge in seiner Hand erschien wie ein Versprechen Atheris‘. Nach einer kurzen Absprache lösten sich vier Reiter aus der Gruppe der Fanatiker und bildeten eine lose Formation. Atheris beobachtete ruhig, wie sich die Vier im schnellen Galopp auf ihn zubewegten. Seine langjährige Erfahrung in der kaiserlichen Armee ließ ihn erkennen, dass diese Reiter keine erfahrenen Kavalleristen waren. Im Galopp standen drei von ihnen in ihren Steigbügeln und nur einer von ihnen war in der Lage, den Schwung seines Pferdes im Sattel auszusitzen. Ihre Zügel hielten sie krampfhaft in der einen Hand, während sie in der anderen ihre gezogene Waffe schwangen. Ein kampferprobter Reiter musste in der Lage sein, bei hoher Geschwindigkeit sicher im Sattel zu sitzen und die Besten von ihnen steuerten ihr Pferde im Kampf nicht mit den Zügeln, sondern mit dem Druck ihrer Unterschenkel, zu leicht konnte es in der Schlacht passieren, dass man durch wildes Gezerre an den Zügeln die Kontrolle über das Reittier verlor und im schlimmsten Fall abgeworfen wurde. Atheris ließ seinen schwarzen Hengst steigen und wild mit den Vorderhufen auskeilen, bevor er mit einem lauten „Se’ege na tuvean!“ seinem Ross die Sporen gab und frontal auf die gegnerische Formation losstürmte.
Sein einfaches Einschüchterungsmanöver zeigte Wirkung, die Fanatiker zögerten für einen Moment und waren sich ihrer selber nicht mehr so sicher. Atheris nutzte ihr zögerliches Verhalten und brach zwischen den beiden mittleren Reitern durch die Formation. Mit einem sauberen Mittelhau durchtrennte er dem Reiter rechts von ihm die Kehle und da die Formation alles andere als sauber geritten war, hatte er sogar noch die Zeit den Schwung seines Streiches in einen Stich über seine linke Schulter enden zu lassen und damit den Fanatiker links von ihm in dessen Blöße zu treffen. Beide Gegner landeten tödlich getroffen auf dem Boden. Atheris ließ Ker’zaer eine Wendung um die Hinterhand aus dem vollen Galopp vollführen und in die gegenläufige Richtung wieder angaloppieren. Durch dieses Wendemanöver brachte sich der Hexer hinter die beiden verbliebenen Angreifer und setzte ihnen nach. Die beiden Fanatiker waren einen weiten Bogen geritten, um ihn erneut zu stellen. Das kostete Zeit und durch die Kehrtwende konnte sich Atheris sein nächstes Ziel in aller Ruhe aussuchen. Für Ker’zaer, das edle Streitross aus Toussaint, war es ein leichtes die beiden anderen Tiere einzuholen und obwohl die Verfolgten mit Hacken versuchten den Hexer loszuwerden, schafften sie es nicht. „Nicht mal einfache Galoppwechsel haben diese Anfänger drauf“, dachte sich Atheris und setzt sich von hinten zwischen die beiden Fanatiker und mit einem präzisen Stich von hinten holte er den Rechten der beiden aus dem Sattel. Der Linke versuchte mit einem Rückhandschlag den Hexer zu treffen, der band aber den Hau mit seinem Parier, ergriff dessen Handgelenk und zog ihn mit einem kräftigen Ruck vom Pferderücken. Mit einem hörbaren Knacken landete dieser auf dem schneebedeckten Boden. Der Nilfgaarder blickte sich zu den übrigen Reitern um, offensichtlich hatten sie kein Interesse, es ihren Kameraden gleich zu tun. Im versammelten Galopp ritt Atheris im Triumph zurück zur Dorfgrenze und platzierte sich wieder an der Ausgangsposition. Dort ließ er gekonnt seinen Hengst auf der Stelle tänzeln. „Glaeddyvan vort! Lasst die Schwerter fallen und kehrt zurück zu euren Familien! Ihr werdet Solonia nicht retten können, indem ihr unsere Burg angreift. Hier wartet nur der Tod auf Euch, Aen Ard Feainn!“ schrie Atheris ihnen zu, machte kehrt und ritt im leichten Galopp zurück zur Burg. Dort angelangt empfing ihn Raaga mit den Worten „Meine Fresse, Atheris! Was ist in dich gefahren! “ „Ich habe fast mein ganzes Leben in der kaiserlichen Armee Nilfgaards gedient. Diese Reiter dort sind jeder für sich keine sonderlich große Gefahr! Für sie ist ein Pferd ein Transportmittel und keine Waffe! Die waren ja schon mit einem einfachen Frontalangriff überfordert!“ verteidigte Atheris sein Handeln, „und außerdem habe ich so den Dorfbewohnern etwas Zeit verschaffen können“, fuhr er fort. „Was machen wir jetzt?“ fragte Logan in die inzwischen versammelte Runde. Die Blicke richteten sich auf Raaga, er war der ranghöchste Greifenhexer und die rechte Hand von Valerian. Er war diese Rolle sichtlich noch nicht gewohnt, aber in Stresssituationen trotzdem immer fähig, entschieden zu handeln. Der Skelliger blickte zur Dorfgrenze, dort verweilten die übriggebliebenen Fanatiker und schienen auf etwas zu warten. „Wenn eine erste Vorhut bereits hier ist, bezweifle ich, dass wir es mit den übrigen Ochsenkarren bis zum Hafen schaffen. Ich hatte gehofft wir hätten mehr Zeit, aber sie scheinen sich ziemlich beeilt zu haben… Was haben wir denn noch für Möglichkeiten?“ erfasste Raaga die Situation. Es entbrannte eine hitzige, aber sachliche Diskussion in der klar wurde, dass eine Belagerung spätestens mit dem Eintreffen der von Raaga beschriebenen Hauptstreitmacht der Fanatiker zu ihren Ungunsten enden würde. Dementsprechend blieb ihnen nur die Flucht, die Frage war nur wie? Die Dorfbewohner Treuhalls waren allesamt in die Burg geflüchtet und die Hexer konnten sie nicht einfach im Stich lassen, nicht nachdem sie sehen mussten, was mit den Fahrern der Ochsenkarren passiert ist. Es gab einen schmalen versteckten Pfad, der vom alten Teil Kaer Iwhaells den Burghügel hinunterführte in ein kleines Waldstück. Dort gab es ein kleines Höhlensystem, in dem die Einwohner ausharren konnten. Das Problem war aber, dass die Bewohner nur dann eine realistische Möglichkeit hatten unentdeckt zu bleiben, wenn die Fanatiker nicht nach ihnen suchen würden und das war der Fall, wenn die Hexer tot oder sichtbar entkommen würden. „Wir können versuchen, die Portalsteine meines Schülers Lennox zu verwenden!“ meldete sich die Magierin Nella zu Wort. „Wenn ich es schaffe, die Steine richtig anzuordnen, bringen sie uns in seine Heimat und wir wären in Sicherheit. Problem ist aber, dass ich erstmal die versiegelte Kiste mit den Steinen aufbekommen muss und anschließend die korrekte Anordnung aus seinen Notizen herausfinden muss. Außerdem lässt das arkane Potential der Steine nur eine begrenzte Anzahl von reisenden Personen zu. Die Ochsenkarren müssen wir zurücklassen!“ fuhr die Elfe fort und ihre süßen Spitzöhrchen wippten aufgeregt beim Reden. „In Ordnung, dann beginne du mit deiner Arbeit.“ sagte Raaga. „Das Portal sollten wir im Innenhof des alten Burgteils aufstellen, diesen können wir mit unserer geringen Zahl am längsten halten.“ ergänzte Atheris. Die Greifen begannen mit der Vorbereitung für das letzte Gefecht um Kaer Iwhaell.
Einige Stunden vorher auf dem Weg in Richtung Elfen-Au
Valerian, Volmar und Charlotte ritten gemütlich die Hauptstraße entlang. Den Mantel eng um seine breiten Schultern geschlungen, saß der alte Hexer gedankenverloren tief in seinem Sattel. „Aaaach…wenn mein alter Meister Heswinn mich so sehen könnte…oder Erland, oder der alte Keldar… die würden den Kopf schütteln. Ich bin nicht mal ein Schatten ihrer damaligen Größe. Ob ich es jemals zu deren Meisterschaft als Großmeister bringen werde? Ich hätte mir nie erträumen lassen, dass das Schicksaal der Greifenschule von mir als ihrem Ältesten abhängt! Was ist, wenn ich versagen sollte? Was wird dann aus meinen Schülern? Was ist, wenn mir etwas zustoßen sollte? Der Großteil des alten Wissens der Greifen würde verloren gehen…“ Die Geräusche eines sich schnell nähernden Reiters rissen Valerian aus seinen Gedanken. Er drehte sich zeitgleich mit Volmar im Sattel um und blickte aufmerksam zurück. „Was ist los?“ fragte Charlotte, deren Sinne nicht mit denen der Mutanten mithalten konnten. „Ein Reiter, der sich uns schnell nähert!“ antwortete Volmar. „Es ist Nathan, mein Stallknecht! Was macht der hier!?“ Valerian ließ seine Stute Brunhild wenden und galoppierte seinem Bediensteten entgegen. Als der alte Hexer den jungen Mann erreichte, erkannte er die Pfeilspitze, die aus dessen Schulter ragte. Valerian zügelte sein Pferd, stieg ab und holte den Knecht vorsichtig aus dem Sattel und legte ihn auf den Boden. Nathan hatte viel Blut verloren und die Wunde musste dringend versorgt werden. „Meister Valerian!“ stammelte der Jüngling „Kaer Iwhaell wird von Fanatikern angegriffen. Sie geben uns die Schuld an dem furchtbaren Schicksal Solonias!“ stammelte der Verwundete. Valerians katzenartige Augen weiteten sich. „Ich danke dir Nathan für das Überbringen der Nachricht. Kennst du den Plan meiner Schüler?“ fragte der alte Hexer. „Als ich aufgebrochen bin, war der Plan, die Burg vorzeitig zu evakuieren, man wollte es nicht auf einen Kampf ankommen lassen!“ antwortete der Jüngling. „Volmar…Charlotte, könnt ihr euch bitte um Nathans Verletzung kümmern…?“ Valerian blickte angespannt zu seinen Begleitern. „… Valerian, zieh endlich los!“ Volmar und Charlotte nickten dem alten Hexer zu. Dieser sprang in einer fließenden Bewegung auf seine Schimmelstute und gab ihr die Sporen.
Kapitel 5 – Das letzte Gefecht um Kaer Iwhaell
Greifenburg Kaer Iwhaell, Solonia
Den ganzen Vormittag über trafen immer wieder kleinere Gruppen der Fanatiker auf den offenen Feldern vor dem Dorf Treuhall ein. „Ich zähle inzwischen dreiundsiebzig von ihnen!“ erstatte Egon an Raaga Bericht. Die Hexer gingen davon aus, dass es sich bei diesen Einheiten um eine Vorhut handelte, die alle Wege zu Kaer Iwhaell patrouilliert hatten, um eine Flucht der Hexer zu verhindern. Wie viele der Ochsenkarren in Richtung Elfenau in ihre Hände gefallen waren, mochte sich keiner auf der Burg ausmalen. Atheris und Raaga standen oben auf dem alten Bergfried und betrachteten die Situation. Kaer Iwhaell lag auf einer Anhöhe direkt hinter dem Dorf Treuhall. Der einzige befestigte Weg zur Burg führte durch die enge, gepflasterte Dorfstraße direkt zum Haupttor. Der Fluchtweg, den die Dorfbewohner genommen hatten, lag auf der gegenüber liegenden Seite des Haupteingangs und dürfte keinem der Angreifer bekannt sein. Trotzdem hatten sie einen freiwilligen Mann aus dem Dorf am Eingang positioniert, um die Hexer zu warnen, sollten sich doch Angreifer von hinten nähern. Ein dritter Weg führte durch einen Bergwald zum Haupttor. Dieser Weg eignete sich aufgrund des Gefälles aber nicht für schweres Belagerungsgerät. Atheris vermutete, dass die Fanatiker das Haupttor direkt angreifen würden, so wie es vor zwei Jahren das Expeditionscorps der verhassten Redanier getan hatte. Damals standen viele Verbündete den Greifen zur Seite und es war schon eine schier unmögliche Aufgabe, das Tor zu halten. Jetzt standen die Hexer ohne Verstärkung da und zusätzlich hatten sie auch noch Mitstreiter von damals verloren. Lediglich ein Dutzend junger Männer aus dem Dorf hatten sich Waffen besorgt und waren bereit, die Burg zu verteidigen. „Unser letztes Gefecht werden wir wohl am Eingang zum alten Burgteil führen.“ sagte Atheris und zeigte auf die Treppe und den anschließenden Torbogen zum alten Teil der Innenburg Kaer Iwhaells auf einer Anhöhe, innerhalb der äußeren Burgmauern. Der Innenteil bestand aus einer Burgruine, aus alten, wehrhafteren Tagen in Solonia. Die Ruine hatte keine Dächer mehr, aber die Mauern waren dick und stabil und der alte Bergfried, der ebenfalls zur Innenburg gehörte, war wunderbar geeignet, den Innenhof mit tödlichen Pfeilen einzudecken. Hinter dem Torbogen zu Füßen des Bergfrieds war Nella dabei, das Portal auf dem schneebedeckten Hof zu errichten.
„Es ist, wie du es beschrieben hast Raaga, ein wild zusammengewürfelter Haufen. Ich sehe kaum Struktur in ihrem Aufmarsch! Siehst du die mit den Schilden im Zentrum? Das sind vermutlich die einzigen Söldner auf dem Feld!“ Atheris zeigte auf eine Formation mit zwanzig schwer bewaffneten Männern. Raaga brummte zustimmend. „Unser Vorteil ist, dass sie uns nicht einfach von allen Seiten angreifen können.“ fuhr Atheris fort. „Wenn sie wüssten wie wenige wir sind, hätten sie uns schon längst angegriffen und überrannt. Vielleicht kennen sie die Geschichte mit der redanischen Belagerung vor zwei Jahren?“ beendete der nilfgaarder Hexer seine Ausführung.
Nella hatte die magisch versiegelte Kiste mit den acht Portalsteinen geöffnet. Die richtige Anordnung machte ihr zu schaffen: Es gab zu viele Kombinationsmöglichkeiten der acht Steine und jede Falsche konnte beim Versuch, das Portal zu nutzen, in einem totalen Desaster enden. Sie überschlug die Anzahl stochastischer Optionen… achtmal der mathematische Operator Fakultät … Ihr rann eine Schweißperle über das sonst so stoische Elfengesicht „…vierzigtausenddreihundertzwanzig Permutationen.“ Die Notizen, die ihr Schüler Lennox hinterlassen hatte, waren noch nicht fertiggestellt. Immerhin wurde die Kombination der ersten fünf Steine beschrieben. Somit musste sie nur die korrekte Anordnung der letzten drei Steine selber analytisch kombinieren, was dann wesentlich weniger Permutationen bedeutete. Als Raaga zu ihr hinunterkam und sich nach dem Stand des Portals erkundigte, antwortete die Magierin zuversichtlich „ich brauche nicht mehr lange, wir können das notwendige Gepäck bereits im Steinkreis platzieren!“ der Hexer brummte.
Atheris, der inzwischen ebenfalls den Bergfried verlassen hatte, gesellte sich zu den beiden. „Ich werde zu den Verrückten da draußen reiten und versuchen zu verhandeln. Ich glaube zwar nicht, dass es inhaltlich etwas bringen wird, aber zumindest könnte es uns etwas zusätzliche Zeit verschaffen. Valerian würde sicher auch so handeln!“ informierte er seine Freunde. „Atheris, bei aller Liebe zur Diplomatie, das hier sind Fanatiker, die sind doch nicht mehr klar in der Birne, was willst du mit denen verhandeln?“ fragte Raaga auf seine typisch rohe Art. „Ich war dabei, als Valerian mit den Kodros-Barbaren der Leuenmark verhandelt hat, es hatte damals ebenfalls nichts gebracht, aber ihre Anführer waren für eine gute Stunde mit uns beschäftigt und wir konnten einige Informationen gewinnen!“ entgegnete Atheris. „Also gut, mach was du nicht lassen kannst, aber bleibe wenigstens so weit weg von deren Angriffslinie, dass du noch fliehen kannst!“ stimmte Raaga zu. Atheris ging in den großen Innenhof des neuen Burgteils, nahm sich eine alte Lanze von der Wand der Rüstkammer, befestigte ein weißes Tuch an dessen Spitze und ging zu seinem treuen Ross.
Valerian hatte in einem Gewaltritt die Strecke zur Burg zurückgelegt. Von seiner Position aus hatte er einen guten Überblick über die Lage auf den Feldern vor Kaer Iwhaell. „Verdammt, dass sieht nicht gut aus!“ schimpfte er und ritt weiter auf die Feinde zu. Es dauerte nicht lange, bis er von den Fanatikern erblickt wurde. Kurz darauf löste sich eine Gruppe von zwölf Reitern, die ihm entgegenkam. Die Hände als Geste der Friedfertigkeit erhoben, ließ er sich von den Reitern einkesseln. „Mein Name ist Valerian ‚Draugr‘ von Novigrad, Meister der Greifenhexer und Herr der Burg von König Gernots Gnaden, die ihr im Begriff seid anzugreifen. Ich will mit eurem Anführer verhandeln!“ Die Reiter blickten sich kurz enttäuscht an, bevor der älteste von ihnen antwortete „Folge uns!“ In Formation ritten sie ins Zentrum der kleinen Armee auf den Feldern vor Treuhall. Valerian war gerade dabei sich zu fragen, warum ihn keiner aufgefordert hatte, seine Waffen niederzulegen und erwartete kühn das Schlimmste für sich, in der Hoffnung seinen Schülern Zeit zu verschaffen oder mit seinem Opfer den rasenden Zorn der Wilden zu besänftigen – als ihn ein harter Schlag an der Schläfe traf und er träge aus dem Sattel kippte. Das dumpfe Geräusch seines eigenen Aufpralls auf dem frostigen Boden hat er in seiner Bewusstlosigkeit nicht mehr gehört.
Atheris war gerade dabei, sich in seinen Sattel zu schwingen, als Viktor oben vom Bergfried rief: „Es tut sich was, sie haben Holz auf einen Wagen geladen und einen Pfahl aufgestellt! Leute, das sieht aus wie ein Scheiterhaufen!“ Die übrigen Hexer rannten zur Mauer und schauten zur Dorfgrenze. Der fahrbare Scheiterhaufen wurde auf einem Karren fast bis an den Dorfrand geschoben und was sie dann sahen, ließ den Hexern das Blut im Körper erstarren: Eine Gruppe von schwer bewaffneten Soldaten führten einen sichtlich geschlagenen und gefesselten Valerian zum Wagen und ohne eine Gegenwehr vom Alten banden sie ihn an den Pfahl. Ein Mann in einer roten Robe und langem rötlichen Bart trat mit einer Fackel aus der Menge hervor, entzündete sie und begann überraschend laut zu rufen: „Feinde Solonias! Seht her, wir haben euren Meister! Er wird der Erste sein, der zur Besänftigung der Götter beitragen wird! Und ihr werdet ihm in Kürze in die Hölle folgen!“ Mit diesen Worten zündete der Mann den Scheiterhaufen an. „Vaaaater! Nein!!!“ schrie Raaga, blind vor Zorn zog der Skelliger seine silberne Axt vom Rücken, sprang über die Mauer aufs Pflaster der Dorfstraße und rannte in einer unnatürlich hohen Geschwindigkeit die Dorfstraße hinunter zum brennenden Scheiterhaufen, geradewegs auf die Fanatiker zu.
„Was passiert da draußen?“ rief Atheris vom Innenhof hinauf zur Mauer „Es ist Valerian, sie verbrennen ihn auf einem Scheiterhaufen!“ antwortete Logan mit gehetztem Gesichtsausdruck „und Raaga ist losgerannt, um ihn zu befreien!“ fuhr der junge Blondschopf fort. „Öffnet die Tore, schnell!“ befahl Atheris den beiden Männern, die am Haupttor standen und preschte los.
Raaga erreicht im vollen Sprint die erste Reihe der Robenträger, die ihm auf der gepflasterten Dorfstraße im Weg standen. Es waren sechs von ihnen, die mit ihren Speeren auf ihn warteten. Mit dem Zeichen „Aard“ erzeugte der Skelliger eine Druckwelle, welche eine Bresche in die Formation blies und Raaga den Durchbruch ermöglichte. Eine zweite Reihe aus ebenfalls sechs Fanatikern wartete einige Meter dahinter auf ihn. Sie waren ausgestattet mit kleinen Bucklern und Kurzschwertern. Mit einem ordentlichen Hieb zielte er auf den Kopf des vor ihm stehenden Mannes und obwohl dieser die Axt mit seinem Buckler zu blocken versuchte, reichte die Wucht des Hiebes aus, um ihm den Schädel zu spalten. Die beiden neben ihm stehenden Fanatiker gingen nun ebenfalls zum Angriff über: Den ersten Streich, der auf seine Brust zielte, wehrte Raaga mit dem Axtschaft ab und tauchte unter dem zweiten Hieb, der auf seinen Hals zielte, hindurch. In geduckter Haltung legte der Skelliger sein ganzes Gewicht nach vorne und rammte den Mann, der ihn gerade noch enthaupten wollte, mit aller Wucht seine Schulter in die Gegend seiner Leber. Entkräftet landete der Fanatiker auf den Boden, aber Raaga hatte keine Zeit ihm nachzusetzten, die nächsten beiden Schwerter rasten bereits auf ihn zu. Mit einer Rolle zur Seite brachte er sich aus Angriffsreichweite der Schwerter, allerdings bedrohten ihn nun wieder die Speerspitzen der ersten Reihe hinter ihm. Mit einem Abwehrschwung schlug er die Speere beiseite, sprang zwischen die Speerträger und verwandelte ihren Distanzvorteil in ihren tödlichen Nachteil. Mit zwei kurzen ruckartigen Schlägen tötete er zwei von ihnen, bevor ein Dritter ihn von hinten umfasste und ein weiterer versuchte, ihn mit seinem Speer zu durchbohren. Mit dem Hinterkopf brach der Hexer dem Fanatiker hinter sich die Nase, woraufhin dieser seinen Griff lockerte. Dies reichte Raaga, um mit einer halben Körperdrehung dem Speer auszuweichen, so dass dieser den Mann hinter ihm erstach. Zwei weitere Angriffe von Schwertern prasselten auf ihn ein, den ersten Streich konnte er noch mit dem Axt-Blatt parieren, der Zweite erwischte ihn trotz Ausweichmanövers noch am Oberarm. Die Lederrüstung des Hexers verhinderte schlimmere Verletzungen und im Rausche von Kampf und Zorn fühlte Raaga nicht den Schmerz der klaffenden Wunde. Die Fanatiker hatten es geschafft, Raaga zu stellen und von allen Seiten drohten ihm nun bedrohliche Klingen. Gerade als er sich bereit machte zu seiner Verteidigung das Zeichen „Quen“ zu wirken, bahnte sich ein in schwarz-gold gerüsteter Reiter seine Bahn durch die Reihen der Fanatiker. Raaga nutzte die erneute Bresche, die Atheris mit seinem Sturmangriff geschlagen hatte, und setzte erneut seinen Feinden zu.
Valerian versuchte seine Sinne zu sammeln und sich von seinen Fesseln zu befreien, aber er hatte keinen Erfolg. Er erkannte das Brennen des seltenen Metalls an seinen Handgelenken: Die Dimeritiumfesseln an seinen Handgelenken erlaubten ihm, keine magischen Zeichen zu wirken und die Stricke die ihn hielten, gaben keinen Millimeter nach. Der Qualm in seinen Augen ließ seine Sicht verschwimmen, aber er konnte erkennen, wie sein Ziehsohn Raaga mit erhobener Axt in die Front der weißen Roben brach und in jener Wildheit, die einen Skelliger auszeichnete, auf die Schädel seiner Gegner einschlug.
Keinen Augenblick zu früh durchbrach Atheris die Reihen der Fanatiker neben Raaga. Die Ersten von ihnen konnten dem anstürmenden Nilfgaarder mit einem Sprung zur Seite noch ausweichen, bevor die Lanze Zwei von ihnen durchbohrte. Atheris musste den schweren Spieß fallen lassen und zog in einer flüssigen Bewegung sein Schwert aus der Scheide, die er an der Flanke seines Hengstes befestigt hatte. Von oben ließ er die scharfe Stahlklinge auf die rotweißen Männer niederrasen. Die Zuversicht, Valerian erreichen zu können wich, als sich ihm eine dritte Reihe gepanzerte Schildträger in den Weg stellten und mit langen Speeren nach ihm stachen. Es waren die Söldner, die er mit Raaga ausgemacht hatte. „A d’yaebl aép arse!“ fluchte Atheris, als sein Ansturm vollends zum Erliegen kam und er damit beschäftigt war, sich nicht vom Pferd reißen zu lassen. Es war diesmal Raaga mit seiner Axt, der Atheris in die Bresche gefolgt war und nun neben ihm auftauchte und Tod und Verderben unter die Fanatiker brachte. Es wurden aber immer mehr, und die Schildträger hatten einen Wall geformt und drängten die beiden Hexer vom Wagen weg. Raaga schrie vor Zorn auf, als er merkte, dass sie ihr Ziel aus dem Auge verloren. Auf einmal entfesselte sich um sie herum ein Feuerinferno. Atheris schütze seine Augen vor der Hitze und Ker’zaer geriet in Panik und drohte ihn abzuwerfen. Brennende und verkohlte Körper flogen durch die Luft, und es stank nach Schwefel und verbranntem Fleisch. Dem Nilfgaarder kamen schlagartig Gedanken an die erlebte Schlacht in Sodden in den Sinn, in welcher er vor vielen Jahren ein ähnliches Inferno überlebt hatte. Gerade als er seinen Hengst wieder unter Kontrolle gebracht hatte, sah er einen zweiten riesigen Feuerball über seinen Kopf fliegen und einige Meter weiter in die Reihen der Fanatiker einschlagen. Der Feuersturm wiederholte sich und die Reihen der Feinde gerieten endgültig in Unordnung. Wie Ameisen rannten die Feinde hin und her und Raaga, nutzte die Gelegenheit und versuchte sich seinen Weg, trotz der Flammen zu Valerian zu bahnen. Atheris drehte sich im Sattel um und sah, wie Nella auf der Mauer neben dem Haupttor stand und beide Hände gen Himmel erhoben hatte, ihr Gesicht von Wut und Verzweiflung gezeichnet. Sie formte mit ihren Händen erneut einen Feuerball, ließ diesen mit ihrer Energie anwachsen um ihn schließlich in hohem Bogen fliegen zu lassen.
Der dritte Einschlag war der heftigste. Die Druckwelle warf den Wagen mit dem Scheiterhaufen um. Valerian landete erneut hart auf dem Boden, diesmal aber in höchster Konzentration. Er realisierte schnell, dass der Pfahl gebrochen war und er sich von ihm lösen konnte. Er robbte den Boden entlang und Streifte den Holzpfahl von seinem Rücken ab. Danach brachte er seine mit dem Dimeritium gefesselten Hände über die angezogenen Beine nach vorne, ergriff sich ein kurzes Schwert von einer Leiche neben ihm und schaffte es gerade noch die ersten Angreifer mit dem Falchion gekonnt abzuwehren. Mit dem Wagen im Rücken rückten ihm die Fanatiker immer näher und egal wie viele er tötete, es kam immer ein Neuer nach. Auch wenn die Lage immer noch aussichtslos erschien, stand er wenigstens nicht mehr auf einem brennenden Scheiterhaufen – und Valerian entsann sich an die Lektionen der Greifenschule zur Abwehr mehrerer Gegner. Die Dimeritiumfesseln brannten auf der Haut seiner Handgelenke und der Großmeister der Greifen konzentrierte sich auf den Tanz seiner Klinge. Er beschloss möglichst viele von den Spinnern in den Tod mitzunehmen. „Von Oben!“ grollte ein tiefer Kampfschrei in seiner Nähe und im gleichen Augenblick wurden die beiden Fanatiker vor Valerian durch eine riesige Holzkeule zermalmt. „Alter Mann – gehen jetzt!“ brüllte der der riesige Troll, der auf einmal vor Valerian auftauchte.
Der Hexer sprang über die ihm dargebotene Hand auf die Schultern des Ungetüms. Es war der Steintroll Effenberg und Talbot, der in den Wäldern nahe der Burg lebte und über die Jahre eine feste Freundschaft zu den Greifen aufgebaut hatte – basierend auf starkem Alkohol, mit dem der Troll bei Laune gehalten wurde. Nie war Valerian glücklicher gewesen ihn zu sehen. Von den Trollschultern aus hatte Valerian einen besseren Blick über die Situation: Sein Blick wanderte zu Raaga und Atheris, die unter starker Bedrängnis versuchten, sich zu ihm durchzuschlagen. Jedoch schlossen sich die Reihen der zuströmenden Fanatiker um die beiden und sie würden nicht mehr lange standhalten können. „Raaga, Atheris! Zieht euch zurück so lange ihr noch könnt! Ich komme hier klar!“ schrie der Meister ihnen zu. „Vaaalleeeriannn! Wir werden Lennox‘ Weg nehmen!“ schrie Atheris über die Köpfe der Feinde hinweg und Valerian gab ihm ein Zeichen, dass er verstanden hatte. Atheris ließ seinen Hengst über die Hinterhand wild dreimal im Kreis drehen und verschaffte sich so etwas Platz. Schnell zog er den Skelliger hoch auf sein Pferd und Raaga wirkte ein letztes „Ard“-Zeichen und die Druckwelle, die er entfachte, ließ sie aus der Umkesselung ausbrechen und die beiden Hexer preschten im gestreckten Galopp die Dorfstraße wieder hinauf zur Burg, dicht gefolgt von den Fanatikern, die jede taktische Disziplin verloren hatten. Oben auf der Mauer hatten Viktor, Logan und Egon angespannt das Geschehen auf dem Feld verfolgt. Viktor hatte die beiden jüngeren Hexer daran gehindert ebenfalls blind die Burg zu verlassen und den letzten Rückzugsort preis zu geben. Jetzt sah das Trio, wie die beiden Freunde die Dorfstraße hoch preschten und sahen den Pulk an Fanatikern die ihnen dicht folgten. „Seht doch nur, dort!“ schrie Logan und zeigte auf die letzte Seitengasse, die keine zwanzig Schritt vor den Burgtoren auf die größere Dorfstraße mündete. Dort hatte sich eine kleine Gruppe von Robenträgern versteckt und hielten eine lange Holzstange bereit. „Verdammt! Mir nach!“ schrie Viktor und setzte über die Mauer. So schnell ihn seine Beine trugen überbrückte er die kurze Strecke zur Gasse und gerade als die Gegner die beiden Flüchtenden mit der Stange zu Fall bringen wollten, schleuderte der langhaarige Hexer seine lange Stahlklinge auf den Ersten von ihnen. Die Klinge durchbohrte die Brust seines Opfers und ließ den Mann vornüber auf die Stange kippen. Dies reichte aus, dass sich der schwarze Hengst über das nun flach am Bodenliegende Hindernis ohne Probleme hinwegsetzten konnte und der Hinterhalt misslang. Viktor zog sein Jagdmesser aus dem Gürtel, duckte sich unter einem Schwerthieb hinweg und versenkte die kurze Klinge zwischen den Rippen des zweiten Angreifers. Ein Dritter Fanatiker wollten ihn von hinten erstechen, aber im letzten Moment wurde dessen Klinge von einer kräftigen Parade zur Seite geschlagen und Logans runder Schwertknauf zertrümmerte mit einem lauten Knacken dessen Gesicht. Viktor zog mit einem Ruck seine geworfene Waffe aus dem leblosen Körper, drehte sich in einer fließenden Bewegung um und sah, wie Egon mit einer Finte die Attacke des vierten Robenträgers ins Leere rauschen ließ und diesen mit zwei rasch ausgeführten Hieben auf Unterarm und Hals humorlos tötete. Den letzten Angreifer nahm sich Logan vor, indem er dem Mann seine rechte Blöße anbot. Als der erwartete Stich des Gegners erfolgte, machte er einen Satz nach links, drehte sich über seine linke Schulter und nutzte den Schwung der Drehung, um mit einem mächtigen Hieb, den Fanatiker den Kopf von den Schultern zu trennen. „Das hättest du aber auch leichter haben können!“ stellte Egon fest, der das Manöver beobachtete hatte. Logan antwortete mit einem schelmischen Grinsen, drehte sich um und rannte so schnell er konnte zurück zum Haupttor, dicht gefolgt von Viktor und Egon. „Feuer frei!“ schrie Atheris, noch bevor die Dorfbewohner das Tor geöffnet hatten. Die zwölf Freiwilligen begannen mit Bögen und Armbrüsten einen tödlichen Hagel aus Pfeilen und Bolzen auf die Fanatiker niederregnen zu lassen und ermöglichten dadurch allen fünf Hexern die sichere Rückkehr in die Burg. Das letzte Gefecht um Kaer Iwhaell hatte endgültig begonnen.
