In den Kanninchenbau
In den Kanninchenbau
Von Yannic, Cat und Peter
Der Umweg
Wenn die Zeit endet, beginnt die Ewigkeit
Sinnspruch auf einem Stundenglas auf der Insel Thanedd
Gabhan hatte darauf bestanden nicht zu Pferde zu reisen – nur ungern erinnerte er sich mit schmerzendem Gesicht an die Stunden zu Pferde hinter Atheris – denn ein eigenes hatte er nicht. Er würde auch niemals verstehen, weshalb Atheris so auf den noch laufenden Sauerbraten stand. Der Freund musste einen Arsch aus Leder haben, so lange wie er stets im Sattel saß.
Doch der Witz war auf Gabhans Kosten gegangen – schließlich hatte er gehofft, dass die Frau Zauberin dann auf eine Reise mit Portalen bestand und ihnen allen so das Leben erleichtern würde – doch sie hatte diesen Vorschlag aufgrund gewichtiger Umstände abgelehnt. Auf die Nachfrage welche Umstände derart gewichtig sein könnten, hatte sie ihm auf liebevolle, aber bestimmter Weise den Rat gegeben, sich selbst ins Knie zu ficken. Nicht dass es ihre Worte gewesen wären. Aber sie hatte es gesagt. Mehr oder minder. Und Gabhan hatte nicht mehr nachgefragt. Eine Kutsche war zu teuer und zu langsam – und so schmerzten seine Füße nun von mehreren hundert Meilen Marsch. „Wir laufen übrigens falsch,“ knurrte er, als sie wieder mal an eine Wegkreuzung kamen, die sogar noch über zwei halbwegs existierende Wegweiser verfügte. „Wir wollen doch nach Wyzima – dort geht es nach Velen. Das ist ein gewaltiger Umweg und meine Schuhe habe ich bereits so gut wie durchgelaufen. Kein Grund es darauf anzulegen!“
Atheris hielt die Zügel seines Streitrosses Ker`zaer in der Hand und stand neben seinem Freund im knöcheltiefen Schlamm der Straße. Keine Frage, hier im Norden setzte der Herbst deutlich früher ein als im südlich gelegenen Kaiserreich. „Ich glaube nicht, dass der Wegweiser richtig ist. Unserer Karte zufolge führt der rechte Weg nach Wyzima – wobei laut der Karte die Kreuzung auch nur zwei und nicht drei Abzweigungen ausweist!“ Atheris blickte in die Richtung, in welcher der nicht eingezeichnete Weg führte. „Grazyna! Was meinst du?“ er blickte zur Magierin hoch, die es sich auf dem Rücken seines Pferdes gemütlich gemacht hatte. „Was hatte Gabhan nur geritten, auf Pferde verzichten zu wollen?“ dachte sich der Greifenhexer, während er die schmatzenden Schritte Gabhans neben sich hörte.
„In der Nähe hat ein guter Freund von mir ein Haus gekauft. Wir könnten dort einkehren und uns ein wenig ausruhen“, schlug Grazyna vor, dankbar dafür nicht laufen zu müssen und dadurch sich und ihre Kleider vollständig zu verdrecken. Sie sah die Erschöpfung im Gesicht der beiden, die Anstrengung, die die Reise bis hierhin bereits gefordert hatte und der sie nicht noch mehr zuführen wollte. Nur eine Sekunde lang ließ sie den Blick hinauf zum Himmel wandern, betrachtete die schweren, dunklen Wolken dort, die davon kündeten, dass es wahrscheinlich nicht mehr lang dauern würde bis es beginnen würde zu regnen und wenn sie ehrlich war, dann wollte sie nicht während des Regens im Schlamm mitten in Velen sein.
„Jirkam Aep Vald“, fuhr sie fort, noch bevor einer von ihnen ein Wort von sich geben konnte und ließ die Finger sanft über Ker’zaers Mähne streichen. „Wir haben uns vor ein paar Jahren in Novigrad kennen gelernt. Er ist Stoffhändler und wollte sich in der Nähe etwas Neues aufbauen.“
Atheris musste nicht lange überlegen, die Aussicht auf eine warme Mahlzeit und ein weiches Bett waren Grund genug, einen kleinen Umweg in Kauf zu nehmen, zumal er Grazynas Blick gefolgt war und ebenfalls die dunklen Wolken musterte, die eine unbequeme Nacht im Freien versprachen. „Ich bin für Grazynas Vorschlag, Ghaban! Wir haben es weder eilig noch sonderlich gutes Reisewetter!“ er schaute wieder zur Magierin empor. „Kannst du deinen Freund magisch aufspüren oder weißt du wo wir hin müssen?“
Gabhan hob die Augenbrauen ob der Diskussion, nickte dann aber. Er war nicht in der Stimmung zu diskutieren – und zudem war dieser Vorschlag so gut wie jeder andere auch. Mochten die anderen beiden auch erwarten, dass er dagegen stimmen würde, nur um seinem eigenen Ruf gerecht zu werden, er enttäuschte sie. Er stimmte sogar zu. Oder zumindest zog er die Nase kraus, was beide korrekterweise als Zustimmung zu interpretieren schienen. Auch er blickte zu Grazyna, bereit eine Nacht mal nicht auf einem harten Waldboden zu verbringen.
Gabhan schien sich ständig nur in zwei Varianten zu äußern – dem Nase-hochziehen, was als Zustimmung eines Vorschlags zu deuten war und dem missgünstigen Schnauben, was genau das war – die Ablehnung eines Vorschlags. Über all die Zeit, die sie miteinander unterwegs waren, hatte die Zauberin gelernt, den Bärenhexer einzuschätzen und aus den kurzen Reaktionen eine adäquate Antwort zu lesen, die ihr zumeist ausreichte und ihr weit weniger Kopfschmerzen bescherte als ein längeres Gespräch mit der Nase in seiner Reichweite. „Ich habe eine Ahnung, wohin wir müssen“, antwortete sie schließlich und lächelte dann entwaffnend, bevor eine weitere Nachfrage folgte, nur sacht die Hand hebend. „Gebt mir einen Moment bis ich ihn gefunden habe, danach kann ich uns die Richtung weisen.“
Statt der Magie allerdings Raum zu geben, ließ sie nur die zweite Hand in eine Tasche gleiten und zog ein kleines Gerät hervor. Nur ein einziges, geflüstertes Wort verließ ihre Lippen, dann leuchtete eben jenes Gerät kurz auf und wies eine dünne, helle Linie nach Norden, gerade hell genug, um für die kleine Reisegruppe sichtbar zu sein. „Dort entlang.“
Gabhan wandte den Kopf und sah hinauf zur Zauberin, die dort wieder eines ihrer Spielzeuge aus ihrer Tasche gezogen hatte, die nun eine lange dünne Linie aussandte. „Eine Karte wäre dir auch zu gewöhnlich, oder?“ fragte er knurrend und folgte der Linie mit seinem Blick, die nun vom Weg abwich und direkt durch wildes Land führte. „Der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten und so, hmmm?“ er schnaubte, diesmal unbegeisterter als noch zuvor. „Na dann kommt. Atheris, Grazyna … Sauerbraten – wir sollten uns beeilen, bevor die Feuchtigkeit noch das dunkle Haar der Zauberin locken lässt. Wäre doch schade um ihre Frisur.“
Ihr Weg durch die Wildnis dauerte länger als Atheris erwartet hatte und obwohl er keinerlei Zweifel daran hegte, dass Grazynas Zauberding sie an ihr Ziel führen würde – hätte er vielleicht fragen sollen, ob es neben der Richtung auch die Entfernung anzeigen konnte. Wie sie es erwartet hatten, setzte mit Einbruch der Dämmerung ein unangenehmer Dauerregen ein, der den bereits feuchten Waldboden endgültig in eine braune Suppe verwandelte. Gerade als Gabhans Laune endgültig zu kippen drohte, öffnete sich vor ihnen ein kleines Tal, durch das sich ein schmaler Fluss seinen Weg bahnte und an dessen Ufer sich eine kleine Siedlung befand, die durch eine einfach Holzpalisade geschützt wurde. Mit einem Lächeln Blickte Atheris zur Magierin, die seinen Blick liebevoll erwiderte. „Kommt ihr beiden endlich?“ raunzte Gabhan, der sich bereits wieder in Bewegung gesetzt hatte.
Eine kleine Holzpalisade, die die Siedlung vor Angriffen schützen sollte. Häuser, die aus demselben Holz gebaut zu sein schienen und deren Dächer mit Reet gedeckt worden waren – die Wände mit bunter Farbe bemalt, die Legenden und Glücksbringer zeigten. Das Dorf hätte friedlich sein können, würde nicht durch den dichten Regen und das dämmrige Licht eine triste Atmosphäre über dem Ort liegen. Die Menschen hier hatten sich in das Innere ihrer Häuser zurückgezogen – Kerzen brannten in den Fenstern und nur aus einer kleinen Schenke drangen noch die Stimmen von ein paar Männern, die ihren frühen Feierabend begossen. In einem kleinen Pferch draußen waren ein paar Schweine untergebracht, die in dem matschigen Boden noch nach Essen wühlten, auf einer großen Weide grasten Kühe und schienen dankbar dafür zu sein, dass die Fliegen und Mücken sie jetzt im Regen in Ruhe ließen.
Grazynas Weg führte die Zauberin zielsicher zu einem der größeren Häuser hin, das in der Mitte des großen Dorfes stand und um das ein kleiner Zaun gespannt worden war, der einen Garten voller frischer Kräuter begrenzte. In einem angrenzenden Stall schauten ihnen zwei Pferde entgegen, die den Kopf zurück warfen, als sich die kleine Gruppe dem Haus näherte – aus einer Decke betrachtete eine kleine, schwarze Katze die beiden Hexer missgünstig aus gelben Augen und fauchte, als sie näher kamen ehe sie in einer Scheune verschwand. Die Zauberin richtete noch einmal die Kapuze über ihrem Kopf, dann trat sie hinüber zur Tür und hob die Hand, um gegen das dunkle Holz zu klopfen.
Sie hörte, wie im Inneren die Stimmen verstummten, wie Stühle verrückt wurden und sich schwere Schritte der Tür näherten. Das leise Klacken, dem sie lauschte, musste ein schweres Schloss sein und sie nutzte den Augenblick, um sich zu den beiden Hexern umzuwenden. „Gebt mir einen kurzen Moment“, bat sie leise, dann öffnete sich die Tür und ein älterer, gebeugter Mann kam zum Vorschein. Eine Weile lang stand Misstrauen in seinem Gesicht, während seine wässrigen Augen zuerst über Gabhans Erscheinung, dann hinüber zu Atheris bis hin zu Grazyna wanderten und erst bei Letzterer hellte sich seine Miene auf. „Bei Meliteles großen Titten!“, stieß er aus und erhielt ein ungläubiges Augenbraunheben der Zauberin dafür. „Ist Jahre her!“, folgte es hastiger und Grazyna nickte langsam. „Schön dich wiederzusehen, Jirkam“, hob sie an und lenkte absichtlich ihren Blick hinauf in den Himmel.
Der Mann schien die Andeutung zu verstehen und machte eilig ein paar Schritt bei Seite. „Oh!“, stieß er aus und deutete hinein. „Kommt rein. Kommt rein!“, forderte er und warf einen Blick über die Schulter zurück. „Magda!? Magda! Wir haben Gäste! Mach was zu essen und was zu trinken!“, schrie er ins Innere bevor er sich wieder zurück zu der kleinen Gruppe drehte. „Ihr müsst mir erzählen, was ihr hier am Arsch der Welt macht. Kanns mir denken, wenn ich die Herrn Hexer hier seh … ist’s in der Nähe? Müssen wir uns Sorgen machen?“
Ein Dörfchen wie tausende. Wenngleich es Gabhan auch wunderte, dass Grazyna jemanden kannte, der solche Ausdrücke pflegte. Jemand der echt war und nicht nur aus Schall, Ehre und Geschichten bestand. „Keine Sorge Meister. Nichts ist in der Nähe – und kein Monster der Welt würde sich trauen, euch und eurem Haus zu nahe zu kommen, wenn die Frau Zauberin hier ist!“ lachte er knapp und knurrend und schob sich durch den noch immer halb offenen Spalt an dem Mann vorbei. „Ich dank euch für die Gastfreundschaft guter Mann – und ich entschuldige mich für den Geruch. Ich entschuldige mich sehr…“ er löste die Schnallen von seinem Schultergurt, der – nass vom Regen – quietschend von seinen Schultern glitt. Er warf Gurt und das stinkende, nasse Fell über eine Garderobe in der Nähe. Es folgten die Schnallen seines Brustpanzers. Schnüre für die Schulterplatten, sowie die dortigen Riemen. Dann der unangenehme, entwürdigende Teil. Das Kettenhemd. Es existierte keine Möglichkeit, dies mit Würde loszuwerden. Er ignorierte die Blicke, während die folgenden Worte im Geklirr der Kettenglieder untergingen.
Während Grazyna mit ihrem alten Freund redete und Ghaban immer noch dabei war, sich aus seinem Kettenhemd zu befreien, ließ Atheris seinen Blick durch das Zimmer schweifen – kein Zweifel, hier lebte ein Stoffhändler! In jeder freien Ecke stapelte sich die Handelsware, wodurch das an sich sehr schöne und geräumige Zimmer den Charme eines Lagerhauses versprühte – mal abgesehen von den Ratten, deren Spuren er hier nicht erkennen konnte.
„Macht es euch doch bitte gemütlich!“ erklang die Stimme des Hausherren, während er an Atheris vorbei schritt und mit wenigen Handgriffen einen Tisch und drei zusätzliche Stühle unter einem Ballen Stoff hervorzauberte. Der Greifenhexer half Grazyna aus ihrem nassen Mantel und hängte diesen zum Trocknen in der Garderobe auf, penibel darauf achtend, dass genügend Abstand zu Ghabans Ausrüstung bestand.
Ghaban, der sich inzwischen aus Kettenhemd und Gambeson geschält hatte, setzte sich mit einem zufriedenen Grunzen an den Tisch und seine Mundwinkel schienen ein Lächeln anzudeuten, als der Händler mit einem Tablett voller Käse, Schinken und Brot aus einem anderen Raum trat. Als Grazyna noch eine Flasche Rotwein hervorzauberte, setzte auch Atheris ein breites Grinsen auf – viel besser als im Regen die Nacht unter einem Baum zu verbringen, daran bestand kein Zweifel!
„Fangt schon mal ohne mich an, ich werde zuerst Ker`zaer versorgen und geselle mich dann zu Euch!“ rief er seinen Freunden zu und trat wieder in den Regen. Direkt hinter dem Haus befand sich eine kleine Stallung und ein überdachter Stellplatz für den Wagen des Händlers. Atheris öffnete mit einem Knarzten die Stalltür und betrachtete das Innere. Die beiden alten Wallache des Händlers blickten ihn aus schläfrigen Augen an, schienen aber ansonsten keine Angst vor den Neuankömmlingen zu haben. Viel Platz gab es hier nicht, aber es reichte, um für den schwarzen Hengst eine ruhige Ecke mit trockenem Stroh herzurichten und ihm etwas von dem hier gelagerten Heu zu fressen zu geben. Nachdem das Fell trockengerieben und die Ausrüstung sauber gelagert war, machte er sich wieder auf seinen Weg zurück zum Haus. Hoffentlich hatten sie ihm etwas von dem Wein übrig gelassen. Draußen regnete es inzwischen wie aus Kübeln und obwohl der Weg zur Eingangstür nicht weit war, kam er endgültig durchnässt auf der Veranda an. Gerade als er die Türklinke ergreifen wollte kam ein Unbehagen in ihm hoch – „A d’yaebl aép arse!“ flüsterte er, während er sich langsam umdrehte. Er spürte, wie jemand oder etwas ihn beobachtete – keine Magie, kein Instinkt … nur ein unheimliches Gefühl, das er nicht in Worte greifen konnte. Konzentriert ließ Atheris seinen Blick über die anliegenden Häuser schweifen. Die Lichter waren erloschen, die Fensterläden geschlossen und nur aus der kleinen Taverne erklang noch das dumpfe Lallen der letzten Gäste. Das Rauschen des Flusses, dessen Pegel durch den Regen inzwischen stark angestiegen war, kam kaum noch gegen das Geräusch der trommelnden Tropfen auf den Hausdächern an. Dann verharrte sein Blick auf der vermeintlichen Quelle seines Unbehagens. Das einst prächtige Kaufmannshaus stand am Rande des kleinen Marktplatzes in bester Lage. Es stand leer, das war leicht an den vernagelten Fenstern im Erdgeschoss und der vernagelten Tür zu sehen. Seine durch die Mutationen geschärften Augen vermochten den Regenschleier nur bedingt auf diese Entfernung zu durchbrechen, aber da war doch wer? Atheris wischte sich über die Augen und konzentrierte sich erneut. Er konnte die Blicke, die auf ihm lasteten spüren – war das eine Silhouette, die sich im Fenster direkt unter dem Giebel abzeichnete – Augen in der Dunkelheit, die den Regen durchbrachen und ihn auf so unnatürliche Weise berührten? Seine Hand wanderte instinktiv zum Amulett um seinen Hals und ergriff das Medaillon in Form eines Greifenkopfes. Keine Vibrationen … keine Magie … nichts Ungewöhnliches schien der Magiedetektor zu orten. Ein gleißend heller Blitz durchfuhr die Dunkelheit der Nacht und raubte Atheris für einen kurzen Moment die Sinne. Als sich das Nachbild endlich aufgelöst hatte und der Hexer seine Aufmerksamkeit erneut auf das Haus lenkte, war das unangenehme Gefühl verschwunden, und obwohl er noch eine Weile das Haus beobachtete, konnte er nichts Auffälliges mehr erkennen. Wenn da etwas gewesen war, so war es zumindest für den Moment verschwunden. Mit einem leichten Schulterzucken wandte er sich erneut der Eingangstür zu und schloss diese von innen. Die erneuten Blicke, die auf ihm ruhten, bemerkte er diesmal nicht.