„Alles in Ordnung bei dir Raaga?“ fragte Atheris völlig fertig von dem Ausfall. „Ein paar Kratzer, ich werde es überleben!“ antwortete der Skelliger, während sich dunkle, nasse Flecken auf seinem Rüstwams zeigten und die provisorisch verbundenen Wunde an seinem Arm durchnässte. „Dann auf die Mauer! Es hat gerade erst begonnen!“ lächelte Atheris und sprang die Treppe hinauf zu ihren Freunden. Die Beiden stellten sich zu den anderen Hexern und blickten auf die Feinde, die gegen die Burgmauer brandeten, doch noch hielt das eiserne Tor dem Ansturm halt. „Wo sind Nella und Heskor?“ fragte Atheris, während er sich unter einem zischenden Armbrustbolzen hinwegduckte. „Nella hat nach ihrem dritten Feuerball das Bewusstsein verloren! Heskor hat sie nach hinten in den Bergfried gebracht und versucht ihr zu helfen!“ schrie Logan, während er einem Fanatiker, der es auf die Mauer geschafft hatte, mit einem sauber geführten Hieb die Kehle aufschlitze und ihn mit einem kräftigen Tritt zurück in die Menschenmenge vor der Mauer beförderte. Keiner der Hexer hätte sagen können, wie lange das Massaker bereits dauerte, aber Valerians hartes Training zahlte sich aus, denn jeder, der die Mauer betrat, fand augenblicklich den Tod. Untypisch für den Kampfstil der Greifen verzichteten sie auf die große Fechtkunst, die komplexe Bewegungslehre oder den üblichen Klingentanz – dafür war einfach weder Platz noch Zeit. Es wurden nur kurze, lethale Schläge und Stiche angesetzt auf Venen und Aorten – es war das reinste Morden. Die Situation verschlechterte sich rapide, als die Fanatiker einen improvisierten Rammbock die Dorfstraße hinaufzogen. „Wenn das Tor fällt, ziehen wir uns zum alten Teil der Burg zurück!“ schrie Atheris über das Kampfgetümmel hinweg den anderen zu. „Igni auf mein Zeichen!“ schrie Raaga, als der riesige, angespitzte Baumstamm vor den Toren in Position stand. Raaga und Viktor wirkten gemeinsam das Hexerzeichen mit einer Handgeste, sodass zwei Feuerströme auf die Ramme einwirkten. Die anderen Schüler konnten die Zeichen noch nicht wirken und Atheris war damit beschäftigt, die Lücke, die durch das Fehlen von Raaga und Viktor entstanden, war zu schließen. Von den Flammen erfasst, schrien die Rammenträger und wälzten sich entflammt am Boden, nur um wenige Momente später von anderen Fanatikern ersetzt zu werden. Die Hexer wiederholten das Ganze noch einmal, doch obwohl die Ramme brannte, ließen die Feinde nicht von ihr ab. Mit einem hässlich klingenden metallischen Getöse barst das Tor schließlich und ein rotweißer Strom ergoss sich auf den Innenhof von Kaer Iwhaell. „Rückzug!“ befahl Raaga und die überlebenden Dorfbewohner und die Hexer kletterten und sprangen von der Mauer und sprinteten über den großen Innenhof zum alten Teil der Burg. Der Eingang lag einige Schritt über dem äußeren Hof und nur eine schmale Treppe führte zu ihm hinauf. Hier mussten die Hexer solange Widerstand leisten, bis das Portal einsatzbereit sein würde. Während die überlebenden Männer des Dorfes quer durch den Innenhof der Ruinen liefen und den geheimen Pfad in das Höhlensystem hinter der Burg nahmen verteidigten die Hexer den Zugang zur Innenburg. Da die Treppe nur Platz für zwei Männer nebeneinander bot, rotierten die Verteidiger immer wieder durch, um sich so vereinzelt Verschnaufpausen zu verschaffen. „Uns bleibt nicht mehr viel Zeit! Ich gehe nach hinten und verschaffe mir einen Überblick über die Situation mit dem Portal!“ rief Atheris, schwer keuchend. Der ältere Hexer rannte in den hinteren Teil der Ruine, wo das Portal aufgebaut werden sollte. Auf einen Umhang gebettet lag Nella, neben ihr saß Heskor, der alles versuchte, um sie wieder zu Bewusstsein zu bringen. „Heskor…?“ fragte Atheris und schaute besorgt auf die Elfe und Panik stieg in ihm auf, als er sah, dass die Portalsteine offenkundig nicht fertig angeordnet waren. „Stront! Die letzten drei Steine fehlen immer noch!“ schimpfte Atheris. Er griff das Notizbuch von Lennox, welches neben den drei Portalsteinen lag und öffnete es. „Aha… So so!“ staunte Atheris laut. „Kannst du damit was anfangen, Atheris?“ fragte Heskor überrascht. „Äh, nein! Hier steht etwas, aber ich könnte dir nicht mal sagen, welche Sprache das sein soll! Aber hey, hier gibt es zumindest ein paar Bilder…vielleicht…“ antwortete Atheris, drehte das Buch und seine Skizzen mit fragendem Blick auf den Kopf und fing dabei an, die drei Portalsteine mit den gemalten Bildern und kryptischen Skizzen möglicher Anordnungsmuster abzugleichen. Nur wenige Augenblicke später ertönte ein lauter Schrei vom Eingang des Bergfrieds „Atheris! Wir können sie nicht mehr aufhalten!“ es war Raagas Stimme und es lag verzweifelte Wut in ihr. „… alles klar, gebt mir ein paar Wimpernschläge und zieht euch dann zurück!“ rief Atheris zurück. Heskor schaute den Hexer verdutzt an „Wie? Was? Bist du dir sicher?“ Atheris zuckte nur mit den Schultern „was soll ich denn sonst sagen? Das wir hier nicht wegkommen? Los bring Nella in den Kreis!“ rief Atheris, nahm die Steine, das Büchlein und seinen treuen Hengst und führte diesen in den offenen Steinkreis. Mit einem kurzen Axii-Zeichen beruhigte er das Tier. Der Nilfgaarder setzte zwei der drei Steine in die Kreisformation ein. Dabei orientierte er sich an den Abständen der bisher ausgelegten Steine. Den letzten Stein hielt er in der Hand und der Hexer hoffte inständig, dass dies der Schlüsselstein war. „Achtung Kartätsche!“ hörte man Viktors Schrei und eine kleine Explosion erschütterte den alten Torbogen und Steine prasselten auf den Boden. Durch den dicken Qualm, der durch den Eingang drang, stürmten die vier übel gezeichneten Hexer in Richtung Portal, dicht gefolgt von schwer gerüsteten Fanatikern. Völlig außer Atem erreichten sie den Steinkreis. „Atheris, los!“ schrie Raaga von der anderen Seite. Atheris setzte den vermeintlichen Schlüsselstein ein, doch nichts geschah. „Verdammt! Muss man noch eine Zauberformel sprechen!?“ schimpfte er. Doch gerade als er die Steine wieder versetzten wollte, bildete sich ein bläuliches Feld um sie herum und der Kopf eines Angreifers, der sich gerade auf Egon stürzen wollte, fiel sauber abgetrennt zu Boden in die blaue Säule, die sich um die Greifen gebildet hatte. Blaue Blitze bildeten sich um den Portalkreis und durchzuckten den kleinen Innenhof. Auf einmal verschwamm die Szenerie vor ihnen und einen Augenblick später umhüllte sie absolute Dunkelheit.
Zeitgleich verstärkten sich die blauen Blitze und Funken sprühten vom Portal aus in alle Richtungen des Innenhofs. Die Fanatiker warfen sich vor Panik auf den Boden. Einer der Blitze fand seinen Weg zu einem der vollbeladenen Ochsenkarren, auf dem ein Teil des Labors von Valerian verladen war und fing Feuer. Es dauerte nicht lange bis ein größerer Behälter mit der Aufschrift ‚Serrikanische Mischung‘ in die Luft flog und eine heftige Kettenreaktion mit den anderen alchemistischen Gütern auf dem Karren verursachte. Die heftige Explosion verwüstet einen Großteil von Kaer Iwhaell und ließ den alten Bergfried zusammenbrechen. Außerhalb des Dorfes Treuhall stand ein Mann, in roter Robe gekleidet und lachte erregt, als er beseelt das ewige Feuer der Reinigung im Hort des Bösen erblickte.
Einige Augenblicke früher, auf den Feldern vor Kaer Iwhaell
Valerian wollte ihnen zunächst auf den Schultern des Trolls zur Burg folgen, aber ein zweiter Schildwall schnitt ihm auf der gepflasterten Dorfstraße den Weg ab. „Zurück zum Wald, mein Freund!“ schrie Valerian und der Troll stampfte in die gewünschte Richtung. Kurz bevor sie den Waldrand erreichten, kam eine Gruppe von Reitern, die mit Seilen und Hacken versuchten, den Troll zu Fall zu bringen. Valerians kurzes Falchion erschlug diejenigen, die er mit der kurzen Klinge vom Trollrücken aus erreichen konnte – aber das reichte nicht. Mit einem lauten ‚Rumms‘ schlug der schwere Leib des Trolls im zertrampelten Schnee auf und der alte Hexer musste sich mit einer gekonnten Sprungrolle retten und befand sich wieder mitten unter den Fanatikern. Der Troll grollte vor Wut, schaffte es aber nicht mehr wegen der Menschenmassen, die sich auf ihn warfen, zurück auf die Beine zu kommen. Valerian konnte die Angreifer, die ihn umzingelten mit seiner überlegenen Fechtkunst ausstechen: Einen diagonalen Hau eines Robenträgers passierter er geduckt mit einer Parade und positionierte sich neben den Angreifer. Mit einer flüssigen Doppelschrittdrehung brachte er den Falchionknauf an den Klingenansatz des gegnerischen Langschwertes und schleuderte dieses in seiner Körperdrehung mit einer Entwaffnung schwungvoll weg – direkt in den Brustkorb des Hintermannes. Valerian drehte sich in einer Pirouette weiter, wechselte die Manöverrichtung überraschend und hieb mit dem Falchion einem weiteren Fanatiker von unten in den Schritt, sodass die gekrümmte Klinge steckenblieb. Valerian duckte sich in Drehung unter einem horizontalen Hau weg und zog dabei das geworfene Langschwert aus dem Torso des am Boden liegenden Schreienden Robenträgers. Kurze Zeit später befand sich ein Kreis aus Blutspuren und abgetrennten Gliedmaßen um den alten keuchenden Mann. Da sah er, wie eine zweite, größere Welle an Fanatikern sich dem Dorf näherte. Er musste kurz schlucken und eine innere Hoffnungslosigkeit machte sich in ihm breit. Der Kreis der Angreifer umschloss Valerian enger: Mit einer schnellen Parade ließ er die Klinge des Angreifers, der Valerians Unachtsamkeit ausnutzen wollte, zur Seite abgleiten und mit einem kurzen Rückhandstreich schlitze der alte Hexer dem Mann die Halsschlagader durch. „Na los! Wer will der nächste sein!“ brüllte Valerian in aller Verzweiflung die um ihn stehenden Gegner an. Eine kleine, unscheinbare Bewegung aus dem nahen Waldrand erweckte seine Aufmerksamkeit. Plötzlich lächelte er, und schloss seine Augen: Ein lauter Knall, gefolgt von einem grellen Blitz durchbrach die Szenerie. Valerian wurde von zwei starken Armen zur Seite gezogen und ein paar geschickte Hände warfen ihm eine Robe und eine Gugel über den Kopf. In der allgemeinen Verwirrung, die im Umkreis von mehreren Metern herrschte, wurde er schnellen Schrittes ins Unterholz des Waldes geführt. Unerkannt erreichte er mit seinen beiden Helfern das Herz des Waldes. Volmar und Charlotte zogen sich die Gugeln vom Kopf „Das wurde mehr als knapp, tausend Dank!“ sagte Valerian und lächelte seinen Rettern zu. „Wir müssen hier verschwinden alter Mann, komm schnell!“ flüsterte Volmar und zeigte tiefer in den Wald. Valerian drehte sich noch einmal um: Die Burg war inzwischen überrannt worden, das Haupttor stand offen und die Horde stürmte in den Innenhof. Ein paar blaue Blitze zuckten in der Nähe vom alten Bergfried durch die Luft, gefolgt von mehreren starken Explosionen, welche die alte Burg erschüttern ließen. Augenblicklich stand die Hälfte von Kaer Iwhaell in Flammen, dunkler Rauch und Flammenzungen stiegen in die Luft. Auf dem Feld vor dem Dorf setzten Jubelschreie unter den Fanatikern ein. Valerian senkte den Blick und hoffte, dass seine Freunde alle aus dieser Feuerhölle entkommen waren. Er folgten Volmar und Charlotte im Laufschritt, bis sie zu einer ihm wohlbekannten Lichtung kamen: Hier war das Zuhause des Steintrolls und hier hatte er viele makabre Unterhaltungen mit ihm geführt – und natürlich sehr viel Alkohol getrunken. Nun standen dort in der Mitte der Lichtung ihre Pferde. Seine Stute Brunhild grüßte ihn mit einem vertrauten Schnauben. Charlotte ging zu einem alten Baumstumpf und zog ein paar Äste zur Seite. Zum Vorschein kam ein langes Bündel, dass Charlotte aufnahm, zu Valerian hinüberging und es ihm in die Hand drückte. „Nein… wie hast… unglaublich… Danke!“ stammelte Valerian. Er brauchte das Bündel nicht zu öffnen, um zu wissen, was es enthielt. Er konnte die Magie der Runen auf seinen Schwertern fühlen. „Frag lieber nicht, wie Charlotte an deine Stute und die Schwerter gekommen ist!“ grinste Volmar und die Schmugglerin aus Lyrien machte dabei einen leichten Knicks und grinste frech. Sie trat näher an Valerian heran und stand dicht vor ihm, „da wäre noch eine Kleinigkeit zu erledigen oder, Meister Valerian?“ fragte sie keck. Sie stellte sich auf ihre Zehenspitzen und schaute Valerian vielversprechend in die Augen. Dieser zog irritiert die Augenbrauen hoch und versuchte sich zu räuspern, als sich mit einem leisen Klicken die Dimeritiumfesseln an seinen Handgelenken lösten. Mit einem breiten Lächeln steckte sie die wertvollen Fesseln in ihre Tasche und blickte verrucht in Richtung Volmar, der davon allerdings nichts mitbekam, da er gerade dabei war, sein Stahlschwert von der Rückenscheide zu ziehen. „Sie kommen, wir sollten hier jetzt verschwinden!“ rief er und alle drei schwangen sich in ihre Sättel und ritten einen kleinen Jagdpfad entlang. Als sie am Ende des Pfades den Wald verließen und in einem weiten Bogen nordwärts ritten, konnten sie nochmal einen letzten Blick zurückwerfen. Das Feuer hatte die Burg fest im Griff und dunkler Qualm stieg in den blauen Winterhimmel. Im Schatten des Waldes konnte er eine große buckelige Silhouette erkennen, die ihm zum Abschied zuwinkte und ganz gewiss vertraut und bestialisch nach Schnaps stank.
„Der Sturm des Wolfes bricht an, das Zeitalter von Schwert und Axt. Die Zeit der weißen Kälte und des weißen Lichts nahet. Die Zeit von Wahnsinn und die Zeit von Verachtung, Tedd Deireádh, die Endzeit. Die Welt wird im Frost vergehen und mit der neuen Sonne wiedergeboren werden…“ zitierte Valerian lehrmeisterhaft, wendete seinen Blick von Kaer Iwhaell ab und richtete seinen Blick auf den Weg, der vor dem Trio lag.
Broken Sign
Broken Sign
Metagame
Von Helena
Kaedwen, das kleine Städtchen Sturmbach, 28. Jenner des Jahres 1279
Es war ein eisiger Morgen, als sich Ida vom Hof ihres Vaters aufmachte. Sie hatte von ihrer Freundin den Rat bekommen, sich der örtlichen Heilkundigen mit ihrem Problem anzuvertrauen. „Sie urteilt nicht über dich, sie wird dir helfen“ hatte Hanna gesagt. Hoffentlich behältst du Recht dachte Ida, als sie ihren Mantel eng um den Körper schlang und los eilte. Es war noch so früh, die Wolken waren rosa von der aufgehenden Sonne, und vereinzelte Schneeflocken tänzelten durch die kalte Luft. Es waren wenige Minuten bis die ersten Häuser des Städtchens zu sehen waren, auf den Straßen war kaum jemand unterwegs. Vor ihr bog ein Ochsenkarren auf den Weg, der leere Kisten und Fässer transportierte. Der große Wagen holperte über die Spurrillen im gefrorenen Schlamm und durchbrach leise quietschend die morgendliche Stille. Ida erreichte den Marktplatz, und nur wenige Straßen weiter an einer Ecke erkannte sie das Aushängeschild nach dem sie Ausschau gehalten hatte: „Van Beldrias – Heilkunde und Apotheke“. Nervös blieb sie vor der Tür stehen. Ihr warmer Atem bildete weiße Wölkchen vor ihrem Gesicht, und sie griff an ihren Gürtel, wie um sich zu vergewissern, dass der Beutel mit den ersparten Münzen immer noch da war. Das raue Leder und das metallische Klimpern gaben ihr den nötigen Mut, die Tür auf zu stoßen und einzutreten.
Der Innenraum des kleinen, zweistöckigen Stadthäuschens schien sehr geräumig und gleichzeitig vollgestellt. Das Öffnen der Tür hatte kein Glöckchen ausgelöst, wie es häufig der Fall war bei den Geschäften in der Stadt, und trotzdem erschien sofort eine junge Frau aus einem Hinterzimmer, und kam an den Verkaufstisch. „Guten Morgen! Wie kann ich helfen?“ Ein leises Lächeln ermutigte Ida, näher zu treten. An dem hölzernen Tresen angekommen antwortete sie: „Guten Morgen. Sind Sie Frau van Beldrias?“ „Ja, die bin ich. Was brauchst du?“ „Ich bräuchte Ihre Hilfe. Ich… also ich hab…“ verunsichert stammelte Ida vor sich hin, und sah dabei auf ihre Füße. Sie spürte den durchdringenden Blick der Frau auf sich ruhen und wurde noch nervöser. „Wie heißt du, Mädchen?“ wurde sie gefragt. Verunsichert sah sie auf, und blickte dabei in auffällig hellbraune Augen. „Ida“, gab sie leise von sich. „Hallo Ida. Du kannst mich Malva nennen“, antwortete die ruhige, freundliche Stimme. Der Blick der Ärztin bohrte sich in den von Ida, und ihr war als würde ein Flüstern oder Rascheln durch den Raum ziehen. „Du brauchst keine Angst haben. Sag mir, wie ich dir helfen kann.“ Malva hatte sich leicht nach vorne gebeugt und die letzten Worte mit viel Nachdruck gesprochen.
„Ich… ich war vor etwa zwei oder drei Monden mit einem jungen Mann zusammen. Ich hatte ihn auf dem Markt kennen gelernt, und wir hatten uns am Abend in der Taverne wieder getroffen. Es führte eins zum anderen, nun habe ich seit dem keine Blutung mehr gehabt, und ich habe ihn nie wieder gesehen, er ist wie verschwunden. Mein Ruf ist ruiniert, und wenn ich jetzt ein Kind bekomme, ohne einen Ehemann, dann wird mein Vater mich rausschmeißen. Ich kann das Kind nicht bekommen. Ich.. ich kann nicht“, sprudelte es aus Ida heraus, ihre Scham schien verschwunden und ihr Angst vor einem Urteil gleich mit. Malva musste ein selbstzufriedenes Schmunzeln unterdrücken und fragte: „Du möchtest das Kind loswerden?“. Ida nickte. Malva hielt einen Moment inne, als würde sie irgendetwas versuchen zu hören. „Was ist?“ fragte Ida, und blickte sich verwirrt um. „Ach nichts. Gib mir einen Moment, ich hole etwas, das wird dir helfen.“ Sie verschwand im Nebenzimmer, aus dem sie zuvor gekommen war, man hörte, wie ein Korken aus einer Flasche gezogen wurde, sowie ein paar weitere Geräusche, die Ida allerdings nicht genau zuordnen konnte.
Stattdessen sah sie sich im Laden etwas um. Von der Decke hingen an einigen Holzbalken Kräuter, die zum Trocknen aufgehängt wurden, sowie Knoblauchketten und ein vereinzeltes Tierfell, wohl das eines Marders. Im hinteren Teil des Raums war ein gusseiserner Ofen, in dem ein Feuer prasselte und den ganzen Raum angenehm erwärmte. Darauf stand ein Topf mit einer dampfenden Flüssigkeit, daneben waren Regale mit Mörsern, Flaschen gefüllt mit eingelegten Kräutern, kleine Salbentöpfchen und viele Bücher. Gegenüber vom Ofen war ein großer, massiver Tisch aufgebaut, darauf lagen ein weißes Tuch und eine Art strohgefülltes Kopfkissen. Auf dem Tresen direkt vor sich sah Ida ein großes Glas, gefüllt mit kleinen Stoffsäckchen die prall gefüllt und mit einer Schleife zugebunden waren. Auf einem kleinen Schild daneben stand „Nächtliche Alpträume und Dämonen im Kopf halten Dich wach? Ein Säckchen friedlicher Schlaf für nur 6 Kopper“. Neugierig beugte sich Ida über das Glas, um sich die Säckchen genauer anzusehen. Ihr strömte ein angenehmer Lavendelduft entgegen, gemischt mit einem anderen, süßlichen Geruch, den sie aber nicht erkannte. „Die Säckchen brauchst du wohl kaum, wenn du das hier nimmst.“ Ida schreckte auf, Malva war lautlos wieder aufgetaucht und stand jetzt vor ihr, mit einem kleinen Fläschchen in der Hand.
„Das ist eine Tinktur aus Beifuss und Frauenmantel. Träufele davon 25 Tropfen in einen kleinen Becher Wein, und trinke den in einem Zug leer. Du wirst Schmerzen haben, aber wenn alles gut verläuft, wirst du das Kind kurz darauf tot gebären. Die Tage danach musst du dich schonen. Trink genug, iss tüchtig und überanstrenge dich nicht. Du wirst müde sein, aber auch entspannt. Wenn du am dritten Tag noch immer bluten solltest, oder vorher sehr viel, lass nach mir rufen.“ Malva reichte Ida das Fläschchen, doch als diese danach greifen wollte, hielt die Ärztin es für einen Moment noch fest. „Nimm das nur, wenn du dir ganz sicher bist.“ Ida nickte, und nahm das Fläschchen entgegen. Sie hielt es mit ihrer Hand fest umklammert, sah dann zu Malva auf und sagte sehr leise: „Danke! Ich glaube, niemand außer dir hätte mir geholfen!“
Malva schmunzelte. „Ich sehe keinen Sinn darin, dir Hilfe zu verwehren. Dafür verstehe ich wohl zu wenig von moralischen Dilemmas. Ich versteh auch nicht viel von Verzweiflung oder Angst, aber ich erkenne, dass du sie hast. Wenn ich dir dabei helfen kann, wieso sollte ich es nicht?“ Ida lächelte. Sie hatte nicht erwartet, dass ihr Ausflug so positiv für sie enden würde. Sie bezahlte die Tinktur, bedankte sich noch einmal und wollte gerade den Laden verlassen, als die Tür aufflog und vier Personen hastig in die kleine Apotheke traten. Eine der Gestalten wurde von zweien gestützt. „Bitte, helft ihm! Konrad hat sich das Bein gebrochen!“ rief eine Frau, die den offensichtlich verletzten Konrad stützte. Ida erkannte die Personen, es waren der Förster von Sturmbach, seine Ehefrau, sowie deren beiden Söhne. Sie blickte zu Malva, die tief durchatmete, sich sammelte und dann sagte: „Bringt ihn auf den Behandlungstisch. Aber vorsichtig, das Bein sollte er nicht mehr bewegen.“ Konrad wurde von seiner Frau und seinem jüngeren Sohn am Tresen vorbei zum massiven Holztisch geschleppt, wo er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht absetzte. Der ältere Sohn blickte sich skeptisch in dem Raum um, bevor er seiner Familie folgte. „Leg das Bein hoch, wenn‘s geht, ich bin sofort bei euch“, sagte Malva, und verschwand zügig im Hinterzimmer.
„Wir sollten zum alten Michel gehen, der hat Ahnung von dem was er tut“, raunte der ältere Sohn. „Sei still, Vince. Der alte Michel wohnt zu weit weg, und von ihr habe ich nichts Schlechtes gehört!“ zischte die Mutter. Vince schnaubte. „Aber auch nur, weil du dich nur mit unserer Ziege unterhältst! Diese Ärztin ist schon seit drei Jahren in Sturmbach, und niemand kennt sie so wirklich. Ich hab viele Gerüchte gehört. Sie würde alchemistische Experimente machen, sie scheint Dinge zu wissen, die kein normaler Medicus weiß… sie kommt mir komisch vor.“ „Wenn ich dir so suspekt bin, dann verlass mein Haus.“ Malva war wieder im Raum, und stand auf einmal sehr dicht vor Vince. „Keine Sorge, ich werde mich um deinen Vater kümmern, aber ich will niemanden der mich bei meiner Arbeit behindert hier drin haben.“ Sie klang sehr ruhig, aber bestimmt. „Das ist doch lächerlich!“ Vince wich ihrem Blick aus, und versuchte seine Anspannung mit einem Lachen zu überspielen. „Jetzt beeil dich, Vater verblutet sonst noch.“
Ida, die die ganze Szenerie bisher vom Tresen aus beobachtet hatte, blickte zum ersten Mal auf das Bein von Konrad, welches vor Blut triefte, und an dessen Unterschenkel ein Stück Knochen aus dem Fleisch hervor ragte. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck und sie musste weg sehen. Malva starrte Vince noch einen Augenblick lang an, dann ging sie zu Konrad. „Nimm hiervon einen Schluck. Das ist Mohn-Extrakt, das wird die Schmerzen lindern, und dich schläfrig machen, sodass ich mich besser um dein Bein kümmern kann.“ Sie hielt ihm eine kleine, braune Flasche an den Mund und ließ ihn trinken. „Was eine Spinnerin“, gab Vince kopfschüttelnd von sich, während er auf und ab lief. Seine Mutter hielt währenddessen Konrads Hand fest und strich ihm die Haare von der verschwitzten Stirn. „Lass doch einfach gut sein, Vince. Sie hilft Papa…“ meldete sich der jüngere zu Wort.
„Wenn helfen darin besteht ihn auf Drogen zu setz-„ weiter kam er nicht, den Malva hatte sich abrupt zu ihm umgedreht, ihm den Mörser aus der Hand genommen, welchen er aus Neugierde vom Regal genommen hatte, und erwiderte lautstark: „Wenn du ein Problem mit meinen Arbeitsmethoden hast, dann verschwinde aus meinem Haus. Ich werde das kein drittes Mal sagen, also verzieh dich.“
Vince war für einen Moment wie erstarrt, doch er schien Malva nicht ernst zu nehmen. Sein Fehler, denn einen Augenblick später hatte sie ihn am Kragen gepackt, zur Tür geschliffen und ihn raus geworfen, im wahrsten Sinne des Wortes. Ida war überrascht, denn so stark sah Malva nicht aus, und sie wusste das Konrad mit seinen Söhnen regelmäßig Holz hacken war. Die Tür schlug zu, Malva drehte sich zu den verbliebenen vier Personen im Raum um und versuchte ein Lächeln.
„Verzeiht mir, aber Störungen bei der Arbeit kann ich wirklich nicht gebrauchen.“ Sie eilte hinter den Tresen, krempelte die Ärmel ihres roten Wamses hoch, strich sich eine dunkelblonde Strähne aus dem Gesicht und legte verschiedene Werkzeuge parat. Konrad schien inzwischen etwas weggetreten zu sein, und seine Frau und der verbliebene Sohn wagten kein Wort mehr zu sagen, während Malva sich daran machte, die offene Wunde und das gebrochene Bein zu versorgen. Als ein lautes Knacken ertönte, und Konrad schmerzerfüllt aufstöhnte sah Ida das pulsartig austretende Blut und ihr wurde plötzlich speiübel. Sie lief zur Tür, das Fläschchen mit der Tinktur in ihrer Hand fest umschlungen, und verließ das Haus. Vor der Apotheke musste sie erst einmal tief durchatmen. Die kalte Luft stach in ihrer Lunge, aber langsam verzog sich die Übelkeit.
„Na, haste auch zu viel von der Irren?“ Vince stand an die Hauswand gelehnt, sein dreckiger Stiefel ruhte an der Fassade. „Ja, genau“, nervös lachte Ida. Sie wollte schnell nach Hause. „Wozu warst du überhaupt bei der?“ fragte er mit einer Mischung aus Neugierde und Skepsis in der Stimme. „Nur was gegen Bauchschmerzen“, murmelte sie, und hielt dabei das Fläschchen etwas hoch. Vince nickte.
„Die Schlampe wird es noch bereuen mich rausgeschmissen zu haben.“ Er spuckte aus, direkt vor die Eingangstür. Ida war die ganze Situation sehr unangenehm. Sie gab noch ein nervöses Lachen von sich, dann stammelte sie etwas von „muss jetzt los“, und machte sich hastig auf den Weg, zurück zum Marktplatz und über den matschigen Weg nach Hause.
Kaedwen, das kleine Städtchen Sturmbach, 12. Hornung des Jahres 1279
Nachdem Ida die letzten drei Tage schmerzerfüllt und zurückgezogen durchlebt hatte, ging es ihr endlich besser. Ihr ging es sogar richtig gut. Sie fühlte sich befreit, und nachdem sie ihre blutigen Laken gewaschen, selbst ein warmes Bad genommen und eine heiße Suppe gegessen hatte, machte sie sich auf nach Sturmbach. Sie wollte Malva danken. Dafür, dass sie ohne Sorge um ihre Zukunft weiter leben konnte. Es war nach wie vor bitterkalt draußen, und die letzten Tage schien es geschneit zu haben, doch mit ungetrübter Laune stapfte Ida durch den knirschenden Schnee. Nach einigen Minuten erreichte sie die ersten Häuser des Städtchens, in dem es genauso ruhig schien wie bei ihrem letzten Besuch. Als sie den Marktplatz und die Straßenecken danach erreichte, hielt sie vergeblich Ausschau nach dem Schild der Apotheke. Sie war in der richtigen Straße, doch als sie näher kam, sah sie, dass das Schild abgerissen war, und zertrümmert am Boden lag. Nur noch die Worte „Heilkunde und Apotheke“ waren lesbar, der Name war vollkommen zersplittert. Entsetzt blickte sich Ida um. Das sah nicht nach dem Ergebnis einer starken Windböe aus. Dann erst viel ihr das Ausmaß des Schadens auf. Sie taumelte einige Schritte zurück, und schlug vor Schreck die Hände vor den Mund.
Die Fenster des kleinen Stadthäuschens waren eingeschlagen, die Tür hing schief in der Angel und das Haus schien weitestgehend ausgeräumt zu sein. Vor dem Fenster lagen die noch leicht qualmenden, verkohlten Überreste einiger Möbelstücke. Von Malva war keine Spur mehr. „Was ist hier geschehen?“ fragte Ida einen Mann, der ein paar Häuser weiter ein paar Säcke Getreide von einem Karren schleppte.
„Die haben diese Ärztin verjagt, gestern Abend. Haben gesagt, sie sei eine Hexe oder sowas. Nicht ganz klar im Kopf. Eine Gefahr für die Allgemeinheit. Sie war aber schon gar nicht mehr zuhause. Hatte wohl ihre Habseligkeiten gepackt und war verschwunden. Sehr verdächtig, wenn du mich fragst“, murrte der Alte. Ida bedankte sich, ging ein paar Schritte zurück zum Haus, und sah sich noch einmal die Trümmer an. Ein noch glimmendes Stuhlbein brach zusammen und wirbelte dabei grau-weiße Asche auf, die den herunterfallenden Schneeflocken entgegen stieg. Es war ein kalter Tag.
Gestrandet
Gestrandet
Metagame
Von Peter
Schwertau, Königreich der Zwölf Auen, Winter 1279
„Verdammt ist es kalt geworden!“ murmelte Logan und zog seinen Umhang enger um die Schultern. Atheris, der größere und deutlich ältere der beiden Vatt’ghern, schaute zu seinem Begleiter rüber und nickte ihm zustimmend zu. Die beiden waren jetzt bereits seit einer Woche im Auftrag des Großmeisters der Greifenhexer Valerian im Grenzgebiet der Schwertau unterwegs. Mit sich führten sie eine gefährliche Ladung, die sicher in einer kleinen verschlossenen Holztruhe verstaut war. „Immer in Bewegung bleiben, haltet euch von Ärger fern und wir treffen uns in zwei Wochen am verabredeten Treffpunkt wieder“ waren die letzten Worte ihres Meisters gewesen. Ohne die eisige Kälte wäre es ein richtig schöner Ausritt gewesen, die Sonne schien strahlend vom Himmel, die Landschaft war vom weißen Schnee bedeckt und die Berge im Hintergrund bildeten eine beachtliche Kulisse. Gegen Nachmittag machten die beiden Reiter am Wegesrand eine Pause. Während Atheris die Karte studierte, versorgte Logan die Pferde. „So ein Mist, die Wasserschläuche sind zugefroren und unser Mittagessen ist hart wie Stein“ schimpfte er und biss dabei leicht genervt auf einem Stück Brot herum. Atheris blickte von der Karte auf und erwiderte, „nicht allzu weit von hier ist, glaube ich, ein Gasthof auf der Karte vermerkt. Er liegt zwar nicht auf unserer vorgesehenen Strecke, aber ich denke, wir sollten den Umweg in Kauf nehmen!“ Der junge Hexer nickte zustimmend. Die Aussicht, die Nacht in einem warmen Bett und mit einer ordentlichen Mahlzeit im Bauch verbringen zu können, hellte ihre Laune auf. Und so schwangen sich die beiden zurück auf den Rücken ihrer Pferde und zogen weiter.