Atheris war verdammt lange fort geblieben – und normalerweise hätte sich Gabhan Sorgen um den Freund gemacht, doch die Atmosphäre im Haus war in einem Maße unbedrohlich, dass es noch nicht einmal auffällig war. Sein Amulett zuckte zwar, aber das tat es immer in der Nähe der Zauberin, weshalb er längst aufgehört hatte, sich auf dieses zu konzentrieren und auch seine Instinkte meldeten keinerlei Gefahr. Mochte es draußen auch gewittern, Atheris würde es schon gut gehen. Er neigte einfach dazu der stolzen Salami auf vier Beinen mehr Aufmerksamkeit zu schenken als Gabhan gemeinhin für angemessen hielt.
Um sich abzulenken und nicht in die Verlegenheit zu kommen, in die Erzählungen und Anekdoten über die Vergangenheit einbezogen zu werden, welche Grazyna und der Alte austauschten, ließ der Hexer seinen Blick durch den großen Raum wandern, der trotz seiner heimeligen Atmosphäre einem Kontor nicht ganz unähnlich war, mit all den gewaltigen Stoffballen, die sich in extra dafür gebauten Schränken und dutzenden Schubladen bis unter die Decke schraubten. Einige wenige vergessene Spinnweben hingen unter der Decke und verliehen dem Raum einen Charakter von bodenständigem Charme, der Gabhan gut gefallen konnte. Weniger gut gefiel ihm das Bild, welches zwischen zweien dieser Schränke hing und von dem aus ihm ein hagerer, wenn auch gut gekleideter Mann anblickte. Vom Stil der Kleidung her hätte Gabhan ihn auf das letzte Jahrhundert geschätzt. Vermutlich ein Vorfahre des Stoffhändlers, der mit seinen Geschäften den Reichtum seines Erben erst ermöglicht hatte. Wie es immer in dieser Welt war. Einigen wenigen gelang es sich nach oben zu arbeiten, von wo aus sie immer reicher wurden, während die Armen immer ärmer wurden. Die Anzahl der Reichen indes wuchs immer weniger an, weil jene, die bereits reich waren, die Endlichkeit der Ressourcen zumindest fürchteten, wenn sie auch nach außen immer etwas anderes propagieren mussten, und daher aufstrebende Neulinge behinderten wo sie konnten. Und die Armen? Die wurden immer mehr und – dank der Endlichkeit der Ressourcen – immer ärmer.
Weiteren sozioökonomische Gedanken, die seine Stimmung nur verschlechtern würden, konnte er jedoch nicht nachhängen, denn die Tür zur Stube ging wieder auf und Atheris kam tropfend hinein. Wie der Kerl es schaffte, dass Frisur und Bart dennoch wie immer akkurat saßen, war Gabhan ein ewiges Rätsel geblieben, während er seinen eigenen Schnurrbart gedankenverloren strich und die langen, widerspenstigen Haare wenigstens ansatzweise in Form brachte. „Setz dich Atheris! Die Graupensuppe ist vorzüglich!“ rief Gabhan dem anderen hinüber, der ein wenig gedankenverloren im Türrahmen stand. Es war eine Lüge. Gabhan hasste Graupen. Aber Gepflogenheiten wollten gepflegt werden und Grazyna hätte ihm die folgenden Tage verhagelt, wenn er sich nicht von seiner besten Seite zeigte.
Nur einen kurzen Moment hob die Zauberin den Kopf und brachte ein weiches Lächeln auf ihre Züge ehe sie sich schweigend von ihrem Platz erhob um hinüber zu ihrer Tasche zu treten, aus der sie zuvor bereits – sehr zum Unglauben der anderen – Wein hervorgezogen hatte. Als sie jetzt hinein griff, zog sie ein dickes, größeres Handtuch hervor und reichte es Atheris weiter ehe sie zurück zu ihrem Platz kehrte, das bereits gefüllte Weinglas hinüber schiebend ehe ihr der Blick des Stoffhändlers auffiel. „Ich habe ein kleines Arrangement mit einem Händler aus Toussaint. In Wahrheit befindet sich ein kleines Portal in der Tasche, das es mir erlaubt, immer wieder Wein holen zu können. Der Rest? Der ist nur das Nötigste“, schmunzelte sie und ihr Gegenüber schien mit dieser Antwort, wenngleich auch nicht vollständig, aber zumindest für den Moment zufrieden gestellt. Die Zauberin ließ offen, ob sie es ernst gemeint hatte oder nicht und lächelte nur still in sich hinein ehe sie wieder nach ihrem Glas griff. „Jedenfalls“, hob Jirkam wieder die Stimme, offensichtlich hatte er die Sprache wiedergefunden. „… ist ganz passend, dass ihr da seid. Hab vielleicht sogar Arbeit für die Herrn Hexer.“ Als ihm Gabhans Blick auffiel, hob er hastig die Hände und fegte mit der Geste auch gleichzeitig eine gefüllte Schüssel vom Tisch. „Ach Scheiße! Magda! Mach sauber! Bevor die Stoffe dreckig werden! Ist sowieso schon schwer, hier was zu verkaufen – ist ja nicht so, als hätten die hier Geld.“ Sein Lachen dröhnte unangenehmer durch das Haus, als es Grazyna in Erinnerung hatte und ließ die Zauberin kurz schaudern. „Ich zahl auch!“, nahm er den Faden wieder auf, den er zuvor fallen gelassen hatte. „Habt bestimmt das große Haus gesehen, das drüben steht. Ist eigentlich meins – hab`s gekauft, aber irgendwas scheint nicht zu stimmen. Leute reden über Geister und Stimmen, die daraus kommen und ich kann so nicht einziehen, weil keiner die Möbel rüber bringen will und ich kann es schlecht selbst machen. Jedenfalls würd´s die Leute bestimmt beruhigen, wenn sich … Professionelle das anschauen und bestätigen, dass da nichts ist“, führte er aus, und noch bevor einer der beiden Hexer antworten konnte, hob er wieder die Hand. „Aber erst mal seid ihr unsere Gäste. Ihr esst und trinkt, schlaft euch richtig aus und morgen könnt ihr euch dann drum kümmern. Sagen wir, die Hälfte im Voraus? Ist nur fair – könnt ja sonst jeder kommen.“
Das alte Haus
Der Regen hatte sich verzogen und die tiefstehende Herbstsonne hatte den dichten Morgennebel vertrieben. Atheris stand flankiert von Grazyna und Ghaban vor dem großen Haus und betrachtete die zugenagelte Tür. „Die Bretter wurden vor nicht allzu langer Zeit hier angebracht!“ stellte er das Offensichtliche laut fest. „Ich würde sagen … etwa vor einem Jahr, wenn man die Verwitterung des Holzes und der Nägel berücksichtigt … die Fenster dagegen wurden sicherlich vor mehr als zehn Jahren verriegelt!“ brummte der Bärenhexer als Erwiderung. Mit ein Paar gemurmelten Worten und einer kurzen Geste ließ Grazyna die Nägel aus den Brettern schweben und mit einem lauten Poltern krachten die Latten auf den Boden. „Danke Grazyna!“ lächelte Atheris, der sich gerade daranmachen wollte, die Bretter zu entfernen. Ghaban war der erste, der ins Innere trat und anfing sich umzuschauen. „Schaut euch das an!“, der Bärenhexer zeigte auf den verstaubten Boden. Man musste kein Fährtenleser sein, um die vielen verschiedenen Fußabdrücke zu erkennen – zu den großen Stiefelabdrücken gesellten sich barfüßige Spuren von jungen Kindern, die vermutlich aus Neugierde oder als Mutprobe in das Haus gekommen waren. „Sie waren nicht zur selben Zeit hier!“ stellte Ghaban fest, der sich über eine kaum im Staub erkennbare Spur gekniet hatte. Sowieso war etwas an diesem Haus seltsam. Er war es gewohnt, dass sein Amulett in der Nähe der Zauberin vibrierte. Das da stets ein leises Zucken war, das den sonst so potenten magischen Gegenstand zur Ortung und Einschätzung von Gefahren gänzlich unbrauchbar machte. Doch kaum, dass sie das Haus betreten hatten, hatte es aufgehört zu zucken. Es war ihm erst gar nicht aufgefallen. Doch nun, nun fiel es ihm auf. Und nicht nur das. Noch etwas schien zu fehlen – sämtliche Geräusche schienen vom Boden verschluckt zu werden. Selbst das Rauschens des Windes war so fern und leise, dass Gabhan glauben mochte, dass es nur noch in seiner Erinnerung existierte. Dass er es nur noch hörte, weil er wusste, dass er es in einem solch alten Haus hören musste. Es war ein gefährlicher Gedanke – denn kaum hatte er ihn gedacht – da war es fort. Das Rauschen des Windes. Beunruhigender war nur noch, was es mitgenommen hatte. „Ich bitte euch nun ruhig zu bleiben,“ flüsterte Gabhan leise, doch ob des Fehlens sämtlicher anderer Geräusche hätte er auch genauso gut schreien können. „Denn was ich euch nun sagen werde, könnte eurer Ruhe abträglich sein…“ er spürte den Blick der beiden auf sich, spürte bereits die Worte Grazynas, die sich in ihrem Kopf formten und bereit waren losgelassen zu werden, doch Gabhan hob die Hand und deutete hinüber zur Eingangstür. Oder besser – dorthin, wo die Eingangstür noch bis vor wenigen Augenblicken gewesen war. An ihre Stelle war nämlich nun blankes Holz getreten. Gabhan spürte einen drückenden Kopfschmerz, ein dumpfes Pochen. Waren sie überhaupt dort hindurch gekommen? Er schüttelte den Kopf. Natürlich waren sie das. Sie waren ja noch in der Eingangshalle. „Die Tür ist fort,“ sprach er das Offensichtliche aus, wenngleich auch mit der Hoffnung, dass die anderen ihn eines besseren belehren konnten. „Was?“, die Frage kam vollkommen unvermittelt von der Zauberin, die jetzt herum wirbelte und mit einigen wenigen Schritten hinüber zu dem Ort getreten war, an dem sich zuvor noch die Tür befunden hatte. Nichts. Das Holz dort wirkte, als wäre es schon immer hier gewesen. Als wäre es bereits seit Jahrzehnten an Ort und Stelle, an einigen Stellen längst abgenutzt von Dutzenden von Händen, die hier hinüber gestrichen haben mochten. Mit trockenem Mund ging sie weiter bis hin zu einem der großen Buntglasfenster und erstarrte dann erneut, als sie zum ersten Mal das Bildnis dort betrachtete, das in feinstem Mosaik geformt worden war. Es zeigte drei Gestalten – zwei davon mit Schwertern auf dem Rücken, hochgewachsen, die gelben Augen wachsam auf ein unsichtbares Unheil gerichtet. Einer davon mit einer hässlichen Narbe auf der Wange und drei vernarbten Klauenspuren an der Schläfe, der andere mit eindeutigen nilfgaardischen Symbolen auf der Kleidung. Die dritte Gestalt war eine Frau und Grazyna schluckte, als sie feststellte, dass es sich hierbei um sie selbst handelte. Kopfschüttelnd zwang sie sich zum Nachdenken, darum ihren eigenen Verstand wieder zu klären, der für eine Sekunde ausgesetzt und Furcht Platz eingeräumt hatte. Furcht half ihr nicht, sie lähmte sie nur und würde keinen von ihnen aus der unangenehmen Situation herausbringen, in die sie sich hinein manövriert hatten. „Seht euch das an“, wies sie die beiden Hexer darauf hin und deutete zu dem Fenster, das sie drei zeigte. Auf den anderen Fenstern sah sie weitere Gestalten – am Boden liegende und blutende Kinder, daneben ein paar Steine, mit denen sie offensichtlich die Fenster eines Hauses eingeworfen hatten, auf einem anderen eine lange Tafel wie zu einem rauschenden Fest, doch die Gäste lagen mit leeren Augen auf dem Tisch, die Weinkelche umgeworfen. Das nächste Bild zeigte einen Mann, der einen anderen erstach, wiederum ein anderes zeigte eine Frau, leblos und nur halb bekleidet auf einem Bett, die Kehle durchgeschnitten. Keines davon war von außen sichtbar gewesen.
Ein kalter Schauer lief Atheris den Rücken runter. Obwohl er es schon öfters mit unnatürlichen Erscheinungen zu tun hatte, so hasste er derart paranormale Phänomene – was Handfestes … das es zu erledigen galt … das war seine Spezialität. „A d’yaebl aép arse!“ fluchte der Greifenhexer, als er Grazynas Blick zu den Gemälden folgte. „Zumindest haben wir schnell herausgefunden, dass hier was nicht stimmt!“ Er drehte sich um und betrachtete die lange breite Treppe die nach oben führte – da war es wieder gewesen, dieses unangenehme Gefühl beobachtet zu werden. Leise Geräusche drangen an seine empfindlichen Ohren – Worte, mehr gehaucht als geflüstert, so dass ihre Bedeutung nicht zu erkennen war. Er brauchte seine Freunde nicht darauf hinzuweisen, beide waren an seine Seite getreten und schauten ebenfalls nach oben. „Ich will ja nichts sagen!“ unterbrach Grazyna das Lauschen, „ist euch auch aufgefallen, dass die Treppe viel zu lang ist im Verhältnis zur Größe des Hauses … wir haben es hier mit irgendeiner Form der Illusion zu tun – oder, was noch viel schlimmer wäre – wir haben den natürlichen Raum verlassen!“ sie schaute Atheris über ihre Schulter an und er erwiderte ihren Blick mit einem leichten Lächeln. „Wenn du keine konkrete Idee hast, Frau Zauberin, lass uns hinaufsteigen … es scheint uns irgend jemand oder etwas zu erwarten!“ raunte Gabhan, während seine schweren Stiefel der ersten Treppenstufe ein leichtes Knarzten entlockte.
Gabhans liebenswürdige Art entlockte ihr dieses Mal nicht viel mehr als ein schweres Seufzen, während Grazyna das Kleid raffte und die ersten Schritte hinter dem Bärenhexer her machte, eine viel zu lange Treppe hinauf. Sie sah Kerzen im oberen Stockwerk aufflammen, je mehr Stufen sie voranschritten, hörte zuerst, wie sich Türen schlossen und andere öffneten, bevor sie es sehen konnten. Es war eine Schnapsidee hierher zu kommen und für eine Sekunde überlegte sie sich, ob es nicht Absicht gewesen war, sie Drei hier in eine Falle gelockt zu haben. Kopfschüttelnd verwarf sie den Gedanken wieder – sie wurde paranoid, war zu lang mit den Hexern unterwegs gewesen und schalt sich geistig selbst eine Närrin, so etwas befürchtet zu haben.
Der lange Korridor, den sie oben erreichten, war gesäumt von Dutzenden Türen aus dunklem Holz mit silbernen Klinken. Ein paar davon waren mit alten Symbolen bemalt – Blumen und glückbringende Inschriften, während andere beinahe vollkommen schwarz im Schatten lagen. Nur eine einzige Tür lag am Ende des Ganges zu ihrer Rechten noch offen, und Kerzenlicht warf tanzende Schatten in den Flur. „Dorthin“, sagte sie und durchbrach damit, wenngleich ihre Worte auch kaum mehr als ein Flüstern waren, die eisige Stille, als habe sie soeben geschrien. Irgendetwas umgab sie hier, sie spürte den Druck in ihrem Kopf, der ihr die Augen tränen ließ und die Müdigkeit in den Knochen, als wären sie bereits seit mehreren Tagen durch dieses Haus gewandert – es fühlte sich an, als würde jeder Schritt ihnen mehr Energie rauben und gleichzeitig begleitete sie immer wieder die Angst davor, was geschah, wenn man hier die Augen schloss.