Am Nachmittag waren die beiden Hexer tief in ihren Sätteln zusammengesunken und schwiegen, als sie von einem plötzlichen Wetterumschwung überrascht wurden: Innerhalb von wenigen Momenten wurde aus einem schönen Wintertag das reinste Schneechaos. Der Wind peitschte ihnen den Schnee ins Gesicht und jagte die Kälte endgültig durch ihre Mäntel. „Verdammt! Ich kann die Hand vor Augen kaum noch sehen!“ fluchte Atheris. „Wir müssen aufpassen, dass wir uns in dem Chaos nicht verlieren! Wir sollten uns aneinanderbinden!“ schrie Logan zurück. „Gute Idee!“ erwiderte der große Hexer. Sie befestigten ein Seil zwischen sich und führten fortan ihre Pferde am Zügel. Es dauerte gefühlt eine Ewigkeit, aber schließlich zeigte Atheris auf ein kaum wahrnehmbares Licht mitten im undurchdringlichen Weiß des Schneesturms. Völlig durchfroren erreichten sie das gesuchte Gasthaus „Sieht doch ganz einladend aus“, meinte Logan schmunzelnd. Er war sichtlich erleichtert, endlich angekommen zu sein. Das Gasthaus bestand aus einem zweistöckigen, gemütlich aussehenden Haupthaus und einem Nebengebäude, das aussah wie die Stallungen. Die beiden Hexer führten ihre Pferde in den Stall. Ein Bursche, der gerade dabei war, die Stallungen zu säubern, kam angelaufen und nahm die Tiere in Empfang. Atheris warf ihm eine silberne Münze zu, um sicherzustellen, dass die Reittiere bestens versorgt wurden. Mit ihrem leichten Gepäck unterm Arm gingen sie in den Schankraum. Mit einem prüfenden Blick musterten die beiden Gefährten die anderen Gäste. Am auffälligsten waren vier Soldaten aus der Au, die ebenfalls vor dem Sturm hier Zuflucht gesucht hatten. Am Tresen stand der Gastwirt, ein großer rothaariger Mann, der auch gut und gerne ein Schmied hätte sein können und neben ihm seine auf den ersten Blick wunderschöne Tochter, die ebenfalls rote Haare und Sommersprossen im Gesicht hatte. Entgegen der nördlichen Königreiche wurden Hexer in der Schwertau nicht sofort mit Beleidigungen oder einem Hausverbot bedacht. Hier galt das Gastrecht noch als hohes Gut, und so begrüßte der Wirt die beiden Monsterjäger freundlich. „Guten Tag die Herren, mein Name ist Hermann und das ist meine Tochter Charlotte – was können wir für euch tun?“ eröffnete er seine Begrüßung. „Wir hätten gerne ein Zimmer mit zwei Betten, wenn es geht ein heißes Bad und zuletzt ein warmes Essen mit einer Flasche Wein!“ entgegnete Atheris und legte dabei seine Geldkatze klingend auf den Tresen, um die Zahlungsfähigkeit der beiden zu untermauern. „Wie ihr wünscht, die Herren!“ sagte der Wirt und gab seiner Tochter ein Zeichen. Sie führte die beiden mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht eine Treppe hoch auf die obere Etage, wo sich offensichtlich die Gästezimmer befanden. Ihr Zimmer war einfach, sauber und vor allem warm. Diese Tatsache alleine zauberte Logan ein weiteres breites Lächeln in sein jugendliches Gesicht. „Wenn ihr beiden so weit seid, dann kommt wieder runter: Ich bereite euch das Bad vor“, sprach Charlotte und verließ sie. Wenn sich die scharfen katzenhaften Augen des älteren Hexers nicht täuschten, hatte das Mädchen beim Gehen Logan frech zugezwinkert – ob der Blondschopf das auch bemerkt hatte? Schwer zu sagen, denn er hatte sich schon auf sein Bett geworfen und strahlte wie ein kleiner Junge. „Es braucht ja nicht viel, um dich glücklich zu machen“ lachte Atheris. Nachdem sie ihr Gepäck verstaut hatten, machten sie sich auf den Weg ins Bad. Nur das geheime Truhenförmige mit Tüchern umhüllte Bündel, das sie bewachen sollten, nahmen sie mit.
Als sie sich in den Zuber setzten und das heiße Wasser die Kälte aus ihren Gliedmaßen vertrieb, kehrten vollends die Lebensgeister wieder. Sie ließen sich von Charlotte jeweils einen Humpen Bier bringen und unter den Umständen schmeckte es köstlich und hob ihre Stimmung. Sie blieben eine ganze Weile im Zuber und ließen sich von der Wirtstochter gerne den Rücken schrubben. Gebadet und mit guter Laune machten sie sich später im Schankraum an das Abendessen. Es gab leider kein Wildbret, aber dafür einen schmackhaften Eintopf. Nachdem sie satt waren, gesellte sich Logan an den Tresen und fing an, sich mit Charlotte zu unterhalten, die gerade mit dem Zapfhahn ein frisches Weinfass anschlug, während Atheris sich mit einem Kelch Rotwein an einen freien Tisch setzte, sein Tagebuch aus einer Tasche holte und anfing, seinen letzten Eintrag zu vervollständigen.
Der kürzliche Tod von zwei Reisegefährtinnen während der Sommerfeldzüge hatte ihn in letzter Zeit beschäftigt und veranlassten ihn über sein eigenes Schicksal nachzudenken. So notierte er die folgenden Worte auf die leere Seite: „Nach meinem Empfinden entfaltet sich das Elysium eines Vatt’ghern in seinem Gewissen, und wenn er sich seiner Verantwortung bewusst ist, wenn er gesucht und gefunden hat, wenn er sich dem gemeinsamen Ideal seiner Schule angenähert, seine Pflichten als Jäger erfüllt hat, dann ist er gut darauf vorbereitet, eine Welt zu verlassen, die er ein wenig besser zu machen sich bemüht hat. Er wird seinen Nachfolgern ein Königreich hinterlassen, das von seiner Arbeit geprägt und für alle Menschen lebenswerter sein wird.“ Ein gellender Schrei ließ ihn aufschrecken. Sein Blick traf sich mit dem von Logan und fast simultan zogen sie ihre Schwerter und stürmten los. Hinter dem Tresen führte eine steile Treppe in das Kellergewölbe des Gasthofes, vorbei an einem kleinen runden Tisch, an dem wohl öfters Karten gespielt wurde, vorbei an Regalen voller Geschirr und einem Spülzuber in einen großen Raum, in dem der Wirt seine Vorräte lagerte und in dessen Mitte sich ein alter, verschlossener Brunnen befand. Hier stand die Charlotte, die kreidebleich und mit beiden Händen an den Wangen etwas anstarrte, was weiter hinten im Raum vor den Blicken der Hexer verborgen lag. Mit gezogenen Schwertern drängten sich die beiden an der Frau vorbei. Ein paar Füße schauten hinter einem großen Fass hervor. „Das ist einer der Soldaten aus der Au!“ flüsterte Logan. Sie näherten sich weiter und behielten dabei die Umgebung genau im Auge, aber sie konnten keine weitere Gefahr ausmachen. Atheris beugte sich zum Leichnam des Soldaten runter und untersuchte ihn. Die Todesursache war schnell gefunden, ein scharfes Küchenmesser steckte in seinem Brustkorb. Er war an seinem eigenen Blut erstickt. Es gab keine Anzeichen für einen Kampf im Raum, noch wies der Körper weitere frische Blessuren auf. Als sich die beiden Hexer gerade daran machten den Raum weiter zu untersuchen, kamen die drei Kameraden des Gefallenen angelaufen. Die leicht angetrunkenen Soldaten sahen ihren Mann am Boden liegen und der älteste von ihnen schrie: „Was bei allen Göttern ist hier passiert! Verdammt! Macht Platz!“ fuhr er fort und schob die beiden Hexer zur Seite. Atheris und Logan blickten sich kurz an und zogen sich in den Schankraum zurück. Als sie sich wieder an ihren Tisch gesetzt hatten, fragte der jüngere der beiden Hexer: „Was meinst du was da unten passiert ist?“ „Ich kann wirklich nicht sagen, was da unten passiert ist Logan, es sieht für mich auf den ersten Blick nach einem Unfall aus! Letztendlich ist es aber nicht unser Problem. Valerians Anweisungen sind eindeutig, wir sollen uns aus Ärger heraushalten und auf das Artefakt achten“ erwiderte der sichtlich mies gelaunte muskelbepackte Hexer. Sie blieben noch eine Weile im Schankraum, bevor sie sich in ihr Zimmer begaben und sich zur Nachtruhe niederlegten. Die Tür und die Fenster sicherten sie mit kleinen Alarmglöckchen ab, diese hatte ihnen ihr Freund der Händler und Meisterattentäter Heskor mitgegeben, der berühmt für sein Alarmglöckchenspiel ist.
Am nächsten Morgen erwachte Atheris ausgeschlafen nach einer ruhigen Nacht. Wie er schnell feststellte, war er alleine im Zimmer. Das zweite Bett war leer, jedoch lag Logans Ausrüstung noch wie am Vorabend aufgeräumt auf einem Stuhl in der Zimmerecke. Die Tür war verschlossen, aber nicht mehr gesichert, er musste heute Nacht unbemerkt das Zimmer verlassen haben. Der Hexer zog sich an, prüfte das geheime Bündel, das neben ihm im Bett gelegen hatte, und nachdem alles in Ordnung schien, ging er hinunter in den Schankraum. Auch hier war sein Begleiter nicht aufzufinden. Nicht dass er sich Sorgen um ihn machte, sein Freund war durchaus mehr als in der Lage, auf sich selber aufzupassen, aber unter den Umständen des Vorabends würde er ihn doch gerne bei guter Gesundheit wissen, bevor er sich einem ausgiebigen Frühstück widmen würde. Nachdem er seinen Gefährten im Haupthaus nicht findet konnte, machte er sich über den kleinen überdachten Verbindungsweg auf den Weg zum Nebengebäude. Der Schneesturm hatte über Nacht kaum an Stärke verloren, und der Schnee peitschte ihm erneut unangenehm ins Gesicht. „So schnell werden wir hier wohl nicht wegkommen!“ seufzte er leise vor sich hin und schritt die letzten Meter weiter zu den Stallungen. Dort angelangt vergewisserte er sich, dass ihre beiden Pferde gut versorgt waren. Gerade als er dabei war, seinem schwarzen Hengst Ker’zaer eine Rübe zu reichen, vernahm er ein Geräusch vom Dachboden. „Logan! Bis du da oben auf dem Heuboden?“ rief er laut. Es dauerte nicht lange und der blonde Schopf schaute über den Rand nach unten und sein breites Grinsen im Gesicht sprach Bände. „Kommst du auch zum Frühstücken oder brauchst du noch etwas Zeit?“ fragte Atheris mit einem Grinsen im Gesicht. Der junge Hexer ließ sich elegant vom Heuboden herabgleiten, ihm folgte wenig später Charlotte und beide schlossen sich dem älteren Hexer an. Wenig später waren die beiden Gefährten mit dem Essen fertig und unterhielten sich, was sie als nächstes tun sollten. „Wir sind hier vorerst gestrandet Logan, und werden hier noch eine Zeit ausharren müssen!“ sprach Atheris und nippte an seinem Becher. „Wollen wir den Mord an dem Soldaten weiter untersuchen?“, fragte der junge Hexer, während er seinen heißen Tee schlückchenweise trank. „Die Anweisungen von Valerian waren klar, ‚haltet euch von Ärger fern!‘ Und zudem hast du ja selber mit angesehen, dass die Soldaten unsere Hilfe nicht wollen, also halten wir die Füße still und erledigen unseren Auftrag!“ Und so kam es, dass die beiden Hexer einen ruhigen Tag im Haus verbrachten. Logan vertrieb sich seine Zeit am Tresen, indem er viel mit Charlotte turtelte, und Atheris saß mit dem geheimen Paket in einer Ecke des Schankraumes und las in einem Buch mit dem Titel „Vampire – Fakten und Mythen“. Meister Valerian hatte es ihm auf die Reise mitgegeben, um sein Wissen um die Blutsauger zu vertiefen. Gerade las Atheris die spektakuläre Hypothese des Dottore Marxell Hippocampi der Universität Kastell Graupian, nach welcher ‚Vampiroide nur Blut Anderer trinken müssen, weil sie nicht bei Tageslicht hinauskönnen und deswegen einen wichtigen Nährstoff im Körper nicht bilden können, der sich nur bei Tageslicht synthetisiert im Körper – man könnte also sagen Ihre Lebensvoraussetzung der Dunkelheit mache sie depressiv, und der Rausch unseres Blutes heile sie von dieser Tristessé.‘
Der ältere der beiden Hexer beobachtete immer wieder das Treiben im Schankraum und wie die Schwertauer Soldaten versuchten, dass Schicksal ihres Kameraden zu ergründen. Der Abend verging genauso ereignisarm wie der Rest des Tages. Nach einem guten Abendessen verabschiedete sich Atheris und ging zu Bett. „Ich komme in ein paar Augenblicken nach, ich werde noch einmal im Stall nach dem Rechten schauen!“ gab ihm Logan mit einem Augenzwinkern zu verstehen. Nachdem das Zimmer wieder mit den Glöckchen abgesichert war, legte sich der große Hexer ins Bett und schlief sofort ein. Es war mitten in der Nacht, als ein abscheulicher Schrei ihn abrupt aus seinen Träumen riss. Die einsetzenden Rufe und Befehle der Soldaten verrieten, dass nichts Gutes passiert sein konnte. Schnell zog sich Atheris Hose und Hemd an und machte sich mit seinem Schwertgurt über die Schulter geworfen auf den Weg runter in den Keller, aus welchem er die Stimmen der Soldaten hörte. „…es kann nicht sein, niemand hat den Keller betreten, wir hatten permanent eine Wache am Eingang stehen!“ stammelte einer der Soldaten, sie verstummten, als sie Atheris die Treppe runter schreiten sahen. „Darf ich fragen was passiert ist und warum hier so ein Tumult mitten in der Nacht ausgebrochen ist, oder soll ich mich wieder schlafen legen, weil ihr alles im Griff habt?“ fragte der muskulöse Hexer die zwei vor ihm stehenden Soldaten. Nach einem kurzen Blickwechsel entgegnete der ältere der beiden: „Unser Kamerad war im Kellergewölbe unterwegs, um weiter nach Hinweisen für das Geschehen gestern Abend zu suchen, als wir den Schrei hörten. Er liegt dahinten, neben dem Regal, es ist auf ihn gekippt und hat ihn vermutlich erschlagen!“ Er zeigte auf ein umgestürztes schweres Holzregal im hinteren Teil des Raumes. Neben zerbrochenen Krügen und Tellern lag der Verstorbene, den die beiden Kameraden bereits geborgen und dort unter einem Tuch abgelegt hatten. „Darf ich mir ein Bild von der Lage machen, oder wollen die Herren Soldaten ihre eigenen Ermittlungen fortführen?“ fragte Atheris mit einer bewusst hochgezogenen Augenbraue. Wieder blickten die beiden sich an, dann nahm einer seine Geldkatze von der Seite und fragte Atheris mit einem verachtenden Blick: „Wieviel nimmst du, Meister?“ über das ‚Meister‘ wollte er beinahe grinsen, ließ sich aber nichts anmerken. Atheris ließ die beiden links stehen und antwortete ohne sich umzudrehen „die nächste Runde geht auf euch!“ Gerade als er sich dem Gefallenen näherte, stieß Logan zu ihm. „Sieht auf den ersten Blick wieder wie ein Unfall aus!“ meinte der junge Hexer und betrachtete das Chaos vor sich. Atheris blickte auf und schaute zu ihm rüber, „so erscheint es zumindest! Hast du dich geschnitten Logan? Du hast Blut an deinem Hals!“ sprach er und senkte seinen Blick wieder. „Das ist nur ein Kratzer, Charlotte hatte sich bei dem Schrei erschreckt und muss mich dabei gekratzt haben!“ erwiderte er. „…Ganz gewiss hat sie dich dabei gekratzt.“ Zwinkerte Atheris ihm zu. Beide machten sich an die Arbeit und begannen sich systematisch vom Körper aus umzuschauen. Nach einer Weile setzten sich die beiden auf den Rand des versiegelten Brunnens, der ganz in der Nähe des Opfers mitten im Raum war, und begannen zu diskutieren. „Die Todesursache war definitiv das gebrochene Genick des Mannes. Das schwere Regal hat ihm beim Umstürzen unglücklich erwischt – es sieht auch bei genauerer Betrachtung noch nach einem Unfall aus!“ fasste Logan die Erkenntnisse zusammen. Atheris nickte zustimmend und dachte laut nach: „Es sieht aus wie ein Unfall, definitiv. Es gibt auch keinerlei Hinweise, die darauf schließen lassen, dass jemand anderes in diesem Raum war, und die Soldaten hatten den einzigen uns bekannten Zugang zusätzlich auch noch permanent bewacht. Aber wir sind uns beide einig, dass die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Unfälle innerhalb von so kurzer Zeit, die mitten in der Nacht passieren und zwei erfahrenen Soldaten das Leben gekostet haben, nicht sehr hoch sein kann.“ Der große Hexer ließ den Blick durch den Raum wandern, verharrte kurz bei der Vorratskammer, in dem der andere Soldat aufgefunden worden war und blickte wieder zurück zu Logan, bevor er weitersprach: „Eines haben beide Vorfälle aber gemein, die Soldaten sind jeweils mit dem Blick in unsere Richtung verunglückt, kann das ein Zufall sein? Wie wahrscheinlich ist es, dass jemand so schnell rückwärts gegen ein Regal stößt, dass dieses auf ihn stürzt? Du hast es gesehen, dass Regal ist alt, aber stabil und war zusätzlich sogar noch in der Wand leicht verankert. Ich bin fest davon überzeugt, dass es nicht ohne weiteres umgefallen sein kann!“ Beide saßen noch eine ganze Weile da und sprachen mögliche Theorien durch, aber weder kamen sie auf eine plausible Erklärung noch fanden sie einen weiteren Hinweis, der ihnen half. Während die beiden Soldaten sich um ihren toten Kameraden kümmerten und der Wirt mit seiner Tochter anfing, den Keller wieder aufzuräumen, machten sich die beiden auf den Weg zu ihrem Zimmer und legten sich schlafen. Der neue Morgen brachte nichts neues, das Schneechaos war noch schlimmer geworden und es gab weder von den Soldaten noch vom Wirt Nachrichten über weitere Vorkommnisse in der Nacht. „Ich denke es bleibt uns nichts Anderes übrig, als uns heute Nacht selber auf die Lauer zu legen und mit eigenen Augen zu prüfen, was da Nachts im Gewölbe vor sich geht“, sagte Atheris, während er ein Stück Wurst abschnitt und es auf sein Frühstücksbrot legte. „Wie wollen wir das anstellen?“ entgegnete Logan interessiert. „Ganz einfach, wir stecken dich in ein leeres Fass und du beobachtest, was passiert und falls es gefährlich wird, schreist du laut. Währenddessen werde ich vor dem Keller die Stellung halten“, antwortete der ältere Hexer. Logan’s Blick verlor seine fröhliche Mimik, denn es war klar, dass ihn die Aussicht auf die bevorstehende Nacht nicht sonderlich glücklich machte – wenngleich er das Ausharren in Holzkonstruktionen gewöhnt war, zumindest laut hartnäckiger Schulexterner Gerüchte bezüglich eines ominösen Hexerschrankes. In den Armen von Charlotte hätte es ihm sicherlich besser gefallen, aber das war nun mal das Schicksal eines Vatt’ghern. Nachdem sie die beiden verbliebenen Soldaten und den Wirt über das Vorhaben unterrichtet hatten, verbrachten sie den Mittag mit den Vorbereitungen. Ein präpariertes Eichenfass stellten sie in eine schlecht ausgeleuchtete Ecke, so dass Logan eine gute Sicht auf den Raum haben würde. Einen kleinen Hocker konnten sie im Versteck noch unterbringen, dadurch würde es zumindest etwas bequemer werden. Einigermaßen zufrieden mit ihrer Arbeit zogen sich die beiden in ihr Zimmer zurück, damit sie für ihr Vorhaben gut ausgeruht sein würden.
Am späten Abend saß Logan schließlich in seinem Versteck. Ihm war schnell langweilig und seine Gliedmaßen schmerzten nach kurzer Zeit. Die Meditationsübungen, die er von Meister Valerian gelernt hatte, halfen ein wenig die Situation erträglicher zu machen. Innerlich verfluchte sich Logan, dass er bei diesen Lektionen nicht besser aufgepasst hatte. Er hatte immer mehr Spaß beim Fechten und den körperlichen Übungen gehabt. Die Meditationsübungen hatte er immer als die Spinnereien eines alten Mannes abgetan und das rächte sich nun. Wie lange er letztendlich in dem Fass verbrachte, konnte er nicht mehr sagen; und als er gerade innerlich am Hadern und Schimpfen war, wäre im fast die leichte Bewegung am Rand des Brunnens entgangen. Sein Adrenalinspiegel schnellte nach oben und seine Sinne schärften sich. „Was bei Valerians grauem Bart ist das nur?“ dachte er sich und beobachtete, wie jemand oder etwas aus dem verschlossenen Brunnen kletterte. Das Wesen stand nun im Raum, mit dem Rücken zu ihm gewendet. Von der Statur her war es ein junges Mädchen, vielleicht zwölf Jahre alt mit hellem schütterem Haar. Es stand da, nur mit einem zerschlissenen Nachthemd bekleidet. Unter ihr bildete sich langsam eine Pfütze und ihre nackten Füße platschten spielerisch in dem Wasser. Logan hatte in seinem Leben schon einiges an Monstern und geheimnisvollen Wesen gesehen, aber das sich ihm jetzt bietende Szenario verursachte bei ihm eine Gänsehaut. Ziemlich lange stand das Mädchen einfach nur da, den Blick zu Boden gerichtet, das lange Haar verdeckte ihr Gesicht und die Schultern hingen schlaff nach unten, als ob es keine Körperspannung hätte. Es summte dabei eine kaum hörbare Melodie, die Logan seltsam vertraut vorkam und in ihm traurige Gefühle weckte. Gerade als er sich an die Situation gewöhnte, wendete das Mädchen plötzlich den Kopf in seine Richtung, der Blick der fahlen Augen, die ihn gefühlt direkt durch das Fass anstarrten, ließen sein Herz zu Eis erstarren. Ohne dass es ihm bewusst war, hielt er die Luft an. Nach einer gefühlten Unendlichkeit verschwand das Mädchen schließlich wieder in den verschlossenen Brunnen. Der junge Hexer zählte langsam bis hundert, beruhigte seine Nerven und stieg endlich aus dem Fass. Er ging zum Brunnen und betrachtete die Abdeckung: Sie war massiv, verschlossen und es gab auch kein Anzeichen für eine Pfütze an der Stelle, wo gerade noch das Mädchen gestanden hatte. „Das erklärt einiges!“ murmelte Logan und ging mit schmerzenden Gliedmaßen in Richtung Ausgang. Hinter der Tür kauerte Atheris auf der Treppe, seine silberne Klinge war gezogen und ruhte griffbereit auf seinem Schoß. Er blickte auf, als Logan durch die Tür trat.
Wenig später saßen alle versammelt im Schankraum und Logan erzählte ausführlich über seine Beobachtungen, anschließend zogen sich die beiden Hexer in eine Ecke zurück und besprachen das weitere Vorgehen. Atheris holte aus seinem Reisegepäck ein altes Buch hervor mit dem Titel „Geister, Erscheinungen und die Verdammten“, er hatte es aus der Bibliothek von Kaer Iwhaell mitgenommen, zumindest was von der gestohlenen und abgebrannten Bibliothek seit der redanischen Belagerung übrig blieb, und sah nun eilig Seite für Seite durch bis er schließlich den gesuchten Eintrag mit einer Zeichnung gefunden hatte. Mit einem Finger zeigte er auf das Bild und meinte „deine Beschreibungen haben mich hieran erinnert, Logan. Was meinst du?“ „Es trifft ziemlich gut zu, allerdings Bekleidung und vor allem das Alter war natürlich anders,“ stimmte der junge Hexer zu. „Will man eine Erscheinung loswerden, muss man zuerst ihren Körper finden. Man versuche es in ungeweihter Erde oder in der Ecke eines Friedhofs, wo Gesetzlose begraben werden. Wenn man den Leichnam ausgräbt, wird man feststellen, dass er nicht verwest ist und Blut auf den Lippen hat. Man durchbohre den Leichnam mit einem Espenpflock, schneide den Kopf ab, lege ihn dem Leichnam zwischen die Beine und zünde alles an – sicher ist sicher. Dann kehrt die Erscheinung niemals zurück. Es sei denn, man macht etwas falsch – dann ist es um einen geschehen!“ las Atheris laut aus dem Buch vor und blickte seinen Freund an. „Also fehlt uns nur der Leichnam, ein Espenflock – wo auch immer wir den herbekommen sollen im Winter – und einen Friedhof hat es hier auch nicht und ja, ich denke auch was du denkst, die Erscheinung kam aus dem Brunnen und…“ Logan schluckte bei dem Gedanken und hielt kurz inne bevor er fortfuhr „…im Brunnen, das bedeutet einer muss sich wohl abseilen und nach dem Körper tauchen. Schau mich nicht so mit deinen Katzenaugen an Atheris, wir knobeln wie immer!“ fasste Logan zusammen. Atheris blickte an sich herunter und deutete mit seinen beiden Handflächen die Breite seines Körpers an und anschließend tat er das gleiche bei Logan, er sagte aber nichts weiter, und der junge Hexer gab mit einem Nicken zu verstehen, dass er dem Argument zustimmte. So kam es, dass Logan nur wenig später an einem Seil hängend in die Dunkelheit herabgelassen wurde. Wie sehr wünschte er sich die Katzenaugen von Atheris in diesem Moment. Als er den Wasserspiegel berührte, schnitt das kalte Wasser wie ein Dolch in seine Haut. „Der Brunnen musste gewiss von einem Gletscher unterirdisch gespeist werden!“ dachte sich der junge Lehrling. Als Logan komplett ins Wasser eingetaucht war, konnte er im ersten Moment nichts außer den Steinwänden mit den Händen ertasten und seine Füße fanden den Grund nicht. Logan holte ein paar Mal tief Luft und ließ sich dann unter die Wasseroberfläche gleiten. Nach einer kurzen Strecke öffnete sich eine größere Zisterne und er konnte sich nicht mehr am Brunnenrand orientieren. Die dunkle Kälte umfasste ihn, und er verlor das Gefühl für Raum und Zeit. Fast wäre er in Panik geraten, als etwas Weiches seinen nackten Fuß berührte. Geistesgegenwärtig machte er eine Rolle und griff beherzt nach dem Etwas, das ihn da berührt hatte. Er fühlte sich sehr beklommen, als ihm klar wurde, dass er eine kleine Hand in seinem Griff hatte. Er zog dreimal am Seil und tauchte vorsichtig dem kleinen Licht entgegen, das durch die Lampe, die Atheris runtergelassen hatte, verströmt wurde. Mit dem Seil zogen sie den kleinen, zerbrechlich wirkenden Körper hoch in das Kellergewölbe.
„Für eine Wasserleiche ziemlich gut erhalten, lediglich die Blutspuren auf dem Mund fehlen, aber sie lag ja auch im Wasser und nicht unter der Erde. Hier am Hals weist sie eine Wunde auf, könnten Bissspuren sein, aber es ist nicht mehr wirklich gut zu erkennen, zu aufgequollen ist die Haut!“ sprach Atheris und zeigte zuerst auf die Lippen und anschließend auf die Stelle am Hals. Logan, der sich in der Zwischenzeit abgetrocknet und wieder angezogen hatte, nickte zustimmend. Der Wirt und die Soldaten betrachteten ebenfalls den Leichnam, konnten aber auch keine neuen Erkenntnisse liefern. Der Wirt wusste auch nicht von einem vermissten Mädchen zu berichten. Er und die beiden Soldaten legten zusammen und boten den Vatt’ghern in Summe zwei Gold- und vier Silberstücke, wenn Sie sich um das Problem mit dem Geist kümmern würden. „Wir nehmen den Auftrag an!“ sagte Atheris und nahm die Münzen an sich. Die beiden gingen auf ihr Zimmer. Auf dem Weg dorthin flüsterte Logan: „Was ist aus dem Vorsatz geworden, uns aus allen Schwierigkeiten rauszuhalten?“ Atheris blieb stehen und blickte Logan in die Augen bevor er antwortete: „Ich weiß Logan, es sind nicht die Anweisungen unseres Meisters, aber hier sterben Menschen und wir können versuchen, etwas dagegen zu machen. Valerian hat noch nie jemanden im Stich gelassen, der unsere Hilfe benötigte und ich denke, wenn er hier wäre, würde er nicht anders handeln wie wir. Außer dass er wohl besser wüsste, auf was er sich hier einlässt als wir beide!“ Beim letzten Satz mussten beide schmunzeln und gingen weiter.
Die Vorbereitungen für den Bannversuch dauerten den ganzen Nachmittag an, doch woher den Espenpflock nehmen? Logan brachte Besenstile und Heugabeln – doch war jenes Holz schon brüchig und voller Makel. Atheris grübelnder Blick schweifte durch den Schankraum, bis er auf einen Gegenstand auf dem Tresen verharrte: Den massiven Zapfhahn eines Weinfasses.
Die beiden Hexer bereiteten die Überreste wie in dem Buch beschrieben vor. Es war sicher nicht die beste Idee, das Feuer im Kellergewölbe zu entzünden, aber einen besseren Raum gab es in diesem Schneechaos nicht. Anschließend bauten sie in ihrem Zimmer das kleine Reise-Alchemie-Labor auf und fertigten ein Klingenöl an, das im Wesentlichen aus Arenaria und Bärenfett bestand. Logan betrachtete seine eingefettete Silberklinge und zitierte aus dem Lehrbruch: „Es existiert eine geheimnisvolle Grenze zwischen den Welten der Toten und der Lebenden, welche für rastlose Geister einfacher zu überqueren ist als für Menschen. Wenn Ihr einen geisterhaften Gegner verletzen wollt, dann überzieht zuerst eine Klinge mit diesem Öl. Dann erst wird die Waffe den Vorhang durchdringen können, der die Welten trennt und somit den Geist schädigt.“ Als letzte Vorsichtsmaßnahme bildete Atheris das Zeichen Yrden um die zu verbrennenden Überreste. Die magische Falle würde ihnen einen weiteren Vorteil verschaffen, falls etwas Unerwartetes passieren sollte. Logan beherrschte das Zeichen zwar nicht, aber untertützte Atheris beim Wirken mit seiner eigenen Kraft.