Gabhan hörte die Schritte seiner Kameraden in einem einschläfernden Gleichklang hinter sich, während er den ewigen Flur entlang glitt. Seine schweren Stiefel folgten dabei bereits seit vielen Jahren, vielleicht Jahrhunderten ausgetreten Pfaden, die von einer Eintönigkeit geschliffen worden waren, die noch älter war als das Holz, auf dem es seine Spuren hinterlassen hatte. Er musste seinen Blick selbst wieder hochreißen, der zuvor von den hellen Spuren des Bodens gefangen genommen worden war, die ihm den Weg wiesen. „Verdammt, wir müssen wirklich vorsichtig sein hier…“ knurrte er und warf einen Blick zurück, als er keine direkte und schnippische Antwort erhielt. Doch die Zauberin, von der er diese Antwort erwartet hatte, war fort. Und mit ihr auch der ihr zu bekannte Hexer. Gabhans Kehle schnürte sich zu, während er den gewaltigen, unfassbar langen Gang entlang sah, in den sich bis in die Unendlichkeit Kerzen links und rechts an der Wand entlang hangelten, kleine Kerzenflammen nach oben züngelten. Flammen, die seinen Blick bannten. Die anschwollen, ob in seinem Geist oder in Wahrheit vermochte er nicht zu sagen, doch er spürte das Feuer in seinem Gesicht. Die wärmende Flamme, die zu einer versengenden Hitze wurde. Feuer. Feuer überall und dann – mit einem Mal erloschen die Kerzen im langen Gang. Eine nach der anderen, immer schneller und schneller, als würde eine Wand aus Dunkelheit heran walzen und sämtliches Licht verschlucken – und dort, in der Finsternis, dunkler als das Dunkel, ein Gesicht. Formen. Gabhan konnte sich losreißen – wusste nicht wie lange er dort gestanden hatte, doch er riss eine Tür zu seiner linken auf, stolperte dort hinein – und kam in einen zweiten Gang, ebenfalls von der linken Seite und stieß mit Grazyna zusammen. „Duibbelschiss! Wo wart ihr?“ brüllte er, doch die andere sah ihn nur fragend und verständnislos an.
Atheris zuckte zusammen, als Ghaban ohne Vorwarnung gegen Grazyna stolperte. Während der Greifenhexer langsam sein halb gezogenes Jagdmesser wieder in die Scheide zurückschob und er gerade ansetzten wollte etwas zu sagen, legte sich etwas auf seinen Mund. Vergeblich versuchte Atheris zu schreien, aber es blieb still. Mit all den erworbenen Fähigkeiten eines Vatt`ghern versuchte er sich aus dem Etwas, was ihn umschlungen hielt, zu befreien – blieb aber erfolglos. Er konnte sich nicht erklären, was ihn festhielt und er konnte auch nicht verstehen, warum seine Freunde sich nicht umblickten, sondern den langen Gang unbeeindruckt weiter folgten. Aus den Augenwinkeln sah er wie die Kerzen im Gang erloschen und wie sich die daraus ergebene Dunkelheit wie ein dunkles Omen auf ihn zukam und ihn samt seines Angreifers verschluckte. Dann herrschte Stille … nein, keine Stille … da sprach doch wer. Erneut griff er zu seinem Mund und zog an dem Stoff, der sein Gesicht inzwischen voll bedeckt hatte. Mit einem satten Klatschen landete der nasse Waschlappen im Zuber – direkt zwischen seinen nackten Beinen. „Eingeschlafen oder was!“ lächelte ihn Ghaban an, der neben ihm ebenfalls ein Bad genoss und dabei einen großen Humpen Bier in der Hand hielt. Direkt neben dem Bärenhexer befand sich ein dritter Zuber in dem Reynek ausgelassen ein kleines Liedchen sang. Wie konnte das sein? Atheris kannte dieses Zimmer … diese Szenerie … dieses …“A d’yaebl aép arse!“ schrie er, während er sich gegen die Seite seines Badezubers schmiss und diesen mit lautem Poltern zum Umkippen brachte – gerade noch rechtzeitig um dem tödlichen Armbrustbolzen auszuweichen, der schon einmal seine Brust durchbohrt hatte. Elegant rollte sich Atheris über die Schulter ab und kam in sprungbereiter Stellung wieder auf die Beine, bereit sich auf seinen Angreifer zu stürzen. Es war der überraschte Gesichtsausdruck auf Grazynas Gesicht, der den Greifenhexer daran hinderte, sich auf seine Freunde zu stürzen. Er musste sich nicht umschauen, er wusste wo er sich befand – in einem langen, endlos erscheinenden Gang.
Überraschung stand in Grazynas Gesicht geschrieben, als Gabhan sich mit einem Mal umgewandt hatte und sie zurückgestoßen hatte, sein gezogener Dolch hatte einen dünnen, kleinen Schnitt auf ihrem Hals hinterlassen, von dem sie jetzt spürte, wie Blut kleine Flecken in der weißen Chemise hinterließ. Dann hatte sich mit einem Mal sein Blick wieder geklärt und seine Worte, halb brüllend waren an ihre Ohren gedrungen. Noch bevor sie hatte antworten können, hatte auch Atheris den Verstand verloren und hatte gegen eine unsichtbare Kraft gekämpft – oder war er geflohen? Sie hörte das Poltern seiner Schritte, der Rolle, die er machte, bevor er vor ihnen beiden zum Stehen kam, sprung- und angriffsbereit – und dann klärte sich auch seine Sicht wieder. Die Nasenflügel der beiden Hexer blähten sich unter dem aufgeregten Atmen auf wie bei einem nervösen Pferd, sie sah das Zucken der Hände und wusste gleichermaßen auch, dass, wenn beide sie angreifen würden, es pures Glück sein würde, ob sie rechtzeitig reagieren würde können, um sich selbst zu schützen. Das Haus machte etwas mit ihnen, veränderte sie und gaukelte ihnen Dinge vor, die es nicht gab. „Was immer ihr seht, es ist nicht real“, hob Grazyna schließlich langsam die Stimme, beide Hände abwehrend gehoben ehe sie es wagte, den ersten Schritt auf die beiden zu zumachen und schließlich sanft eine Hand auf Atheris‘ Arm legend. „Es ist hier nichts. Nur ein leerer Gang und Türen. Es gibt keine Angreifer, nur uns selbst.“ Sie wusste nicht, was die beiden gesehen hatten, wollte aber auch nicht nachfragen, in der Befürchtung, sie würde es damit nur wieder schlimmer machen. Dann sah sie aus den Augenwinkeln eine Gestalt, schmal und in weiße Lumpen gekleidet, die dort vor ihnen durch den Gang schritt und in deren Augen Bedauern stand, als sie den Blick auf die Zauberin richtete. „Sie werden dich töten“, hallte plötzlich ein leises Wispern an ihre Ohren, das sie schaudern ließ und das beinahe dafür gesorgt hätte, dass auch sie herumgewirbelt wäre. „Sie werden euch beide töten …“ Dann war wieder Stille da, so als wäre nichts gewesen und Grazyna zwang sich zur Ruhe, verbat sich länger über die Worte nachzudenken. Es wurde Zeit, dass sie eine Lösung fanden und dieses Haus verließen. Es war nichts hier sagte sie – und doch hätte er schwören können, dass da etwas gewesen war.
Auch Atheris hatte etwas gesehen. Aber sie hatte wohl recht – war nur Lug und Trug. Mehr Schein als Sein, in einem Nebel aus sich stetig verändernden Farben und Formen. Er fuhr mit einer Hand über sein Amulett, als er stockte. „Natürlich…“ flüsterte er leise und schloss die Augen, verfluchte sich selbst ob seiner Dummheit. „Die Zauberin hat recht – all das ist nicht echt!“ knurrte er. „Unsere Amulette rucken wie verrückt! Atheris, fass deines auch an, konzentriere dich darauf! Das Scheiß Haus spielt mit uns, zeigt uns was es zeigen will und lässt weg, was es uns verschweigen mag!“ er spuckte aus. „Gut,“ sein Ton wurde düsterer. „Schluss mit den Spielchen – Angriff ist die beste Verteidigung – wir gehen da jetzt rein und fragen was die Scheiße soll!“
Seit dem Verschwinden der Tür war es Atheris klar gewesen, dass man mit ihrer Wahrnehmung spielte, dennoch fühlte sich alles, was hier passierte, real an. Wie verteidigt man sich gegen etwas oder jemanden, der eigentlich nicht da ist, aber den alle deine Sinne wahrnehmen? – Atheris hasste Geister!
Atheris vernahm Ghabans Worte, aber es dauerte noch eine gefühlte Ewigkeit, bis endlich die Tür am Ende des langen Ganges krachend aus den Angeln flog! Sichtlich genervt von den paranormalen Vorkommnissen hatte Ghaban nicht einmal versucht zu prüfen, ob die Tür verschlossen war oder nicht, sondern hatte sie schlicht weg eingetreten. „Was soll die Scheiße!“ waren seine Worte als sie gemeinsam den riesigen, gut beleuchteten Raum betraten. „Das ist ein verdammter – riesiger Ballsaal!“ stellte Atheris überrascht fest. Alleine die Ausmaße dieser Räumlichkeit ließen sofort erkennen, dass es sich um ein Gehirngespinst handelte. Atheris war nur wenige Meter in den Raum getreten, als erneut dieses so unbehagliche Gefühl in ihm aufkam – er erneut diese Blicke spürte, die ihn bis ins Mark erschütterten. Dann sah er den Schatten, am anderen Ende des Ballsaales. Fast wellenförmig spürte er, wie die Gänsehaut an seinem Arm hinablief bis zur geballten Hand, in der er das vertraute Gewicht seiner Silberklinge spürte. Seine geschlitzten, katzenartigen Augen verengten sich, als er dieses dunkle Wesen fixierte. Eine Fratze – einem Totenkopf nicht sehr unähnlich – die Augen, sofern dieses Wesen welche hatte, waren so tief schwarz, dass es den Eindruck erweckte, sie würden das Licht selber verschlingen. „Da ist es! Aen Ard Feainn!“ schrie Atheris und stürmte los, dicht gefolgt von Ghaban und Grazyna.
Als die drei etwa die Mitte des Ballsaales erreicht hatten, machte das albtraumhafte Wesen kehrt und verschwand hinter einer großen Tür. Fast gleichzeitig fingen die riesigen Fenster an den beiden langen Seiten an zu vibrieren und Fanfaren drangen an Atheris Ohr, zunächst leise – dann immer lauter werdend. Erst jetzt vielen dem Greifenhexer die durch Buntglas dargestellten Szenen von Rittern, Monstern und Drachen auf – und mehr noch, die Fanfaren schienen sie ins Leben zu rufen! Die Fenster, nein sie vibrierten nicht, etwas wollte aus ihnen heraus gelangen! Atheris musste es nicht aussprechen, seine Freunde hatten es ebenfalls sofort erkannt und nochmal an Tempo zugelegt und sprinteten auf den vermeidlichen Ausgang zu. Es waren keine zwanzig Meter mehr bis zu ihrem Ziel, als sich ein gläserner Ritter auf seinem Streitross aus dem Fenster löste und sich ihnen mit gesenkter Lanze in den Weg stellte. Es war für wahr ein seltsamer Anblick, da diesem Wesen die Tiefe fehlte, so dass ihr Angreifer, jetzt wo er sich frontal zu ihnen platziert hatte, nur wie ein Strich in der Landschaft wirkte. „Jetzt wird es interessant, Ghaban!“ sagte Atheris, währen er seine Klinge für den Kampf hob.
Das alte Haus erwacht
Gabhan spürte, wie der ganze Boden unter ihm bebte, wie sich mit jedem Schritt, den der gläserne Recke tat, der Boden des Ballsaals wellenförmig aufwarf. Gabhan setzte einen Fuß nach hinten, auf welchen er sein Gewicht verlagerte, den anderen nach vorne, um jederzeit sprung- und angriffsbereit zu sein, nach allen Richtungen austeilen zu können. „Ruhig…“ Gabhans Stimme war leise, ohne die Angriffslust, die in Atheris schnellen Bewegungen mitschwang. Der Ritter senkte die Lanze. Gabhan griff sein Schwert mit beiden Händen, führte es frontal vor den Körper, in ganzer Länge aufgerichtet, halb angewinkelt. „Ganz ruhig…“
Der Ritter, geformt durch die Kunstfertigkeit eines Glasbläsers, kreiert durch die Vorstellung eines Mannes, der sicherlich noch nie einen echten Ritter gesehen hatte und beseelt von der Dunkelheit des Hauses, visierte Gabhan an und verfiel erst in leichten Trab, dann in schnellen Galopp. Der Bärenhexer fixierte sein Gegenüber, die lange Lanze aus Glas. „Ich mach das,“ knurrte er in Atheris Richtung und drehte sich ebenfalls halb ins Profil, die Klinge nun leicht erhoben.
Sein Feind preschte voran – der Schein der Kandelaber spiegelte und brach sich auf der Lanze aus Butzenglas, warf bunte Farbkleckse wie ein Reigen zur Savoinne auf den Boden, die sich miteinander vermischten und zu neuen Gebilden, neuen Fantasien wurden. Der Ritter kam immer näher, die Geschwindigkeit wurde immer halsbrecherischer. Das ist nicht echt. Da war er, der Ritter, die Lanze, der Tod. Gabhan ließ sein Schwert sinken, drehte sich nach vorne, vergrub die Beine in den Boden und vollführte mit schneller, kurzer Geste ein einziges Zeichen, das lila-blau aufleuchtete, der Szenerie ein noch gespenstischeres Aussehen gab. Dann war der Ritter bei Ihm – die Lanze traf auf den Brustpanzer des Hexers. Wenn dieser erwartet hatte, dass sich der andere in Luft auflöste, wurde er nun enttäuscht. Der Schmerz war real, aber nur kurz. Die Lanze splitterte, feine Verästlungen liefen die Lanze entlang, über die Hand des Ritters, seinen Brustpanzer, sein Visier. Dann zersplitterte der Gesamte Ritter und Gabhan wurden abertausende feine Glassplitter entgegen geschossen. Der Bärenhexer schützte sein Gesicht instinktiv mit einem Arm, während tausend kleine Nadeln über seine Wangen fuhren. Das Geräusch des niederfallenden Glases erinnerte ihn an Regen. Erst als der letzte Tropfen gefallen war, wagte er es seine Augen wieder zu öffnen. Blut lief ihm aus kleinen Schnitten an der Wange hinab, sein Brustpanzer wies einen tiefen, aber nicht bis zum Körper führenden Schnitt auf. Glas lag kreisrund um ihm in dem nun langsam verlöschenden Yrden. „Ich sagte doch… nicht echt…“ keuchte er. Wenn auch echt genug.
Es war nicht echt … alles nicht echt … und dennoch betrachtete Atheris, wie sich weitere Bildnisse aus den Fenstern lösten und auf sie zumarschierten. Seine Silberklinge blitzte im Sonnenlicht, das nun durch die freien Fenster ungestört den Saal mit einem warmen Licht flutete. War es überhaupt die Sonne? Vermutlich nicht – egal! Atheris hob die Klinge zum Angriff und baute sich neben Ghaban so auf, dass Grazyna bestmöglich gedeckt war. Die Magierin hatte inzwischen die Augen geschlossen und die Hände ähnlich einem Gebet vor dem Körper platziert, während sie leise Worte murmelte, deren Bedeutung Atheris verborgen blieben. Als die erste der Glaserscheinungen in Reichweite seines Schwertes gelangte, griff er an! Die Klinge zuckte elegant nach vorne, in Richtung Hals – obwohl das bei einem Fensterbild oder einer Illusion sicherlich bedeutungslos war. Ohne das durch Ghaban geformte Yrden war der Aufprall des Schwertes auf das dicke Glas alles andere als eine Illusion, die sich bei dem Treffer in kleine Splitter auflöste. Mit einem zweiten, schnelleren Schlag brach Atheris den gläsernen Streiter und große scharfe Glassplitter zuckten für einen kurzen Moment durch die Luft. Sofort bauten sich zwei weitere Erscheinungen direkt vor ihm auf und trachteten ihm mit ihren scharfen Glasklingen nach seinem Leben, was sicherlich keine Illusion war. Das Geräusch von splitterndem Glas, einer zischenden Klinge und einigen unflätigen Ausdrücken zufolge war auch Ghaban dabei, sich mit dem nicht wirklich vorhandenen Feind zu streiten. Immer und immer wieder barsten die Scheiben und immer wieder fügten sich die verdammten Splitter zu neuen, noch absurderen Gestalten zusammen – das war kein Kampf, den man auf diese Art gewinnen konnte. Dann drang ein leiser, heller Ton an sein empfindliches Ohr. „Was zur Hölle is…!“ den Rest von Ghabans Worten musste sich Atheris denken, denn der Ton war schnell zu einem grellen Schrei herangewachsen. Schwindel überkam den Hexer, so dass er nur mit Mühe eines der Glasschwerter beiseite wischen konnte und mit einem kurzen Schlag des Knaufes das Konstrukt vor ihm zerschmetterte. Obwohl in ihm das Gefühl aufkam, sein Kopf würde gleich platzen, erkannte Atheris, dass sich feine Risse auf den Glasmonstern bildeten. Die Wesen hielten inne und schienen sich zu wundern, dass sie gebrechlich wurden. Der Ton war inzwischen so laut geworden, dass Atheris seine Klinge fallen lassen musste um seine Ohren zu schützen. Gerade als seine Beine unter ihm nachgaben und er auf die Knie stürzte, endete das Schauspiel mit einem letzten, klaren Ton, der die Angreifer in sich zusammen brechen ließ.