Nachdem die Vorbereitungen kurz nach Einbruch der Nacht beendet waren, verließ der Wirt den Keller und nur die beiden Hexer blieben zurück. Atheris wirkte ein kleines Igni-Zeichen und der magisch entstandene Funke setzte die mit Öl übergossene Leiche in Brand, in ihr gipfelnd ein eingeschlagener Zapfhahn im Brustkorb, der Fasshammer zum Anstich noch daneben liegend. Ein unangenehmer Geruch verbreitete sich im Raum und der Qualm begann in den Augen zu brennen. Gerade als das Feuer seinen vermeintlichen Höhepunkt erreichte, barst der Körper in einem Funkenregen auseinander, und wie eine Furie brach die Erscheinung hervor und mit einem hasserfüllten Gesichtsausdruck, wendete sie sich gegen Atheris, der mit gezogenem Silberschwert bereitstand. Er duckte sich unter dem ersten Schlag der Verdammten hinweg, berührte mit seiner Hand das Yrden-Zeichen und schickte all seine magische Energie hinein. Ein violetter Lichtkegel bildete sich augenblicklich um das Wesen und den Hexer und ließ ersteres sich manifestieren. Nun kam die Zeit der Schwerter: Logan sprang von hinten in den Kreis und durchbohrte mit seiner Klinge die Erscheinung. Mit großen überraschten Augen betrachtete diese den aus dem Brustkorb ragenden Ort des silbernen Schwertes, und als nach einem kurzen Augenblick das Wesen den Blick wieder auf Atheris richtete, konnte sie nur noch die im Feuerschein blitzende Klinge des großen Hexers wahrnehmen, bevor sich ihr Kopf vom restlichen Körper trennte und der ganze Spuk sich in einer grauweißen Wolke auflöste. „War es das jetzt?“ fragte Logan. „Ich denke…ja!“ antwortete Atheris langsam. „Es ging ehrlichgesagt… schnell. Sehr schnell. Es lief etwas anders als erwartet, aber die Vorbereitung hat sich bezahlt gemacht!“ fügte er nach einem kurzen Moment des Schweigens hinzu. Er zuckte überrascht mit den Schultern. Die beiden Gefährten verharrten noch eine Weile an ihren Plätzen und betrachteten die Glut bis diese endgültig erloschen war. Erst als nur noch die kalte Asche übrig war und es keinerlei weitere Anhaltspunkte mehr gab, dass noch etwas in dieser Nacht passieren könnte, packten die Hexer ihre Ausrüstung zusammen und verließen den Keller. „Ist es vorbei?“ fragte Charlotte, die Wirtstochter, mit großen Augen, als die beiden Hexer den Schankraum betraten. „Ja, es ist vorbei!“ antwortete Logan ihr mit einem liebevollen Lächeln. Zur Erfrischung bot der Wirt ihnen jeweils einen großen Krug Bier an, und die beiden Freunde nahmen es dankend an. „Es gibt Schlimmeres, als sich den Staub mit einem Bier die Kehle herunterzuspülen!“ sagte Logan und leerte den ersten Becher mit einem Zug, und Atheris tat es ihm gleich. Nach einigen weiteren Runden wollte Logan nach den Pferden sehen und verabschiedete sich mit einem Augenzwinkern von dem großen Hexer. Es war natürlich kein Zufall, denn Charlotte hatte erst vor wenigen Augenblicken den Schankraum in Richtung Stall verlassen. „Es sei dem Kleinen gegönnt!“ dachte sich Atheris und nahm noch einen großen Schluck, dann begab er sich zu Bett. Währenddessen lag Logan auf dem Heuboden im Stroh und ließ sich von seiner Herzensdame langsam ausziehen. Er genoss den Duft ihrer Haare, die durch sein Gesicht streiften und die sanften Lippen, di seine nackte Brust berührten. Er ließ sich komplett fallen und lebte ganz im Hier und Jetzt. So kam es, dass er die beiden scharfen Zähne von Charlotte nicht bemerkte, die auf einmal aus ihrem Mund ragten. Wie hypnotisiert ließ er alles über sich ergehen. Selbst den Moment, als die messerscharfen Zähne in seinen Hals eindrangen, quittierte er nur mit einem lauten Aufstöhnen. Zeitgleich erreichte Atheris das Schlafzimmer und wollte gerade das aufgeschlagene Buch über Vampire, das noch auf seinem Bett lag, beiseitelegen, als sich auf einmal sein Augen weiteten, die Haut bleich wurde und der Adrenalinspiegel nach oben schoss. Er zog in einer flüssigen Bewegung sein Silberschwert aus der Scheide, griff in Eile nach einem kleinen Hölzernen Kästchen, in dem sich ein halbes Dutzend kleiner Phiolen befand, griff sich Diejenige mit der Aufschrift „schwarzes Blut“, löste den Verschluss, schluckte die übel schmeckende Flüssigkeit hinunter und sprintete los. Das Buch, indem er gerade noch gelesen hatte, fiel dabei geöffnet vom Bett auf den Boden. Auf dessen linker Seite war eine Zeichnung zu erkennen, die eine wunderschöne junge Frau dargestellte, und auf der anderen Seite ein Monster, das nur noch entfernt an ein weibliches Wesen erinnerte, dessen Maul mit spitzen Zähnen ausgestattet war und dessen Hände wie furchtbare Klauen aussahen. Der Text darunter lautete: „Es heißt, Bruxae suchen attraktive junge Männer heim und saugen ihnen das Blut aus. Diese Vampire bewegen sich lautlos in der Dunkelheit und tauchen unvermittelt vor ihren Opfern auf. Bruxae können die Gestalt wunderschöner junger Mädchen annehmen, weshalb manche sie mit Wassernymphen verwechseln, doch ihre langen Fangzähne und ihr unverhohlener Blutdurst verraten sie immer…“. Atheris erreichte den Nebeneingang zum Stall, in seinem Gesicht traten auf Grund des Trankes seine Adern bereits schwarz hervor. Er riss die Tür auf und stürmte in die Stallung. Sein Blick wanderte sofort Richtung Heuboden, auf dem er die beiden Liebenden bereits das letzte Mal vorgefunden hatte. Er erkannte nur noch Charlottes roten Schopf, weitere Ähnlichkeit hatte das Wesen, das er über Logan gebeugt sah, nicht mehr mit dem hübschen Mädchen gemein. Er bündelte alle seine verbliebenen magischen Reserven und wirkte das Ard-Zeichen, welches für Atheris‘ Verhältnisse eine sehr heftig ausfallende Druckwelle auslöste, durch welche die beiden vorderen Stützen des Dachbodens weggerissen wurden. Logan und der Vampir krachten hart auf den Stallboden, Atheris näherte sich mit einem riesigen Satz und mit einem gut platzierten Stoß durchbohrte er die Brust der Bruxa. Für einen kurzen Moment stiegen schon Triumphgefühle in dem älteren Hexer auf, und ein zufriedenes Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, als er sein Schwert mit einem Ruck aus dem Körper des Monsters befreite, um zu einem weiteren tödlichen Schlag in Richtung Hals auszuholen. Im letzten Moment blockte der Vampir mit seinen scharfen Klauen die Klinge. Den Gegenangriff mit der anderen Klaue konnte Atheris gerade noch mit der Parierstange seines Schwertes abfangen. Mit wilden Hieben trieb Charlotte den Hexerlehrling zurück. Gerade als sich eine Kontermöglichkeit ergab und er einen tiefen Stoß in Richtung Kehle platzieren wollte, löste sich das Wesen vor ihm in Luft auf. „Verdammt, ich wusste nicht, dass die das können!“ fluchte der Hexer und bewegte sich vorsichtig in Richtung Logan, der gerade dabei war wieder zu sich zu kommen. „Über dir, Atheris!“ schrie Logan. Der Angriff des Vampirs kam von oben, aber dank Logan konnte Atheris gerade noch reagieren: Es fehlte nicht viel und ihre Klauen hätten ihm seinen Hals zerfetzt, so aber gruben sich die Krallen tief in seine linke Schulterrüstung und hinterließen drei tiefe Schrammen im Stahl. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis Atheris es schaffte, sie mit einem Schlag des Schwertknaufes, den er ihr mitten ins Gesicht verpasste, abzuschütteln. Die Bruxa taumelte nun schwer im Gesicht getroffen von dem Hexer weg. Es sah so aus, als ob der Schlag sie ein paar Zähne gekostet hatte „ich glaube du hast da was verloren!“ schrie der Hexer und setzte ihr nach, und mit einer schnellen einstudierten Folge von Hieben, die er sich von seinem Meister abgeschaut hatte, konnte er dem Wesen noch einige Wunden hinzufügen. Bevor er jedoch den letzten, vermeintlich tödlichen Hieb des Ausfalls setzten konnte, löste sich der Vampir wieder in Luft auf, so dass der Hau nur die Luft zerschnitt. „Verdammt!“ fluchte Atheris und nahm sofort wieder seine Hut ein. Die Pferde wieherten und der schwarze Ker’zaer war inzwischen kurz davor, die Tür seiner Box zu zerlegen. Er blickte sich in alle Richtungen um und versuchte in seinen Bewegungen kein Muster erkennen zu lassen. Sein Blick suchte Logan, doch er konnte seinen Freund nicht mehr sehen. Ein Fußabdruck auf dem von Hafer und Stroh bedeckten Boden verriet den nächsten Angriff des Vampirs. Mit einer schnellen Drehbewegung verbunden mit einem tiefen Ausfallschritt gelang es Atheris erneut das Wesen mit einem präzisen Stoß zu durchbohren. Die Wucht des Angriffs des Vampirs warf beide zu Boden, und der Hexer konnte seine Klinge nicht mehr befreien. Die beiden rollten ineinander verschlungen über den Boden. Atheris versuchte immer wieder mit kurzen, aber harten Faustschlägen, sich einen Vorteil zu verschaffen und so das Wesen abzuschütteln, aber sie erzielten leider nicht die erhoffte Wirkung. Letztendlich war es die Bruxa, die es schaffte, den Hexer am Boden festzunageln, und ihre Fänge gruben sich in seinen Hals. Gerade als er dabei war das Bewusstsein zu verlieren durchbohrte eine lange Silberklinge den Kopf des Monsters. Ihre Augen brachen und die Bruxa verwandelte sich zurück in das junge Mädchen. Logan zog langsam seine Klinge zurück, und man konnte ihm ansehen, dass er innerlich zutiefst erschüttert schien. „Danke Logan, das war im aller letzten Moment!“ stöhnte Atheris, sichtlich gezeichnet von dem Kampf, versuchte er sich zu erheben. Gerade als die beiden den Stall verlassen wollten, kam der Wirt hereingestürmt. Als er seine Tochter tot am Boden liegen sah, brach er in Tränen aus, und er begann mit einem lauten Wehklagen. Logan ergriff das Wort und erklärte im ruhigen Tonfall dem verzweifelten Mann, was sich zugetragen hatte und dass dies hier mit Sicherheit nicht seine Tochter war. Der junge Hexer blieb beim verwirrten Mann, während Atheris sich zurück zum Zimmer schleppte. Er suchte in der kleinen Holzkiste die rote Flasche mit der Aufschrift „Schwalbe“ und trank den Inhalt in einem Schluck. Es schmeckte etwas bitter, aber er hatte sich in letzter Zeit leider an den Geschmack gewöhnen müssen. Mit dem Gedanken, die Welt wieder ein wenig sicherer gemacht zu haben, legte sich Atheris auf sein Bett, vertraute sich der Wirkung des Trankes an und fiel Dank des enthaltenen Diethylethers in einen tiefen heilenden Schlaf. Vier Tage später ließ der Schneesturm endlich nach und auch Atheris war wieder in einem Zustand, der ihm eine Weiterreise erlaubte. Logan hatte die Pferde gesattelt und die Ausrüstung sicher verstaut. Es fehlte nur noch die geheimnisvolle kleine Truhe, die Atheris mit sich trug. Nach einer kurzen Verabschiedung gaben die beiden Hexer ihren Reittieren die Sporen und machten sich auf die längst überfällige Weiterreise.
Der Wirt beobachtete die beiden Reiter, wie sie in der Winterlandschaft verschwanden. Das Wesen, das sich hinter ihm aus dem Nichts materialisierte, bemerkte er dabei nicht.
Vertigo - Teil 1 - Gift und Biebermütze
Vertigo - Teil 1 - Gift und Biebermütze
Metagame
von Earl
Es roch durchdringend nach Alkohol, Schweiß und Rauch. Das Gasthaus „Schwarze Rose“ hier in Dreiberg war ein kleines, etwas abseits des Stadtzentrums gelegenes Etablissement. Es war proppenvoll und unglaublich laut. An der Theke drängten sich die Zecher und schrien abwechselnd nach mehr Bier, Wein oder Schnaps. Und mit jedem Mal wurden die Rufe gellender, unverständlicher und mit noch mehr unflätigen Ausdrücken geschmückt. Zwischen den Gästen drängten sich die Huren und stellten ihre Argumente in engen Miedern und weit ausgeschnittenen Blusen zur Schau. An den Tischen ging es wie auch am Ausschank laut und geschäftig zu. Mindestens genauso viele Kopper und Kronen wechselten den Besitzer mit atemberaubender Geschwindigkeit. Es wurde gespielt. Würfel rollten, Karten wurden triumphierend auf Tische geworfen. Wetten wurden abgegeben, ob sich Gast X nun tatsächlich auf Hure Y einließ. Laute Pfiffe der Verlierer und Triumphjubel der Gewinner hallten von den gekalkten Wänden wider.
„Komm, los Mann. Eine Runde noch. Ich will ´ne zweite Chance du Hohlbirne!“, lies sich ein Untersetzter aus einer der Würfelrunden vernehmen. Ein anderer, der aufgestanden war und sich gerade zum gehen wandte drehte sich um. „Bleib locker Ullrich, ich nehm dir dein restliches Geld noch früh genug ab. Es is´ spät. Ich will heim. Muss morgen früh raus.“, schrie die Hohlbirne gegen den Lärm an, gähnte und schob sich die rote Biebermütze mit den Rabenfedern auf dem Kopf zurecht. Der untersetzte Ullrich lachte dröhnend auf. „Ach was, die Nacht is´ noch jung und die Huren frisch“, mit diesen Worten packte er der am nächsten stehenden Dirne an den Hintern, worauf er sich direkt eine schallende Ohrfeige von ihr einhandelte. „10 Kopper du Sau!“, schrie ihn die Dirne an. Ullrich wandte sich um, wollte seinen Kumpanen fragen, ob er den Preis angemessen fände, doch der andere war bereits Richtung Tür verschwunden.
Hieronymus torkelte hinaus auf die enge Gasse. Er schloss hinter sich die Türe zum Gasthaus und sofort sank der Lärmpegel ab. Tatsächlich fiepte nun ein unerträglicher Ton in seinen überreizten Ohren. Mit einem tiefen Zug atmete er die frische, kühle Nachtluft ein und fast augenblicklich traf ihn die volle Wucht des Alkohols, den er den ganzen Abend in sich hinein gekippt hatte. Er taumelte kurz und musste sich an einem der Butzenfenster der „Schwarzen Rose“ abstützen. In seinem Kopf drehte sich alles. Er atmete schneller, versuchte den Ekel in der Magengegend abzuschütteln, doch es gelang ihm nicht. Mit einem lauten Würgen erbrach er sich gegen die Fachwerkfassade. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn. Noch einmal schüttelte es ihn krampfartig und er übergab sich abermals platschend gegen die Wand. Er taumelte rückwärts und wischte sich mit dem Handrücken Reste seines Mageninhalts und Speichel von Mund und Kinn. „Scheiße, der letzte Wodka war schlecht.“, flüsterte er schwer atmend. Als er sich etwas beruhigt hatte und wieder klarer denken konnte wurde ihm erst bewusst, was er da gerade angerichtet hatte. Schnell drehte er sich um und verließ unsicheren, torkelnden Schrittes die Szenerie Richtung Obermarkt.
Am nächsten Morgen erwachte er mit heftigen Kopfschmerzen. Durch das geschlossene Fenster fielen einige wenige Sonnenstrahlen in denen Staubkörnchen tanzten. Hieronymus setzte sich auf und zog sich den verbeulten Hut aus dem Gesicht. Er sah an sich hinab, er trug immer noch Hemd, Hose und Schuhe. Mit einem Stöhnen fiel er zurück in die Kissen und versuchte sich an den Heimweg zu erinnern. Doch irgendwie prangte in seiner Erinnerung ein gähnendes Loch. Er wusste, dass er die steile Treppe zu seiner Kammer erst nach mehrmaligen Anläufen hatte erklimmen können. Doch wie er es ins Bett geschafft hatte, wie er es überhaupt geschafft hatte, die Türe zu öffnen war ihm rätselhaft. Er schlief erneut ein.
Nach weiteren zwei Stunden erwachte er. Diesmal ging es ihm schon besser. Er griff zu einem Fläschchen mit einer orangefarbenen Flüssigkeit auf seinem Nachttisch. Er besah sich den Korken und den Wachsrand, befand dass niemand während seiner Abwesenheit die Flasche manipuliert hatte und entkorkte eben jene. Er leerte den Inhalt mit einem Zug, verzog das Gesicht zu einer angewiderten Grimasse und schüttelte sich. „Uähh, dieses Siffzeug. Ich trink nie mehr Alkohol.“ Der Redanier schlug die Decke zurück und versuchte sich zum Aufstehen zu Motivieren. Beim dritten Anlauf gelang es ihm und er schwang sich abrupt aus dem Bett. Fast augenblicklich kehrten die Kopfschmerzen zurück. Er fasste sich mit schmerzverzerrter Miene an die Stirn und hielt kurz inne, bis die Schmerzen sich auf ein erträgliches Maß eingependelt hatten. Hieronymus zog sein Hemd aus und warf es in die Ecke, wo sich bereits ein kleiner Haufen Wäsche befand. Er ging zu einem Tisch mit Spülschüssel am Fenster, öffnete jenes und goß aus einer bereit gestellten Karaffe kühles Wasser in die Schüssel. Einen Moment lang beobachtete er die bunte Menschenmenge, die sich unten auf der Gasse tummelte. Hie und da bellte ein Hund, Hühner gackerten, man rief sich Grüße zu. Er riss sich von dem Anblick los und wusch sich schnell aber gründlich den Mief der vergangenen Nacht vom Leib.
Als er ein frisches Hemd angezogen hatte, fingerte er seine rote Biebermütze mit der silbernen Entenbrosche und den Rabenfedern zwischen den Falten der Bettdecke hervor und griff sich dann seine Fechtjacke vom Haken an der Wand neben der Türe und zog sie an. Vom Tischchen daneben nahm er seine fingerlosen Handschuhe und streifte auch diese über. Er zog sich die modisch geschnittene Jacke glatt und kontrollierte das Rote Wappen mit dem weißen Adler. Der Redanier befand, dass damit alles in bester Ordnung war. Als er schon fast zur Türe hinaus war, fiel ihm auf, dass er seinen Gürtel vergessen hatte. Hieronymus stöhnte genervt auf.
Als er den Gürtel mit seinen Ausrüstungstaschen und dem Hodendolch endlich am Fußende seines Bettes gefunden, sich gegürtet und das Haus verlassen hatte war eine gute halbe Stunde vergangen. „Moin Hieronymus!“, rief sogleich ein kleiner rattengesichtiger Mann der drei Häuser weiter gerade noch mit einem Händler um ein paar Schuhe gefeilscht hatte. Nun eilte er die Straße herauf und gab dem Junker vom Aschenberg die Hand. „Grüß dich Wilmund. Na, was führt dich hier herauf in die Strohgasse? Du kannst mir doch nicht erzählen, dass du nur wegen einem Paar Schuhe hier bist.“ Hieronymus grinste verschwörerisch. Auch Wilmund grinste. „Weißte, gestern Nacht hat jemand Mara Haager ans Bein gepisst. Du weißt doch. Ihr gehört die „Schwarze Rose“. Irgendein Depp hat es geschafft anderthalb Meter der Gasthausfassade voll zu kotzen. Sie hat mich beauftragt den Trunkenbold zu finden, der das zu verantworten hat. Sie hat was von Prügel und Hausverbot gefaselt.“ Mit einem Mal wurde es Hieronymus ziemlich warm unter der Mütze und er nahm sie ab. „Puhh, Wilmund. Das is‘ keine leichte Aufgabe oder. Wie willst du den denn finden?“ Der Rattengesichtige machte eine siegessichere Miene. „Is doch ganz klar. Ich pick mir einen der vielen Suffköppe raus, die hier oben am „Goldbarsch“ rumlungern. Den füll ich richtig ab und bring ihn ihr vorbei. Todsicheres Ding.“ Hieronymus kratzte sich am Kopf. „Ja klar, todsicher. Du temerischer Fuchs. Tja, weißt du ich muss dann auch mal weiter. Zum Mittag ist in der Kaserne eine Besprechung der Offiziere angesetzt. Na dann. Wir sehen uns.“ Und ohne ein weiteres Wort abzuwarten eilte der junge Stabsunteroffizier in die entgegengesetzte Richtung davon.
Er kam an Lädchen und Marktständen vorbei, an offenen Kochstellen über denen Fleisch auf Rosten brutzelte, an ein oder zwei Gauklertruppen und an einem Bärendompteur. Als er schließlich an der Taverne „goldener Adler“, die an einem großen Marktplatz lag, hielt um sich einen Schluck Bier zu genehmigen begann gerade auf der anderen Seite des Marktes ein Barde in malvenfarbenem Doublet und mit keckem Hütchen gleicher Farbe zu singen und dazu zu Klampfen. Als er das Gasthaus wieder verließ war der Barde verschwunden. Hieronymus ging über den Markplatz. Wieder vorbei an Ständen. Er entschied sich für eine Abkürzung zur Kaserne, die zwischen zwei großen Stadthäusern hindurch führte.
Als er in die enge Gasse eingetreten war, bemerkte er zwei Kerle, die in etwa 3 Meter entfernt herum lungerten. Einer von ihnen trug einen breitkrempigen braunen Hut und einen alten zerschlissenen Gambeson. Der Andere hatte sich die langen Haare zu einem festen Knoten im Nacken gebunden und trug eine auffällige rote Weste. Sofort machte sich ein Kribbeln in Hieronymus Nacken breit. Der Junker zögerte nicht, sondern ging schnurgerade zwischen den beiden Häuserfassaden weiter. Als er noch etwa 4 Schritt entfernt war zog der Schläger mit dem Hut einen Katzbalger aus der Scheide an seiner Hüfte. Der andere mit den langen Haaren griff sich einen herum liegenden faustgroßen Sandstein vom Boden und zog ebenfalls seine Kurzwehr blank. Sie harrten einen Moment aus. Dieser Moment reichte dem Stabsunteroffizier um mit der rechten seinen Dolch und mit der linken Hand eine etwa 20 cm lange Nadel aus der Hutkrempe zu ziehen. Dann sprangen die beiden Angreifer los. Der Hutträger hieb von links unten zu. Mit einer Halbdrehung entzog sich der junge Offizier dem Hieb, sah sich allerdings zugleich mit einem Stich des Langhaarigen auf sein Gesicht konfrontiert. Er zog im letzten Moment den Kopf zur Seite und machte einen Ausfallschritt nach rechts. Er zog das linke Bein nach, duckte sich unter dem herannahenden Sandstein hinweg und rammte dem langhaarigen die Nadel tief ins Knie. Sein Gegner schrie auf und ließ den Sandstein fallen. Diesen kleinen Triumph nutzte Hieronymus um ihm den Hodendolch knapp über der Hüfte in die Seite zu stechen. Blut schoß aus der Wunde hervor und lief dem Junker sogleich über die Hand. Er rutschte mit der Hand vom Dolch ab und kam aus dem Gleichgewicht. In der Zwischenzeit hatte der breitkrempige Hut die Distanz überwunden. Geistesgegenwärtig griff der junge Mann nach dem fallen gelassenen Stein und blockte damit den Katzbalger. Der Mann mit der roten Weste war gerade im Begriff vor Schmerzen in die Knie zu gehen, da packte ihn Vertigo, riss ihn hoch und drückte ihn zwischen sich und den nächsten Stich des Katzbalgers. Der konnte nicht mehr stoppen und durchbohrte den Langhaarigen auf Brusthöhe. Ein letzter Schrei. Dann war er Tod.
Doch schon hatte der Mann mit dem Hut sein Kurzschwert zurück gezogen, trat zwei Schritte vorwärts und setzte zum nächsten Angriff an. Sein Gegenüber mit der Biebermütze nutzte den Moment um ihm den Sandstein entgegen zu schleudern. Dann hob er schnell die Kurzwehr des Gefallenen auf und startete seinen Angriff. Eine schnelle Finte rechts oben, dann das Schwert nach unten ziehend in Richtung des Oberschenkels. Doch sein Gegner hatte nicht geschlafen und sein Schwert ebenfalls nach unten gerissen. Klirrend trafen die Waffen aufeinander. Doch Hieronymus war schon einen Schritt weiter. Er riss die Faust hoch und verpasste dem Hutträger einen Schlag auf die Nase. Diese brach knackend. Für einen Moment war er vom Schmerz geblendet und gab Hieronymus die Chance abermals zuzuschlagen. Er ließ den Katzbalger fallen. Auch Hieronymus senkte seine Klinge. „Wer hat dich gekauft? Wer hat dich für meinen Tod bezahlt? Die Nilfgaarder? Hääh? Machs Maul auf.“ „Leck mich“, presste sein Blut überströmter Gegner hervor. Krachend traf sein Schädel auf das Fachwerk eines der Stadthäuser. Und noch einmal knallte sein Kopf gegen die Wand. Blut lief unter seinem Hut hervor. „Und jetzt?“ Ein blutverschmiertes Grinsen. Hieronymus verlor nun tatsächlich die Geduld. Er stieß seinen Angreifer zu Boden. Trat ihm hart gegen den Kopf. Ein leises Stöhnen. Hieronymus bückte sich zu seinem Opfer hinab. „Was hast du gesagt?“ „Grüße von Emhyr du redanischer Hurensohn!“ Und mit diesen Worten schnellte ein Stilett hervor und durchbohrte Vertigos Wade. Schreiend ging Hieronymus in die Knie. Er riss das Stilett aus seinem Bein und rammte es seinem Gegner durch den Hals. Ein Röcheln. Dann war der Attentäter Tod.
Hieronymus erhob sich unter Stöhnen. Er presste die Zähne zusammen und fingerte an seiner Gürteltasche mit den Trankfläschchen herum. Schnell fand er, wonach er gesucht hatte. Eine Phiole mit gelber zäher Flüssigkeit. Mit zitternden Fingern entkorkte er das Gefäß. Er spürte bereits das Kribbeln im Bein. Mit einer vergifteten Klinge hatte der junge Offizier gerechnet. Hieronymus kippte also schnell den pulshemmenden Stoff hinunter. Mit etwas Glück würde er es schnell genug zum Offizierslazarett schaffen. Schon taumelte er dem Licht der belebten Straße entgegen. Die Flüssigkeit begann seinen Puls zu schwächen. Die Augenlider flimmerten, die Ränder seines Sichtfeldes verschwammen. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht! Hieronymus presste ein Stöhnen hervor. Blut hatte seine Hose und das Fußbett seines linken Schuhs durchtränkt. Er schlurfte unter Aufbietung seiner letzten Kräfte der großen Straße entgegen. Er fiel vornüber. Direkt vor die Füße einer Stadtpatrouille. Seine Lippen formten die Worte: „Offizierslazarett. Vergiftung. Schnell.“ Dann umfing ihn Dunkelheit.
„Hier lang. Schnell. Hier herüber. Nein da lang. Los Beeilung. Er wurde vergiftet. Ja. Und er hat viel Blut verloren. Wir müssen sofort handeln.“
Kopfschmerzen und ein dumpfes Pochen im linken Bein weckten Hieronymus auf. Er blinzelte, konnte jedoch nichts erkennen, denn das Licht blendete ihn. Also schloss er die Augen wieder. Wie durch einen dicken Wattebausch nahm er Geräusche wahr, konnte jedoch nicht klar genug denken um sie genauer zu verorten. Stöhnend versuchte er seinen Kopf frei zu bekommen und nach ein paar Augenblicken gelang ihm das tatsächlich. Nun konnte er auch die Augen einen Spalt breit öffnen. Er lag offenbar unter einem weit geöffneten Fenster und darüber erstreckte sich eine tiefe Balkendecke. „Können Sie mich hören? Hieronymus Katz. Können Sie mich verstehen?“ Hieronymus drehte leicht den Kopf (was ihn schon eine gewaltige Kraftanstrengung kostete) und erblickte eine große Gestalt in grün. Er versuchte zu antworten, doch es kam nur ein brüchiger Laut heraus. „Er ist noch zu schwach. Er braucht mehr Ruhe.“
Hieronymus musste wieder eingeschlafen sein, denn als er das nächste Mal zum Fenster empor sah, war es geschlossen und nur einige wenige Sonnenstrahlen fielen rot glühend durch die Butzenscheiben. Und auch diesmal war sofort jemand da, der sich nach seinem Befinden erkundigte. Und diesmal, konnte er antworten: „Ja. Ja ich..verstehe. Mir geht’s gut.“ brachte er mühsam hervor. „Herr Katz ruhen Sie sich aus.“ Doch er wollte sich nicht ausruhen. Er hatte sich genug ausgeruht. Wie lange hatte er wohl schon in diesem Zimmer verbracht? „Wie lange?“, erkundigte er sich leise. „Wie bitte? Ach so! Nun in ein paar Stunden sind Sie seit genau 9 Tagen hier im Offizierslazarett“, gab die grüne Gestalt zum Besten. Seit 9 Tagen! Seit 9 Tagen schon lag er untätig hier herum! Er hatte seine Besprechung mit den anderen Offizieren der Dreiberg-Division verpasst! Er hatte den Auftritt von Lea van Dyken im „Drei Kronen“ verpasst! Hätte er es gekonnt, so hätte er sich jetzt wohl mit der Hand vor den Kopf geschlagen. Stattdessen stieß er hart die Luft aus. „Was ´s passiert?“, erkundigte er sich weiter. „Sie müssen sich ausruhen. Herr Katz. Hören Sie.“
Hieronymus schreckte hoch! „Wie lange? Was passiert?“, plärrte er. Und noch während er das tat, sah er sich zum ersten Mal richtig um. Da standen weitere Betten. Mindestens 5 in einem langen Raum mit niedriger Balkendecke. Nur 2 andere Betten waren belegt. Und die beiden Offiziere sahen nun zu ihm herüber. „Ey Mann. Halt die Fresse! Du bist hier nicht alleine!“, rief einer der beiden. Der Junker vom Aschenberg versuchte sich zu sammeln, spähte angestrengt im Raum umher, konnte allerdings niemanden außer den beiden Leidensgenossen sehen…. Er schlug augenblicklich die Decke zurück und sprang aus dem Bett, fiel allerdings sofort vorn über und schlug hart auf dem Boden auf. Seine Beine schmerzten und das linke Bein pochte immer noch sehr unangenehm. Während er sich wieder aufrichtete tropfte Blut aus seiner aufgeschlagenen Nase, doch das störte ihn nicht. Auch das Lachen der beiden anderen Offiziere störte ihn nicht, im Gegenteil, es stachelte ihn an. Und so erhob er sich vollends und machte einige langsame Schritte, wobei er das Gesicht schmerzerfüllt verzerrte. In seinem Kopf arbeitete es fieberhaft. Das hier war also das Offizierslazarett in Dreiberg. Hmm. Irgendwo hier mussten seine Sachen aufbewahrt werden. Nur wo? Er blickte sich um, doch da flog schon die Türe am Ende des Raumes auf und herein marschierte ein Medicus, der Vertigo vorwurfsvoll ansah: „Sofort zurück ins Bett! Sind Sie noch bei Trost? Sie haben …“ Doch Hieronymus Katz vom Aschenberg hörte ihm gar nicht zu, er hatte besseres zu tun. Grob stieß er den Mann in Grün beiseite und näherte sich dem Ausgang. „Sie sind doch irre! Ich hole die Wachposten!“, rief der Medicus laut und rannte los. „Gut“, rief ihm Vertigo mit rauher Stimme hinterher, „dann können Sie auch gleich Nikolas Treuhand her schleifen! Ich will eine Unterredung mit ihm und zwar sofort! Und bringen sie mir meinen Hut, sonst hol ich mir hier drin ja noch eine Erkältung.“
Eine halbe Stunde später saß Vertigo, lediglich mit leinenem Hemd, Bruche und knallroter Biebermütze bekleidet im Garten des Offizierslazaretts auf einer Bank, beobachtete die Bienen bei der Arbeit und wartete darauf, dass Nikolas Treuhand endlich auftauchen würde. Man hatte versucht ihn mit Gewalt zurück ins Bett zu befördern, doch erst nachdem er einen der Wachposten unter größter Anstrengung zu Boden geschlagen hatte und verlangt hatte, man möge sich Dienstschlüssel und Berechtigungsstufe in seiner Militärakte ansehen, da war man bereit gewesen nach Nikolas Treuhand, dem Chef der Abteilung für leichte Kavallerie der Dreiberger Stadtsicherheit, zu schicken.
Nikolas Treuhand war ein Oberst im Dienste des redanischen Militärgeheimdienstes und hatte natürlich nur sehr wenig mit der Stadtsicherheit von Dreiberg zu schaffen, gab es doch offiziell sowieso nur 2 leichte Kavallerieeinheiten bei der Stadtsicherheit Dreibergs. Inoffiziell lag diese Zahl bei 15. Diese Kavallerieeinheiten des Geheimdienstes waren in der gesamten Stadt und im Umland von Dreiberg stationiert und warteten nur darauf in sämtliche Himmelsrichtungen losgeschickt zu werden um Handelspapiere sicher zu stellen, Truppenbewegungen der Scoi’iateal und Nilfgaarder Verbände auszukundschaften, wichtige Handelsmissionen zu schützen usw.
„Haltung annehmen, Oberst Nikolas Treuhand anwesend!“, gebot eine raue Stimme. Vertigo schreckte aus seinen Gedanken hoch, sprang auf und salutierte. Einen Moment blieb es still, dann gebot dieselbe Stimme „Rühren Herr Stabsunteroffizier.“ Er legte die angespannte Haltung ab und drehte sich zu Nikolas Treuhand um. Der Chef der Geheimdienstabteilung war ein Mann in den Dreißigern, er hatte rabenschwarzes Haar und einen ebenso schwarzen Vollbart. Er war Hochgeschossen und äußerst sehnig. Der Oberst trug eine schwarze Cotte aus Samtstoff und darüber den typischen Offiziersgarnasche der Reitereieinheit von Dreiberg. „Nun Vertigo, ich sehe du bist wohlauf. Wir hatten größte Bedenken ob wir dich jemals wieder für den aktiven Dienst einsetzen könnten. Aber du hattest offenbar einen guten Einfall und sehr großes Glück obendrein. Das Herzschmerz einzusetzen, um die Durchblutung zu verlangsamen und dadurch die Ausbreitung des Giftes zu stoppen war sehr schlau und sehr dumm zugleich. Du hattest gerade einen Kampf hinter dir, warst aufgepeitscht und dein Puls war hoch. Dagegen dieses Zeug anwirken zu lassen war, als würdest du einem Pferd in vollem Galopp einen Baumstamm vor die Hufe werfen. Du bist zusammengebrochen, weil dein Körper das nicht verkraftet hat. Hätte dich nicht die Patrouille gefunden wärst du wahrscheinlich tot. Du kannst dich glücklich schätzen, dass es kein neuartiges Gift war und die Medici hier im Hospital so gut ausgebildet sind. Es hat in der Woche vor dem Angriff auf dich schon zwei weitere Anschläge auf Geheimdienstler gegeben. Die beiden hatten nicht so viel Glück.“
Einen Moment herrschte Stille. Dann fragte Hieronymus: „Was sagen die Ärzte, bin ich tauglich? Wann kann ich zurück in den Dienst? Der Drahtzieher hinter dieser Sache muss gefunden werden. Gibt es da schon Hinweise? “ „Nee du. Es gibt keine weiteren Befunde bei dir. Zumindest nicht, dass wir wüssten. Die Medici hätten dich allerdings gerne noch ein paar Tage hier behalten um sicher zu gehen, dass es da nicht doch irgendwas gibt“, antwortete Nikolas reserviert. „Ach was! Mumpitz! Ich muss zurück in den Dienst. Ich bin tauglich!“, beteuerte Hieronymus. „Es liegt nicht in deinem Aufgabengebiet das festzustellen! Reiß dich zusammen Mann. Ich brauche Leute, die gesund und einsatzfähig sind. Keine kranken Krähen, die plötzlich im Einsatz vom Gaul kippen! Die Drahtzieher sind übrigens gefunden. Oder was dachtest du, was der Geheimdienst die letzten 15 Tage seit dem ersten Attentat gemacht hat? Wir stehen kurz vor der Festnahme der betreffenden Personen. Rotte 7 wird sich morgen Mittag um diese Angelegenheit kümmern. Du kannst dich also ganz beruhigt noch ein paar Tage ausruhen. Unternimm ein paar Spaziergänge im Garten. Leg dich auf die faule Haut. Und in ein paar Tagen bist du wieder voll einsatzfähig.“
Der Junker nickte langsam, in seinem Kopf arbeitete es bereits. „Na gut, aber was wenn mich die Medici bis morgen Mittag für tauglich befinden?“ Nikolas zog eine Augenbraue streng nach oben: „Was willst du damit sagen?“ „Ist doch klar. Wenn ich tauglich bin, überträgst du dann der Rotte 3 den Einsatz? Du weißt du schuldest mir noch was!“ Nikolas lachte: „Scheint als wärst du tatsächlich schon wieder ganz der Alte. Du Gauner. Ja. Ja gut. Sollte man dich für tauglich befinden, was man nicht tun wird, dann kriegst du den Auftrag. Abgemacht!“
Die beiden hatten sich unter Händeschütteln verabschiedet und als Nikolas gegangen war, hatte Vertigo einen der Heileradepten losgeschickt, ihm einige seiner Habseligkeiten zu holen und ihn dann sofort mit einem wichtigen Auftrag in die Oberstadt weiter geschickt. Er lachte bei dem Gedanken daran, welch dummes Gesicht Nikolas machen würde, wenn er, Hieronymus Katz Junker vom Aschenberg, morgen früh voll tauglich bereit stehen würde. Bester Laune ließ er sich auf einer Bank im sonnendurchfluteten Garten nieder, schob die rote Biebermütze in den Nacken und steckte sich seine Pfeife an.