Gabhan schüttelte sich. Der schrille Ton war verklungen, doch er hatte ein Nachbleibsel in Form eines noch immer gut hörbaren, schrillen Tinnitus hinterlassen, der in den Ohren klingelte und ihm schlecht werden ließ. Er mochte nicht ganz so heftig reagiert haben wie Atheris, stand er doch noch immer auf den Beinen, doch diese fühlten sich an, als seien sie mit Pudding und nicht mit Muskeln oder gar Knochen gefüllt. „Verteufelt noch eins Zauberin! Hast du in deiner Akademie auch eine Opernausbildung gemacht?“ fluchte er und hielt Atheris eine Hand entgegen um ihm aufzuhelfen. Um sie herum war alles voller Glassplitter – doch die Fenster, durch die er zuvor noch Tageslicht hatte hereinfallen sehen, waren nun wieder mit Glas verschlossen, das nun jedoch milchig-weiß war und keine Möglichkeit mehr eröffnete zu erahnen, welche Tageszeit es draußen sein mochte. Der Bärenhexer fuhr sich über das Gesicht, um auch die letzten Glassplitter daraus zu entfernen, während Grazyna in seinem Augenwinkel ein kleines Kästchen zurück in ihren Beutel tat. „Wir sind kein Stück weiter gekommen…“ knurrte Gabhan, während er den Blick von seinen Begleitern abgewandt und zum Boden gerichtet hatte, auf dem er hier und da dunkle Flecke in rostigem Rot erkannte, die das Schicksal all jener unglücklichen verrieten, die nicht die Fähigkeiten oder Spielzeuge besessen hatten, die zwei Hexern und einer Zauberin aus Arethusa zur Verfügung standen.
„Ist jemand verletzt?“ stellte Gabhan schließlich die einzig wichtige Frage, nachdem er seinem Unmut genug Luft gemacht hatte. „Ich will nicht, dass wir weitergehen und irgendwer mit einem Mal zu spät merkt, dass er dummerweise ein handtellergroßes Stück Glas an einer ungünstigen Stelle mit vielen Arterien stecken hat.“
„Hast du jemals versucht, jungen Zauberinnen die Grundprinzipien der Transmutation beizubringen?“, lautete Grazynas einzige Antwort auf das kleine Spielzeug, das sie vor kurzem wieder in ihre Tasche geschoben hatte und von dem sie nicht beachtet hatte, dass es dem empfindlichen Gehör der beiden Hexer so sehr schaden würde. Langsam ließ sie noch einmal ihren Blick durch den großen Saal wandern, der sich vor ihnen Dreien erhob und in dem eine große Tafel stand. Ein langer hölzerner Tisch, daran Dutzende von Stühlen, allesamt fein säuberlich mit Stoff bezogen und sauber abgeklopft und auf den Tischen … für eine Sekunde hielt sie inne und runzelte die Stirn. Auf den Tischen waren frische Speisen, dampfend, kunstvoll angerichtet, so als würde die Dienerschaft des Hauses gerade erst Gäste erwartet haben. Am Kopfende des Tisches saß die gedrungene Gestalt eines Mannes, der jetzt die Hände zusammenlegte, die Arme – ganz untypisch für den Adligen, den er darstellte – auf den Tisch mit den Ellenbogen aufgestützt. „Guten Abend“, hob er die Stimme, tief und dröhnend – ganz so, wie jemand, der es gewohnt war, dass man ihm zuhörte und dunkle Augen musterten jeden einzelnen von ihnen. „Setzt euch. Ihr habt beinahe das Abendessen verpasst.“
Gabhan zuckte zusammen, als die dunkle Stimme an seine Ohren drang und ihn dazu zwang sich umzudrehen. Eben war dort noch kein Tisch gewesen. Kein Mann. Kein Essen. Selbst die Lichtstimmung in dem gesamten verfluchten Raum schien sich geändert zu haben – war eben noch milchig weißes Tageslicht hier hinein gefallen, so hatte sich dieses Licht in dem Moment geändert, da er sich umgedreht hatte. Fackeln und Kerzen leuchteten, tauchten die gesamte Szenerie in ein orangenes Licht. „Scheiße…“ knurrte er leise, doch Grazyna hob nur eine einzige Hand. Nein, nur einen kleinen Finger. Es war eine winzige Geste, doch sie war voller Kraft, Bestimmung und Eindeutigkeit.
„Verzeiht…“ hauchte er heiser und trat wie befohlen näher, setzte sich langsam an einen der Stühle, rückte diesen zurecht und ließ sich darauf nieder. „Wir wollten euch nicht so lange warten lassen…“ versprach er und warf Grazyna einen Blick zu, die mit falschem und einstudiertem Lächeln ebenfalls ihren Platz einnahm. Die andere schien einen Plan zu haben und wenngleich Gabhan normalerweise keine Absicht hegte, den Plänen der Zauberin zu folgen, schien in diesem Tollhaus der eine Plan so gut wie der andere.
Atheris hörte die Unterhaltung seiner beiden Freunde und wusste nicht wie die beiden sich so gelassen an den grotesken Tisch setzten konnten, der auf einmal aus dem Nichts aufgetaucht war und an dessen Stirnseite der dunkle Schatten mit dem Gesicht des Todes saß. Mit einer zutiefst verstörenden Stimme, die wie ein kalter Windhauch an seine Ohren drang, forderte Es Atheris und seine Begleiter auf, an der Tafel Platz zunehmen. Der Greifenhexer starrte von seinen Begleitern zu dem Schatten, der ihn mit seinem leeren Blick anstarrte – unheimlich, kalt … wie der Tod persönlich! Er schaute wieder zu Grazyna und Ghaban, die es sich inzwischen am Tisch – mehr oder weniger – gemütlich gemacht hatten. Er spürte wie seine Faust die immer noch gezogene Silberklinge umschloss, bereit sich ohne weiteres auf jeden Gegner zu stürzen – aber es hatte ja keinen Sinn, es war ja nicht wirklich da! Sein Blick viel auf Grazynas Gesicht, das ihn liebevoll anschaute. Die Magierin bedeutete ihn mit einem Lächeln im Gesicht, sich auf den Stuhl neben ihr zu setzten. Die ihm so sehr vertraute Gestickt der Magierin vermittelte ihm Zuversicht und mit einem kaum bemerkbaren Zeichen ihrer Finger auf der Stuhllehne, machte sie Atheris – wie schon so oft in ihrer gemeinsamen Zeit – deutlich, dass sie einen Plan hatte. Widerwillig und mit der Klinge auf dem Schoß setzte er sich zu seinen Gefährten und wartete darauf, was der Wahnsinn in diesem Haus noch so mit ihnen vorhatte.
Bankett des Wahnsinns
Dieses ganze Haus wirkte, als wäre es einzig und allein darauf ausgerichtet, einen Menschen in den Wahnsinn zu treiben. Zuerst die verschwundene Eingangstüre, die Schritte und seltsamen Ereignisse während des Ganges und schlussendlich die Ritter aus Glas, sowie das seltsame Bankett, an dem sie gerade teilnahmen. Sanft nur legte Grazyna ihre Hand auf Atheris‘ Arm, bemühte sich darum, den Hexer zu beruhigen, noch bevor er sein eigenes Schwert hatte nutzen können und offenbarte mit jener Geste gleichwohl auch einen fein gearbeiteten Dolch, den sie selbst im Ärmel verbarg und auf dessen silbriger Schneide nun kleine, violette Zeichen aufleuchteten. Sie wagte nur den kurzen Anflug eines Lächeln auf ihren Lippen um zu beruhigen, erinnerte sie sich doch viel zu gut an jene Mosaikfenster im unteren Teil des großen Hauses. Jene Buntglasfenster, auf denen zu sehen war, wie Menschen an eben jener Tafel, an der auch sie jetzt saßen, vergiftet worden waren und die Zauberin hatte sich frühzeitig dafür entschieden, dieses Schicksal nicht teilen zu wollen.
Die Anspannung war greifbar, sie prickelte unter der Haut und ließ sie dann und wann schaudern, während ihr geisterhafter Gastgeber jedem von ihnen aus einem Dekanter roten Wein einschenken ließ und Bedienstete in geisterhafter Erscheinung, halb durchsichtig und mit Wehklagen und stummem Leid in den Augen ihnen die Speisen auf die Teller auftrugen. Ab und an glaubte sie wieder die kleinen Schritte von jenen Kindern zu hören, die auf den Mosaikfenstern im unteren Stockwerk als erschlagen gegolten hatten und die jetzt Reime sangen. Verzerrte und unheimliche Reime, die ihr Herz schneller schlagen ließen.
Ihr Gastgeber hob das Glas und Grazyna tat es ihm nach, hoffte darauf, dass auch Gabhan und Atheris ihrem Beispiel folgen würden. „Ich möchte einen Toast aussprechen“, hob sie schließlich die Stimme, das Weinglas in ihrer Hand und sich langsam von ihrem Platz erhebend. Sie spürte die Augen des Gastgebers auf sich ruhen, während er gönnerhaft die Hand hob, um sie sprechen zu lassen. „Bevor wir mit dem Essen beginnen, möchte ich anstoßen“, fuhr sie fort, mit der freien Hand eine Weile lang an ihrem Arm nestelnd und den dünnen Schnitt ignorierend, den ihr Dolch auf der bleichen Haut hinterließ, als sie den Griff zu fassen bekam. „Auf einen gelungenen Abend und auf die Gesellschaft, derer wir hier zuteil werden lassen“, beendete sie und hob das Glas zu den eigenen Lippen, die Augen noch immer fest auf jenen Mann gerichtet, der sie an den Tisch gezwungen hatte und der es ihr gleich tat. Nicht trinken. Sie betete zu allen ihr bekannten Göttern dafür, dass Gabhan und Atheris sich an jenes Bildnis erinnerten, das dort unten am Fenster prangte.
Nur einen Moment noch. Der Mann trank den ersten Schluck und gab ihr damit die ersehnte Gelegenheit. Klirrend ließ sie ihr Weinglas zu Boden fallen, wo es in hunderte kleiner Scherben zersprang, während der dünne Dolch zielgerichtet den Weg in den Hals des Mannes fand. Blut floss ihr über die Hände, Erstaunen lag in seinem Blick, als er den Kopf hob. Sein Versuch Worte zu fassen endeten jedoch nur damit, dass Blut ihm über die Lippen glitt während die violetten Zeichen auf dem Dolch aufleuchteten und Magie ihre Bahn brach. Sie spürte seine Hände nach ihr greifen, sie festhalten und näher ziehen ehe auch dieser Griff erstarb, während grimmige Entschlossenheit in Grazynas Blick lag. „Wer immer das hier hört – ich gebe dir einen guten Rat“, zischte sie finster. „Fass niemals diejenigen an, die mir wichtig sind.“
Der Mann sackte nach vorn, das Gesicht fiel hinab auf einen der Teller und färbte auch diesen blutig, während die Zauberin regungslos stehen blieb, hinab auf die Leiche blickte, die sie hinterlassen hatte und die jetzt nachzualtern schien. Ganz so als wäre nichts gewesen. Der Tisch an dem sie saßen, verlor an Schönheit, als das Essen noch vor ihrer aller Augen verdarb – Fleisch, das schwarz und ranzig wurde ehe es von Maden zerfressen wurde, die jetzt über den Tisch krabbelten. Zentimeterdicke Staubschichten lagen auf den Gläsern, die zuvor noch von brennenden Kerzen erhellt worden waren und von denen jetzt Spinnweben Geschirr verbanden.
Langsam beugte sich Grazyna hinab und zog aus der verdorrten und mumifizierten Leiche den eigenen Dolch. „Gehen wir?“
Gabhan hatte einiges erwartet – irgendeine hintersinnige Taktik, der Versuch aus dem hier Anwesenden endlich ein wenig Wahrheit heraus zu kitzeln, die womöglich Licht ins Dunkle hätte bringen können. Doch nichts dergleichen war geschehen – sie hatte ihn abgestochen wie ein Schwein, das man an den Hinterläufen aufgehangen hatte. Er spürte noch das warme Blut, das auf seine Wangen spritzte, das jedoch erkaltet war, ehe es seine Haut berührte. Die Szenerie wandelte sich und mit einem angeekelten Gesichtsausdruck ließ der Bärenhexer das Glas wieder sinken. Auch sein Mut sank. Die Hoffnung, hier schnell wieder hinaus zu gelangen, hatte sich vor seinen Augen gerade in Staub und alte Knochen verwandelt. „Und da sag noch jemand, dass ich einen kurzen Geduldsfaden habe…“ antwortete er jedoch nur auf Grazynas Frage und stand auf, schob mit dieser Bewegung seinen Stuhl zurück und umrundete den langen Tisch, fuhr dabei mit einem Finger über die jahrzehntealte Staubschicht. „Zusammenfassung – das Haus spielt uns etwas vor, es ist jedoch in der Lage, die Illusionen mit einer derartigen Realitätsdichte auszustatten, dass sie uns wirklich schaden können. Scheiße verfluchte – ich habe am Anfang befürchtet hier wäre ein Hym, aber der würde sich nur an einen von uns klammern. Wir sehen jedoch offensichtlich alle etwas. Wir brauchen mehr Informationen, wenn wir hier raus wollen!“ Er hielt inne, trat zu der mumifizierten Leiche und beugte sich ein wenig hinab. „Was sagst du? Du kannst uns nichts mehr sagen, weil du tot bist? Na wie unglücklich…“ er spürte den Blick der Zauberin noch bevor er ihn sah und machte eine wegwerfende Handbewegung. „War nicht böse gemeint. Wir finden eine Lösung. Irgendwie.“
„Irgendwie…!“ wiederholte Atheris leise Ghabans letzte Worte, während er sich das Elend vor ihm anschaute, eine weitere Illusion – keine Frage. Der auf einmal ziemlich heruntergekommene Saal war immer noch viel zu groß, um in das alte Haus passen zu können. Er rieb sich den Bart während Ghaban neben ihm feststellte, dass die Türen verschwunden waren. Grazyna wollte gerade anheben etwas zu sagen, als aus den Ritzen des Steinbodens ein rosa Nebel emporstieg. „Veldi math! Also gut, was uns auch immer hier festhält und was auch immer es mit uns vor hat – es geht weiter!“
Schnell füllte sich der Raum mit dem Nebel und raubte den drei Freunden die Sicht. Um sich nicht zu verlieren, legten sie sich gegenseitig eine Hand auf die Schulter und harrten der Dinge. „Was war das?“ fragte Atheris, als er ein kratzendes und dann polterndes Geräusch vernahm. „Hört sich an, als würde jemand Stühle rücken!“ erwiderte Ghaban. Schnelle Schritte von kleinen Füßen … oder Pfoten huschten an ihnen vorbei, und nur wenige Momente, nachdem der Nebel gekommen war, löste er sich wie ein Vorhang vor ihnen wieder auf. Es war wieder eine gedeckte Tafel, die sich ihnen darbot, diesmal saß aber kein unheimlicher Mann oder Wesen am Tisch, sondern ein blondes Mädchen. Es saß auf einem großen Stuhl mittig am Tisch. An den beiden Stirnseiten saßen zwei wundersame und zugleich grässliche Kreaturen – ein brauner menschengroßer Hase, der mehr Ähnlichkeit mit einem Ertrunkenen hatte, als mit seinen kleinen Artgenossen und ein Gnom mit pockigem Gesicht, langer Nase und gefährlich gelben Augen. Mit einem Lächeln, das seine messerscharfen Zähne entblößte, hieß er sie mit einer einladenden Geste Platz zunehmen.
Beinahe. Beinahe hätte Gabhan gelacht, ob der Absurdität der aktuellen Situation. Offensichtlich kamen sie hier nicht fort, ehe sie nicht dieses kranke Spiel mitspielten, welches sich das Haus für sie ausgedacht hatte. Denn langsam, ganz langsam, reifte in Gabhan die Gewissheit, dass der Wahnsinn, der Tod und das Böse in diesem Haus nicht der Ursprung einer einzelnen Erscheinung sein konnte. Es musste etwas tiefergehendes sein. Etwas böseres – und der Bärenhexer zermarterte sich das Gehirn nach dem Wer und Was.