Ein befellter Bote
Ein befellter Bote
Metagame
von Pam
„Schon wieder Post für Mei? Sind wir ne Hexerschule oder die Poststelle von Solonia? Niemand kann so viele Briefe bekommen und sie auch noch lesen. Sie bekommt Briefe und merkwürdig riechende Päckchen und ist daraufhin wieder irgendwo unterwegs. Wenn sie nicht meine Tochter wäre und ich ihr nicht vertrauen würde, wäre ich wahrlich ziemlich irritiert und würde hinterher schnüffeln.“ „Ja und zum Glück bist du ein so toller Ziehvater, dass du Mei so sehr vertraust und dies nie in Erwägung ziehen würdest!“
Nella stand in Valerians Schreibzimmer und hielt einen Brief in der Hand. Einer von vielen in letzter Zeit. Dieser hier roch etwas nach gebratenem Speck. Mal eine Abwechslung, dachte sich Valerian. „Ist Mei nicht im Turm?“, kam es etwas pampiger von Valerian zurück wie er es eigentlich beabsichtigt hatte. Nella schüttelte nur den Kopf und legte den Brief auf Valerians großen Holzschreibtisch. „Ich bin direkt zu dir. Der Bote drückte mir den Brief in die Hand und war schon wieder weg. So viel ich weiß, ist sie in ihrem Zimmer und packt.“, antwortete die in rot und weiß gekleidete Magierin mit ihren langen blonden Haaren, welche sie seitlich mit einer Strähne nach hinten gebunden hatte. „Ich wollte sie nicht stören. Bist du bitte so gut und gibst ihn ihr, danke!“ Ohne auf eine Antwort Valerians wartend, drehte sich Nella schon um und war im Begriff zu gehen. Die Stimmung auf Kaer Iwhaell war seit den Ereignissen um Wim und Isador auf allen Seiten ziemlich angespannt, da sie Wim zwar von ihm hatten lösen aber ihn nicht gänzlich vernichten konnten. Wenigstens ging es Wim den Umständen entsprechend gut und der Hexermeister hoffte, so etwas bei einem seiner Familienmitglieder nie mehr durchmachen zu müssen. Er hatte erst mal die Schnauze voll von diversen Bessenheiten oder sonstigen seelischen Übernahmen, welche nicht auf Gegenseitigkeit beruhten. Erst jetzt realisierte Valerian was Nella soeben sagte. Bevor diese durch die Tür in den langen Flur verschwand, sprach er sie etwas verwirrt an. „Wie? Was? Häh … Mei packt. Wo geht sie denn jetzt schon wieder hin? Sie war doch erst vor kurzem ewig auf Skellige unterwegs.“ „Wenn sie dir es nicht sagt, warum sollte sie es ausgerechnet mir erzählen?“, grinste Nella frech und war schon halb aus dem Zimmer.
In dem Moment stand plötzlich Mei hinter ihr und hob ihre rechte Augenbraue. „Du kannst mich jetzt auch persönlich fragen, Vater.“, während sie das sagte drückte sie sich an Nella vorbei in die Schreibstube und schaute den verdatterten Valerian an. „Nicht das ich es dir erzählen würde aber die Zeit wird kommen und du wirst es erfahren, keine Sorge. Du weißt ich würde nichts tun ohne es vorher ordentlich geprüft zu haben und ich mir nicht hundert Prozent sicher wäre und außerdem ist da auch Zauberinnen Kram dabei, den du eh nicht verstehen würdest.“, man hörte von draußen ein leises und dumpfes Kichern. „Nur leider bedarf es meiner Anwesenheit bei diesem Problem. Ich habe meine Reise ja wegen Wim unterbrochen und nun setze ich diese fort. Damit ich das endlich hinter mir habe und längere Zeit hier bei euch bleiben kann. Ich reise ja schließlich nicht zum Vergnügen, mein lieber Vater.“ Mit jedem Wort schritt Mei langsam auf Valerians Schreibtisch zu und stützte sich nun auf diesem ab. Dabei sah sie ihn mit ihren zweifarbigen Augen eindringlich an um ihm zu signalisieren, dass sie die Wahrheit sprach und weiß was sie tat.
„Du weißt, du kannst mir vertrauen Valerian. Aber es gibt eben Dinge, die ich dir zu diesem Zeitpunkt noch nicht erzählen kann oder nicht sollte. Und falls es dich beruhigt, ich bin auf Ard Skellig unterwegs, gegeben falls mache ich noch einen kleinen Abstecher nach Faroe, wenn es die Umstände zulassen.“ Das Mei schon weitere Abstecher nach Oxenfurt, Novigrad, Kerack und in Solonia liegend die Auen besucht hatte, erwähnte sie nicht und dies sollte ihr Vater auch erst einmal nicht wissen. Zumal sie sich in große Gefahr begab, wenn sie nach Novigrad und Oxenfurt reiste. Dies allerdings nur unter größten Illusionszaubern die sie beherrschte. Denn erwischte man sie dort, würde sie dem Scheiterhaufen nicht noch einmal entgehen, so war sie sich sicher. Aber der Hintergedanke und aus welchen Gründen sie dies tat, waren gute Gründe und wegen IHR würde sie diese Gefahr auch zukünftig eingehen. Auch wenn Außenstehende Mei’s Beweggründe nicht nachvollziehen konnten, war die Zauberin es IHR schuldig, auf irgendeine banale Art und Weise. Wirklich erklären konnte sie es sich auch nicht, warum sie diese Gefühle für die kleine Schwarzhaarige hegte. Und was es genau für Gefühle waren. Sie musste helfen, egal wie. So war doch ihre Meinung immer gewesen, wenn sie die Fähigkeit und das Können besaß jemandem zu helfen, den sie wertschätzte und egal auf welche Art und Weise liebte, so tat sie dies auch. Ohne einen Vorteil daraus zu ziehen, wie es oft viele über Zauberinnen dachten.
Nach einigen Sekunden der Stille, durchriss die etwas raue Stimme Valerians ihre Gedanken. „… natürlich hast du Recht, aber … naja. Ich vertraue dir, Töchterlein. Hier ist übrigens, wer hätte es gedacht, ein Brief für dich. Gerade frisch eingetroffen aus …“, mit seinen Katzenaugen untersuchte er den Brief in seiner linken Hand. „… aus … keine Ahnung steht nix drauf. Hier!“ Der Hexer wedelte mit dem Brief vor Mei’s Nase herum und auch ihr stieg der Geruch von gebratenem Speck in die Nase. Begleitet von anderen Gerüchen, Eierkuchen und Hund, wenn sie sich nicht täuschte.
„Hmm riecht gut … oh da fällt mir ein ich muss Mila noch vor der Abreise füttern.“ „Wann holt Lennox die eigentlich mal wieder ab? Sie ist doch sicherlich schon wieder gesund oder? Ich würde mich mal wieder freuen ein leckeres, großen Stück Fleisch essen zu können, das wandert ja immer direkt zu Mila.“, raunzte Valerian etwas mürrisch und tat so als würde er in einem Dokument etwas lesen um dem strafenden Blick Mei’s zu entgehen.
„Kann sich nur noch um Tage handeln, ich musste das Bein vor ein paar Wochen nochmals operieren, da sich die Wunde entzündet hatte. Mila schleckte daran obwohl ich es ihr verboten habe. Nicht jedes Tier hört eben auf mich.“, sagte Mei lachend. „Also … ich verabschiede mich und passt auf euch auf, wenn etwas ist, wird Resta mich finden oder ein Spitzel von Heskor oder Vertigo. Ich liebe dich Vater. Mach’s gut!“. Sie ging um den großen Tisch herum und umarmte ihren Ziehvater länger wie sie es sonst tat. Mit dem Brief in der Hand verließ sie den Raum und begab sich in die Küche um das Futter für Mila zu holen. Die schwarze Pantherdame befand sich im Freilaufgehege neben ihrem Turm auf der kleinen Rasenfläche in den Ruinen und wartete sicherlich schon auf ein saftiges Stück Fleisch. Den Brief wollte sie nach der Portalreise in Ruhe lesen, so entschied die Zauberin.
Ungewohnt schlicht gekleidet, geschmückt mit einer Artefaktkette, welche ihren Fuchsschwanz und die Zähne verschwinden ließ, und die kupferfarbenen, langen Haare zu einem Flechtzopf zusammengebunden, betrat Mei die kleine Hütte auf Ard Skellig und fand alles wieder so vor wie sie es vor einigen Tagen verließ. Niemand machte sich an der Einrichtung zu schaffen, was hier nicht unüblich war. Sogar die Flasche Est Est stand noch auf dem Tisch. Zugegeben, verließ Mei die Hütte etwas überstürzt und hatte keine Zeit diverse kleinere Dinge wegzuräumen. Das holte sie mit einigen schnellen Handbewegungen nach und schon sah die kleine Holzhütte nicht mehr ganz so unordentlich aus.
Nachdem sie ihr kleines Gepäckstück in der großen verzierten Holztruhe verstaute, setzte sie sich auf das gemütliche weiche Bett und zog den Brief aus der Tasche. Das Sigel kannte sie nicht und deshalb zögerte sie erst etwas bis sie den Brief öffnete und zu lesen begann. Sichtlich überrascht las sie ihn zu Ende und war noch überraschter als sie den Absender erblickte. Ein Jarl schrieb ihr, DER Jarl aus Undvik, welcher vor ein paar Monaten noch ein Vagabund war und an dessen Name sie sich gut erinnern konnte. Zwar wurde er nur beiläufig als Rist bezeichnet, was wohl eine Abkürzung war, aber dennoch einprägsam genug. War bei ihr auch nicht anders, dachte sie. Sie starrte nochmals den Brief an: … vermutlich erinnerst du dich nicht mehr an unsere kurze Begegnung vor etwa zwei Jahren in Cintra. Ich wanderte damals als einfacher Vagabund an der Seite Annas … Und ob sie sich an diesen Kerl erinnerte. Etwas zottelige dunkle Haare zu einem Zopf zusammengebunden, nicht sehr groß, markante Gesichtszüge mit Bart und seine Kleidung verriet, dass er aus Skellige stammen könnte. Er hing bei dieser Begegnung immer wie eine Klette an Anna, daran erinnerte sie sich noch gut. Umso mehr wunderte es sie, wie dieser Mann es zu einem Jarl schaffte. Sie war allerdings auch nicht wirklich mit der Erbfolge der Skelliger vertraut. Mei las nochmals weiter und fing an sich mit Skoija zu unterhalten. „Hörst du das Kleine … er hat das dringende Bedürfnis sich mir zu unterhalten. Ich bin echt überrascht, dass ich nach all den vielen Briefen nun einen von Hjaldrist in den Händen halte. Ach wenn er wüsste, was ich schon alles wegen Anna unternommen habe. Das Schreiben hier bestärkt mich nun noch mehr. Eigentlich habe ich schon darauf gewartet, dass von ihm etwas kommt, schließlich ist er neben Vadim ein sehr guter Freund von Anna. Und das lustige, die beiden befinden sich hier in unmittelbarer Nähe. Ich könnte sie einfach besuchen und mich selbst davon überzeugen, wie es ihr geht. Was meinst du? Sie muss mich ja nicht sehen.“ Sie machte eine kurze Pause und wartete auf eine Antwort Skoijas.
„Ja du hast recht, es wäre zu riskant, dass Silven etwas davon mitbekommen könnte. Dann werde ich die beiden wohl erst auf dieser Insel Geddes treffen. Diese Insel … ich bin echt gespannt wie die so ist und es trifft sich so gut. Dann antworte ich dem Jarl wohl lieber gleich, bevor mir wieder etwas dazwischenkommt. Aber nett von ihm, dass er sich Gedanken darüber macht wie ich dort hinkomme. Was meinst du, Skoija? Die Olyckssyster im Hafen lassen und sich quasi kutschieren lassen … hmm lieber nicht, es ist zwar nett gemeint aber den Stress muss sich der gute Hjaldrist ja nicht machen. Er hat als Jarl sicher andere Probleme, zumal ich ja sowieso vor hatte mit den ganzen Zauberinnen und Filip via Schiff anzureisen.“ Was der Jarl aus Undvik beim Verfassen des Briefes nämlich nicht wusste, war die Tatsache, dass sie mit ihren Kolleginnen bereits beschlossen hatte, sich auf dieser besagten Insel Geddes zu treffen um dort Informationen auszutauschen. Auch bezüglich Anna, da manche ihrer Kolleginnen, vor allem Nyra, etwas schlampig waren, wenn es darum ging Ihr Informationen über den Briefweg zukommen zu lassen. Mit diesen Gedanken erhob sie sich und kramte in einem kleinen etwas schief geratenen Regal nach ihren Schreibutensilien. Nach kurzer Suche fand sie auch ein Papier welches nicht Opfer von Mäusezähnen wurde und schritt zu dem langen Eichentisch der am Fenster stand. Mit einer gekonnten Handbewegung ließ sie auf magische Weise das Fenster auffliegen und es strömte salzige und warme Luft in die Hütte. Einen tiefen Atemzug später setzte sich die Zauberin an den Tisch, breitete ihre Schreibutensilien aus und begann zu schreiben.
„So nur noch unterzeichnen, versiegeln und schon kann ich dich auf die Reise schicken.“, sagte Mei zu dem Brief vor ihr auf dem Tisch. Noch während sie dies aussprach, überlegte sie wie jetzt der Brief zu Rist gelangte. Momentan befand sie sich eher am Arsch der Welt, um so zügig einen Boten auftreiben zu können und ewig lange sollte der Brief hier nicht herumliegen oder auf dem Weg zum Jarl sein. Erfahrungsgemäß waren die Möwen nicht sehr geeignet um Briefe zu überbringen. Jetzt bereute sie es, dass sie ihren Raben Resta nicht hier hatte. Sie war verlässlich und wäre innerhalb einer Stunde locker von Ard Skellig nach Undvik und wieder zurückgeflogen. Nach einiger Gedenkzeit und einem Becher Wein entschied sie sich doch mit einem Portal die Insel zu wechseln und dort nach einem Boten Ausschau zu halten. Außerdem hoffte sie, dort jemanden zu finden der wusste wo sich Hjaldrist aufhielt. Mei wusste zwar, dass er auf Undvik war aber nicht genau wo er sich auf der kleinen Insel befand. Sie kannte die Insel zwar von früher aber war schon längere Zeit nicht mehr dort gewesen. Vielleicht zukünftig ja öfters, dachte sich die Zauberin. Sie zog sich schnell ein anderes dunkelgrünes Kleid an, steckte ihre Haare hoch und streifte sich ihre Brokat Gugel über den Kopf. Mit dem Brief von ihr und Rist bewaffnet verließ sie nicht einmal die Hütte um gekonnt und fast schon mit hypnotischen Armbewegungen und einem Spruch in ihrer Sprache sprechend, ein blau leuchtend, wabberndes Portal zu öffnen. Elegant schritt sie darauf zu, wurde von dem Leuchten verschluckt und mit einem dezenten Zischen schloss sich das Portal und Mei war verschwunden.
Die Luft auf Undvik war wie überall auf Skellige, salzig und warm, typische Insel-Luft eben. Entweder man mochte diesen Geruch oder man hasste ihn. Undvik war eine der kleineren Inseln der Skellige Inseln und lag zwischen An Skellig und Ard Skellig. Im Grunde sah sie wie jede hügelige Insel aus, eine Mischung aus kleineren Hügeln, bis hin zu großen Bergen bedeckt mit übersichtlichen kargen Baumgruppen oder kleinen Wäldchen, längeren kahlen Bodenabschnitten, viel Wasser und obenauf waren die Gipfel mit Schnee bedeckt. Undvik die Winterinsel, sie machte ihrem Namen alle Ehre.
An einem kleineren Wald standen einige Wildpferde und füllten ihre hungrigen Mägen mit den wenigen Gräsern die sie finden konnten. Plötzlich reckte ein junger Schimmel seinen Hals und schnupperte nervös in die Luft. Ein leises Wiehern entfuhr ihm, als er eine Veränderung in der Luft bemerkte, er spannte seine Muskeln an, bereit zur Flucht. Man vernahm ein immer lauter werdendes Zischen und die Luft begann bläulich zu flimmern. Als das Zischen seine endgültige Lautstärke erreicht hatte, schreckte das Pferd auf und hüpfte mit einem großen Satz zur Seite. Wo vor einigen Sekunden noch der Schimmel stand, öffnete sich plötzlich ein Portal und die rothaarige Zauberin schritt ebenso elegant wieder aus ihrem Portal heraus und stand nun auf der Wiese. So schnell sich das Portal öffnete war es auch schon wieder mit einem kleinen Aufblitzen verschwunden. Mei blickte sich um und sah das aufgeschreckte Pferd, welches sie nun mit großen, ängstlichen Augen anglotzte. Sie lächelte sanft und streckte ihre Hand dem Pferd entgegen aus und ließ es daran schnüffeln.
„Schhht, tut mir wirklich leid dich erschreckt zu haben. Ganz ruhig du schönes Geschöpf du.“, besänftigte sie den Hengst und legte behutsam ihre Hand auf seine Nüstern und streichelte seinen Kopf. Er duftete nach Freiheit und Wildheit, sein Fell war ganz weich und sie fühlte einen kleinen Wirbel auf seiner Stirn. Sie standen sich in der Zwischenzeit direkt gegenüber und Mei konnte ihre Stirn an die des Pferdes lehnen. Dann flüsterte sie: „Pass gut auf dich und deine Herde auf, hast du gehört!“ Der Hengst schnaubte hörbar wie zur Bestätigung aus und legte seine Ohren nach hinten. Nun bemerkte auch Mei die Stimmen in der Ferne. Sie streichelte dem Hengst noch einmal zur Verabschiedung den Kopf. „Ahh die können mir sicher sagen wo ich den Jarl finde. Mach’s gut Großer.“ Mit einem weiteren Hüpfer trabte der Hengst einige Schritte weg, aber gerade so um die Zauberin noch im Auge behalten zu können. Um nicht auffällig plötzlich im Nirgendwo zu stehen, steckte sie die Briefe in ihren Ausschnitt und tat so als würde sie Kräuter suchen und zupfte einige Grashalme heraus. Da sie nicht wie sonst ihren pompösen und recht auffälligen Kopfschmuck trug, wurde die Frau erst nicht von den heranlaufenden Männern bemerkt. Erst nach einigen Schritten mehr auf Mei zu, blieben die ersten zwei Männer plötzlich stehen, der hintere Mann bemerkte dies nicht sofort und rempelte versehentlich die anderen Männer an. „Hey sag mal warum bleibt ihr einfach stehen?“, frug der rundliche Mann. Die Männer trugen allesamt einfache Tuniken und Pluderhosen, welche mit typischen Wadenwickeln befestigt wurden. Der Größere der Gruppe schielte nach hinten und sprach in die Runde: „Da siehst du die Frau da hinten nicht? Boa diese Haare, aber keine von hier der Kleidung nach. Was macht die hier so allein am Waldrand.“ „Wohl eine von der mutigen Sorte!“, lachte der Dritte hämisch. Die Männer waren erst so mit sich beschäftigt, dass sie gar nicht bemerkten, dass sich Mei schnurstracks auf die Gruppe zu bewegte. „Guten Tag die Herrschaften. Schön jemanden hier anzutreffen. Ihr könnt mir doch sicher sagen wo ich den Jarl, Hjaldrist Halbjørnsson Falchraite, hier auf der Insel finde. Ich war schon einige Zeit nicht mehr auf Undvik und kenne mich wohl nicht mehr so gut aus wie ich anfangs geglaubt hatte.“, sprach die Zauberin und lächelte gutmütig. Ihre Augen nicht von den Männern abwendend. Denn Stress mit einer Bande Männern auf dieser kleinen Insel konnte sie nun wirklich nicht gebrauchen. Nicht, dass sie eine Chance hätten aber, wenn man es vermeiden konnte. „Ha wusste ich es doch … du bist nicht von hier, Kleine. So so haste dich also verirrt. Sei froh, dass du nicht auf Ard Skellig bist, wenn du dich hier schon verläufst. Da hätte man wahrscheinlich nur noch deine kalte Leiche gefunden … und das wäre echt schade um dich.“, blöckte der Große und musterte die Zauberin von oben bis unten. „Ach komm schon Gehardt, lass sie doch und sei einmal in deinem Leben höflich, wenn du einer hübschen Dame begegnest.“, mischte sich nun der rundliche Kerl ein, rollte mit den Augen und schob sich an seinen Kumpanen vorbei und stand nun direkt vor Mei. Er verbeugte sich höflich vor ihr und sprach sie direkt an: „Werte Dame, darf ich mich vorstellen, mein Name ist Kay Hebrigsson, ortsansässiger Händler feinster Speisen. Und selbstverständlich werden wir euch den Weg zur Falkenburg zeigen. Gerne begleiten wir euch auch sicher dorthin, wenn ihr dies wünscht!“ Die beiden anderen Männer verzogen das Gesicht und waren nicht begeistert, was ihr Kumpel da vorschlug. Da sie doch eigentlich anderes vorhatten, als eine Reisende zur Falkenburg zu begleiten. Die offensichtlich eine Orientierung wie eine Kartoffel hatte. Mei schaute die Männer abwechselnd an und dachte an ihre Gedanken in der Hütte. „Das ist sehr freundlich von euch aber mir ist schon Genüge getan, wenn ihr mir den Weg beschreibt. Dann finde ich schon selbst dorthin.“, entspannte sie etwas die Situation, da sie den anderen beiden Männern ansah, dass sie keine Ambitionen hatten sie dorthin zu begleiten, zumal sie sich vor Ort ja aus Sicherheitsgründen nicht blicken lassen wollte. Wie der Brief nun endgültig zu Rist gelangte kam ihr vorhin schon in den Sinn. Es sollte aber kein menschlicher Bote sein.
Der höfliche Mann erklärte Mei den Weg zur Falkenburg, diese befand sich sogar nur 10 Minuten Fußweg entfernt. Nachdem sie sich herzlichst bedankte, schritten die Männer wieder los und waren nach einiger Zeit nicht mehr zu sehen. Bei der heiligen Melitele wollten sie nicht noch mehr wissen und ließen sich schnell überzeugen. Mei atmete noch einmal tief ein, sog die moosige, kalte Luft ein und ließ sich auf dem kargen Steinboden nieder. Sie schloss die Augen, legte ihre Hände in den Schoß und murmelte etwas vor sich hin. Nach wenigen Sekunden raschelte und fiepte es neben ihr. Ein rotbraunes Fellknäuel mit einer großen schwarzen Nase und noch größeren gelben Augen, lugte zwischen einem Busch hervor und streckte neugierig den buschigen Schwanz in die Höhe. Geduckt und fast schon mit dem Boden verschmelzend, kroch ein adulter Fuchs zu Mei und legte vorsichtig seinen Kopf auf ihren Schoß. Die Frau in dem grünen Kleid hatte jedoch immer noch die Augen geschlossen und murmelte immer noch vor sich hin. Der Fuchs hob den Kopf und legte ihn schräg und starrte sie an. Keine andere Reaktion seitens Mei. Auffordernd stupste der Fuchs sie an und vergrub daraufhin seine Schnauze in ihren Händen. Sogleich begann Mei den Fuchs feinfühlig an der Schnauze zu streicheln. Das Fuchsmännchen genoss diese Zärtlichkeit und gab ein zufriedenes Knurren von sich und ließ seine Ohren entspannt sinken. Langsam öffnete Mei ihre Augen und blickte auf den sichtlich entspannten Fuchs, welcher sie in der Zwischenzeit schon komplett belagert hatte. Sie betrachtete ihn noch einen Augenblick, spürte das flauschige Winterfell unter ihren Händen und hörte dann schlagartig auf ihn zu streicheln. Empört hob er seinen Kopf und schaute die Zauberin in die Augen. Mei lächelte und stupste die große schwarze Nase des Männchens mit dem Finger an und sagte: „Genug gekuschelt. Würdest du mir einen großen Gefallen erweisen?“, sie wartete auf eine Reaktion und wurde nicht enttäuscht. Aufmerksam und wieder mit schiefem Kopf schaute der Fuchs sie an. „Ich habe hier einen Brief und der müsste so schnell wie möglich zur Falkenburg, besser gesagt zu Jarl Hjaldrist. Ich selber sollte aber aus Sicherheitsgründen nicht dort aufschlagen, sonst würde ich ihn persönlich überbringen. Und ganz ehrlich, dir vertraue ich hier mehr wie einem Boten. Ich laufe auch ein Stück mit dir mit.“ Wie von der Tarantel gestochen sprang der Fuchs freudig auf und hechelte aufgeregt. Tänzelnd signalisierte er, dass er sich der Aufgabe gewachsen fühlte und rannte schon zu dem schmalen Trampelpfad. Mei erhob sich und erinnerte sich an die Worte des Mannes, der ihr den Weg beschrieben hatte. Das Fuchsmännchen hüpfend und sie mit ordentlich Tempo hinterherlaufend begab sich das etwas schräge Duo zur Falkenburg. Die Umgebung während der kurzen Wanderung war wundervoll und trotz der eher tristen Winterlandschaft mit so viel Leben erfüllt. In der Zwischenzeit war die Sonne schon beachtlich weit gesunken, nicht mehr allzu lange und sie ging vollends unter um dem Mond gänzlich Platz zu schaffen. In der näheren Ferne konnte Mei das große Tor zur Falkenburg ausfindig machen und beschloss ab hier dem Fuchs die Leitung übernehmen zu lassen. Sie kramte in ihrem Ausschnitt nach den beiden Briefen und streckte erst den Jarls Brief ihm vor die Nase. Er schnüffelte daran und merkte sich den Geruch um später den Empfänger ausfindig machen zu können. Mei steckte diesen wieder ein und hielt ihm nun ihren geschriebenen Brief vor die Schnauze. Fast schon gekonnt schnappte er sich ihn und platzierte ihn zwischen seinen Zähnen. Er setzte sich hin und hob seine linke Pfote. Grinsend nahm Mei sie in ihre Hand und schüttelte sie zur Verabschiedung. Sie hauchte ein leises „Danke“ und der befellte Bote machte sich an sein Werk. Eher springend als rennend steuerte der Fuchs auf die Burg zu und war am Ende nur noch als kleiner brauner Fleck zu erkennen. Mei wartete noch eine Weile, bis sie sich sicher war, dass ihr Bote in der Burg war. Ihr war klar, dass er irgendein Schlupfloch finden musste um hineinzugelangen, da es ziemlich merkwürdig wäre, wenn plötzlich ein Fuchs mit Brief im Fang vor den Torwachen stehen würde. Wahrscheinlich hätten sie ihn eher verscheucht. Mei riss sich selbst aus ihren Gedanken und drehte ihren Kopf in Richtung eines kleinen Fensters in der Falkenburg. Eben noch dunkel gewesen, leuchtete plötzlich eine Kerze oder Fackel auf und man konnte eine schemenhafte Gestalt ausfindig machen. War es womöglich der Jarl oder gar Anna. Nie würde Mei dies erfahren. Sie hoffte nur, dass es ihr gut ginge und richtete ein Stoßgebet für sie zur heiligen Melitele gen Himmel. Auf das sie über die Schwarzhaarige junge Frau wache. Besorgt sah sie wieder zum Tor. Als sie sich sicher war, dass alles geklappt hatte, öffnete sie versteckt wieder ein bläulich schimmerndes Portal und war verschwunden.
Das Fuchsmännchen bremste kurz vor dem Tor ab, gerade so, dass die Wachen ihn nicht sahen. Erst nach rechts blickend, dann links, entschied er sich rechts nach einer Lücke in der Mauer oder einer anderen Möglichkeit zu suchen um ins Innere der Falkenburg zu gelangen. Sein Gesuch wurde bald belohnt, als er eine enge, bröckelige Stelle in der Mauer fand, an der sich bereits ein großer Busch am Mauerwerk zu schaffen gemacht hatte. Er legte den Brief kurz ab und buddelte sich einen schmalen Tunnel. Erst vergaß er fast das gefaltete Pergament und wollte ohne ihn losstürmen, als es ihm wieder einfiel. Mit etwas Dreck benetzt sah sich der Fuchs in einem kleinen Gärtchen wider. Schnüffelnd begab er sich hurtig zu einem großen, langen Gebäude in dem zwischenzeitlich Fackeln oder Öllampen erleuchtet wurden, da die Dämmerung allmählich eintrat. Schleichend entlang der Wand suchte er nach einer Öffnung um in das Gebäude zu gelangen. Er hatte nur den Fährtengeruch von Mei erhalten als sie ihn an dem Brief des Jarls hatte schnuppern lassen. Dieser roch für einen Menschen eher nur nach Essen aber das Männchen roch tiefer und hatte schon bald eine geeignete Fährte aufgespürt. Nach einigen Metern erblickte er eine Tür durch die gerade eine sehr junge Frau mit langen Zöpfen heraustrat und wohl zu den Stallungen eilte. In der Hoffnung es würde noch jemand die Tür öffnen, lauerte das Fuchsmännchen an der Wand um schnell hineinhuschen zu können. Kurze Zeit später drückte eine etwas ältere Frau die Türe auf und plärrte irgendwas Unverständliches in einem schrecklichen skelliger Akzent in das Gebäude hinein. Ohne zu zögern hüpfte das Tier mit einem weiten Satz aus seinem Versteck und schlüpfte durch die Tür. Jedoch nicht unbemerkt. Die Skelligerin schreckte auf und schrie wie am Spieß. „Ahhhh … was zum … Merrrleeeee … ah das geht bestimmt auf deinen Mist. Holst mir hier verlaustes Vieh ins Haus, ihhgitt!“
Viel mehr bekam er nicht mehr mit, da er seiner Fährte folgend quer durchs Gebäude raste. Einige Männer stellten sich ihm in den Weg. Diesen konnte er aber geschickt ausweichen und gelang so tiefer in das Gebäude. Bald hatte er sein Ziel erreicht. Nach wenigen Schritten befand er sich in einem großen, hell beleuchteten Saal wieder. Eingerichtet mit langen Tischen und sehr vielen Sitzgelegenheiten. Eine dieser Sitzgelegenheiten fiel im besonders ins Auge, ein Stuhl der wahrlich ein Thron sein könnte, sein Ziel. Von draußen hörte man Geschreie und harte Schritte. All das kümmerte den Fuchs nicht, er hatte seine Aufgabe vorerst gemeistert. Schade nur, dass der Empfänger nicht anwesend war. Vielleicht wurde dieser ja wegen des unbeabsichtigten Tumults aufmerksam und musste sich auf seinem Thron ausruhen.
Ausruhen war ein gutes Stichwort. Frech hopste er auf den Thron legte den Brief neben sich ab und machte es sich auf einem weichen Kissen bequem. Er entschied sich, hier auf den Jarl zu warten, früher oder später wird er wohl auftauchen müssen um seinen Pflichten nachzugehen. Gähnend und schmatzend rollte er sich ein, den Blick auf die große schwere Tür gerichtet, welche nur einen Spalt weit offen war. Schlagartig wurde diese aufgerissen und vier Männer stürmten herein. Gefolgt von der alten Frau. „Jetzt macht doch nicht so einen Tumult. Ich habe nur was Kleines mit Fell gesehen. Vielleicht war es auch irgendeine Katze.“ „Vorhin hast du gesagt, es war groß und hatte einen langen buschigen Schwanz. Kannst du dich mal entscheiden Weib. Der Jarl hat, bei Freya mehr zu tun als um sich um räudiges kleines Vieh in seinem Haus zu kümmern. Wenn es kein Monster ist, ist es auch keine Gefahr. Erschlag es, wenn du dem Vieh nochmal begegnest!“, schnauzte einer der Wachen die arme Frau an. Die beiden verfielen in einen kleinen Streit. In dem Moment betrat ein Mann mit dunklen, längeren Haaren, welche zu einem Zopf zusammengebunden waren, den Raum. Auf einem Kopf trug er einen wertvoll aussehenden Reif, wie eine Krone. Selbstbewusst und bestimmt trennte er die beiden Streithammel.
„Was ist denn hier los?“, begann er zu sprechen. „Tumult so früh am Abend, was soll das? Britta?“ Die ältere Frau, die mittlerweile ziemlich fertig aussah, antwortete erst etwas zögerlich. „Ich wollte zum Kräutergarten und plötzlich huschte durch die Tür etwas Felliges an mir vorbei ins Gebäude. Ich hab mich zu Tode erschreckt und laut aufgeschrien, aber ich denke es war vielleicht nur eine Katze. Tut mir leid für diesen Aufstand, Hjaldrist.“ Einer der Männer suchte währenddessen den Raum ab, blieb auf Hjaldrist’s Thron hängen und öffnete langsam den Mund um etwas zu sagen. „Keine Katze … ein wilder Fuchs hat sich hier Zutritt verschafft! Schaut mal da, der hat es sich auf dem Thron gemütlich gemacht.“, der Mann zeigte mit dem Finger zu dem hölzernen hohen Stuhl und dem darauf liegenden Fuchs. Hjaldrist grinste breit, denn so etwas hatte er noch nicht erlebt. Langsam ging er auf seinen Thron zu, um den Fuchs näher betrachten zu können. Er machte keinerlei Anstalten verschreckt wegzurennen, wie man es eigentlich von einem wilden Tier erwarten würde. Im Gegenteil, Hjaldrist konnte ihm so nah kommen wie er es zuvor nie konnte. Das war in dem Augenblick ein wunderschönes Gefühl. Das Fuchsmännchen hob seinen Kopf und schaute den Mann mit der Krone schräg an und bellte kurz auf. Dieser erschrak kurz und lachte auf. Erst jetzt fiel ihm der kunstvoll gefaltete Brief neben dem Fuchs auf. Aus Angst das Tier könnte ihn beißen, wenn er nach dem Brief griff, sprach er besänftigend auf ihn ein. Ruckartig schnellte das Tier hoch uns saß nun aufrecht da. Dabei fiel der Brief vor den Thron zu Boden. Mit dem Fuß versuchte der Jarl den Brief vorsichtig herzu fischen, da er immer noch die Befürchtung hatte der Fuchs könnte ihn zerfleischen. Ein ihm bekannter Duft stieg ihm in die Nase. Konnte das sein, dachte er sich. Er starrte erst auf den Brief, dann zu dem Fuchs. Ohne Vorwarnung sprang dieser auf und hüpfte an Hjaldrist vorbei zur offenstehenden großen Tür und verschwand.
„Schnell Olfir, renne hinterher und eskortiere ihn sicher wieder hier raus … schnell … im soll nichts geschehen!“, schrie der Jarl beinahe seine Wache an. Olfir glotzte ihn erst dümmlich an, tat aber wie ihm befahl und rannte dem Fuchs hinterher. „Was ist denn plötzlich los Hjaldrist? Warum soll Olfir einen wilden Fuchs hinausbegleiten?“, stammelte Britta fassungslos. Rist schaute auf den Brief in seiner Hand. Das Sigel erkannte er von einem anderen Schreiben das Anna vor einiger Zeit erhielt. Als er das Pergament umdrehte und die schöne schwungvolle Schrift erkannte, wurde seine Vermutung bestätigt. „An den Jarl, Hjaldrist Halbjørnsson Falchraite“ Ebenso roch das Papier leicht nach Vanille. Er war sichtlich erstaunt so schnell eine Antwort vom Silberfuchs zu erhalten und vor allem auf solch eine Art und Weise. Irgendwie hatte das Stil. „Weil der Fuchs einer Bekannten gehört, der ich einiges zu verdanken habe.“, antwortete der Jarl ernst …
Ach wie gut, dass niemand weiß...