Wie gebeten setzte sich Gabhan, betont langsam, um die Szenerie in Gänze in sich aufnehmen zu können. Wobei er dabei weder dem Gnom noch dem Hasen weitere Aufmerksamkeit zuwandte, sondern sich einzig und allein auf das blonde Mädchen mit dem blauen Kleid und der weißen Schürze konzentrierte. Und während er sie so betrachtete glaubte er – nur für einen kurzen Moment – einen Rinnsaal von Blut an ihrem Haaransatz zu erkennen. Und dort – war die helle Bluse nicht schmutzig von Staub und Blut? War ihr hübscher Kopf nicht an der einen Seite ein wenig eingedrückt? Ihm kamen erneut Bilder vor sein geistiges Auge – Bilder von Kindern in Butzenglas gegossen, eingefroren im Moment ihres Todes. Für immer ausgestellt. Für immer an das Haus gefesselt. „Ihr kommt zu spät! Das ist nicht sehr höflich!“ rügte das Mädchen sie mit fester Stimme und riss Gabhan für einen kurzen Moment aus seinen Gedanken. „Zu spät, zu spät!“ wiederholte der Hase, wie ein besonders hässlicher Papagei. „Zu spät?“ hakte Gabhan leise nach – „Viel zu spät!“ antwortete das Mädchen. „Und das zu eurer eigenen Feier. Das ist nicht sehr fein!“ – „Verzeih. Das höre ich öfter….“ erwiderte der Bärenhexer und warf Grazyna einen Blick zu. Das hier – es war weder das Mädchen, noch der alte Mann. Das hier war das Haus, und es wechselte sein Gesicht wie ein Marionettenspieler seine Puppen. Nutzte das Repertoire der Seelen all jener, die hier einst gestorben waren.
Wie sollten sie jemals aus diesem Kreislauf des Wahnsinns entkommen? Wie sollten sie mit den Geistern, die vielleicht dem Willen des Hauses oder etwas anderem gehorchten, nur umgehen? Atheris hasste Geister und ihre verschiedensten Ausprägungen. Die schlechten Erfahrungen, die er bisher in seinem Leben mit ihnen gehabt hatte, reichten ihm bereits um zu dieser Feststellung zu gelangen, aber das hier setzte dem Ganzen die Krönung auf! Viel hatte er in den letzten Jahren vom Großmeister der Greifenhexer Valerian gelernt, viel Literatur studiert und sogar selber einen Geist durch ein Bannritual befreit – aber in diesem Haus hatten zumindest den Bildnissen im Erdgeschoss zufolge mehrere Dutzend Menschen ihr Leben gelassen. Jede Seele einzeln zu bannen dürfte ein unmögliches Unterfangen sein – also mussten sie dem Ursprung des ganzen auf die Schliche kommen! „Ein Vatt`ghern ist mehr als nur ein einfacher Monsterschlächter! Er muss die Dinge verstehen lernen … vergangene Ereignisse offenlegen … Flüche und deren Ursache in Erfahrung bringen, dann und nur dann hatte er auch die Möglichkeit etwas dagegen zu unternehmen!“ waren die Worte seines Meisters gewesen.
Atheris setzte sich neben Grazyna, so dass die Magierin von den beiden Hexern flankiert wurde. Das Mädchen, eine weitere geschundene Seele, redete zwar mit ihnen – aber Atheris fiel schnell auf, dass ihre eiskalten, blauen Augen nicht auf ihre drei Gäste fixiert waren. Viel mehr schien es so, als würde sie durch sie hindurch starren, auf jemanden oder etwas, das sich hinter ihnen aufhalten musste. Kaum hatte Atheris diesen Gedanken gefasst, war da wieder das Gefühl beobachtet zu werden und wieder lief dem Greifenhexer ein kalter Schauer über den Rücken.
„Was feiern wir denn?“ stellte Atheris die Frage in den Raum, wobei er unsicher war, ob Grazyna nicht vor wenigen Momenten eine ähnliche Frage gestellt hatte, während er sich noch auf das unheimliche Gefühl konzentriert hatte. „Die Zeit! Atheris – die Zeit!“ entgegnete das Mädchen ohne seinen Blick zu ändern. „Die Zeit – die Zeit!“ wiederholte der hässliche Alptraumhase das Gesagte. Am liebsten hätte Atheris seine Klinge genommen und der Scharade ein Ende gesetzt, aber Grazyna hatte bewiesen, dass es nichts ändern würde – wobei die hässliche Visage des Hasen und seine noch hässlichere Stimme wäre er vermutlich los.
„Die Zeit feiern wir also!“ antwortete Atheris und überlegte, wie er aus dieser Tatsache zum Ursprung gelangen könnte. „Ist Zeit nicht nur eine bloße Illusion, die nur zusammengesetzt ist aus Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit? Zeit gibt es doch nur, weil die Zukunft zur Gegenwart und die Gegenwart zur Vergangenheit wird, oder weil die Vergangenheit die Zukunft der Gegenwart ist, oder das Heute das Gestern von morgen. Es gibt aber weder Zukunft, noch Vergangenheit, noch Gegenwart. Denn das Zukünftige ist noch nicht, das Vergangene ist nicht mehr, und die Gegenwart ist eine bloße Grenze zwischen Zukunft und Vergangenheit … Sobald wir sie denken, ist sie bereits vorbei!“ zitierte Atheris die Worte, die er vor vielen Jahren an der Universität der kaiserlichen Akademie zum Kastell Graupian von einem der Professoren gelernt hatte, der ihm damals ziemlich verrückt erschienen war. „Oder meinst du wir feiern die Zeit, weil unsere abgelaufen ist? Wenn ja, wieso?“ fügte er mit einem süffisanten Lächeln im Gesicht, das er künstlich aufgesetzt hatte, hinzu.
Grazyna wusste nicht einmal mehr, wie genau sie dazu gekommen war, wieder an dem Tisch Platz zu nehmen, an dem sie jetzt saß. Noch vor einer Sekunde hatte sie darüber nachgedacht, Gabhan zu ohrfeigen und ihn zu fragen, ob es einen Moment in seinem Leben gab, an dem er jemals zufrieden mit sich oder einem anderen gewesen war und bereits in der nächsten Sekunde hatte sie wieder am Tisch gesessen. Sie spürte ihre Arme schwer an ihrem eigenen Körper, beinahe so, als versuche die Seele, die dort vor ihnen saß, zu verhindern, dass etwas Ähnliches mit ihr geschah wie mit ihrem Vorgänger – hinderte sie daran, sich jetzt zu bewegen, den Kopf starr auf das gerichtet, was sich dort am Kopf der Tafel aufgetan hatte und was nicht obskurer hätte sein können.
Immer wieder starrte der Alptraumhase hinab auf Etwas in seiner Hand und schien vor Aufregung förmlich zu vibrieren. „Zeit!“, wiederholte er immer schneller dieselben Worte, während das Mädchen mit der blutigen Wunde an der Schläfe seelenruhig nach einer Teetasse auf dem Tisch griff und diese in formvollendeter Geste an die Lippen führte. „Keine Zeit! Sie haben keine Zeit!“, tönte es wieder von dem Hasen, dieses Mal noch ein wenig lauter und schneller, die Worte schienen sich zu überschlagen und schmerzten in den Ohren, hinterließen ein unangenehmes Dröhnen im Kopf, das ihr beinahe die Tränen in die Augen trieb. „Ich habe immer gedacht, die Zeit wäre ein Dieb, die mir alles stiehlt, was ich liebe. Aber jetzt weiß ich, dass sie geben, bevor sie nehmen …“, sagte dann das Mädchen wieder, ohne auf die Worte eines der anderen einzugehen und lächelte. Sie hinterließ damit noch mehr Fragen als Antworten auf die jeder von ihnen gehofft hatte.
Das waren ja ganz neue Töne, die Atheris da von sich gab und die er dem anderen gar nicht zugetraut hatte. Er wusste nicht einmal, dass Atheris jemals in Bibliotheken gewesen war, in denen Bücher mit derartigen Worten standen. Es beeindruckte und erfreute ihn, da er selbst derartige Betrachtungen gern hatte. Aber das waren Gedanken, die sie sich in diesem Moment nicht leisten konnten.
Als er versuchte sich aufzurichten, spürte er jedoch den Gegendruck, als wäre er unter Wasser und hunderte Kubikliter würden von oben auf ihn drücken, es ihm unmöglich machen sich weiter zu bewegen. Umso wichtiger war es seine Gedanken nun zu fokussieren. Sie gaben bevor sie nahmen. Seine Zähne knirschten laut, während seine Kiefer malten. Es musste eine Lösung geben. Irgend eine. Was war dieses Haus. Wer war dafür verantwortlich? Welches Wesen hatte solch eine Macht? Verflucht, es lag ihm auf der Zunge – aber es half nichts. Sie mussten erst einmal von diesem Tisch loskommen. „Ich würde gerne für immer hierbleiben,“ meinte Gabhan leise. Märzhase und das Mädchen sahen auf. „Ja. Natürlich – das wäre doch schön, oder? Ich meine, wenn wir doch zu spät kommen, können wir auch gleich hier bleiben. Wenn wir gar nicht auftauchen, können wir auch nicht zu spät gekommen sein!“
Das Häslein und das Mädchen hielten für einen kurzen Augenblick inne und sahen sich an. Ein knappes Lächeln umspielte Gabhans Gesicht, spannte schmerzhaft über der Narbe und verliehen ihm ein noch gruseligeres Aussehen als sonst. „Nicht zu vergessen, dass wir, wenn wir jetzt losgehen eigentlich sogar zu früh sind – und zwar für die nächste Sache, die geschieht.“ Ein kurzer Moment der Stille, während das Augenlid des Hasens zu zucken begann. Gabhan warf erst Grazyna, dann Atheris einen Blick zu in der Hoffnung, dass es einem von ihnen gelang, das kurze Zeitfenster, das er ihnen nun verschafft hatte, auch sinnvoll zu nutzen.
Die Situation erschien Atheris ausweglos. Was auch immer genau vor sich ging, was auch immer ihre Gedanken beherrschte, es war immer einen oder sogar zwei Schritte voraus – was dem Greifenhexer auch logisch vorkam, da es irgendwie – zumindest teilweise – Zugriff auf ihre Gedanken hatte. Sein Blick fiel auf ein kleines Fläschchen, das an seinem Beinholster befestigt war und die Aufschrift „Weiße Möwe“ hatte – jenes Elixier, das es auch Hexern ermöglichte, Bewusstseins verändernde Effekte zum Beispiel beim Konsum von Alkohol zu haben. Für gewöhnlich verwendete es Atheris nur in geringen Dosen, um bei einem guten Wein mehr zu spüren als nur den Geschmack und auch zur Herstellung mancher Tränke war das Elixier eine brauchbare Basis – hier und jetzt konnte aber die eigentliche Wirkung vielleicht sogar helfen!
Atheris hatte nicht aufgepasst, was Ghaban zu den Wesen gesagt hatte, aber für einen kurzen Moment löste sich der Druck, der auf ihm gelastet hatte und ihn an jedweder Bewegung gehindert hatte. Schnell griff er mit seiner rechten zur Flasche, zog diese in einer fließenden Bewegung zum Mund, löste mit den Zähnen den Korken und setzte die Flasche an die Lippen – keinen Moment zu spät, denn der Druck auf seinen Körper erhöhte sich wieder und er war erneut in einer Starre gefangen. Die Wirkstoffe suchten sich ihren Weg in Atheris Blutbahn und es dauerte nicht lange, bis sie ihre Wirkung entfalteten. Die Überdosis des extrem starken Halluzinogens begann Atheris Gehirn zu beeinflussen. Die Umwelt, die er mit seinen Sinnen wahrzunehmen dachte, begann sich zu verändern – das Mädchen und die beiden Abnormalitäten verschwanden im Bruchteil eines Momentes und er befand sich in seiner Heimat, auf dem elterlichen Hof wieder. Er nahm den Stock in seiner Rechten wahr – sein erstes Schwert – wie bei so vielen anderen Jünglingen. Dann erschien der monströse Hase in der friedlichen Idylle und begann auf ihn loszustürmen – aber nur kurz, dann verschwand er wieder und seine junge Mutter stand auf einmal vor ihm. Als sie gerade zum Sprechen ansetzten wollte, änderte sich abermals die Szenerie und der Hase sprang ihn an und riss ihn unsanft zu Boden. Der Aufschlag presste ihm für einen kurzen Moment die Luft aus den Lungen und als er die Augen öffnete, fand er sich auf einem verstaubten alten Boden wieder. Neben seinem Kopf befanden sich zwei abgelaufene Stiefel – Ghabans Stiefel! Er richtete sich auf und blickte seine beiden Begleiter an, die bewegungslos mit leerem Blick vor ihm standen. Weit waren sie offensichtlich nicht gekommen, denn die Eingangstür befand sich direkt hinter ihnen. Wieder begann sich die Szenerie zu wechseln und seine Sicht verschwamm. Atheris fing an zu taumeln und neben ihm erschien das Mädchen mit glühenden Augen und scharfen spitzen Zähnen im Gesicht – etwas packte ihn an der Schulter und er hörte, wie Klauen über seinen Schulterpanzer kratzten. Mit einer kurzen Bewegung führte er seinen Kopf nach hinten und traf etwas Hartes – kurz wurde ihm schwarz vor Augen, dann fand er sich auf dem elterlichen Hof in Toussaint wieder. Vor ihm Stand wieder seine Mutter mit ausgebreiteten Armen – Atheris formte das Zeichen Aard mit seinen kleinen Händchen, spürte wie die Energie in seine Hände floss und entließ diese in Richtung seiner Mutter! Die Druckwelle schleuderte Ghaban und Grazyna gegen die alte Holztür des Hauses, die unter der Heftigkeit des Einschlags der beiden nachgab, zersplitterte und dadurch die beiden in die Freiheit entließ.
Gabhan hatte noch immer die in den Wahnsinn verdrehte Teegesellschaft vor Augen, wenngleich die Szenerie vor ihm immer mehr zu flackern begann, an den Seiten ausfranste, wie das Werk eines Künstlers, dem kurz vor Vollendung der Becher mit dem für das Aquarell so notwendige Wasser umfiel und das Gemälde zerstörte.
Sein ganzer Kopf brannte und pochte, während sein Verstand versuchte seine Vorherrschaft gegen jenes Ding durchzusetzen, das sich seines Geistes bemächtigen wollte. Dann ging alles ganz schnell. Mit dem Hauch eines eisigen Windes löste sich alles um ihn herum auf – wie damals, wenn ihn die Älteren nach einer weiteren überstandenen Nacht der Kräuterprobe am Kragen gepackt, in den Hof geschleift und mit seinem Schädel das leicht gefrorene Wasserfass aufgebrochen hatten. Derselbe Schock ergriff ihn auch nun. Auch nun fühlte er einen Schlag und danach – Kälte und Nässe. Hustend und prustend griff Gabhan neben sich, wo er nichts weiter als Schlamm und nasse Erde spürte, die sich in jede Faser seiner Kleidung zog. Dicke Tropfen fielen ihm in Gesicht, während er sich die schmerzende Schulter hielt, überall um ihn herum flankiert von gesplittertem Holz.
Nun sah er es vor ich – das große, dunkle Haus mit den dunklen Fenstern, die wie leere Augenhöhlen zu ihm hinab starrten. Atheris, kreidebleich und mit Pupillen groß wie Wagenräder wankte aus dem offenen Schlund des Hauses, der von hier aus wenig Bedrohliches an sich hatte, auch wenn Gabhan wusste, das dem nicht so war. Sie waren entkommen. Aber geändert hatten sie nichts. „Scheiße…“
Überraschungen
Es war bereits Mittag als Atheris aus seinen Alpträumen erwachte. Er setzte sich auf dem für ihn viel zu schmalen und kurzem Bett auf und bereute es sofort wieder, als ihn ein heftiges Pochen im Kopf wieder zurück in die Kissen gleiten ließ. „A d’yaebl aép arse!“ entfuhr es ihm während er nach einer Glasphiole griff, die neben ihm auf einem kleinen Tisch stand. Das überraschend kalte Wasser tat ihm gut und der Schmerz linderte sich etwas – kurz darauf war er wieder eingeschlafen.
Grazyna und Ghaban saßen mit dem Händler an einer kleinen Tafel und unterhielten sich munter miteinander. Atheris musste sich korrigieren, die Magierin unterhielt sich mit ihrem alten Freund, während der Bärenhexer damit beschäftigt war, seine miese Laune zu verbreiten. Zumindest ein kleines Lächeln war im Bart von Ghaban zu erkennen, als dieser Atheris auf der Treppe entdeckte. „Siehst Scheiße aus, mein Freund!“ begrüßte Ghaban ihn, als sich der Greifenhexer auf einem freien Stühle niedergelassen hatte. „Ich sehe genau so aus, wie der Besuch in diesem verdammten Haus gelaufen ist!“ entgegnete Atheris mit einem Lächeln. „Habt ihr euch schon Gedanken gemacht, wie wir weiter vorgehen?“ fuhr er fort und schenkte sich einen Kelch von dem Rotwein ein, der vor ihm auf dem Tisch stand.
Gabhan nickte knapp, warf nur einen kurzen Blick zu Grazyna und ihrem blassen Gastgeber, ehe er mit einer fließenden, aber nicht weniger bestimmten Bewegung dem Freund den Kelch mit dem Rotwein fortnahm. „Du hast genug berauschende Mittel genommen um ein Brauereipferd umzuhauen mein Freund. Das halte ich für keine gute Idee,“ tadelte der Bärenhexer und schob dem anderen stattdessen ein Glas Wasser zu. „Was jedoch die folgenden Pläne angeht, so sind wir leider vergleichsweise planlos,“ erklärte er leise und fuhr mit einem Daumen über seinen eigenen Kelch, um ihm damit einen leisen Klang zu entlocken. „So etwas wie in diesem Haus habe ich in solch einer Intensität noch nie erlebt,“ erklärte der Ältere leise und massierte sich die Nasenwurzel. „Solch eine starke Illusion benötigt eine ungeheure Menge an Energie. Das beunruhigt mich ein wenig – auch wenn wir davon ausgehen müssen, dass diese Wesenheit durchaus auch von unserer eigenen Kraft gezehrt hat. Aber diese Erklärung reicht nicht – ein Haus mit solcher Energie muss sich auf die Umgebung niederschlagen. Wir haben also vor uns, einmal die Umgebung anzusehen. Das Dorf und dergleichen. Vielleicht finden wir irgendwo noch alte Aufzeichnungen zu dem Haus. Wir haben bei weitem zu wenig Informationen um gegen das, was sich uns da entgegen wirft, vorgehen zu können. Ich habe eine Vermutung in welche Richtung das hier geht, die ich aber lieber nicht aussprechen würde, da es Unglück bringt.“
So kam es, dass sich Ghaban und Atheris wenig später auf den Weg machten, um sich im Dorf weiter umzuhören, während Grazyna und der Händler zurückblieben, um alte Unterlagen zu studieren, welche dieser beim Kauf des Hauses erhalten hatte.
Atheris war nicht sonderlich überrascht, dass die Suche nach Informationen sich als ziemlich schwierig erwies. Zum einen war da diese Abscheu gegenüber Anderlingen und vor allem Hexern, die in den nördlichen Königreichen allgegenwärtig erschien und zum anderen schienen die Bewohner ähnliche Vorbehalte gegenüber dem Haus zu hegen wie Ghaban, denn kaum einer wollte sich aus Angst vor Unglück zu diesem äußern. Nicht mal die Betrunkenen in der örtlichen Taverne brachten den Mut auf, sich zu den Vorkommnissen im ‚Geisterhaus‘ zu äußern und wenn doch ein paar Worte dazu vielen, war das mehr Stammtischgeschwafel als nützliche Informationen. „Ich befürchte, das wird so nichts werden, Ghaban!“ stellte Atheris nüchtern fest, als wieder eine Türe vor ihrer Nase mit einem lauten Knall geschlossen wurde. „Hmmm…!“ war alles, was der Bärenhexer erwiderte. „Lass uns zu Grazyna zurückkehren, vielleicht hat sie etwas in Erfahrung bringen können!“ sagte Atheris und machte sich auf den Weg.
„Angst liegt nie in den Dingen selbst, sondern darin, wie man sie betrachtet.“ dieses Zitat von Professor Ducle Aep Waedh schoss Atheris durch den Kopf, als zwei Knaben im Alter von etwa zwölf Jahren an die Hexer herantraten. Der vermutlich ältere der beiden sprach die beiden Vatt’ghern nach einem kurzen Zögern mit leicht gebrochener Stimme an. „Wir haben gesehen wie ihr in das Geisterhaus gegangen und heute von Tür zu Tür gezogen seid – die Herren Hexer! Wenn ihr etwas über das Haus wissen wollte, seid ihr hier falsch! Keiner der hier lebt, spricht darüber – nicht einmal der Dorfälteste.“ Der Junge machte eine längere Pause, die für Atheris Geschmack etwas zu sehr einstudiert wirkte, dennoch war er gespannt, was jetzt kommen würde. „Für ein paar Taler können wir euch aber jemanden nennen, der euch eventuell zu helfen vermag!“ brachte er schließlich raus und setzte dabei die Mine eines Feilschers auf – oder das, was er glaubte, einer zu sein. Ghaban brummte nur laut, zog aber seine Geldkatze raus und reichte den beiden ein paar Münzen. Atheris wunderte sich nicht, dass der ältere Junge seine Hand geöffnet hielt und offensichtlich nach mehr verlangte – mutig, aber nicht mutig genug, denn Ghaban raunzte nur einmal missfällig und der Junge zog blitzschnell seine Hand mit den Münzen hinter den Rücken und erzählte den beiden Hexern von einer verrückten alten Frau, die im Nachbardorf seit vielen Jahren in der Klappsmühle lebte und von der behauptet wurde, dass sie die Tochter des Erbauers des Hauses sei. Atheris zog die Augenbraue hoch, während Ghaban noch eine Münze zu den Jungen schnippte, bevor diese sich schnell zurückzogen.
„Noch ein Irrenhaus … na toll!“ kommentierte der Bärenhexer, während er zu Atheris blickte. „Macht aber durchaus Sinn, mein Freund!“ entgegnete dieser mit einem leichten Lächeln im Gesicht.
Schnellen Schrittes gingen die beiden Zunftbrüder zurück zum Haus des Händlers, um ihre Sachen zu holen und Grazyna über ihr Vorhaben zu informieren – aber sie war nicht da! Atheris lief zu dem großen Sekretär, der aufgeklappt im Arbeitszimmer des Händlers stand und an dem die Magierin vorhin noch recherchiert hatte und zog ein Stück leeren Pergaments aus einem Fach. „Wo bei der großen Sonne ist denn die Schreibfeder hin!“ schimpfte Atheris und begann auf dem ansonsten so ordentlichen Tisch zu suchen. „Hier ist sie!“ hörte der Greifenhexer seinen Freund aus dem Kaminzimmer rufen – „aber da ist noch mehr! Schau es dir an!“ Atheris eilte der Stimme nach und betrachtete Ghaban, wie dieser sich über einem zerbrochenen Stuhl kniete und auf die Schreibfeder vor ihm auf den Boden deutete. „A d’yaebl aép arse!“ hauchte Atheris, als er seinen Blick über das Zimmer schweifen ließ! Neben zerstörten Einrichtungsgegenständen sah er auch immer wieder Tintenkleckse auf Boden und Wänden verteilt – aber da war noch mehr Blut! Die beiden Hexer stürmten zum umgestoßenen Sofa und fanden dahinter den Händler Jirkam in einer großen Blutlache liegen. Derjenige, der dies angerichtet hatte, schien keine Zeit darauf zu verschwenden seine Spuren zu verwischen, denn der schwere Kerzenständer, an dessen stumpfen Sockel ebenfalls noch Blut klebte, lag direkt neben dem Mann. „Er ist noch am Leben!“ stellt Ghaban kurz und knapp fest. „Aber wo ist Grazyna?“ es lag ein leichter Anflug von Panik in Atheris Stimme, als er sich wieder aufrichtete und seine Augen zuckend nach Anhaltspunkten über den Verbleib der Magierin suchen ließ. „Aen Ard Feainn!“ entfuhr es Atheris, als er ungläubig auf das Bild starrte, das hinter Ghaban schief an der Wand hing. „Da ist Grazyina, aber wie…!“ der Bärenhexer hielt inne und betrachtete die Szene auf dem Bild! Gabhans Blick wanderte düster über das Gemälde, blieb an jedem kleinsten Detail kleben wie eine Fliege am Honig. „Scheiße – das hier ist nicht irgend ein drittklassiger Fluch. Das hier ist ein verdammter ausgeklügelter Zauber… irgendein dreimal verfluchter Zauberer-Scheiß. Was auch immer das ist – würde mich nicht mal wundern, wenn Goetie dabei im Spiel wäre. Wir sollten von hier verschwinden und uns irgendeinen Magier suchen – keine Ahnung. Vielleicht springen noch einige Abgänger von Ban Ard in irgendwelchen Sümpfen rum. Bessere Dorfzauberer oder so…“ er schüttelte den Kopf und wusste, dass dieser Versuch ins Nichts laufen würde. Sie würden niemanden finden und selbst wenn – dann wäre er vermutlich inkompetent oder sie wären zu spät. „Scheiße… schau mich nicht so an. Ich weiß selbst, dass die Lösung nicht gut ist. Es gibt noch eine andere – aber die sollten wir nicht mal in Betracht ziehen. Wenn ich auch nur mit der Hälfte meiner Einschätzung richtig liege dann…“ er schloss die Augen. „Dann ist sie verloren – und wir gleich mit, wenn wir…“ Atheris Blick blieb weiter auf ihn geheftet und Gabhan spürte, wie sich dieser beinahe durch ihn bohrte. Es war Wahnsinn – absolut unvernünftig. „Wir könnten durch das Bild schreiten. Was immer sie hinein gesogen hat dürfte noch genug Energie hinterlassen haben, um einen erneuten Übergang zu ermöglichen.“
„Wie stellst du dir das vor, Ghaban?“ Atheris betrachtete das Bild kritisch – es war zwar ein großes Bild, aber nur unwesentlich größer als ein normales Hausfenster. „Wie ist es, wenn wir da durch- springen, landen wir in der Szene, welches das Bild darstellt? Was ist, wenn nicht genug Energie vorhanden ist … was ist, wenn wir auf halben Weg steckenbleiben?“ Atheris schossen viele Gedanken durch den Kopf, wobei eins klar war – Grazyna wurde in dieses Bild gebracht und die Hölle selbst würde ihn nicht daran hindern, ihr zu folgen und da rauszuholen! Atheris zog sein Silberschwert in einer fließenden Bewegung vom Rücken „Lass uns losziehen, ehe es zu spät ist!“
„Atheris! Warte!“ Ghaban stellte sich in den Weg, nahm das Bild von der Wand und legte es auf den Boden. „Vieles können wir nicht beeinflussen, aber mit dem Kopf durch die Wand springen lässt sich leicht vermeiden!“ sprach der Bärenhexer und tat einen Schritt nach vorne auf das Bild – in das er augenblicklich versank. Atheris beeilte sich seinem Zunftbruder zu folgen, wobei er sah, wie sich am Bilderrahmen ein Flackern bemerkbar machte! „Was zum …!“ weiter kam er nicht, als er mit einem Hechtsprung ebenfalls ins Bild eintauchte.
Hinein in den Kaninchenbau
Dunkelheit. Gabhan wusste nicht was genau er erwartet hatte, als er durch das Bild getreten war. Womöglich den Schlund eines gewaltigen Monsters, welches sich von Leid und Angst und Vorstellungskraft ernährte. Doch ihn hatte nur Dunkelheit erwartet. Für einen winzigen Augenblick befürchtete er sogar in einer Sphäre zwischen den Welten stecken geblieben zu sein, ehe sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Seine mutierten Pupillen weiteten sich noch mehr, sogen jedes noch so kleine bisschen Licht ein und offenbarte ihm die Natur seiner Umgebung – eine verschachtelte Mine. Männer die an den Mauern standen – gesichtslos. Und das im wahrsten Sinne. Ihre Gesichter existierten schlicht nicht, während sie immer und immer wieder auf die Wände einhakten. Dann jedoch näherte sich ihm eine Gestalt und das Gesicht des Bärenhexers wurde bleich. „24601! Was stehst du hier herum, zurück an die Arbeit!“ Gabhan fühlte sich mit einem Mal so nackt und wehrlos, während sich der Rücken seines Gambesons von roten Schlieren verunstaltet zeigte. Der Nilfgaarder trat einen weiteren Schritt auf Gabhan zu und hob eine Peitsche. „Ich sagte an die Arbeit, 24601!“
Die harte Landung presste Atheris die Luft aus den Lungen und für einen Moment schien sich die Welt spiralförmig um ihn zu drehen – dann riss ihn das Klirren von Klingen und das Schnauben verängstigter Pferde aus seiner Lethargie. Keinen Moment zu früh, sonst hätte er wohl die Streitaxt die auf seinen Schädel zielte nicht kommen sehen. Atheris ließ sich zur Seite kippen, zog dabei seine Silberklinge in die Höhe und erwischte den Zwerg der ihn angegriffen hatte unter der Axel. Noch während der Strebende zu Bode sackte, richtete sich der Hexer zu seiner vollen Größe auf. Neben ihm lag sein soeben verendetes Schlachtross aus dessen Leib noch die scharfen Zwergen-Spieße ragten, die sein Leben genommen hatten. „A d’yaebl aép arse!“ entfuhr es ihm entsetzt, als er zu verstehen begann, wo er gelandet war – der Alptraum von Brenna!
Wie vor all den Jahren schlug sich Atheris durch die Reihen der Feinde des Kaiserreichs … Zwerge der Freien Kompanie … schwere redanische Infantrie … temerische Ritter … alle fanden den Tod durch seine Klinge! Dennoch würde diese Schlacht verloren gehen! Er konnte sich daran erinnern, dass die Verstärkung der Gegner jeden Moment mit schallenden Hörnern über die Kuppe branden würde um die ‚Schwarzen‘ – wie sie hier im Norden genannt wurden – vernichtend zu schlagen. Das traumatische Erlebnis, was sich jetzt zu wiederholen schien, war aber tatsächlich nur seine kleinste Sorge – wie solle er in diesem Chaos nur Grazyna finden … und wo überhaupt steckte Ghaban! Der Bärenhexer war im Gegenteil zu Grazyna bei der Schlacht von Brenna nicht zugegen gewesen! „Grazynaaaa! Ghabaaaan!“ schrie Atheris, während er erneut seine Klinge in einen roten Wappenrock versenkte.
Die Schlacht wendete sich ihrem Höhepunkt zu, als die letzten Verstärkungen der nördlichen Königreiche ins Geschehen eingriffen. Wieder musste Atheris mit ansehen, wie viele seiner Kameraden und Freunde aus der VII. Daerlanischen Brigade ihren Tod fanden – wieder vernahm er wenig später die Trompeten der Signalgeber, die den Rückzug aller Einheiten befahlen – wieder zog er sich auf ein inzwischen herrenloses Pferd und brach mit seinen verbliebenen Kampfgefährten durch die Reihen der Feinde – wieder sah er wie Feldmarschall Coehoorn mit einigen seiner Führungsoffiziere die Anhöhe verließ, von der aus er die Schlacht geleitet hatte – wieder prasselte ein Pfeilhagel auf die Flüchtenden nieder und brachte weiteres Verderben … dann sah er ihn … oder genauer gesagt es! Das kleine Wesen wäre in der Hektik, die um Atheris herum herrschte, beinahe nicht aufgefallen – wenn nicht die bösartige Aura gewesen wäre! Der Wicht saß auf einem kleinen Leichenberg – seine giftgrünen Augen hatten ihn fokussiert und schienen sich direkt in sein Herz zu bohren! Er zügelte sein Pferd, ergriff mit einem Ruck eine Kriegslanze, die neben ihm aus einem temerischen Ritter ragte, legte diese in seine Armbeuge – wie er es früher so oft getan hatte – und gab seinem Pferd die Sporen! Im vollen Galopp raste er auf das kleine Männchen zu, dessen Lippen sich permanent bewegten, als ob sie eine magische Formel rezitieren würden. Es geschah aus dem Nichts heraus, dass auf einmal die Welt um ihn herum stillstand … kein Kampfeslärm, keine Todesschreie, nicht das verzweifelte Wiehern der Pferde oder der Schall der Trompeten. Die Menschen und Tiere waren zu lebensechten Statuen erstarrt und wie Atheris feststellen musste war auch sein Pferd mitten im Galoppsprung eingefroren. Der Hexer ließ die Lanze los, die neben ihm unwirklich in der Luft hängen blieb und glitt elegant vom Pferderücken. Das fiese Lächeln des kleinen Monsters wurde breiter, als sich Atheris mit großen Schritten näherte und dabei sein Jagdmesser aus der Brustscheide löste. Als er erkannte, dass der Wicht mit seinen Händen anfing die vermeintliche Beschwörung zu unterstützen ging, der Atheris in einen Sprint über, bereit sich auf seinen Widersacher zu werfen – dann passiert erneut etwas Unvorhergesehenes! Das kleine Wesen schien von etwas … oder jemanden abgelenkt zu werden. Es wendete seine Aufmerksamkeit abrupt von ihm ab und fokussierte sich auf etwas, was in seinem Rücken passierte. Die Szenerie begann zu verschwimmen, das blutige Schlachtfeld löste sich wie ein Nebel um ihn herum auf und er befand sich wieder im Eingangsbereich des verfluchten Hauses. Sein Blick viel sofort auf Grazyna, die auf der Treppe zur ersten Etage stand und mit ausgestreckten Armen einen Zauber zu wirken schien. Gegenüber von Atheris stand Ghaban, genau an jener Stelle, wo ein heller Fleck an der Wand kennzeichnete, dass dort einmal ein großes Bild gehangen haben musste. Die Blicke der Zunftbrüder trafen sich und mit einem kurzen Nicken gaben sie sich zu verstehen, dass sie bereit waren, diesem teuflischen Spiel ein Ende zu setzten.