Ach wie gut, dass niemand weiß...
Metagame
Von Peter
Februar 1279: Solonia, Königreich der zwölf Auen, in der Kronau
Es war früher Nachmittag, die Wintersonne schien über die verschneite Kronau und kitzelte Atheris in der Nase. Der Greifenhexer lag seit einigen Minuten versteckt hinter einem großen Felsen und beobachtete den Eingang zu einer alten Gruft. Hier hatte sich eine Gruppe von drei Ghulen versammelt, die sich wild über ein Stück Aas hermachten. „Sheyss, wir sind zu spät. Das wird wohl David gewesen sein!“ zischte der nilfgaarder Hexer leise. „Er hätte nie alleine losziehen sollen, der verrückte Junge“ erwiderte der junge Stallknecht Robert, der an der Seite von Atheris kauerte. Robert hatte sich bereit erklärt den Hexer zur verlassenen Gruft zu führen, zu welcher der Jäger David aus dem nahe gelegenen Dorf aufgebrochen war, um einem Gerücht über Monstersichtungen nachzugehen. „Und was machen wir nun? Dein Auftrag vom Bürgermeister lautete ja David zu finden und hier ist er, naja zumindest was von ihm übrig ist“ fragte er. „Ich werde mich um die Ghule kümmern. Ich habe einen mir heiligen Eid geschworen, Menschen vor solchen Bestien zu schützen, das ist meine Bestimmung als ein Vatt’ghern und ich gedenke diesen zu erfüllen!“ entgegnete Atheris und zog seine Silberklinge vom Rücken.
Aus einer Tasche, die er an der Seite trug holte er ein kleines Fläschchen und ein sauberes Leinentuch. Er entleerte den Inhalt auf das Tuch und fing an, die Klinge einzufetten. „Was machst du da? Das stinkt ja widerlich!“ fragte Robert leise. Der Stallknecht beobachtete mit großen Augen, den Hexer. „Nekrophagen sind an giftige Gase gewöhnt. Doch selbst die widerlichsten Ghule und Graveir sind den giftigen Wunden nicht gewachsen, die eine mit Nekrophagenöl bedeckte Klinge schlägt, so habe ich es von meinem Meister Valerian gelernt. Dieses Öl besteht im Wesentlichen aus Hundetalg und Pusteblumen, das klingt zwar nicht spektakulär, aber wird mir bei meinem Vorhaben gleich große Dienste leisten.“ erklärte Atheris ruhig. Sein Blick wanderte von der Klinge in seiner Hand zu den Ghulen. „Das Glück scheint mir hold zu sein, der Wind hat sich nicht gedreht, sie werden mich gegen den Wind erst spät wittern können.
Je näher ich an sie unbemerkt herankommen kann, desto leichter wird es für mich!“ fuhr der Hexer mit seinen Erklärungen fort. Er verstaute das Fläschen samt Leinentuch wieder in der Tasche, prüfte ob der Rest seiner Ausrüstung korrekt saß und erhob sich lautlos. „Se’ege na tuvean!“ flüsterte Atheris wie vor jedem seiner Kämpfe und schlich mit gezogener Klinge hinter dem Stein hervor. Wie eine Katze pirschte er sich durch den frisch gefallenen Schnee an seine Beute heran. Wenige Meter vor der Gruppe verharrte er für einen kurzen Moment, fokussierte sich auf den mittleren der drei Ghule und sprang mit dem Schwert über dem Kopf erhoben nach vorne. Die Silberklinge blitze in der Sonne, als sie aus der Kehle des ersten Monsters wieder zum Vorschein kam. Blut spritze auf den weißen Schnee und die Augen des Wesens erloschen noch während es verwundert auf die Klinge herabstarrte, die ihm das Ende bereitet hatte. Den eigenen Schwung nutzend zog Atheris sein Schwert aus dem erschlaffenden Körper um den Ghul zu seiner Rechten abzuwehren, der gerade mit einer seiner großen hässlichen Klauen nach seinem Bein griff. Wie ein heißes Messer durch Butter schnitt die scharfe Klinge durch das Fleisch und durchtrennte die Sehnen und Knochen des Unterarms, was mit einem qualvollen Heulen des Ghuls quittiert wurde. In einer flüssigen Bewegung ließ er die Klinge zur anderen Seite tanzen um dem letzten heranstürmenden Ungetüm entgegenzutreten. Atheris wich mit einem Ausfallschritt zur Seite aus und verpasste dem Ghul einen ‚en passant‘ Streich, welcher diesem die entblößte Flanke aufschlitzte. Der letzte verbliebene Gegner brüllte vor Wut, blieb aber auf Distanz. „Nou goed, lass es uns zu Ende bringen!“ schrie Atheris und sprang über eines der toten Wesen und stürmte mit erhobenen Schwert geradewegs auf den Ghul zu, welcher es ihm gleichtat. Kurz vor dem Zusammenprall wich der Hexer dem Angriff mit einer Hechtrolle aus und ließ den Ghul ins Leere stürzen. Atheris rollte sich schnell über die linke Schulter ab, drehte sich in der Hocke verbleibend halb herum und ließ die Klinge in einem weiten Bogen die Luft zerschneiden. Es war ein blinder Schlag, aber er traf das Monster noch am Hinterlauf und brachte es zu Fall. Langsam erhob sich der Hexer und ging in Richtung seines Opfers und gab dem sich am Boden wälzenden Wesen den Gnadenstoß.
„Warte noch hinter dem Stein Robert!“ rief Atheris in Richtung seines Begleiters. „Ich prüfe zuerst noch die Gruft!“ Nachdem er sich vergewissert hatte, dass kein weiterer Ghul in der Nähe lauerte, holte sich der Hexer jeweils die Köpfe seiner Beute und verstaute diese in einen großen Leinensack, den ihm Robert geholt hatte. Den Rest überließ er den natürlichen Aasfressern. Die Überreste von David brachten Robert und er in ein leeres Grab in der Gruft und verschloss dieses mit einem Steindeckel. Auf dem Rückweg zu den Pferden sprach der junge Robert: „Das sah ganz einfach aus, wie du mit den Monstern fertig geworden bist, sie hatten keine Chance gegen dich! Hätte ich schwerer erwartet.“ Atheris blickte auf den Jungen, der ihn freudig anstrahlte. „Das hängt von vielen Faktoren ab Robert.“ entgegnete Atheris freundlich und sprach weiter. „Ich wusste, welche Art von Wesen mich erwartete, ich kannte ihre Schwächen und war bestens vorbereitet. Mein Meister Valerian hat mir alles Hilfreiche über Ghule im theoretischen Unterricht beigebracht. Zudem hatte ich den Überraschungsmoment auf meiner Seite und letztlich gehört neben dem eigenen Können auch etwas Glück dazu.“ Der Hexer schmunzelte und fuhr mit seinen Erläuterungen zum Kampf fort, während der Junge ihm gefesselt lauschte. Einige Minuten später erreichten sie ihre Pferde und Atheris verstaute seine Ausrüstung in den Satteltaschen. „Ruhig Ker’zaer! Alles ist gut.“ besänftigte Atheris seinen großen Rappen, der vom Geruch der Trophäen nicht gerade begeistert schien. Anschließend stieg er in den Sattel und machte sich mit seinem Begleiter auf den Rückweg zum nahe gelegenen Dorf, um vom Bürgermeister das Geld für den Auftrag zu kassieren.
Drei Tage später:
Die Wintersonne war früh untergegangen und es zog ein kalter Wind durch die tief eingeschneiten Gassen des kleinen Dörfchens. In den Wohnhäusern war das Licht bereits erloschen und die Bewohner lagen in ihren warmen Betten und träumten vom kommenden Frühling. Lediglich in der Taverne zur ‚Goldenen Garbe‘, die direkt am Marktplatz lag, brannte noch Licht. Im Schankraum war nicht mehr viel los, ein wenig begnadeter Musikant zupfte an seiner Laute und versuchte sich eher schlecht als recht an ein paar Versen. In der Mitte der Schänke stand ein großer Tisch, an dem vier ältere Männer in ein Kartenspiel vertieft waren. Der Wirt und seine hübsche Schankmaid standen am Tresen und unterhielten sich gut gelaunt miteinander. Ein junges, wohl frisch verliebtes Pärchen saß eng umschlungen in der Ecke und vernachlässigten ihren bereits erkalteten Eintopf. Am Tisch neben den beiden saßen zwei junge Kerle, die es sich offenbar zur Aufgabe gemacht hatten, diesen Abend ihren Monatslohn zu versaufen. An der langen Tafel, die an der Stirnseite des Schankraumes stand und an der gut und gerne zehn Personen hätten Platz finden können, saß Atheris. Er hatte vor sich ein kleines Buch aufgeschlagen und füllte gemütlich dessen leere Seiten. Neben ihm stand noch der Rest von einem reichlichen Abendessen und ein Krug mit Rotwein. Bei einem Blick über seine Schultern konnte man die ersten Zeilen der Seite gut lesen: ‚Mein Name ist Atheris von Toussaint, ein Vatt’ghern der Greifenschule und dies ist meine Geschichte.‘ Atheris hatte sich schon länger vorgenommen seine Gedanken und Erinnerungen nieder zuschreiben und somit zu bewahren. Der Volksmund sagt nicht umsonst, dass noch nie ein Hexer alt und schwach in seinem eigenen Bett gestorben sei und Atheris fand die Vorstellung schön, dass eines Tages jemand das Buch in die Hände bekommen würde und für einen Moment die Erinnerung an einen Hexer mit dem Namen Atheris auf flackern würde. Natürlich war ihm bewusst, dass er weder ein bekannter Held noch ein sonderlich guter Hexer war, aber interessante Geschichten konnte er schon einige erzählen zum Beispiel über sein Leben als Vatt’ghern, über seine Zeit als Offizier im Dienste des Kaiserreichs Nilfgaard während der nördlichen Kriege oder über das Leben auf der Greifenhexerfestung Kaer Iwhaell mit all seinen Freunden. Der Gedanke an letztere ließ ihn unwillkürlich schmunzeln. Atheris blickte von seinem Buch auf und ließ den Blick durch den Schankraum schweifen und überlegte in welcher Form er erzählen sollte. „Eigentlich ist das doch irrelevant, ich bin kein Poet und letztlich kommt es auf die Geschichte an, die ich erzählen möchte“ sprach er mit sich selbst. Er nahm einen tiefen Schluck aus seinem Weinbecher und überlegte kurz, ob man dieses Getränk überhaupt Wein nennen durfte, denn mit den sehr guten Tropfen aus seiner Heimat Toussaint hatte dieser Fusel wirklich nichts gemein. Eigentlich war er schon viel zulange nicht mehr in seiner Heimat gewesen, mit den wunderschönen Weinbergen, dem milden Klima und den schönen Straßen der Hauptstadt Beauclair! Aber seit er aus der kaiserlichen Armee ausgetreten war und sich den Greifenhexern um Großmeister Valerian angeschlossen hatte, war einfach zu viel passiert und der Weg von Solonia nach Nilfgaard war ohne die Verwendung von Portalen nicht gerade der kürzeste. Atheris setzte wieder die Feder an und fuhr fort: ‚Soweit ich weiss bin ich der uneheliche Sohn des Grafen Ramon du Lac aus Toussaint, der aus einer Liebelei mit einer seiner Zofen hervorgegangen ist. Dies muss im Sommer 1220 gewesen sein, Genaueres habe ich nie herausfinden können.‘ Er schaute auf und blickte seine Hand an: wie 58 Jahre sah sie nicht aus, das musste an den Mutationen der Hexer liegen. Valerian hatte ihm einmal erklärt, dass der Metabolismus dadurch deutlich verlangsamt würde und der Alterungsprozess sich verzögerte. Wie alt dann wohl sein Meister sein musste? Der alte Mann war in einer körperlich sehr guten Verfassung nur beim Pissen über die Burgmauer hörte man ab und an die Beschwerden des Alters. ‚Als Bastard war ich am Hofe des Grafen politisch nicht gewünscht und ich wurde in sehr jungen Jahren zu den Vatt’ghern der Vipernschule gegeben.‘ Atheris nahm erneut einen Schluck aus dem Kelch, war es überhaupt von Belang, wo er herkam, wer seine Eltern waren und wie er aus dem elterlichen Haus gerissen wurde? Was wäre aus ihm geworden, wenn er am Hofe aufgewachsen wäre? Während er noch überlegte, flog auf einmal die Tür der Taverne auf und der junge Stallknecht Robert kam kreidebleich hineingestürmt und blickte sich in der Taverne um. Seine Augen fanden den ihm bekannten Hexer und er eilte zu ihm an den Tisch. „Atheris!“ keuchte er völlig außer Atem, „wir benötigen dringend deine Dienste!“ Atheris schob ihm den Weinkelch über den Tisch zu „Trink erst mal einen Schluck und dann erkläre mir in Ruhe, was ich für dich machen kann.“ Robert schob den Kelch dankend zur Seite „Wir haben keine Zeit dafür! Er hat das Baby meiner Schwester mitgenommen und hat das Dorf bereits verlassen!“ „Wer hat das Baby mitgenommen und warum?“ fragte Atheris überrascht. „Ein Kobolt war es! Erik, der Mann meiner Schwester, und sie selbst sind schon mit einigen anderen Knechten losgezogen, um die Verfolgung aufzunehmen! Ich bitte dich, beeile dich, helfe ihnen, du bist doch ein Hexer, du hast uns doch auch mit den Ghulen geholfen, verdammt, unternimm etwas! Sitze hier nicht einfach rum!“ kreischte Robert voller Panik. „In Ordnung, lass uns losziehen!“ mit diesen Worten erhob sich Atheris von der Bank, griff hinter sich und holte seinen Brustgurt mit den beiden Schwertern hervor, warf sie sich diese über die Schulter und eilte zur Tür. „Erzähle mir mehr, warum sollte ein Kobolt das Kind entführen, kennst du ihn etwa?“ fragte Atheris, während sie durch den tiefen Schnee liefen. „Er war des Öfteren zu Gast bei unserem Hof, ich weiß nicht genau, was er wollte oder um was es ging! Aber er war vorhin da und auf einmal gab es Schreie und als ich die die Stube kam, waren der Kobolt und das Baby weg und meine Schwester kniete heulend am Boden!“ antwortete Robert, der sichtlich Probleme hatte, mit dem Hexer Schritt zu halten. „In welche Richtung sind der Kobolt und die Verfolger gezogen?“ fragte Atheris und blickte sich suchend um. „Richtung Norden zum alten Wald, direkt hinter den Äckern! Es ist erst wenige Augenblicke her, sie können nicht viel Vorsprung haben!“ entgegnete der Stallknecht. „Hör mir zu Robert, du willst sicher deiner Schwester helfen, es ist aber wichtig, dass du zum Bürgermeister gehst und ihn bittest, die anderen Dörfler zusammenzutrommeln!“ entgegnete Atheris und zog seinen braunen Mantel enger um den Hals, es war bitter kalt und die Zeit drängte: bei der Kälte würde für das Baby nicht lange durchhalten, falls es der Kobolt böse mit ihm meinte. Atheris folgte der Dorfstraße Richtung Norden und schon bald fand er die Spuren der Verfolgten im tiefen Schnee und machte sich daran, sie einzuholen. Der Schnee peitschte ihm inzwischen schmerzhaft ins Gesicht und er verfluchte sich selbst zum wiederholten Male, dass er sich nicht noch mehr warme Sachen übergezogen hatte. In der kaiserlichen Armee sagte man immer, es gibt kein schlechtes Wetter, sondern nur die falsche Kleidung! Nach einiger Zeit erreichte er den beschriebenen Waldrand. „Die Spuren der Verfolger trennen sich hier, sie haben sich in Dreiergruppen aufgeteilt, offensichtlich haben sie die Spur des Kobolten hier verloren.“ sprach Atheris seine Gedanken laut aus. Er selber hatte bisher keine Spur eines Kobolten erkennen können. Bis hierhin hatte er nur Spuren der Verfolger gefunden. „Es müssten vermutlich kleinere Fußabdrücke zu sehen sein oder hatte der Kobolt etwa große Füße?“ dachte Atheris. „Um was für eine Art von Kobolt handelt es sich überhaupt? Kann er Magie wirken und somit seine Spuren verwischen! Verdammt, ich wünschte Valerian oder Raaga wären hier“. Raaga war einer der besten Fährtenleser, die Atheris jemals kennen lernen durfte und Großmeister Valerian würde in so einer Situation sicherlich durch seine Erfahrung wissen, was zu tun war. Atheris hatte im Vergleich zu den beiden einen Großteil seines Lebens in der kaiserlichen Armee gedient und war zwar ein gut ausgebildeter Soldat und oft auch hinter den feindlichen Linien als Aufklärer aktiv, aber für diese Art von Auftrag war er einfach der falsche Hexer am richtigen Ort. Letztlich entschied er sich einfach, die Richtung einzuschlagen, die bisher noch keiner der Verfolger genommen hatte. Selbst wenn es nicht richtig war, so konnte er zumindest den Suchradius erhöhen und einen weiteren Teil des Waldes absuchen. Der alte Wald mit seinen großen Bäumen wirkte in der winterlichen Dunkelheit schön und mystisch. Es war eine jener Gegenden, wo der menschliche Verstand einem allerlei Monster und Dämonen suggerieren konnte. Immer wieder verharrte Atheris und schaute sich um und versuchte, etwas Verdächtiges wahrzunehmen, aber da war einfach nichts. Etwa eine halbe Stunde später überlegte er sich, ob diese planlose Suche noch Sinn ergeben würde. Der Wald war sicherlich riesig und er könnte hier Tage lang durch die Gegend irren und nichts finden. Nicht einmal die anderen Dörfler, die auf der Suche waren konnte er noch wahrnehmen. Der Wald schluckte fast alle Geräusche. „Verdammt, es geht hier um ein kleines Baby, ein unschuldiges Leben! Mach was! Aufgeben ist keine Option! Denk nach!“ versuchte sich Atheris selbst zu motivieren und ging weiter. Als seine Verzweiflung immer größer wurde, fing auf einmal sein Hexermedaillon an, leicht zu vibrieren. Auch wenn er sich nicht sicher sein konnte, dass es was mit den Kobolt zu tun hatte, war es zumindest mal ein Zeichen, dass irgendetwas oder irgendjemand in der Nähe sein musste, das magischer Natur war. So schnell es ihm möglich war, nahm er die magische Fährte auf und rannte wie von Sinnen durch das Unterholz. Er sprintete eine längere Strecke als er vermutet hatte, demnach musste die Quelle der Magie relativ groß sein, sonst hätte das Medaillon nicht in so einer großen Entfernung angeschlagen. Schließlich gelangte Atheris an den Rand einer kleinen Lichtung, in deren Mitte tatsächlich ein kleines Männchen mit dem Rücken zu ihm stand. Vor dem Wesen in ein Tuch gewickelt lag das Baby auf etwas, das aussah wie ein großer Pilz. Um die beiden herum erkannte Atheris einen aus Steinen gebildeten Ring. Einer der Steine schien noch nicht lange an seinem Platz zu liegen, er war der einzige, der noch keine dicke Schneehaube trug. „Ist das etwa eine Art Portal?“ dachte sich Atheris. Er hatte vor einigen Wochen mit der Magierin Nella, einer Freundin Valerians, einmal über solche Steinportale gesprochen. Nella hatte ihn gewarnt, dass mit jedweder Art von Portalen nicht zu spaßen sei und man als nicht ausgebildeter Magier tunlichst die Finger von so was lassen sollte, aber er sah auf die Schnelle keine andere Lösung. Atheris trat auf die Lichtung, bückte sich beim Betreten des Kreises nach dem nicht schneebedeckten Stein und nahm diesen in die Hand. Das kleine Männlein drehte sich augenblicklich zu ihm um. Seine Fratze war angsterregend. Die zwei kleinen gelben Augen starrten Atheris aus einem voller Narben, Warzen und Falten verunstaltetem Gesicht entgegen, seine Nase war lang und sah aus wie die eines Boxers. Es trug einen langen Bart und grüne verdreckte Kleider. An der Hüfte des Kobolten konnte er ein kleines Messer erkennen. Die spitzen Zähne in seinem Mund kamen zum Vorschein, als es beim Anblick des Hexers anfing zu grinsen. „Was sehen meine alten müden Augen hier, ein Vatt’ghern, der auszog ein kleines Baby vor dem Bösen Monster zur retten, wie heroisch!“ sprach das Männchen zu Atheris. „und nun? Wirst du deine Silberklinge ziehen und mir das Baby mit Gewalt entreißen? Hast du auch das richtige Waffen-Öl aufgetragen?“ sprach der Kobolt mit einer für seine Größe sehr tiefen Stimme weiter. Atheris beobachtete die Bewegungen des Wesens weiter, nicht sicher, was er zu erwarten hatte. Er antwortete schließlich: „Es kommt auf dich an, wenn du mir das Baby aushändigst, habe ich kein weiteres Problem mit dir! Wie sieht es aus?“ Das Wesen antwortete ohne zu zögern: „Lass es mich erklären Hexer, es ist im Grunde ganz einfach! Ich habe mit der Bäuerin einen Vertrag. Ich habe ihr in einer Notsituation geholfen und sie hat mir ihr Erstgeborenes versprochen. Es ist also ähnlich wie bei euch Vatt’ghern die Kinder der Vorsehung.“ er machte eine kurze Pause und musterte den Hexer, bevor er fortfuhr: „Da mir die Bäuerin und ihr Ehemann das Kind aber nicht freiwillig geben wollten, trotz meiner höflichen Erinnerung und mit dem Verweis auf den Vertrag, habe ich mir das Kind letztlich selber geholt und ich möchte anmerken, ohne jemanden dabei zu verletzen.“ Wieder machte es eine kurze Pause, „Willst du mir also mein Anrecht auf das Kind streitig machen oder gestehst du ein, dass deine Auftraggeber im Unrecht sind? Es liegt also in diesem Fall bei dir Hexer, wie die Sache hier weitergeht!“ Das Wesen schwieg und wartete offensichtlich auf eine Antwort. Atheris überlegte einen Moment, der Kobolt hatte grundsätzlich nicht ganz unrecht, die Vatt’ghern hatten tatsächlich auch mit den Kindern der Vorsehung eine Art Entlohnung, die dazu führte, dass Kinder von ihren Eltern getrennt wurden. Atheris selber erging es ja in seiner Kindheit nicht anders, wobei in seinem Falle von einem liebenden Vater nicht dir Rede sein konnte und von seiner Mutter wusste er einfach zu wenig. „Ich kann deine Punkte verstehen!“ erwiderte Atheris nach einer kurzen Zeit. „Aber es ist moralisch nicht vertretbar, kleine Kinder von ihren Eltern zu trennen. Auch wenn wir Vatt’ghern es mit den Kindern der Vorsehung ebenso handhaben, rechtfertigt dies nicht deine Handlung. Ich persönlich und viele Vatt’ghern, die ich kennen gelernt habe, lehnen diese Praxis ab. Sie ist ein Relikt aus längst vergangenen, finsteren Tagen und hatte damals wie heute keine Daseinsberechtigung. Ich bin hier aber nicht derjenige, der für die Einhaltung von Gesetz und Ordnung verantwortlich ist, mir geht es hier und jetzt nur um das Wohlergehen des Babys und deswegen fordere ich dich auf, es mir zu übergeben und friedlich deines Weges zu ziehen.“ Atheris war sich nicht sicher, wie der Kobolt reagieren würde, machte sich aber auf alles gefasst. „Es tut mir leid, dass du es so siehst, aber ich werde nicht auf meinen Lohn verzichten!“ entgegnete das Wesen und seine Mine verfinsterte sich noch einmal, was Atheris gar nicht für möglich gehalten hatte. „Kann ich dich nicht mit etwas Anderem entschädigen? Wir können uns doch sicher auf ein faires Geschäft einigen!“ versuchte Atheris eine friedliche Lösung zu finden. „Man sagt euch Hexern nach, dass eure Lenden genauso vertrocknet sind wie die heißesten Wüsten und dass von dort kein Leben entspringt. Da ich jedoch für meine Vorhaben Kinder benötige, gibt es somit nichts, was du mir bieten kannst!“ lehnte der Kobolt kopfschüttelnd ab. „So sage mir, was hast du mit den Kindern vor?“ warf Atheris ein. „Das geht dich nichts an Hexer, es ist gleich ob ich Heroen ausbilden möchte, sie teuer verkaufe oder sonst etwas mit ihnen mache, es sind meine und damit muss ich mich nicht rechtfertigen und schon gar nicht gegenüber einem Rumstreuner wie dir!“ antwortete das Wesen scharf. „Wie kam es denn zu dem Vertrag mit der Bäuerin?“ versuchte Atheris die Lage zu entspannen. „Der Großgrundbesitzer, dem das Land gehört, welches die Bäuerin gepachtet hat, hatte gehört, dass sie aus Stroh Gold spinnen könne und da der Ehemann ihm noch einiges an Pacht schuldete, hat er sie gefangen genommen, damit sie ihm einen Strohballen in Gold umspinnt, ansonsten hätte er ihrem Mann seine Schläger auf den Hals gehetzt. Da sie allerdings keinerlei besonderes Talent hatte, habe ich ihr den Handel angeboten und meinen Teil der Abmachung auch eingehalten, wo wir wieder bei dem Baby und somit meinem Lohn wären.“ erzählte der Kobolt. „Warum um alles in der Welt sollte der Großgrundbesitzer glauben, dass die Bäuerin so etwas tun kann, ich bin kein Magier, aber Stroh in Gold zu transformieren habe ich bisher noch nicht gesehen. Die Bäuerin wäre zudem in der Lage, ihren eigenen Hof zu kaufen, wenn sie über so eine Fähigkeit verfügen würde, das ist doch kaum zu glauben!“ erwiderte Atheris. Der Kobolt setzte ein breites Lächeln auf: „Ihm werden schon die richtigen Beweise zugespielt worden sein!“ kicherte er. „Dir ist schon klar, dass die Geschichte meine Entscheidung, dir das Kind nicht zu überlassen, untermauert oder?“ erwiderte Atheris in einem schärferen Unterton. „Na wenn schon, du hast doch deine Entscheidung schon längst gefällt! Schon beim ersten Anblick deiner Fresse wusste ich, dass diese Nacht für dich nicht gut ausgehen wird. Ich wollte nur sehen, ob du wirklich so bescheuert bist, den Versuch zu starten, mir meine Beute zu entreißen!“ Mit diesen Worten zog das kleine Wesen blank. Atheris löste langsam sein Silberschwert vom Rücken, hielt es samt Scheide waagrecht vor sich und zog ebenfalls blank. Anschließend legte er die Schwertscheide ab, dehnte sich etwas und lockerte seine Muskeln. „Also lass uns beginnen!“ sagte Atheris und ging in seine seit Jahren gewohnte Ausgangsstellung mit dem Schwert erhoben über seinem Haupt. „Dann zeig mal was du kannst, ich habe gehört ihr Hexer seid schnell, wollen wir mal sehen wie schnell!“ mit diesen Worten schoss der Kobolt in einer unfassbaren Geschwindigkeit nach vorne. Es hagelte eine ganze Reihe von schnell ausgeführten Hieben und Stichen auf Atheris ein, nur mit Mühe konnte er das Wesen auf Distanz halten. Bisher war sein Freund Raziel der schnellste Schwertkämpfer gewesen, dem Atheris bisher begegnet war, aber dieses kleine Monster hier war bedingt durch seine Körpergröße noch gewandter als er. Nach einem ersten Schlagabtausch ließ das Wesen ab und sprach breit grinsend: „Es war ein Fehler von dir, du bist schnell, das muss man dir lassen, aber du bist bei weitem nicht schnell genug und wie ich sehe, hast du dir weder einen magischen Schild aufgebaut noch irgendeines eurer magischen Zeichen gewirkt, was ist los Hexer? Erkennst du den Ernst der Lage nicht, in der du dich befindest?“ Es stimmt, Atheris war zwar in seiner Kindheit als Vatt’ghern ausgebildet worden und durch die Kräuterprobe mutiert, aber seine damalige Schule war untergegangen und er war als Kind in die Hände des Kaiserreichs Nilfgaards gefallen, die ihn zwar hervorragend im Kampf ausgebildet hatten, aber eben nicht als Hexer. Erst Großmeister Valerian, dem er vor drei Jahren das erste Mal begegnet war, hatte ihn als Schüler aufgenommen und seine Ausbildung übernommen. Er war bei weitem nicht begabt genug, in einer Kampfsituation ein Zeichen wirken zu können. „Ach komm schon du kleiner Mann! Für so was wie dich benötige ich doch keine Magie, mit dir werde ich auch so fertig!“ brachte Atheris ruhig hervor. Beim nächsten Angriff sprang der Wicht kräftig ab und griff Atheris auf Augenhöhe an. Widernatürlich lang dauerte der Sprung und der letzte Stich des Angreifers durchstieß Atheris `s Deckung und die kleine scharfe Waffe drang tief in seine linke Seite ein. Atheris stöhnte auf. Der Kobolt stand wieder vor ihm und leckte das frische Blut von seiner Klinge. „Nicht schlecht mein lieber, nicht schlecht! Und damit meine ich nicht dein Können mit dem überdimensionierten Zahnstocher, sondern dein Blut. Es ist stark, schmeckt zwar wie bei Menschen üblich nach Eisen, aber durch aus zu gebrauchen!“ freute sich das Wesen und ging wieder in den Angriff über. Diesmal umkreiste der Kobolt Atheris und führte einige Scheinangriffe aus. „Beinarbeit…in Bewegung bleiben, lass dich nicht stellen! Halte ihn auf Distanz und setzte die Finten ein, die ich dir beigebracht habe!“ Valerians Worte, die er immer in den Übungskämpfen mit Raziel gebetsmühlenartig wiederholt hatte, schossen Atheris durch den Kopf. „Wenn er dir zu schnell ist, dann versuch ihn aus den Takt zu bringen! Setze die Zeichen sinnvoll ein, Aard kann deinen Gegner aus dem Gleichgewicht bringen, Blendbomben können dir für kurze Zeit einen Vorteil verschaffen und denk an deine Waffenöle, wenn der Gegner schnell ist, dann lähme ihn einfach! Mach es nicht so kompliziert! Nutze das Gelände zu deinem Vorteil!“ Ging die Predigt weiter. Atheris hatte leider keine Blendbomben am Mann, und um ein Waffenöl aufzutragen, war in Anbetracht der Lage auch keine Lösung, aber das Gelände nutzen, dass konnte funktionieren! Atheris spähte nach einer Möglichkeit, die ihm helfen konnte und tatsächlich kam ihm eine Idee. Er ließ sich von dem Wesen zurückdrängen bis er in einer größeren Mulde war, hier lag der Schnee deutlich höher und Atheris bemerkte sofort, dass der kleine Kobolt mit seinen kurzen Beinen mehr Schwierigkeiten hatte, seine Schnelligkeit auszuspielen. Einige leichte Treffer konnte er inzwischen auch verbuchen, aber die schienen seinen Gegner nicht zu beeinträchtigen. Atheris sammelte in seinem Inneren seine magische Energie und formte das Zeichen Aard. Er wirkte das Zeichen nicht direkt auf das Wesen, denn dafür war er viel zu schlecht, sondern er zielte mit dem Windstoß vor das kleine Männchen auf den Boden und blies ihm damit eine ordentliche Schneewehe mitten ins Gesicht. Den kleinen Augenblick, der sich bot nutze Atheris, machte einen großen Satz nach vorne und rammte mit aller Kraft sein Silberschwert in den Leib der Kreatur. Das grünliche Blut spritzte auf den weißen Schnee, und mit großen Augen starrte der Kobolt auf das Schwert, dass bis zum Parier in seinem Brustkorb steckte. Wie von einem Hammerschlag wurde Atheris von der kleinen Faust des Wesens getroffen und durch die Luft gewirbelt. Beim Aufschlag presste es ihm die Luft aus den Lungen und er sah nur noch verschwommen. Der Kobolt kam auf ihn zu, zog mit einem hasserfüllten Lachen das Schwert aus seinem Leib und warf es von sich in den Schnee. Atheris versuchte auf die Beine zu kommen, aber diese gehorchten ihn nicht mehr. Das Wesen näherte sich und sagte: „Ich habe dich unterschätzt, aber jetzt ist es mit dir vorbei, bereite dich auf dein Ende vor!“ Atheris tastete nach seinen Dolchen, die er immer am Oberschenkel trug und zog beide. Er hatte kaum noch Gefühl in den Händen, irgendwas muss beim Aufprall kaputtgegangen sein. Das kleine Männchen zögerte nicht und sprang ihn an. Mit seinen Händen, die es wie Klauen einsetzte, versuchte es Atheris das Herz herauszureißen und gleichzeitig ihm mit seinen Zähnen die Kehle zu zerfetzen. Einen Dolch hatte das Männchen ihm schon bei der ersten Attacke aus der Hand geschlagen, mit der zweiten stach er verzweifelt auf das Männchen ein, das aber die Wunden komplett zu ignorieren schien. „Verdammt, warum stirbst du nicht!“ schrie Atheris unter großen Schmerzen, er merkte wie seine Rippen brachen und der Kobolt den Brustkorb gewaltsam öffnete. Vollkommen verzweifelt und dem Ende nahe, griff Atheris nach der Sonne Nilfgaards, die er immer noch als Zeichen an seiner Jacke trug. Obwohl diese golden glänzte war sie doch vor allem aus Eisen gefertigt worden. Mit letzter Kraft wirkte er das Zeichen Igni und erhitze das Metall in seiner Hand. Dieses fing sofort an zu glühen und verbrannte Atheris die Handflächen. Wild schlug er mit den rotglühenden Sonnenstrahlen auf den Kopf und besonders auf die Augen des Kobolts ein. Immer mehr Energie legte Atheris in das Zeichen und das Metall fing an zu schmelzen. Aber es zeigte Wirkung, der Kobolt schrie vor Schmerzen und versuchte sich von Atheris zu lösen, dieser umklammerte ihn aber mit seinem freien Arm und zog ihn eng an sich. „Gloir aen Ard Feainn!“ schrie Atheris und mit einem letzten Schlag drang Atheris in das schreiende Maul des Wesens ein und dort ließ er das schmelzende Metall endlich los. Der Kobolt zuckte wild bevor er in sich zusammensackte und nur noch ein Röcheln von sich gab. Atheris stieß ihn von sich. „A d’yeabl aép arse, lieber lasse ich mir bei lebendigen Leib das Herz rausreißen, als meinen Eid nicht zu erfüllen!“ hauchte Atheris. Langsam kroch er auf das nur noch zuckende kleine Männlein zu, neben diesem lag im Schnee versunken sein Silberschwert, er nahm es in die unverletzte Hand und trennte mit vier Hieben das Haupt des Wesens von seinem Körper. Mit letzter Kraft krabbelte Atheris zurück zu dem Baby und umschloss es mit seinem Körper. „Ich schaffe es leider nicht mehr, dich in Sicherheit zu bringen, es tut mir unendlich leid!“ flüsterte Atheris ihm ins Ohr. Das Baby schien mit einem verspielten Lächeln zu antworten. Atheris schaute sich um, zog alle Tränke die er noch irgendwo am Körper fand raus und warf diese gegen einen Baum. Mit einem letzten Igni, das nicht mehr als ein Fünkchen Hoffnung war, setzte er alles in Brand und kauerte sich um das Baby zusammen. Die Hitze in seinem Rücken tat gut und nach einer kurzen Weile verlor er das Bewusstsein. Die Schatten, die sich schnell der Lichtung näherten, nahm er nicht mehr war.