Atheris ging in Angriffsposition, wobei sein Stiefelabsatz etwas zur Seite schob, dass hinter ihm auf dem Boden lag und dabei ein vertrautes Klingen von sich gab. Er drehte sich prüfend um, ohne dabei seinen Feind aus den Augen zu lassen und war erfreut als er erkannte, dass es sich um sein Silberschwert handelte, das er in den Kampfwirren während der Schlacht verloren geglaubt hatte. In einer fließenden Bewegung ergriff er die Waffe und als sich seine Hand um den vertrauten Griff schloss und er den Ort auf das Wesen richtete, war er bereit für das letzte Gefecht!
„Du weißt doch selbst, dass du dich für die falsche Seite entschieden hast!“ Die Stimme klang so klar in Grazynas Ohren, wie es schon seit Jahrzehnten nicht mehr gewesen war und sie erkannte das Unverständnis darin, den Zorn, der darin mitschwang und der sie einst als junge Adeptin vielleicht noch hätte schaudern lassen. Heute brachte der Ton und die Emotion darin ihr nicht einmal mehr ein müdes Lächeln bei. Um sie herum trommelte der Regen unbarmherzig auf das Land und weichte den Boden auf, zauberte dreckige Ränder an die schönen Kleider, die beide Frauen trugen. Die Stiefel zu vieler Männer hatten die einstige Ackerfläche vernichtet und würden den Bauern damit die Ernte von mindestens einem Jahr kosten. Wasser tropfte aus den roten Haaren ihres Gegenübers und auch sie selbst spürte, wie ihr die schwarzen Haare im bleichen Gesicht klebten. „Wir können sie hier aufhalten! Du weißt es! Hilf uns dabei“, machte ihr Gegenüber erneut einen Versuch und wieder schüttelte sie den Kopf. „Ich habe mich entschieden“, lautete ihre gefasste Antwort und für eine Sekunde schloss sie die Augen, nahm Abschied von allem, was einst ihr Leben gewesen war und was Banner aus Schwarz und Gold ihr genommen hatten. Cintra hatte den Versuch des Widerstands gemacht und sie hatte gesehen, worin es geendet war, hatte die Vernichtung in den Straßen gesehen. Den Geruch von dem brennenden Fleisch der Menschen, die in den Häusern eingeschlossen waren, würde sie wohl nie wieder vergessen. „Das Kapitel wird nicht erfreut sein. Sie werden dich als Verräterin verurteilen“, wagte die Frau noch einmal den Vorstoß und diese Mal blitzte Belustigung in ihren grünen Augen auf. „Das Kapitel wird es sehr bald schon nicht mehr geben. Ihr werdet sie kurzfristig zurückwerfen, aber niemals aufhalten. Wozu sein Leben für den Versuch verschwenden? Es ist klüger, sich mit den Richtigen gut zu stellen“, stellte sie jetzt die Gegenfrage und lächelte erneut als sie sah, wie ihre Frage den Zorn in der anderen entfachte. „Ist das dein letztes Wort?“, fragte die andere und hob bereits eine Hand, eine Geste, die sie mit einem knappen Kopfschütteln unterband. „Tu es nicht. Sie werden dich brauchen und ich habe ungern Blut an meinen Händen kleben, zumal es sich fürchterlich schwer aus der Kleidung entfernen lässt.“, wies sie sie hin und seufzte dann schwer als die andere herumwirbelte, um sich zu entfernen – Sekunden später war sie verschwunden, als habe es sie nie gegeben, das Flirren der Magie lag noch in der Luft. „Leb wohl, alte Freundin“, sagte sie noch und straffte dann die eigene Haltung ehe auch sie sich zum Gehen wandte, im Laufen die blauen Wappen mit den goldenen Löwen darauf zu Boden fallen lassend. Sie würde sie nicht mehr benötigen. Der Regen färbte den königsblauen Stoff dunkel ehe der Dreck die Löwen schwarz färbte. Dann versanken sie im Schlamm.
Befehle hallten durch den Wind, wurden weit nach vorn getragen und von anderen Stimmen wiederholt. Das Stampfen der schweren Stiefel war rhythmisch, immer im Gleichklang und wäre beinahe ein wenig einschläfernd gewesen, wenn nicht immer wieder wachsame Augen jede noch so kleine Bewegung ihrer Hände beobachteten. Die Schwarzen, wie der Norden die Nilfgaarder nannte, trauten den Zauberern nicht, vor allem nicht jenen, die aus dem barbarischen Norden stammten. Dort, wo man ihnen im Norden noch mit Respekt und Wertschätzung begegnet war, war hier nichts mehr von alledem zu spüren – hier war es Abneigung, Verachtung und Vorsicht, mit denen man sie hier betrachtete. Zauberern konnte man nicht vertrauen, Zauberinnen erst recht nicht und so hatte Grazyna sich daran gewöhnen müssen, dass man ihr Befehle gab und sie sie zu befolgen hatte – ohne Rückfrage, ohne Wenn und Aber. Im Kampf war sie eine zu große Gefahr gewesen, zu sehr fürchtete man, sie könne noch die Seiten wechseln und sich für diejenigen entscheiden, die dort Aufstellung auf einem Hügel genommen hatten. Der Ort, der später niemals in Vergessenheit geraten würde unter der grausamen Geschichte dessen, was hier geschehen würde. Die Schlacht von Sodden. Sie selbst hatte man in das Lazarett versetzt, immer mit jemandem an ihrer Seite, der sie beobachtete – ihr Auftrag waren die Todgeweihten. Jene Männer, die ohne Magie ohnehin sterben würden und durch deren Rettung sie vielleicht ihren Wert beweisen konnte. „Zauberer legt man am besten an die kurze Leine, insbesondere die aus dem Norden“, hörte sie seine Stimme sagen, hörte sein bellendes Lachen in ihrem Rücken und wusste zeitgleich, dass er es beenden würde, wenn er auch nur glauben würde, sie könne einen falschen Schritt tun und erneut sagte sie nichts darauf, als sie durch das Zelt schritt.
Längst hatten Blut und andere Körperflüssigkeiten das einstige Blau ihres Kleides verdreckt, der Saum war zerrissen und ausgefranst und die schwarzen Haare hatte sie in einen simplen Zopf geflochten, damit sie die Haare nicht mehr bei der Arbeit störten. Einst war sie respektiert und anerkannt worden, war eine beeindruckende Erscheinung gewesen und hatte geglaubt Oberwasser zu haben – heute, inmitten des Lazaretts fühlte sie sich nicht einmal mehr wie eine Abgängerin der Aretusa, nicht einmal mehr wie eine Zauberin. Hier war sie nicht mehr als eine von zahlreichen Heilern und Medica, nicht besser oder schlechter wie all diese simplen Menschen, die sie hier umgaben. Sie war am Boden angekommen, all die Erwartungen von der Realität verbrannt worden und wieder hörte sie die leise Stimme in ihrem Kopf ‚Du hast dich für die falsche Seite entschieden‘
„Esse’ionndrainn aep me caer“, hörte sie einen jungen Mann weinen, der sich den Arm hielt und auf den jetzt ihr Blick fiel. Sein Gesicht war aschfahl, tiefe Ringe lagen unter seinen geröteten Augen und sie brauchte eine Sekunde um die Worte zu übersetzen, die er da sprach. Es war die Ältere Rede aber abgewandelt, mit einem seltsamen Akzent, der es ihr schwer machte zu verstehen. Er vermisste seine Heimat. Langsam trat sie zu ihm hinüber, betrachtete den Arm, den er sich da hielt und das Blut, das von der Bahre tropfte, auf dem er lag. Die Hauptschlagader war getroffen worden, das Fleisch hing in Fetzen hinab und nur noch der Knochen hielt den Arm an Ort und Stelle. Wenn er leben sollte, dann würden sie keine Wahl haben als ihm den Arm zu nehmen und mit zitternden Fingern nahm sie eine Säge zur Hand.
Ein Ruf zerriss das Bild mit einem Mal und ließ sie stocken. Ihr Name. Da rief jemand nach ihr und sie kannte die Stimme, konnte sich aber nicht mehr daran erinnern, woher. Nur, dass es wichtig war – dass sie diese Stimme nicht ignorieren durfte, war mit einem Mal bedeutsam geworden. Die Szenerie änderte sich mit einem Mal, als wäre sie unangenehm nach vorn durch eine viel zu enge Röhre gezogen worden und sie benötigte einen Moment, um zu begreifen, dass sie nicht mehr in dem Lazarett war. Das hier sah nach einem guten Gasthaus aus, ein kleines Separee abseits des gewohnten Betriebs und ihr gegenüber saß ein Mann an einem Tisch, ein Weinglas in der Hand und die wachsamen Augen auf sie gerichtet. „Man erwartet Bericht“, hörte sie ihn mit einem Mal die Stimme erheben und zuckte unter dieser Stimme zusammen, als habe er sie soeben geohrfeigt. Fahrig glitt ihr Blick durch den Raum, nahm den Schatten unter dem Türspalt wahr, der darauf hindeutete, dass der Mann längst nicht allein gekommen war. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust, schlug schmerzhaft gegen die Rippen und ließ ihr abwechselnd heißt und kalt werden während sie nickte. Ein klein wenig zu schnell und zu energisch. Verstehend nickte sie und ließ die Hände auf ihrem Schoß ruhen, weil das bedeutete, dass ihm nicht auffallen würde, wie sehr ihre Finger zitterten. „Wir würden ungern noch länger warten müssen. Die Reise an der Seite der Vatt’ghern dauert ja jetzt bereits eine Weile“, fügte er hinzu und ließ ihr keine Option zur Erklärung. Erneut nickte sie kurz, verstehend und ließ die Finger in die Tasche gleiten, langsam, damit er nicht glaubte, sie könne ihn verletzen wollen und legte ein paar Aufzeichnungen auf den Tisch, sie schweigend hinüber schiebend. Der Mann nickte, ohne sich die Dokumente genau anzusehen und griff danach, mit der zweiten Hand ihr Handgelenk fest umschließend – zu fest und Grazyna bemühte sich darum nicht dem Impuls nachzugeben, es wegziehen zu wollen. „Du hast bis Jahresende. Dann gibt es ausreichende Berichte und Aufzeichnungen über die Fortschritte und die Leistungen. Wir würden ungern die Eskapaden an der Seite der Vatt’ghern an anderer Stelle zur Sprache bringen. Er wäre sicherlich nicht begeistert.“ Erneut wurde ihr heiß und kalt und sie spürte, wie ihr auch der Rest der Farbe aus dem Gesicht wich, dann schließlich nickte sie noch einmal. „Verstanden …“ Es war das erste Mal, dass sie in diesem Gespräch die Stimme erhob und entgegen ihrer sonstigen Gewohnheiten klang sie jetzt dünn und viel zu leise. „Da wir das nun geklärt haben“, sagte der Mann ihr gegenüber wieder, dessen Namen sie nicht einmal kannte und ließ sie los, beiläufig die Dokumente einsteckend ehe er sich von seinem Platz erhob. „Eine gute Nacht.“
Er ließ sie zitternd zurück, den Blick starr auf das Weinglas vor ihr gerichtet. Dunkelrot der Inhalt, dieselbe Farbe wie Blut. Rot wie Blut … ihre Gedanken gerieten mit einem Mal ins Stolpern, als ihr das Flirren in der Luft auffiel, gerade so wie an einem heißen Sommertag auf der Straße – kaum wahrnehmbar, aber hier und jetzt. Mit hämmerndem Herzen fiel es ihr zum ersten Mal auf. Es fiel ihr auf, dass es nicht echt war. Dass hier etwas nicht stimmen konnte – nicht richtig war. Noch einmal glitt ihr Blick durch den Raum. Die Gardinen hingen falsch herum, ein Bild hing mit dem Gesicht nach unten.
Bild.
Wieder geriet sie ins Stocken. Da war etwas, an das sie sich erinnern sollte – etwas, das wichtig war. Die Stimme, fiel es ihr wieder ein – die, die ihren Namen gerufen hatte und die sie beinahe vergessen hatte. Der Lärm draußen im Gasthaus schwoll an, dröhnte plötzlich in ihrem Kopf und machte ihr das Denken schwer. Bild. Stimme. Immer wieder zwang sie sich dazu zu denken während sich pochender Schmerz hinter ihrer Stirn ausweitete. Jemand wollte nicht, dass sie nachdachte – wollte nicht, dass sie sich zu erinnern versuchte. Der Lärm aus dem Gasthaus wurde zu einem Summen in einem Bienenstock, ohrenbetäubend und trieb ihr Tränen in die Augen. Vorsichtig stützte sie sich hoch, versuchte Luft zu bekommen und den Drang zu unterdrücken sich die Hände auf die Ohren zu pressen während sie sich nach vorn kämpfte. Schwankenden Schritt um schwankenden Schritt und sich an jene Worte zu erinnern, die sie einst gelernt hatte. Irgendein Zauber, der sie jetzt vor dem Lärm bewahren konnte.
Bild. Stimme. Haus.
„Dybbuk!“, platzte es dann aus ihr heraus und dann wurde es still. Totenstill.
Nicht einmal ihr eigenes Atmen hörte sie noch, dafür aber die Gedanken, die umso lauter in ihrem Kopf schrien. Zauberformeln, Namen und Dinge, die seither geschehen waren. Sie war nicht mehr in einer Schenke. Da war ein Haus gewesen, in dem Gabhan, Atheris und sie gewesen waren. Es war Herbst gewesen, nicht Sommer und sie waren auf dem Weg nach Wyzima. Sie hatten unterwegs einen Zwischenhalt bei einem alten Freund gemacht ehe es seltsam geworden war. Die Puppen, die gläsernen Ritter. Das Essen mit dem Mädchen und dem schaurigen Hasen, die verzerrte Version von einer alten Kindergeschichte, die wohl jeder von ihnen kannte. Deshalb hatten ihre Waffen kaum eine Wirkung erzielen können. Sie waren nur mit jedem neuen Bild tiefer in die Zerrbilder im Reich dieses seltsamen Wesens gezogen worden. All das war nicht real gewesen. Nichts davon war echt. Keine seltsame Stimme, keine Drohung – nur das Bild. Das Bild und das Wesen in Gelb, das sie dort gesehen hatte. Dann begann sie zu sprechen, formte Zauber, die den Schleier trennen sollten, so wie sie es einst von Tissaia gelernt hatte. Nur ein Wimpernschlag, dann stand sie auf der Treppe eines staubigen Hauses und erkannte dort vorn im Eingangsbereich zwischen Glasscherben und altem Holz Gabhans und Atheris Gestalt, sowie das Wesen in Gelb.
„Hörst du nicht was ich sage, 24601?“ die Stimme des Nilfgaarders war durchsetzt von einem scharfen Akzent – scharf genug um Fleisch von Knochen zu tranchieren. Der Hexer nickte langsam und knapp. Doch, er hatte es gehört und er hatte es verstanden. Seine Hände wanderten hinab und was immer er dort erwartet hatte – Silber- oder Stahlschwert, er fand es dort nicht. Nur eine Spitzhacke. Alt und rostig, der Griff so rau, dass er sich nur beim Anfassen bereits Splitter zuzog.
Er wusste, dass es nichts brachte sich aufzulehnen. Dass es kein Entkommen aus der Mine gab, in welcher die Nilfgaarder mit Hilfe von Sklaven Dimeritium abbauen ließen, welches sich in Gemmerien tief in die Erde gefressen hatte. Die Arbeit war hart und der Dimeritiumstaub schlug auf die Lunge, machte es Gabhan unmöglich seine Zeichen zu wirken – und er war sich unsicher, ob er sie jemals wieder würde wirken können. Aber es brachte ohnehin nichts über die Zukunft nachzudenken – denn hier, in den tiefen Eingeweiden der nilfgaardischen Maschinerie würde er nie wieder das Tageslicht sehen.