Vier Tage später
Atheris öffnete die Augen und sah ein ihm alt bekanntes Gesicht. „Mei, was machst du hier in der Kronau?“ flüsterte Atheris, „wo ist das Baby?“ fuhr er fort. „Das, was ich immer mit dir mache, mein Guter, ich flicke dich wieder zusammen und du kannst dich beruhigen, dem Kind geht es den Umständen entsprechend gut und ist bei seiner Mutter!“ antwortete Mei lächelnd. In der Tat war es nicht das erste Mal, dass die Magierin Atheris retten musste und er war froh, sie zu sehen! „Wann können wir nachhause aufbrechen Mei?“ frage er. „In ein bis zwei Tagen teleportieren wir zurück nach Kaer Iwhaell, es ist einiges in Deiner Abwesenheit geschehen, aber jetzt ruhe dich erstmal weiter aus, diesmal war es verdammt knapp! Wäre ich auch nur drei Stunden später hier eingetroffen, hätte ich nichts mehr für dich tun können.“ antwortete sie und verließ das Zimmer. Atheris schloss wieder die Augen und schlief seelenruhig ein.
Reine Kopfsache
Reine Kopfsache
Metagame
Von Tobias Fels
Einige Tage vergingen, die Greifen waren bereits wieder von Ihrer Reise nach Amerion in Kaer Iwhaell eingekehrt und gingen ihrem Tagwerk nach. Lediglich Valerian fehlte, er brach direkt zu einer Expedition in ferne Lande auf.
Eines frühen Morgens allerdings kam der Meister in einen Wollmantel gehüllt die nebelverhangene Straße zur Burg hinauf. Raaga und Wim waren bereits wach und spalteten Holz im Burghof, der Vorrat für den nahenden Winter musste aufgefüllt werden. Wim kam kaum hinterher die Holzscheite bereit zu stellen, Raaga spaltete diese mit einer rasenden Geschwindigkeit und Präzision. „Verflucht, Raaga! Ich hätte dir nie die Axt in die Hand drücken dürfen!“ Fluchte der verschwitze Wim keuchend vor sich hin. Raaga hingegen schien entspannt, man merkte ihm die Anstrengung nicht an. Als ob er in Trance wäre schwang er die Axt im Rhythmus und spaltete die Holzklötze einen nach dem anderen. Kein Tropfen Schweiß war zu sehen, Wim hingegen war kurz vor der totalen Erschöpfung und keuchte immer mehr. Schmunzelnd schaute der vermummte Valerian dem Treiben vom Burgtor aus zu. Als er den ersten Fuß durch das Tor setzt knarzte der Kies unter seinen Füßen. Sofort wachte Raaga aus seiner Trance auf, in einer schwungvoll, fast tänzelten Bewegung griff er nach einer Wurfaxt an einer Hüfte, aus einer Drehung heraus schleuderte er diese in die Richtung, aus der das knarzen kam. Valerian drehte seinen Oberkörper gekonnt zur Seite, ohne überhaupt in die Richtung der herannahenden Axt zu schauen. Als diese ihn passierte, drehte er sich gänzlich mit und griff schnell nach dem rotierenden Projektil. Mit der Axt in der Hand stand er nun da, etwas entrüstet. „Raaga…. Erst Fragen dann werfen! Stell dir vor ich wäre ein Lieferant von Ludwig gewesen!“ Raaga, der bereit eine Kampfposition eingenommen hatte, entspannte seine Muskeln, Wim lag da, keuchend und nach Luft japsend. „wa… waa… was ist los?“ fragte er als er den Kopf hob und auf Raaga blickte. Dieser trieb die Axt in den Hackklotz, stieß ein tiefes Grunzen aus und ging langsam auf Valerian zu. Er schloss den alten Mann in die Arme „Schön dich zu sehen!“ Wim im Hintergrund hob lediglich die Hand und praktizierte etwas, was man mit viel Wohlwollen als Winken hätte identifizieren können.
Schnell machte Raaga sich daran Valerian über den momentanen Stand zu informieren: „Es ist viel passiert in der letzten Zeit, der Troll hat den Holzfällern ein Fass Bier gestohlen, sie verlangen Wiedergutmachung und weigern sich solange mehr Holz zu liefern. Mei kommt nur sehr selten aus ihrem Turm heraus, oft blutverschmiert, weil sie eine Taube gerissen hat. Der Faun beschwert sich laufend darüber, dass der Troll die ganzen Blumen zertrampelt. Logan hat sich beim Training die Hand gestaucht, Atheris jagt ein paar Ghule in der Kronau. Wim verhält sich glücklicherweise unauffällig, aber der Kerl macht schneller schlapp als ein Freier in der Passiflora. Vertigo weigert sich etwas zu essen oder zu trinken bevor es nach Gift untersucht wurde. Nella klagt seit Tagen über lähmende Kopfschmerzen, die sie fast in den Wahnsinn treiben. Ludwig hat einige Lieferungen mit Nahrungsmitteln einlagern lassen. Heskor ist laufend unterwegs, wer weiß was der schon wieder treibt. Ach, und ein Haufen Briefe liegen in deinem Studierzimmer, neue Steckbriefe und Aufträge sind auch dabei.“
Valerian nickte kurz und ließ Raaga und den erschöpften Wim im Burghof stehen. Er betrat die Taverne, warf seinen Mantel auf einen der Stühle. Kurz musterte er das Chaos der letzten Nacht. Die Luft war erfüllt von dem Geruch von Met und Braten. Heskor, ein paar Holzfäller und Bauern, sowie ein paar Mitarbeiter von Ludwig lagen teils auf und teils unter den Tischen. Der Hexer durchquerte leise den Schankraum, schritt das Treppenhaus hinauf und ging den Gang nach rechts zu seinem Studierzimmer. Von links hörte er Vertigo und Logan sich lautstark unterhalten, durch die offenen Fenster begannen die ersten Vögel ihr zwitschern. Mit einem zufriedenen Lächeln griff er nach der Türklinke. „Zuhause…“ Dachte er verträumt und drückte die Klinke nach unten. Knarrend öffnete sich die schwere Holztür und er trat in sein Reich. Es roch nach Tinte und verkohlten Ingredienzien seines Alchemielabors, auch den Geruch der alten Pergamente konnte der Hexer wahrnehmen. In dem Moment, als sein zweiter Fuß den Raum betrat und die Tür in ihr Schloss fiel, bemerkte der Hexer mit seinen übernatürlichen Sinnen, ein ganz feines magisches Surren. Die vorher vernommenen Stimmen Vertigos und Logans waren verstummt, kein Zwitschern der Vögel war mehr zu vernehmen und die vielfältigen zuvor aufgenommenen Gerüche waren ebenfalls nicht mehr zu erschnüffeln. Misstrauisch musterte Valerian jede Ecke, während seine Hand langsam in Richtung seiner Schwerter auf dem Rücken glitt. Schritt für Schritt ging er tiefer in den Raum hinein…
An dem Großen Tisch vorbei langsam lugte er um die Ecke und schaute in sein Studierzimmer auf den großen alten Eichenschreibtisch, dort saß eine Gestalt, die Gugel tief in das Gesicht gezogen, bekleidet mit einer einfachen dunkelgrauen Robe, seine Hand lag auf einem Zettel, die Schrift war ihm bekannt, es war Nellas Notiz, die sie vor kurzem anfertigte und den Inhalt des verschlüsselten Briefs enthielt, den Wim nach seiner langen Abwesenheit anschleppte. Der Hexer achtete auf jedes Detail, die Hand war übersät mit Narben, ebenfalls der Teil des Unterarms, den er erspähen konnte, keine Narben, die durch kämpfe entstanden sind, es waren Narben die man durch Selbstverstümmelung kannte. Dieser man muss sich oft ins eigene Fleisch geschnitten haben oder er wurde gefoltert. Es waren keine frischen Narben.
„Valerian, Draugr von Novigrad, Meister der Greifenschule…“ eine raue und dunkle Stimme sprach diese Worte langgezogen langsam und mit bedacht. „Lasst euer Schwert stecken, es wird euch hier nichts nützen!“ Während der Fremde diese Worte von sich gab hob er langsam die Hände, griff nach der Gugel und strich diese nach hinten. Valerian kam angespannt hinter der Ecke hervor und wollte gerade etwas sagen. „Wer ich bin? Mein Name lautet Veritas Sarpedon. Versucht nicht nach euren Gefährten zu rufen, euch wird keiner hören und eure Waffen sind nutzlos. Zu einem bin ich keine Gefahr für euch zum anderen befinden wir uns in einer Metaebene, ähnlich der Astralebene, niemand würde uns sehen oder hören.“ Valerian musterte das Gesicht des Fremden, es war ein älterer Mann mit langen braunen Haaren durchzogen von weißgrauen Strähnen. Die Augen waren übernatürlich rot, aber ein grauer Schleier überzog diese. „Wir müssen reden…. Dringend!“ Die leeren Augen des alten Mannes durchdrungen Valerian geradezu. „Ihr habt einen Mann unter euch der eine Gefahr für die zwölft Auen, gar ganz Solonia darstellt. Wim Delvoye, oder sollte ich besser das benennen das sich in ihm befindet? Isador Sajuré!“ Er tippte mit der linken Hand auf die Schriftstücke. „Ich nehme an ihr kennt bereits die Geschichte, was damals passiert ist? Jetzt wisst ihr auch was genau er getan hat…!“ Er hob den entschlüsselten Text in die Höhe. „Der Transhumane Psyingress…. Leider fehlt euch ein Stück dieses Puzzles, oder besser gesagt ihr besitzt ein mickriges Stück in einem Bild aus ein tausend teilen. Setz dich Hexer, lass uns dieses Puzzle vervollständigen.“ Valerian kam langsam näher, er analysierte die Lage, den Raum, mögliche Gefahren, dann ging er auf den großen Schreibtisch zu und setzte sich auf einen leeren Stuhl der Veritas gegenüber stand. „Ihr wisst also mehr über Wim als wir?“ Er blickte den Mann fragend an „Nein, über Wim weiß ich kaum etwas, aber über Isador weiß ich einiges!“ Die Miene des Fremden verfinsterte sich etwas als er den Namen aussprach „Diesen Teufel kenne ich nur zu gut und auch was passiert, wenn ihr nicht bald eingreift. Die Zeichen stehen schlecht! Ich warne euch eindringlich Wim darf nichts von diesem Gespräch erfahren, deswegen diese Metaebene. Er darf auch nichts von euren Vorbereitungen wissen! Isador sieht und hört alles was Wim hört und sieht! Wenn er erahnt wie nah ihr ihm kommt, wird er sich vorbereiten. Es ist schon eine Katastrophe das er weiß das ihr vom Psyingress wisst. Er hat sich euch gezeigt, nicht wahr? Er hat Angst auf den letzten Metern aufgehalten zu werden.“ Der Fremde richtete seinen Oberkörper auf und stütze seine Ellbogen auf den Tisch. „Ich muss einige Dinge vorbereiten. Ich werde wiederkommen, in der Nacht des blutigen Mondes müsst ihr bereit sein. Nur in dieser Nacht kann der transhumane Psyingress erfolgreich ausgeführt werden und das müsst ihr! Ihr müsst zu Isador hinein, bevor er heraus zu euch kommen kann. Es wird ALLES von euch abverlangen und allein werdet ihr nicht siegen Valerian. Weiht eure Vertrauten ein, aber warnt sie vor, ein mancher könnte nicht wiederkehren!“ Die Stimme des Fremden wird leiser und das Bild vor Valerians Augen verschwimmt. Mit einem Zischen zersprang die Szene, Valerian saß in seiner Stube, vor ihm Nella, ihre Haare wehten, als ob ein Windstoß sie ergriff. Dokumente flogen durch den Raum und Staub wirbelte auf. Die Magierin hielt sich die Schläfe und stöhnte vor Schmerzen, doch im selben Moment riss sie erschrocken die Augen auf und starrte fragend auf den plötzlich erscheinenden Hexer.
Konsequenzen
Konsequenzen
Metagame
von Earl
Im Westen hinter dem großen Turm ging gerade die herbstliche Sonne unter und tauchte das Land ringsum in ein erhabenes Gold. Der Redanier kam näher. Mit der einen Hand führte er sein erschöpftes Pferd am Zügel, mit der anderen, bandagierten Hand hielt er sich die Seite. Dahin trottend, ausgezehrt, müde und hungrig, schob er sich den roten Hut mit den Rabenfedern in den Nacken. Unter seinen beschlagenen Schuhen mit den Sporen knirschte der Sand und das Hufgeklapper hallte von der Ringmauer Kaer Iwhaells wider. Hieronymus passierte das offene Tor, aus dem großen Marstall drangen Lärm und Stimmengewirr. Abendbrotzeit. Er seufzte und wandte sich nach rechts zu den Stallungen.
Drinnen war es stickig und nur ein dünner Strahl schummrigen Lichts drang durch die kleine Öffnung unterhalb des Giebels. Hieronymus „Vertigo“ Katz vom Aschenberg band seinen Fuchs Philipp zum Absatteln kurz neben „Opa“ Valerians Falben an und als er fertig war humpelte er noch einmal mit einem Eimer nach draußen und füllte diesen im großen Trog. Als er wieder herein kam band er sein Pferd los und führte Philipp weg von Valerians Franziska, wobei er bemerkte, dass sich Philipp offenbar nur ungern von Franziska weg in den hinteren Teil der Scheune bringen ließ. Vertigo füllte Philipps Tränke auf, holte einen Arm frisches Heu und eine Hand voll Mohrrüben aus dem Vorrat und fütterte sein Pferd liebevoll. Als der Fuchs endlich fertig war, streichelte Hieronymus noch einmal den starken Hals und flüsterte: „Gut gemacht, Philipp.“ Dann ging er nach draußen und schloss das Tor.
Gerade als er sich umdrehte lief ihm Logan über den Weg. „Vertigo! Du hier? Du warst doch mindestens einen Monat weg. Sag mal, was ist denn mit dir los? Du siehst gelinde gesagt beschissen aus. Dein Auge, dein Bein? Was hast du mit der Hand gemacht?“Hieronymus blickte finster drein. „Ja, ich freu mich auch dich zu sehen. Später ja? Sag Valerian und den anderen Bescheid. Greifenrat! In seinem Studierzimmer. Aber lass ihn ruhig fertig essen.“ Ohne Logan eines weiteren Blickes zu würdigen verschwand der Redanier hinüber zum Treppenhaus.
Hieronymus war hinauf ins Zwischengeschoss gestiegen, hatte die Kette mit dem Schlüssel vom Hals genommen und die Eichentür zum Kontor geöffnet, anschließend hatte er sich eine Flasche des leuchtend orangenen ylosianischen Zwergenschnapses geschnappt, ein passendes Kristallglas dazu und sich auf den Weg zu Valerians Büro gemacht. Nicht ohne vorher in aller Gründlichkeit die Türe wieder zu verschließen.
In Valerians geräumigem Zimmer angekommen, ließ er sich in dem gepolsterten Scherenstuhl hinter dem mit Pergamenten und Papieren überfüllten eichenen Schreibtisch nieder. Ein Seufzer. Und dann ein lautes Plopp als er die Flasche des starken Alkohols entkorkte. Während er sich zwei Finger breit Schnaps eingoss blickte er sich im Raum um. Seit er hier zusammen mit Bertram Groll während der Belagerung durch Redanien das letzte Mal gesessen hatte, hatte sich der Raum kaum verändert. Auf dem Alchemietisch waren einige Kolben hinzu gekommen. Es standen ein paar neue Bücher im Regal (Zerbrochene Träume: Wenn sich das Schicksal wendet, Grausige Wesen der Tiefe, Wanderungen mit Werwölfen) und ein oder zwei hässliche neue Monstertrophäen standen auf der Kommode.
Während er so seinen Blick schweifen, die Gedanken kreisen und den ylosianischen Rachenputzer die Kehle hinunter rinnen lies, vernahm er plötzlich Schritte auf dem Gang. Er sprang auf, flitzte zum runden Ratstisch und ließ sich schnell auf einem der harten Holzstühle nieder. Keine Minute zu früh, denn schon flog die Tür krachend auf und nacheinander kamen Valerian, Raaga, Heskor, sowie Atheris, Wim und Nella herein. Das große Stühle rücken begann und als es endlich wieder still wurde fragte Valerian: „ Also? Du bist wieder da. Aber was soll dieser riesige Aufriss? Greifenrat? Wozu? Und wie siehst du überhaupt aus?“ Dies war eine überaus berechtigte Frage, denn tatsächlich war Vertigos äußeres Erscheinungsbild mehr als dürftig. Die Hose war dreckig, verkrustet und nur unzureichend geflickt worden. Der Verband an der linken Hand war seit einigen Tagen nicht gewechselt worden. Das Gesicht war zerschunden und mit Blutergüssen in allen Farben des Regenbogens übersäht. Und als Krönung des ganzen konnte man wohl die schlecht verheilte Wunde bezeichnen, die sich quer über sein linkes Auge zog. Dieses sah in der Tat sehr ungesund aus, hatte doch die Iris ein helles weiß, umschlossen von einem unregelmäßigen Ring Rubinrot angenommen. Der junge Redanier war wirklich in einem erbärmlichen Zustand. „Ja pass auf. Die Sache war die… Also ich sollte ja nach Bogenwald reisen. Einerseits um nach >>ihr<< zu sehen, andererseits…“, weiter kam er nicht, denn Raaga unterbrach ihn: „Welches >>Andererseits<<? Du solltest nach ihr sehen. Fertig. Sie einige Tage beobachten. Wie sie mit dem Befall fertig wird. Nichts andererseits. Oder irre ich mich da?“ Vertigo nahm einen großen Schluck vom Schnaps. „Also, als wir diesen Fisstechschieber hops genommen haben, haben wir ja auch Fisstech sicher gestellt. Gestreckt wie Sau. Mit Asche und so. Als dieser Drogenhändler abgeurteilt war, hat Nella ja den Rest dieses Teufelszeugs verbrannt. Aber…“ Valerian schlug sich vor die Stirn. „Oh Vertigo!“ „Nein, Nein. Nicht wie du denkst. Also. Ich habe eine kleine Phiole zurück behalten. Um es genauer zu analysieren und eventuell Rückschlüsse über die Herkunft zu erlangen. Nun, Anna hat es untersucht. Dieses Fisstech enthält Bestandteile, die in dieser Zusammensetzung hauptsächlich in Redanien verwendet werden.“
Da staunte sogar der nilfgaarder Hexer Atheris über so viel Scharfsinn und Vertigo erntete einige anerkennende Blicke. Heskor fragte neugierig: „Sag mal Vertigo. Könntest du mir das Fläschchen mit dem Rest vielleicht geben, dann würde ich es auch noch mal eingehend untersuchen. Vielleicht fällt mir ja noch irgendwas auf.“ Mit einem Mal wurde es sehr warm unter Vertigos Hut und er musste ihn abnehmen. Die anderen mussten seine Nervosität gespürt haben, denn nun hakte Nella nach: „Du hast es doch noch oder?“ „Nein, also wisst ihr da war dieser Hexer und ähm wisst ihr also…. Tja also… Scheiße. Nein. Ich hab es nicht mehr. Da war dieser Wolfshexer Balthar. Wir haben einen Abend zusammen im „Torkelnden Schurken“ gezecht. Es sind einige gute Liter Alkohol geflossen und Balthar zog sich eine Prise Nasentrost nach der anderen rein. Bis der Tabaksbeutel leer war. Und tja, es war eben schon etwas später und wie gesagt, der eine oder andere Kräuterwodka war schon in unseren Kehlen verschwunden. Und da dachte ich irgendwie es wäre eine gute Idee, ihm eine Nase von dem Fisstech zu gönnen. Nur eine Nase. Also bin ich durch die Bruchengasse rüber in die Messergasse zu meiner Herberge. Hab das Fläschchen raus gekramt und als ich ihm dann die Phiole im „Schurken“ gegeben habe, da hat er doch glatt das Fisstech unter unserer Zecherrunde, die übrigens beträchtlich war, verteilt und irgendwie kam das eine zum anderen und es wurde eine wilde Fisstechfeier.“, erlahmte Vertigos Stimme. Er lauschte auf das große Donnerwetter. Die Vorhaltungen, die Flüche. Doch es kam nichts. Irgendwann sagte Valerian langsam: „ Schade drum. Naja wenigstens wissen wir jetzt ein bisschen mehr. Und ihr hattet irgendwie ´nen guten Abend in der Taverne. Is ja auch was wert. Irgendwie.“
„Was ist jetzt aber mit deinem Auge und mit deinem Finger passiert?“, lies sich Wim vernehmen.„Das hier“, sagte Vertigo und hob die bandagierte linke Hand hoch und deutete mit der gesunden rechten auf sein zugeschwollenes Gesicht, „habe ich ihr zu verdanken. Naja, eigentlich ihm. War einer dieser Anfälle, die sich übrigens häufen. Sie hatte fünf Stück während ich dort war.“ „Wirklich?“, fragte Nella und blickte Vertigo tief in die ungleichen Augen. „Wirklich“, antwortete dieser. „Naja, der Zeigefinger ist mittlerweile taub, aber das kann Mei sicher schnell richten“, sagte Vertigo leicht hin. Atheris lächelte unangenehm. „Die ist zurzeit außer Haus. Nella kann dir den Finger aber sicher braten oder pulverisieren, wenn du das möchtest. Alternativ könnte ich ihn dir mit meinem Schwert abschnei…“ „Am Arsch die Räuber! Sicher nicht! Ich warte lieber, bis Mei wieder da ist, bevor ich dich mit deinem schlecht gewetzten Schlachtermesser da ran lass.“ Schnell unterbrach Raaga die beiden, denn er sah bereits einen ihrer üblichen Streits herauf ziehen. „Dein Auge? War das auch sie?“ Vertigo seufzte: „Nee du. In Bogenwald gab es ein Turnier. Allerdings wurde scharf gefochten und so eine unsäglich bescheuerte Magierin hat nichts Besseres zu tun, als sich ein Schwert zu nehmen, gegen mich anzutreten und mir mit einem unbeholfenen Streich das scheiß Auge aus dem Schädel zu puhlen! Kaum hatten es die Heiler wieder drin und mich schön unter Opiate gesetzt, kommt sie doch einfach her und versucht, unfassbar blöd wie sie eben ist, ungefragt obendrein, das Auge magisch zu heilen! Ist es denn zu fassen? Und dann legt sie nicht genug Kraft in den Spruch um die magische Barriere rund um Bogenwald zu brechen. Das Auge ist also fast heil. Nur seh‘ ich plötzlich alles rot.“ „Tust du das nicht eh?“, lies sich Atheris hören. „Ich seh also alles rot. Ich geh zu ihr hin und sag >>He du. Erst machst du mein Auge kaputt und dann ruinierst du auch noch das Werk der Heiler<<. Sie entschuldigt sich, versucht es also abermals und dieses Mal scheint es zu klappen. Und dann schau ich am nächsten Morgen beim hmm..hmm… >>Verlassen<< des Dorfes in den Spiegel und hab da plötzlich diesen magischen Unfall im Gesicht!“
Nella prustete los. „Ein Redanier wird von einer Magierin aufgeschlitzt, geheilt und dann schrecklich entstellt. Hast du dir das nicht bloß im Fisstechrausch zusammen fantasiert?“ Vertigo brauste auf: „Pass mal auf Nella. Ich hab zwei beschissene Wochen auf See hinter mir und drei noch beschissenere Tage auf Siofra! Ich hab mir das nicht ausgedacht! Ich bin wahrlich kein Befürworter von Novigrader Praktiken, aber für sie würd‘ ich ein kleines Feuer anzünden. Darauf kannst du Gift nehmen.“
„Vertigo. Beruhig dich.“, bellte Raaga. Augenblicklich herrschte Stille. „Danke Raaga. Gift nehmen. Womit wir wieder beim Thema wären. Haben wir irgendwelche neuen Spuren, seit dem Giftanschlag in Alkalsa gefunden? Abgesehen von dem redanischen Militärausweis und der Erkenntnis, dass es sich um Henkersgift handelte?“ Heskor räusperte sich: „Ich habe meine Kontakte spielen lassen. Die haben aber nichts besonderes heraus gefunden. In der Unterwelt Solonias hat es in den letzten 2 Jahren schon einige Veränderungen gegeben. Hauptsächlich Zwerge aus Ylos, die hier ins bandenmäßige Schmugglergeschäft eingestiegen sind und damit die kleineren Banden aus dem Spiel gedrängt haben. Es gab einige Gerüchte über einen besonders brutalen Trupp. Aber bestätigt sind die nicht. Entweder es war nur dummes Gerede oder die Kerle halten zurzeit die Füße still.“ Wim hustete in die Stille hinein. „Meine Kontakte zum königlichen Geheimdienst haben in dieser Richtung auch wenig ergeben. Von Amerion her soll eine neue Familie ins Spiel gekommen sein und sich irgendwo in den zwölf Auen nieder gelassen haben. Aber die verwischen ihre Spuren zu gut. Tut mir echt leid.“ Er zuckte mit den Schultern. „Hmm. Dann sollten wir weiterhin vorsichtig sein. Zu den verbliebenen vier Flüchtlingen wissen wir auch nichts Neues oder Vertigo?“ Valerian blickte aus seinen Katzenaugen hinüber zum Redanier. Dieser schüttelte den Kopf. „Die Spur verläuft sich im Umland von Weißenborn. Aber offenbar sind sie immer noch hier im westlichen Solonia. Ich frage mich, wieso sie nicht in die nördlichen Königreiche zurück gekehrt sind.“
Während Hieronymus seine Gedanken ausgeführt hatte, war Valerian aufgestanden und hinüber zum Fenster gegangen. Er blickte hinaus, über das weite Land der Schwertau, welches nun von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne in ein samtiges Rot getaucht wurde. Was ging tatsächlich dort draußen vor? Die ganze Situation kam ihm mit einem Mal sehr bedrohlich vor. Giftanschläge aus der Unterwelt, Geheimagenten des Feindes in Solonia und dann auch noch der zusehends außer Kontrolle geratende Elf. Er wandte sich um und schaute in sechs fragende Gesichter. Sie alle erwarteten offenbar eine Entscheidung. „Nun gut. Ich schlage vor wir halten nach wie vor, wie Heskor so schön sagte, die Füße still. Aber wir erhöhen die Vorsichtsmaßnahmen. Nachts eine zusätzliche Wache am Zugang zum Vorratskeller. Ich will keinen zweiten Anschlag riskieren. Stichprobenartige Prüfung der Vorräte bei jeder Lieferung. Und weil wir gerade davon reden. Hinrick aus Weißenborn macht Probleme. Er will neue Vertragsbedingungen für seine Lieferungen aushandeln. Raaga, Nella und Vertigo, ihr macht euch nächste Woche auf den Weg und kümmert euch darum. Vielleicht findet ihr ja doch noch etwas raus, bezüglich der Flüchtlinge. Ich schlage vor wir gehen jetzt alle in die Schänke und genießen den Rest des Abends. Alle außer Vertigo! Tut mir leid, aber du brauchst erst mal ein Bad.“
Eine kleine Reise ins Drachental
Eine kleine Reise ins Drachental
Metagame
Es war in einer dieser scheinbar unauffälligen Sommertage auf Kaer Iwhaell. Die Hexer waren, wie so oft unterwegs, entweder um Aufträge zu erfüllen oder die Lehrlinge in die Spur zu schicken. Auf der Burg war dennoch regsames Treiben. Der Dachstuhl musste nach der Belagerung erneuert werden und auch sonst fielen überall Kleinigkeiten an, die gemacht werden mussten. Dennoch war Nella irgendwie unruhig, als wüsste sie, dass irgendwas bevorsteht. Ob das Ereignis positiv oder negativ sein würde, wusste sie noch nicht. Daher beschloss sie sich vor dem Marstall eine Decke hin zu legen, um darauf zu meditieren und ab zu warten was kommt. Als plötzlich zu ihr in ihrem Geist eine sehr bekannte Stimme sprach: „Es wird Zeit, dass du die Heimat meines Sohnes kennen lernst. Ich habe ihn losgeschickt um dich hier ab zu holen. Bitte heiße ihn herzlich Willkommen.“ „Ich wollte schon immer wissen, wo Lennox herkommt. Ich habe ja schon einige Sachen von ihm erzählt bekommen. Ich bin bereit dafür!“, antwortete Nella der Stimme.
Im Burghof vor dem Marstall flammte eine manneshohe Flamme auf und daraus kam Lennox geschritten. Lennox, gekleidet in seinem leichten schwarz-roten Sommergewand und mit dem Stab seines Vaters in der Hand, tratt mit einer eleganten Verbeugung vor Nella und sagte: „ Hallo Meisterin. Schön, dass ihr mich begleiten werdet.“
„Die Zeit ist gekommen. Dann lass mich kurz noch meine Reisetasche mitnehmen und dann in deine Heimat aufbrechen ,mein Lehrling. Ich freue mich schon darauf, dein Land und Volk kennen zu lernen. Vielleicht kann ich auch mehr über eure Geschichte und Gottheit lernen und meine und deine Verbindung besser verstehen.“, sagte Nella zu ihrem Lehrling Lennox und ging in den Marstall der Burg Kear Iwhaell. Nach kurzer Zeit kam sie mit einem kleinen Beutel umgehängt und ihrem Magier Stab in der Hand zurück. Sie trug ihre Reisekleidung, bestehend aus einer roten Robe, einem Überwurf mit einer weiten Kapuze und ihrer weißen Gugel mit Fellbesatz am Rand. „So dann wollen wir mal. Ich vermute du leitest mir den Weg?“ Mit diesen Worten blickte sie auf Lennox und wartete gespannt auf seine Antwort. „Wobei mir noch einfällt… gibt es Bräuche oder Sitten, welche ich beachten sollte, damit ich niemanden unbeabsichtigt nicht die Ehre gebe, welche demjenigen gebührt?“
„Ja, du kannst mein Volk und Land kennen lernen und auch unsere Gottheit. Nein, es gibt nichts worauf du achten musst bezüglich der Sitten und Bräuche. Sei einfach du selbst, so wie immer. Sei freundlich und respektvoll, dann ist alles gut. Nun gut, dann wollen wir einmal aufbrechen. Du hast dich von den Hexern verabschiedet?“, fragte Lennox. „Die Hexer werden es wohl auch ein paar Tage ohne mich auf der Burg schaffen.“, sagte Nella. Die zwei laufen Richtung Burgtor und gehen ins Dorf hinunter. „Nun, den ganzen Weg zu Fuß zu gehen ist mir zu doof. Wir würden zu lange brauchen. Ich habe da etwas vorbereitet.“, meinte Lennox. Nach ein paar Minuten laufen, erreichten die beiden den Friedhof des Dorfes. Auf dem freien Feld
davor, lag ein großes graues Tier, mit vier säulenartigen Beinen und einer Art Unterstand auf dem Rücken, welcher mit vielen Gürten um den Bauch des Tieres geschnallt war. „Das ist Bo. Er ist ein Elefant. Auf seinem Rücken ist das Reisen deutlich angenehmer.“, sagte Lennox mit einem Lachen im Gesicht. Vor den beiden lag ein großer, prachtvoller Elefantenbulle mit großen Stoßzähnen.
Mit großen Augen schaute sich Nella dieses prachtvolle Tier an. „So ein großes Pferd, oder was auch immer er ist, habe ich noch nie gesehen!“, staunte sie nicht schlecht. „Sind diese Tiere bei euch weit verbreitet? In meiner alten Heimat gab es ähnlich große graue Tiere. Diese lebten aber im Wasser und waren nur selten zu sehen… und diese besaßen auch längst nicht so lange Zähne.“ Mit diesen Worten begutachtete sie das Tier genauer und fragte sich wie man, als nicht magisch begabtes Wesen, auf diesen Unterstand hinauf kommen sollte.
„Wie gut, dass ich nur das leichte Gepäck dabei habe und nicht alle meine Magier Komponenten mit schleppe. Wobei dieses Tier bestimmt einiges tragen kann.“, mutmaßte sie und blickte gespannt auf Lennox. „Und wie lange werden wir reisen? Ich habe eigentlich keine genaue Ahnung wohin unsere Reise führen wird.“
Kurzerhand nahm Nella ihren Fächer in die Hand, blickte zu Boden und erinnerte sich an eine Geschichte, welche sie einst mit ihrem Lehrmeister bestritten hatte und fing an zu erzählen: “Einmal mussten wir in meiner Lehrlingszeit, in einem Gewölbe in einem Berg, eine breite Spalte überwinden. Wobei es auch einen schmalen Steg zum darüber balancieren gab. Sartarius, der nicht der geschickteste im balancieren war, hatte ich einfach mit dem Rückstoß eines Feuerballs über den Spalt katapultiert. Das gab damals ein großes Gelächter von den umstehenden Weggefährten. Dabei hat der arme Swalin fast den Feuerball abbekommen. Die Landung von Sartarius war auch nicht sehr elegant. Er plumpste einfach mit dem Hintern voran auf den Boden.“ sie musste etwas schmunzeln als sie an die Anekdote dachte.
Danach schloss sie kurz die Augen, konzentrierte sich, fokussierte anschließend den Unterstand auf dem Rücken an und sprach ein paar kurze Worte. Damit fegte sie mit einem gezielten Windzauber zum Boden in Richtung des Unterstandes und schwang sich dabei, halbwegs graziös, auf den Sitz. „So dann wollen wir mal!“, grinste sie und freute sich auf die kommende Reise.
Lennox schaute Nella skeptisch an. „Nun, Magie zu verwenden um auf Bo zu kommen ist eine Möglichkeit. Aber es geht auch ohne einen Zauber.“, sagte er. Lennox ging auf Bo zu griff ihn oben an seinem großen Ohr, stieg mit einem Fuß auf sein Bein und schwang sich herauf zu Nella. Er legte seinen Stabe ab (der Unterstand/Sitz ist größer wie er aussieht) und griff nach einem kleineren Stab mit einem Hacken daran. „Keine Sorge, ich tue ihm nicht weh damit. Aber ich brauche diesen Stab, um ihn zu lenken. Das ist bei einem Elefanten etwas schwerer, als bei einem Pferd.“, erklärte Lennox mit einem Lächeln. Mit sanftem tippen auf den Hinterkopf, erhob sich Bo. Dies war etwas wackelig. Aber sobald Bo stand lief er los, was eigentlich recht gemütlich war. „Die Geschichte, die ihr eben angeschnitten habt, hörte sich interessant an. Ich hätte das zu gern gesehen, denn ich kann Sartarius nicht richtig einschätzen. Mal ist er sehr ernst und dann kann er wieder sehr lustig sein. Naja, ich werde ihn hoffentlich noch besser kennen lernen.“, sprach Lennox.
„Um zu deiner Frage zurück zu kommen.“, sagte Lennox und begann zu erzählen: „Ja bei mir Zuhause sind Elefanten weit verbreitet. Sie werden zur Arbeit im Dschungel eingesetzt. Sie haben sehr viel Kraft und können z. B. Bäume aus dem Dschungel ziehen, wofür man normalerweise zwei Pferde braucht. Ich lebe in einem Dschungel. Dort gibt es viele Tiere. Nicht nur Schlangen oder Harpyien, sondern auch Nebelparder, Tiger, viele Frösche, Spinnen und viele mehr.“
Während Lennox erzählte, lenkte er den Elefanten mit dem Stock und manchmal auch mit dem Hacken, damit Bo auch das tat, was Lennox wollte. „Achso, ja Bo hätte auch mehr getragen als nur leichtes Gepäck.“, sagte Lennox lachend. „Wir werden eine Weile unterwegs sein, aber wir haben eine sichere Reise. Solltest du Hunger oder Durst bekommen, haben wir hinter uns, alles in den Decken. Oh warte…“, meinte Lennox „… ich habe vergessen Bo mit dir bekannt zu machen, aber das haben wir gleich.“ Lennox griff hinter sich und kramte einen Apfel hervor und gab ihn Nella. „Für Bo“ Dann klopfte er Bo zweimal auf den Kopf und dieser streckte seinen Rüssel über den Kopf nach hinten.
Nella nahm den Apfel entgegen und streckte Bo diesen entgegen. „Da mein Guter.“, sagte sie und Bo nahm den Apfel entgegen und fraß diesen genüsslich. „In letzter Zeit scheine ich eine Anziehung zu Tieren entwickelt zu haben. Apropos, Nikita hat sich die Tage ganz schön frech verhalten. Die Gute, ist einer Freundin von mir, welche auch eine Zwergin ist, unter die Rüstung geschlichen während sie die Rüstung trug. Da musste ich die Kleine erst einmal heraus holen und in Sicherheit bringen. Zudem ist mir auch Nachwuchs zugelaufen.“ Nella fing an in ihrer Tasche zu kramen und pflückte einen kleinen Igel heraus. „Das ist die kleine Fritzi. Sie ist mir damals in meinen Ärmel gekrochen.“ und überreichte Lennox den kleinen Igel. „Ich muss sagen, mit einem Elefanten zu reisen, da könnte ich mich dran gewöhnen. Ist doch deutlich gemütlicher als auf einem Pferd und bestimmt wird man weniger auf Reisen belästigt.“, stellte Nella fest. Sie drehte sich nach hinten zum Sitz und legte Ihre Sachen ab: „Da könnte man auch mit größerem Gepäck reisen und muss nicht alles immer auf seinen Schultern tragen. Wobei, ich bin es ja seit Jahren gewohnt alles selbst zu tragen.“ Gemütlich kam sie wieder zu Lennox nach „vorne“ zu Bo seinen Kopf. „Ich frage mich nur was Sebastian zum Elefanten sagen würde. Ob er ihm nicht zu viel seines geliebten Waldes zertrampelt?“
Lennox nahm die kleine Igelin entgegen und schaute sie interessiert an. „Ein schöner Igel ist deine Fritzi. Wir sollten nur bei mit zu Hause aufpassen, wegen der Raubtiere. Natürlich will ich verhindern, dass ihr etwas passiert, da nicht alle Tiere zahm bei uns sind.“, sagte Lennox und gab Fritzi zurück an Nella. „Was Nikita angeht. Sie ist noch sehr jung und tut einfach irgendwelche Dinge die gefährlich werden können.“, meinte Lennox ernst.
Mittlerweile ist es schon dunkel und Nacht geworden. Lennox tippte Bo an, so dass er stehen blieb und sich hinlegte. Beide stiegen vom Sitz ab. „Hier werden wir übernachten. Morgen können wir weiter reisen.“, sagte Lennox und begann Bo ab zu laden. Er legte einige Decken und Kissen aus und schützte das Lager mit einer Umrandung aus einigen Ästen. „Nella, könntest du etwas Holz sammeln, während ich hier eine Feuerstelle vorbereite?“, fragte Lennox. Nella antwortete: „Klar, das kann ich machen.“ und ging los. Während dessen baute Lennox aus ein paar Steinen eine Feuerstelle und stellte zwei kleine Hocker dazu. Auf Rinde Stücken legte er Bananen, Mispeln, Papaya´s und andere Früchte aus. Als Nella zurück kam ,entzündete sie ein Feuer und Lennox erklärte ihr was das für Früchte sind „Einen guten Appetit wünsche ich euch, Meisterin.“, plauderte Lennox.
„Solche Früchte habe ich schon einmal gesehen, damals als ich das erste Mal hier auf Kaer Iwhaell war. Ludwig Stab hatte damals ähnliche Früchte organisiert und uns verkosten lassen.“ Mit diesen Worten nahm Nella ein paar Stücken der Früchte und genoss diese zu essen. „Solche Früchte wachsen doch eher in wärmeren Gebieten oder liege ich da falsch? Ich bin sowieso gespannt wo du mich hinführst.“ “Um auf deine Frage zu antworten. Ja solche Früchte wachsen in wärmeren Gebieten.“ ,sagte Lennox.
Und so lief der Abend des ersten Reisetages in Ruhe mit weiteren einfachen Gesprächen zwischen Nella und Lennox aus. Als es Zeit war sich nieder zu legen, brannte das Feuer immer noch mit schwachem züngeln. Dies blieb auch die ganze Nacht so ohne weiteres Feuerholz nach zu legen. Dies war ein kleiner Zauber von Nella, der auf Reisen wilde Tiere abschrecken soll. Diese Vorsichtsmaßnahme war gegenüber Tieren recht praktisch. Doch Menschen, vor allem welche die unlautere Absichten besaßen, könnten auf das Feuer aufmerksam werden. Die Nacht verlief aber ruhig, da Nella auch wusste, dass Sebastian vermutlich seine Augen und Ohren im ganzen Wald hatte und Eindringlinge schnell verscheuchen würde. Am nächsten Morgen wachte Nella mit dem Gefühl auf ,dass der Wald etwas zu ruhig war. „Dies könnte aber auch an der Anwesenheit des besonderen Begleiters, dem „kleinen“ Elefanten liegen.“, dachte sie sich und streichelte Bo über den Kopf. Als Lennox am nächsten Morgen aufwachte, war Nella bereits wach. Sie frühstückten zusammen und unterhielten sich über dies und jenes. Anschließend kümmerte sich Lennox um Bo. Sie packten alles zusammen um weiter zu reisen. Nella und Lennox stiegen wieder auf den Rücken von Bo und Lennox bedeutete ihm aufzustehen. So ging die Reise nun weiter. „Du wirst noch Augen machen, wenn wir angekommen sind. Bei mir Zuhause gibt es viele Pflanzen und Tiere die du bestimmt noch nie gesehen hast und ich werde dir alles erklären was ich darüber weis.“, meinte Lennox.
Die folgenden drei Tage verliefen ähnlich ruhig. Ab und zu begegneten die drei ein paar Wanderern und auch mal ein paar Kriegern. Allerdings drehten alle sofort wieder um als sie den großen Elefanten sahen. Lennox amüsierte sich ein wenig darüber, denn für ihn war es vollkommen normal auf einem Elefanten zu reiten.
Am Morgen des fünften Tages sagte Lennox: „So jetzt wollen wir die Reise mal etwas beschleunigen, sonst sind wir noch vier Monde unterwegs.“ „Wir werden hier ein Tor öffnen.“ Mit diesen Worten holte Lennox eine Kiste hervor. Er öffnete sie und zum Vorschein kamen Faust große Steine in den verschiedensten Farben. „Wir müssen Sie nur in der richtigen Reihenfolge auslegen.“, fügte Lennox hinzu.
Als Nella die Steine erblickte, kramte sie erst mal in ihrer Tasche nach ein paar Handschuhen, welche sie dann anzog. Dies war eine alte Gewohnheit wenn es um Artefakte ging. „Sehr interessant. Mit diesen Steinen bist du also hier her gekommen, wenn deine Heimat so weit weg ist, nehme ich mal an.“, sprach Nella und nahm gleichzeitig einen dieser Steine in die Hand, um ein Gefühl für die Haptik und Gewicht der Steine zu bekommen. Auch setzte sie kurz ihre volle Konzentration auf einen der Steine, um einen ersten Eindruck über die magische Struktur des Steines zu erlangen. „Wenn man ein Portal zu deiner Heimat nur mittels des Auslegens in der richtigen Reihenfolge öffnet, sind das mächtige Artefakte. Ist das auch für nicht Magier möglich? Und warum sind wir dann erst ein paar Tage mit Bo gereist, wenn wir hätten auch gleich ein Portal öffnen können?“, merkte Nella an. Mit diesen Worten schaute sie Lennox aufmerksam an, um seine nächsten Schritte für die Vorbereitung des Portals zu analysieren.
Lennox lachte und sagte: „Weshalb wir mit Bo erst ein paar Tage geritten sind ist leicht zu erklären. Das Tor zu öffnen und zu benutzen ist nicht gerade leise und unauffällig. Zudem nutzen wir dieses Tor kaum. Ich habe sie mir von Großmeister Arag ausgeliehen. Er hat schon meinen Vater mit Rat und Tat zur Seite gestanden.“, erklärte Lennox. Weiter erläuterte er: „Wie dir mit Sicherheit schon aufgefallen ist, ist die magische Struktur die selbe wie ich sie durch den Drachen verwende. Und ja, es ist möglich die Steine als Nichtmagier zu verwenden. Sogar der dümmste Stalljunge kann sie nutzen, wenn er die richtige Reihenfolge kennt und den Schlüsselstein hat. Denn ohne diesen geht nichts.“
„Nun wollen wir anfangen. Zuerst stellen wir Bo hier her und ziehen einen Kreis um ihn. Dann legen wir die Steine aus.“, sprach Lennox und so begannen Nella und Lennox das Tor vor zu bereiten. „Den roten Stein hinter Bo, den grünen vor seinen Kopf, den blauen Stein nicht links sondern rechts.“, delegierte Lennox. Es verging einige Zeit und viele Steine wurden ausgelegt und auch wieder umgelegt, bis alles stimmte. Als alle Steine ihrem rechten Platz zugeordnet waren, gab Lennox die nächsten Anweisungen: „Gut, jetzt kann es gleich los gehen. Wenn du soweit bist Nella, nimm deinen Magier Stab in die Hand und konzentriere dich.“ Nella antwortete Lennox: „Gut ich werde mich einen kurzen Moment sammeln, dann bin ich bereit.“ Lennox ging zur Mitte des Kreises und streichelte Bo dabei. Dann nahm er seinen Stab von dessen Rücken und wartete darauf, dass Nella soweit war. Als Nella ihn ansah, legte er den Schlüsselstein auf den Boden und klopfte mit seinem Stab drei Mal darauf. Alles um die Magier und den Elefanten herum begann zu surren und zischen. Dann verschwamm alles etwas und mit einem Knall standen die drei plötzlich mitten im Dschungel. „Geht es dir gut, Nella?“, fragte Lennox. „Ja mir geht es gut und es ist auch noch alles dran, nachdem wir durch das Tor gegangen sind. Ich muss nur zugeben, dass ich etwas überwältigt von dem Anblick des Dschungels bin.“, sagte Nella. Lennox lachte: „ Ja das glaube ich dir. Willkommen in meiner Heimat dem Drachental!“ „Nella, du bist zu Gast in meinem Dorf. Du kannst dich frei bewegen und umschauen, sowie mit Leuten reden oder was auch immer du möchtest. Nur bitte gehe niemals alleine in den Dschungel!“, meinte Lennox etwas ernster. Nella schaute Lennox nachdenklich an und antwortete dann: „Ok. Ich werde auf dich hören. Du bist hier Zuhause.“ So machten sich die beiden auf den Weg durch den Dschungel in das Dorf von Lennox. Auf dem Weg dorthin konnte Nella die Pflanzen- und Tierwelt bewundern. Es gab Schlangen, Affen und viele Vögel zu sehen. Lennox machte Nella auf einen großen Vogel in einem Baum aufmerksam: „Schau dort oben. Das ist eine Harpyie. Von diesem Vogel haben deine Freunde ein Ei gefunden.“ Nella machte große Augen und meinte: „Oh so eine Harpyie ist ja wirklich groß. Das könnte interessant werden auf Kaer Iwhaell.“ Nach einiger Zeit erreichten die drei das Dorf. Jeder der Anwesenden machte eine leichte Verbeugung in Richtung Lennox und hießen ihn mit „Schön, dass ihr wohlbehalten zurück gekommen seid, mein Heda.“ herzlich Willkommen. Lennox zeigte Nella das Dorf und stellte sie einigen Personen vor. Anschließend zeigte er ihr das Zimmer in dem sie in nächster Zeit schlafen würde. Es wurde ein Bett hergerichtet und alles war aufwendig dekoriert. „So das ist dein Zimmer. Ich hoffe es ist ausreichend für dich. Ich werde dich jetzt ein paar Stunden alleine lassen. Später hole ich dich dann wieder zum Essen ab. Achso, heute Abend ist ein Tanzfest. Man wird dir ein Gewand reichen. Ich hoffe du wirst es tragen.“, freute sich Lennox. „Ja. Das Zimmer ist mehr als ausreichend für mich. Ich werde mir das Gewand ansehen und es dann eventuell anziehen.“, gab Nella lächelnd zur Antwort. Lennox lächelte und ging seinen Aufgaben nach. Nella nutzte die Zeit, packte ihre Sachen aus und richtete sich in ihrem Zimmer ein. Danach ging sie durch das Dorf und unterhielt sich hier und da mit Einwohnern. Alle ihre Fragen wurden beantwortet und so konnte sie mehr über das Tal und die Gottheit der Menschen hier erfahren. Nach einigen Stunden kam eine Frau auf sie zu und bat Nella mit zu kommen. Der Heda hätte sie angewiesen, seinen Gast passend für das Tanzfest zu kleiden. So bekam sie ein wunderschönes sommerliches Gewand aus leichtem Stoff mit vielen Verzierungen. Bevor Nella sich richtig bewundern konnte, stand Lennox in der Tür und sagte: „Das Kleid steht dir wirklich gut.“ „Danke sehr. Ich habe es angezogen, da ich dich oder euch nicht beleidigen wollte.“, sagte Nella. „Nun denn. Lass uns gehen.“ Auf einer großen freien Fläche war eine große Tafel mit reichlich Essen und Trinken aufgebaut. Am Kopf der Tafel standen zwei Stühle für Nella und Lennox. Es wurde Musik gespielt und getanzt. Nach dem Essen gingen auch Lennox und Nella zum Tanzen. Alle hatten Spaß und Freude. So verging der Abend wie im Flug und bis alle in den Betten waren, war es schon mitten in der Nacht.
Als Nella am nächsten Morgen aufwachte gab es ein Problem und zwar, dass sie nicht aufstehen konnte. Eine große Katze war in das Zimmer eingedrungen. Nella rief: „ Hallo kann mich jemand hören? Lennox hier ist eine Großkatze in meinem Zimmer.“ Einen Augenblick später war Lennox da. Er musste schmunzeln und sagte: „Das ist Bongani. Er ist ein Nebelparder. Du kannst ihn streicheln, wenn du magst. Er ist zahm.“ Etwas zögernd stand Nella auf und ging ganz langsam auf das Tier zu. Die Katze schaute sie an und schnupperte an ihr. „Knie dich hin dann kannst du ihn am Kopf streicheln.“, sagte Lennox. Nella kniete sich hin und begann Bongani zu streicheln. Dieser schien das ganz sichtlich zu genießen. „Das ist interessant. Sein Fell ist viel weicher als ich es erwartet hätte.“, sagte Nella.
Nach diesem überraschenden Erlebnis am Morgen frühstückten sie gemeinsam und brachen anschließend auf. Lennox wollte Nella vieles zeigen. Er zeigte ihr die Falknerei wo auch Harpyien aufgezogen wurden. Dann den großen Tempel im Dschungel. Auf dem Weg dorthin zeigte sich eine prächtige Pflanzenwelt. Lennox erklärte Nella alles was er über die verschiedenen Pflanzen wusste. Es gab auch einige Tiere zu sehen. Beispielsweise Affen. Als die beiden über einen kleinen Berg gingen, begegneten sie einer Gruppe Gorillas. Lennox blieb sofort stehen und sagte: „ Wir müssen jetzt erst einmal ab warten was sie tun. Wenn sie fressen, können wir in einem passenden Abstand vorbei gehen. Außerdem müssen wir schauen was das große Männchen macht und dürfen ihn nicht verärgern. Er ist der Chef der Gruppe. Man nennt ihn wegen den grauen Haaren am Rücken auch Silberrücken.“
So setzten sich Lennox und Nella hin und beobachteten die Gruppe. Ein paar junge Gorillas tollten herum und kamen auch etwas näher, um dann sofort wieder weg zu laufen. Die anderen Gorillas saßen nur da und waren am fressen. Dann kam plötzlich ein Gorilla auf Nella zu und legte einen Arm auf ihre Schulter. Nella wurde bleich im Gesicht und keiner der beiden traute sich etwas zu sagen. Nach wenigen Minuten ging der Gorilla wieder. „Jetzt ist der perfekte Moment um weiter zu gehen.“, flüsterte Lennox. Nella nickte nur. Sie war immer noch etwas blass im Gesicht.
Am Tempel angekommen fragte Nella: „Was war das? Wieso hat der Gorilla das gemacht?“ „Das kann ich dir nicht sagen. Ich bin selbst erstaunt. So viel hab ich mit den Gorillas nicht zu tun. Normal sind sie sehr scheu.“, meinte Lennox. So gingen die beiden weiter Richtung Tempel.
Der Tempel ist ein sehr großes Gebäude. Wunderbar mit Malereien und Schnitzereien verziert. Darauf sind viele Drachen, Skulpturen und vieles mehr drapiert. Sie durchschritten den Tempel so, dass sich Nella alles in Ruhe anschauen konnte. Im Hauptteil trafen sie auf Großmeister Arag. Lennox machte die beiden miteinander bekannt und sie unterhielten sich über vieles. Unter anderem über die Kindheit von Lennox und die Geschichte seiner Familie. Großmeister Arag erzählte Nella auch die Legende über den Gründer des Dorfes und dem Drachen. Während sich die drei unterhielten verging die Zeit wie im Flug. Es wurde schon langsam dunkel als Nella und Lennox sich auf den Weg zurück ins Dorf machten. Dort angekommen ließen sie den Tag ausklingen und gingen anschließend ins Bett.
Am nächsten Tag wollte Lennox Nella noch zwei Dinge zeigen. Am Morgen machten sich die beiden bereits früh auf den Weg zum Quell des Lebens durch den Dschungel. Dort angekommen bot sich ein atemberaubender Anblick eines Wasserfalls der in einen kleinen See fiel und drum herum wuchsen hunderte verschiedene Pflanzen- und Blumenarten. Nella schaute sich alles bewundernd an. Es brauchte keine Worte, um zu verstehen, dass es ihr hier gefiel. Lennox ging los und pflückte ein paar Früchte. Dann kam er zurück und beide setzten sich hin und genossen den Anblick. Einige Stunden später sagte Lennox: „Lass uns wieder zurück gehen. Ich möchte mit dir noch an einen anderen Ort um ihn dir zu zeigen.“ „Gut ok. Lass uns los gehen“, meinte Nella. Nach einiger Zeit erreichten die beiden einen Ort, der mit einem kleinen Zaun eingefasst war. Der Friedhof des Dorfes. Lennox öffnete die Tür und ließ Nella den Vortritt. Sie ging hinein und wartete auf Lennox. Er führte sie an ein großes Grab mit einem aufwendig geschlagenen Grabstein. „Ist dass das Grab deines Vaters?“, fragte Nella. Lennox nickte und schwieg. Als Nella zu ihm schaute, sah sie, dass ihm Tränen die Wangen hinab liefen. Sie legte ihre Hand auf seine Schulter. Lennox drehte sich zu ihr um und sagte: „ Das ist das Grab meines Vaters, seines Vaters bis hin zu dem Gründer des Dorfes. Danke dass du mit mir hier her gekommen bist.“ Nella antwortete: „Es ist mir eine Ehre hier an diesem Grab stehen zu dürfen.“ Sie blieben noch einen Moment stehen. Dann machten sie sich wieder auf den Weg zurück ins Dorf. Dort angekommen lud Lennox einige Leute zu einem Festmahl ein. Die nächsten Tage und Wochen erkundete Nella zusammen mit Lennox und anderen Leuten aus dem Dorf den Dschungel. Das war dann der Fall, wenn Lennox seinen Verpflichtungen als Heda nachgehen musste. Er war natürlich für alle Probleme und Anliegen zuständig.
So verbrachten sie eine schöne Zeit zusammen im Drachental, bis sie sich auf ihre nächste Reise begaben oder nach Kaer Iwhaell zurück kehrten.
KI3 - Epilog: Misere Redaniae
KI3 - Epilog: Misere Redaniae
Metagame
von Earl
Pferdehufe donnerten über die Landstraße. Die Sonne stand hoch am Himmel. Nirgends war auch nur ein Wölkchen zu sehen. Die drei Reiter trieben ihre Pferde an, sie hatten einen unangenehmen Auftrag und diesen wollten sie so schnell wie möglich hinter sich bringen. Sie ritten vorbei an Brombeerhecken, an Seen und Tümpeln, an weiten schlecht bestellten Feldern. Hier und dort drängten sich ein paar reetgedeckte Hütten zusammen. Sie ritten schneller. Weiter, immer weiter…
„Meister Schlinger, ich denke eine kurze Pause würde uns allen gut tun“, ließ sich einer der in rot und schwarz gekleideten Männer vernehmen als sie gerade in leichtem Trab ein kleines Wäldchen passierten. „Wir haben seit heute Morgen nicht gerastet und die Wasserschläuche sind fast leer. Vielleicht gibt es in diesem Wald ein Bächlein, an dem wir Wasser auffüllen könnten.“ „Ähem, ja. Klingt tatsächlich nach einer guten Idee. Aber lediglich ein paar Augenblicke. Ich will diese Burg noch vor dem Abend erreichen und diese Sache so schnell wie möglich hinter mich bringen. Ich traue diesen ekelhaften Mutanten nicht!“, lies sich der kleinste der drei Männer vernehmen. Er war untersetzt, hatte eine Halbglatze und wirkte sehr nervös. Sie zogen also die Zügel an und stiegen von ihren Tieren ab. Die Pferde führten sie zu einem Baum in der Nähe und banden sie dort an. Der Soldat, der nach einer Pause gefragt hatte nahm seinem Kameraden und Herrn Schlinger die ledernen Feldflaschen ab und verschwand, nachdem er sich aufmerksam umgesehen hatte, im Wald. Rudolph Schlinger ließ sich auf einen herumliegenden Baumstumpf plumpsen und seufzte. „Meister Schlinger, ich habe noch etwas Trockenfleisch. Falls ihr hungrig seid…“, lies sich der zurück gebliebene Soldat vernehmen. Er machte sich an den Satteltaschen seines Pferdes zu schaffen. Der Untersetzte antwortete unter Kopfschütteln: „Naja ein kleines Stück nehm ich wohl. Aber ich gebe ehrlich zu, ein gut gebratenes Stück Fleisch, ein kühles redanisches Helles, danach ein Strenger und ein Mädel aus der Passiflora wären mir weitaus lieber. Ich hasse diese Außeneinsätze!“
Auf der Burg Kaer Iwhaell waren die Aufräumarbeiten fast abgeschlossen. Das Tor war repariert und verstärkt worden. Das Dachgebälk, welches durch den Brandanschlag der Redanier verkohlt und halb eingestürzt war, hatte man in den Tagen und Wochen darauf fachgerecht abgerissen und durch ein Neues ersetzt. Doch die vielen Dokumente und Artefakte die dort oben im Speicher gelagert hatten, die waren nun unwiederbringlich verloren.
Valerian unterhielt sich gerade mit dem Baumeister aus der Burgau über die letzten Aufräum- und Renovierungsarbeiten, als ein Ruf vom Burgtor her erschall. Der alte Hexer drehte sich um und erblickte sofort drei Gestalten auf Pferden, die zum Burgtor herauf ritten. Unverkennbar Redanier! Raaga, der gerade mit den anderen Hexergesellen und Lehrlingen trainiert hatte, war bereits mit seiner großen Axt unterwegs zum Burgtor. „Nein! Raaga! Ich glaube nicht, dass diese drei Herren hier sind um eine erneute Auseinandersetzung anzuzetteln“, rief Valerian, er war gerannt und packte Raaga nun bei der Schulter. „Pah, wenn du meinst.“ Raaga spuckte verächtlich aus, blieb aber trotzdem mit erhobener Waffe stehen. Der kleinste der drei Männer stieg von seinem Pferd und trat auf Valerian zu. „Guten Tag, ich bin Advokat Rudolph Schlinger. Ich bin in der Angelegenheit „Greifenschlacht“ hier. Diese beiden Herren“, er deutete zu seinen Begleitern hinüber, „ sind meine Leibwächter. Sollten wir nicht alle 3 wohlbehalten zurück nach Dreiberg kommen…“ Er blickte vielsagend zu dem großen Hexer auf. „Schon gut. Schon gut.“ Valerian hob abwehrend die Hände. „Uns ist nicht an einer neuerlichen Auseinandersetzung mit Novigrad oder Redanien gelegen. Wir wollen endlich in Ruhe und Frieden hier leben können. Aber vielleicht wäre es besser, wenn wir das alles nicht hier draußen besprechen. Gehen wir doch in mein Studierzimmer. Ihre beiden Begleiter dürfen sich gerne in der Taverne „Zum durstigen Igel“ ausruhen.“ Er fügte lauter hinzu: „Atheris, Raaga, Logan kommt ihr bitte mit?“
Während sich die beiden Soldaten hinüber zur Taverne im Marstall begaben, schnallte der Advokat eine der Satteltaschen los und wurde dann von Valerian hinüber zum Aufgang ins Obergeschoss geleitet. In Begleitung der anderen Hexer stiegen sie die steile, ausgetretene Steintreppe hinauf. Oben angekommen wandte sich Valerian an Raaga: „ Geh bitte schnell rüber in Nella´s Studierzimmer und hol sie. Mei müsste gerade bei ihr sein. Sie bringst du auch mit.“ Während Raaga sich in die entgegengesetzte Richtung entfernte, ging der alte Hexer weiter den Korridor entlang, vorbei an den diversen Dormitorien und Studierzimmern, vorbei an den eingestaubten Gobelins und Gemälden, bis er vor einer schweren Eichentür stand. Er drückte die Klinke herunter und öffnete. „Bitte nach ihnen, Herr Advokat.“ Er machte eine zuvorkommende Geste. Der kleine Mann trat beherzt ein.
Vor ihm stand ein großer ovaler Tisch. Zur rechten konnte er auf einem weiteren Tisch ein Sammelsurium von Reagenzgläsern, Kolben, Brennern, Röhrchen und Tiegeln ausmachen. Dahinter stand offenbar ein weiterer Tisch, allerdings konnte er das nur erraten, denn dort lagen Unmengen von Papieren verstreut. Und dahinter auf einem Regal… er machte einen Satz. Monster! Nein! Ausgestopfte Köpfe von Monstern. Ghule, Moderhäute und etwas, das einem Wolf sehr ähnlich sah. Von hinten war Valerian an ihn herangetreten: „Ist alles in Ordnung? Das dort sind lediglich Trophäen. Also kein Grund zur Beunruhigung“, sagte er mit dem Anflug eines Lächelns. „Aber setzt euch doch Herr Advokat.“ Er bot dem Redanier einen Stuhl an. „Etwas zu trinken? Ich habe hier einen hervorragenden Beauclair Jahrgang 1275.“ Der Advokat verneinte. Die anderen Hexer hatten sich bereits gesetzt und nun tauchte auch Raaga mit Nella und Mei auf. Die beiden Magierinnen blickten etwas verdutzt drein. „Kommt. Setzt euch. Das hier ist Advokat Rudolph Schlinger. Er ist hier um über die aktuelle, etwas verfahrene Situation mit Redanien zu reden.“
„Nun, also…“, der Advokat kramte in seiner Satteltasche und holte eine dicke Mappe aus Leder hervor und lies diese geräuschvoll auf den Tisch klatschen, „ich bin heute hier um Ihnen mitzuteilen, dass das Königreich Redanien und seine königliche Majestät, Radovid V., König von Redanien, keinerlei militärischen oder zivilen Nutzen mehr darin sehen würden, die Akte „Mei’idwyn Agnieszka Naecheighn“ weiter zu verfolgen.“ Er blätterte in seiner Mappe. „Es wurden bei der Militäroperation „Greifenschlacht“ mehr Material und Nachschubgüter sowie Soldaten verloren, als diese ganze Angelegenheit wert war. Hier hat die Generalität schlichtweg versagt.“ Er seufzte. „Wir werden diese Akte also schließen. Straffrei werden Sie alle trotzdem nicht davon kommen, wie ich hier lese: Sämtliche Bewohner der Treuburg, genannt „Kaer Iwhaell“, werden mit einer Reichsacht sowie einer Verbannung belegt. Sollten sie also jemals wieder die Außengrenze zum Königreich Redanien überschreiten, so werden die Grenzposten dazu berechtigt sein, sie zu Verhaften und ohne Gerichtsverhandlung zu exekutieren“, las er vor. Er blickte die Anwesenden scharf an. „Es werden Steckbriefe und Zeichnungen von Ihnen allen an die Grenzstationen geschickt werden. Seien sie sich also gewiss, dass die Grenzer sie ihrer gerechten Strafe zuführen werden, sollte es zu einer Überschreitung kommen. Ich denke damit wäre alles gesagt.“
Mei räusperte sich. „Tut es eigentlich sehr weh zu wissen, dass man gegen Mutanten, Zwerge, Elfen und Magier ein gesamtes Regiment eingebüßt hat? Tut es sehr weh zu wissen, dass Redanien doch kein Kögigreich voller Übermenschen ist?“ Advokat Schlinger sprang auf. Ebenso waren die Greifen hoch geschnellt. Der Advokat war puterrot geworden. Doch als er sprach klang er sehr kontrolliert: „Sollte diese…diese militärische Katastrophe jemals, ich wiederhole, jemals in Redanien publik werden, so wäre das nicht nur ein Skandal, sondern auch das Ende ihrer kleinen Enklave von Ausgestoßenen und Flüchtlingen. Ich kann Ihnen versichern, dass Redanien sodann eine Streitmacht entsenden würde, die diese jämmerliche Provinz verheeren würde, dagegen wäre Velen ein Paradies!“ Es herrschte Stille, doch die Spannung lag in der Luft wie unmittelbar vor einem Unwetter. Valerian hustete. „Hmm, nun sie können sicher sein, dass dies nicht geschehen wird. Um es nochmals zu wiederholen, uns ist nicht daran gelegen erneut mit dem Königreich Redanien in Konflikt zu geraten.“ Der Advokat packte wortlos seine Mappe ein und wandte sich zum gehen, während die Greifen wie versteinert da saßen.
Er war schon fast zur Tür hinaus, da rief Valerian: „Noch kurz auf ein Wort. Was ist eigentlich mit Vertigo?“ Herr Schlinger drehte sich um. „Nun ja, ich habe eine Abschrift der Militärakte „Hieronymus Katz vom Aschenberg“ bei mir. Der letzte Eintrag darin ist ein Verhörprotokoll, welches zur Zeit der „Greifenschlacht“ angefertigt wurde. Der Verräter und Deserteur Hieronymus Katz wurde demnach gefangen genommen und peinlich verhört. Er hat laut diesem Protokoll schwerste Verletzungen davon getragen. Ein Exekutionsbescheid wurde angefügt. Eine Durchführungsbescheiniungung ist in Dreiberg allerdings niemals angekommen. Wir sind unter den gegebenen Voraussetzungen und nach Berücksichtigung aller Fakten davon ausgegangen, dass er seinen Verletzungen erlegen sein muss. Er hat seine gerechte Strafe wohl erhalten! Die Akte wurde mit dem Vermerk „Verschollen-Wahrscheinlich Tot“ geschlossen.“ Valerian sackte auf seinem Stuhl zusammen. Auch die anderen wirkten betroffen. „Ich finde den Weg alleine. Einen schönen Tag noch“, feixte der Advokat. Und schon war er verschwunden.
Da ging die Tür erneut auf und ein junger Mann mit einer ziemlich verbeulten roten Bibermütze trat ein: „Was war denn hier gerade los?“ Valerian blickte auf und seufzte: „Mummenschanz Vertigo. Mummenschanz.“