Wie befohlen trat Gabhan zu der Stelle, die man als seinen Platz ausgelobt hatte und hob wieder die Spitzhacke, ließ diese auf den Stein niedergehen. Immer und immer wieder, bohrte er sich Zentimeter für Zentimeter durch den Fels, unter dem die nilfgaardischen Prospektoren eine weitere Ader des wertvollen Metalls vermuteten. Und dann hörte er es – eine Stimme, die seinen Namen rief. Sie schien aus dem Stein zu kommen – dumpf, aber doch eindeutig hörbar. Er hob die Spitzhacke und schlug auf den Stein ein. Immer und immer stärker, immer schneller bröckelte der Stein fort. Mit jedem Schlag blitzten Bilder vor seinem Auge auf – eine matschige Straße. Ein altes Haus. Ein Händler. Ein Hase. Ein Mädchen. Atheris. Grazyna. Der Dimeritiumstaub machte ihm das Denken schwer, seine Arme lahm. Aber er durfte nicht aufgeben. Etwas stimmte nicht. Etwas stimmte hier ganz und gar nicht. Er sah wie der Stein vor ihm bröckelte, wie sich tiefe Risse in der Wand auftaten. Ein Licht war dahinter zu sehen, welches sich wie Säure durch den Stein ätzte. Immer stärker und heller schien. Und dann – Grazynas Stimme: „Dybbuk!“
„Ein Dybbuk, oder Dibbuk genannt ist ein seltener und mächtiger Geist. Manche Magier klassifizieren ihn auch als Dämon, der nur mit Hilfe von Goetie in diese Welt gezwungen werden kann. Er ergreift Besitz von einem Menschen – wie jeder Dämon – und soll seinem Wirt ein ewiges Leben schenken können. Zumindest glauben das einige. Andere Quellen sagen, er zieht das Leben seines Wirtes nur über die Maßen in die Länge, da er sich an diese Welt klammert. Andere Quellen wiederum sagen, er gaukelt seinem Wirt nur ein langes Leben vor. Was auch immer stimmen mag – ein Dybbuk ist ein äußerst gefährliches Wesen, das – im Gegensatz zu den meisten anderen Geistern der Dämonischen Kategorie gefallen an dieser Welt zu finden scheint. Was uns Sorgen bereiten sollte, denn das bedeutet, dass die Welt, in welcher der Dybbuk stammt so schrecklich sein muss, dass sogar ein Wesen wie er dort nicht hin zurück möchte…“ die Worte des alten Bärenhexers waren langsam und träge wie ein Gletschersee kurz vor dem Gefrierpunkt. Gabhan saß auf einer Decke aus Schafswolle und lauschte dem Älteren, während sich hinter ihm Tjaske und Habbart kabbelten und knufften. „Aber Meister,“ fragte Gabhan dessen Stimme hoch klang. Wie alt mochte er gewesen sein? 12? 13 womöglich?
„Wie besiegt man denn solch einen Dybbuk? Muss man einfach nur den erschlagen, von dem er Besitz ergriffen hat?“ – „Das möchte man meinen,“ erwiderte der alte Bärenhexer und wandte sich an den jungen, hob dabei den linken Arm, der kurz unter der Schulter in einem verwachsenen Stummel endete. „Aber das zu tun ist ein grober Fehler – stirbt der Besessene, bevor der Dybbuk in seine Sphäre zurückgekehrt ist, dann klammert er sich an irgend etwas anderes. Einen anderen Menschen, oder wenn kein solcher da ist an ein anderes Lebewesen oder einen Gegenstand – und zehrt von diesem, während er versucht einen neuen Wirt zu finden und dessen Geist zu brechen, damit er in diesen eindringen kann!“ – „Und… wie besiegt man dann einen Dybbuk?“ – „Nun, die einzige Methode die unserem Orden bekannt ist, ist es einen Dybbuk davon zu überzeugen in seine Welt zurück zu kehren. Und dabei nicht auf seine Täuschungen hinein zu fallen oder einen Kampf zu suchen. Denn wenn wir kämpfen nutzt der Dybbuk andere Einfallstore in unseren Verstand und zerrt uns tiefer in den Wahnsinn!“ – „Und… und wie überzeugt man einen Dybbuk in seine Welt zurück zu kehren?“ – „Nun, die einfachste Lösung ist…“ Gabhan hörte aufmerksam zu, versuchte seine gesamte Konzentration an die Erinnerung zu klammern, die er selbst wieder gefunden hatte, doch die Stimme des Meisters wurde dumpfer, sein Schatten wurde länger, nahm eine gelbliche Färbung an. In Gabhans Augenwinkeln verschwanden Habbat und Tjaske, während der gelbe Schatten immer größer wurde. Den Raum einzunehmen drohte – dann, als habe jemand einen Stein in die Oberfläche eines Sees geworfen, verschwand das Szenario und Gabhan stand wieder inmitten der großen Eingangshalle.
Dort stand Atheris, eine Silberklinge in der Hand, bereit auf ein seltsames Wesen zu zustürmen, das ihn keckernd anstarrte. Auf dem Treppenabsatz stand Grazyna, offensichtlich einen Zauber zu Ende webend, während hinter ihr ein gelber Schatten zu erahnen war. Atheris nickte Gabhan zu, ehe er begann sich in Bewegung zu setzen – auf das keckernde Etwas zuhielt. Denn wenn wir kämpfen nutzt der Dybbuk andere Einfallstore in unseren Verstand und zehrt uns tiefer in den Wahnsinn!
„Atheris! NEIN!“
Leben und Über Tod
Aprupt blieb Atheris stehen, als er Ghabans Worte vernahm. Verdutzt schaute er zu seinem Freund hinüber, der seine Worte mit einer befriedenden Geste nun verstärkte. „Warte Atheris, wir dürfen nicht gegen den Dybbuk kämpfen – das würde ihm in die Karten spielen!“
Atheris ließ sein Schwert sinken. „Ein Dybukk?“ hauchte er leise, blickte auf das Wesen vor ihm und versuchte sich an Großmeister Valerians Worte im Unterricht zu erinnern – war es nicht eine Art Totengeist? Ein Wesen, das auf irgendeine Art an dem Ort gebunden ist, wo sie spuken – zum Beispiel durch eine unerledigte Aufgabe, die sie zu Lebzeiten nicht abschließen konnten und nun ruhelos an diesem Ort umherwandern! – Atheris hasste Geister!
„Was nun? Grazyna … Ghaban, irgendwelche Vorschläge?“
„Keine die dir gefallen würden,“ erwiderte Gabhan und trat einige Schritte nach vorne, ohne jedoch auch nur eine Anstalt zu machen sein Schwert zu ziehen oder auf sonstige Weise aggressiv aufzutreten. Er hörte, wie hinter ihm Grazyna immer wieder ein und dieselbe Formel wie ein Mantra zitierte – offensichtlich um die Realität zu festigen, in welcher sie sich aktuell befanden. Zumindest hoffte Gabhan, dass sie sich wieder in der Realität befanden. „Aber was auch immer wir tun – Gewalt bringt uns kein Stück weiter. Nicht das geringste bisschen…“ Die Augen des Hexers richteten sich auf das Wesen hinter Atheris, das noch immer Grimassen schnitt. Gabhans Schritte wurden fester, als er sich an einen alten Spruch erinnerte, den ihn einst eine Priesterin lehrte: „Raus hier, übler Wicht! In die helle Sonne! Schwinde wie der Nebelhauch, heule mit dem Winde, In die wüsten Lande zieh‘ über alle Berge! Lass die Grube leer zurück, niemals kehre wieder! Sei vergessen und verloren, dunkler als das Dunkel, wo das Tor verschlossen steht, bis die Welt geheilt wird!“
Der Wicht erstarrte und löste sich tatsächlich auf, verschwand in Dunst, Nebel und Schatten, der sich am Rande ihres Bewusstseins manifestierte. Und dort, in der letzten Ecke seines peripheren Sichtfeldes glaubte Gabhan die schattenhafte Gestalt auszumachen. Einen gelben Mantel trug sie – oder war sie womöglich nichts weiter als ein Stück dieses Mantels? Getragen von etwas noch größerem, jenseits dieser Sphäre? Gabhan schüttelte den Kopf, versuchte sich wieder zu konzentrieren. Er spürte wie seine Ohren knackten, als ein Druck auf seinen ganzen Körper ausgeübt wurde.
Sprich
Gabhan warf Atheris einen knappen Blick zu – hier würden sie gemeinsam arbeiten müssen. Auch Grazyna schien ihre Aufmerksamkeit nun mehr der körperlosen Stimme zuwenden zu können. „Mein Name ist Gabhan und ich bin ein Hexer,“ erhob selbennamiger die Stimme. „Und meine Gefährten hier sind Atheris, ebenfalls ein Hexer und die Frau Grazyna. Eine Zauberin. Wir wollen keinen Unbill mit dir. Aber du wirst von hier verschwinden!“
Warum sollte ich dies tun?
Atheris merkte, wie er unwillentlich die Luft angehalten hatte und atmete mit einem leisen zischenden Geräusch aus! Endlich zeigte sich der Dybukk in seiner wahren Gestalt – endlich schienen die wahnhaften Illusionen ein Ende zu haben! Aber was nun? Welche Argumente konnten den Totengeist davon überzeugen loszulassen und zu verschwinden? Atheris hasste Geister! Fast schon erleichtert war er, als schließlich Ghaban einen Schritt auf den Dybukk zumachte und seine Stimme erhob.
Gabhan biss die Zähne zusammen, dass seine Kiefermuskulatur hervortrat. So eine verfluchte Scheiße. Natürlich konnte es mal nicht einfach sein! Er spürte Atheris Blick auf ihm liegen, die verzweifelte Hoffnung des anderen schon beinahe spüren könnend. Als könnte er, Gabhan, ihn jedes verdammte Mal retten! Der Bärenhexer schüttelte den Kopf, spürend, dass sich seine Gedanken wieder begannen in einen immerwährenden Strudel zu stürzen, der im Beisein des Dybbuk tödlich werden könnte. „Weil es hier nichts mehr für dich gibt. Der dich rief ist vergessen. Staub und Knochen. Du magst dich an dieses Gemäuer klammern, aber auch dieses ist dem Zahn der Zeit ausgesetzt. Es verfällt – und mit ihm verfällst du. Es mag noch zehn Jahre stehen – vielleicht fünfzig. Dann wird es verfallen, von Gras überwuchert werden. Vergessen. Und auch du wirst vergessen sein, Machtlos und nur noch ein Schatten.“
Ghaban’s Worte waren gut gewählt und für einen Moment schien es Atheris so, als ob der Dybukk etwas erwidern wollte – aber das Wesen schwieg! „Ich verstehe es nicht Dybukk – die aller meisten von uns sterben unzufrieden. Wir alle lassen unerledigte Aufgaben zurück! Was also ist es, dass dich hier festhält und andere nicht?“ Atheris tat es Ghaban gleich und trat während er sprach einen Schritt auf das Wesen zu. „Es wankt der Mensch am Pilgerstab – und von der Wiege bis zum Grab sucht er umsonst den Frieden. Erst wo der Stein am Hügel steht, und Geisteratem leise weht, ist Ruhe ihm beschieden. Oh! Wohl ihm, der nach seiner Lebenstat den süßen Schlaf gefunden hat Im stillen Tal der Grüfte. Es schwebt zum hohen Sternenchor entfesselt dann sein Geist empor, Empor durch Himmelslüfte!“ Es war lange her, dass er das Gebet, das er soeben rezitiert hatte, von einem Prior der großen Sonne in der Kaiserstadt gehört hatte – aber die Worte waren einprägend gewesen. Er machte einen weiteren Schritt auf das Wesen zu. „Dybukk, deine Zeit auf dieser Erde ist längst zerronnen, das Pendel steht seit Jahrzehnten still. Wer auch immer dich in diese Welt geholt hat, hat längst sein sterbliches Gewand abgestreift, der Atem steht seit langem still und das Licht der Augen ist erloschen. Derjenige der dich gerufen hat ist in ein höheres Leben eingetreten – nichts hält dich mehr an die Stätte der Vergänglichkeit. Gehe den dir bestimmten Weg Dybukk, wie auch wir den unseren weitergehen müssen!“
Gabhan hatte erst ungläubig Atheris angestarrt, als dieser wieder einen seiner hochtrabenden Monologe hielt, ausgeschmückt mit Worten, die Gabhan nicht von ihm kannte und die einem Hexer nur schwer zu Gesicht standen – dass sie überhaupt über seine Lippen kommen mochten war wohl dem Umstand zuzuschreiben, dass Atheris sich noch nie um die landläufigen Vorurteile gekümmert hatte, die ihrer Art entgegenschlug. Doch dann hatte Atheris zum letzten Part angesetzt und Gabhan wäre beinahe ein Aufschrei entfleucht – der dem Dybbuk bestimmte Weg? Wenn das verdammte Wesen das wörtlich nahm, würde er das tun was die Vorurteile über seine Art so sagten und Gabhan fürchtete, dass diese Vorurteile nur allzu sehr recht hatten. „Atheris! Nein!“ Gabhan machte eine knappe Handbewegung über seinem Hals, spürte auch Grazynas Blick, welcher sich ihm in den Rücken bohrte – auch sie hatte aufgehört zu sprechen, rezitierte nicht mehr die Formel, sondern hielt nur noch den Bärenhexer fixiert. Gabhan schob sich leicht vor Atheris, durchkreuzte den Blick der unendlichen Schwärze aus dem Blick des Dibbuk.
Mein Weg? Ist das euer Wunsch, Nicht-Mensch?
„Nicht so wirklich,“ grunzte Gabhan. „Aber weißt du was? Fick dich. Mach was du willst – besetze mich oder den Großen hinter mir, oder nimm dir die Zauberin da oben. Es ist mir gleich – denn am Ende wirst du verlieren!“
Unwahrscheinlich
„In keinster Weise. Die Zeit arbeitet für mich. Denn egal wie mächtig wir sind. Irgendwann wird einer von uns als dein Wirtskörper sterben. Dann wirst du dein nächstes Opfers finden – und auch dieses wird sterben. Immer und immer wieder. Bis die Welt um uns herum zu Staub zerfällt. Nichts mehr da ist. Noch nicht einmal mehr Staub. Nur noch du. Alles andere wird fort sein. Alles. Außer dir – du bist hier. Ewig. Und dann? Niemand mehr, der dich in eine andere Welt führen könnte. Du wärst das letzte Wesen in einer Welt die noch trauriger ist als sie es sowieso schon ist. Du wärst der Scheiß Gewinner einer Welt, die keinen verfickten Wert mehr hat. Weißt du was? Ich gönn`s dir.“
Hexer. Wenn sie in einer Sache gut waren, dann war es nicht zu wissen wann es galt den Mund zu halten. War sie bereits zutiefst über Atheris religiöse Anwandlungen schockiert gewesen, so schlug nun Gabhans selbstgerechter Zorn dem Fass endgültigen den Boden aus. „Mir deucht, jeder hat seinen Standpunkt nun klar gemacht!“ ihre Stimme glitt wie ein Stilett aus Eis durch die Luft und zwang den Dybbuk dazu, nun seine Aufmerksamkeit auf sie zu richten.
Die Zauberin
„Grazyna von Strept,“ erwiderte die Selbennamige, ohne dabei jedoch auch nur einen Hauch der Kälte in ihrer Stimme zu verlieren. „Diesen Namen wirst du auch niemals mehr vergessen. Du wirst dir sogar noch wünschen ihn nie zuvor gekannt zu haben. Denn bereits die jüngsten Adeptinnen von Artetusa wussten stets – niemand dringt ungestraft in den Verstand von Grazyna von Strept ein.“ Sie kam noch einen Schritt näher. Und noch einen. Spürte die Aufmerksamkeit dieses Wesens, das in jede Pore dieses Hauses gezogen war wie schwarzer Schimmel auf sich „Und die Adeptinnen taten gut daran dies weiter zu geben – denn man erzählte sich die schaurigsten Geschichten über diese von Strept,“ ein weiterer Schritt. Immer weiter erzählen – das Monstrum glauben lassend, man würde sich auf sein Spiel einlassen. Maskerade. Täuschung. all das hatte sie für Nilfgaard doch schon so oft tun müssen. „Du magst glauben du weißt, was Zauberer in dieser Welt ausmacht. Immerhin wurdest du von einem Beschworen. Aber glaube mir; du irrst. Goetie ist die einfachste aller Künste. Stümperei. Weißt du, was wahrer Kunstfertigkeit bedarf?“ nun stand sie direkt vor dem Dibbuk, vollendete mit der linken hinter ihrem Rücken die letzte Geste. „Feuer.“
Die Hölle brach los, als sich die elementare Kraft ihren Weg durch das Holz bahnte – innerhalb von Sekunden alles Brennbare des alten Hauses zeitgleich in Brand streckte. Jeden Bilderrahmen, jeden Stofffetzen, in den die Essenz und Präsenz des Dybbuk über die Jahrzehnte gesickert war – das Haus, das der Dybbuk war und der Dybbuk, der das Haus war. Sie beide standen in Flammen. Wurden vom Feuer verzehrt.
Im letzten Moment erkannte Atheris, was Grazyna vorhatte und noch bevor er sich vergewissern konnte, ob Ghaban es ebenfalls bemerkt hatte, umgab ihn ein Inferno, das dem Feuer bei Sodden in nichts nachstand! Bevor ihn die Flammenzungen erreichten, wirkte er geistesgegenwärtig das Zeichen Quen und augenblicklich bildete sich die rettende Schutzblase um ihn. Atheris Anflug, sich um seinen Zunftbruder zu sorgen, stellte sich als unbegründet heraus. Ghaban hatte den Braten gerochen, sich ebenfalls geschützt und stürmte brummend am Greifen Hexer vorbei in Richtung der Eingangstür. Der Bärenhexer brach ungestüm durch das, was von der brennenden Tür noch übrig war und gelangte ins Freie – dicht gefolgt von Atheris.
Die beiden Hexer schauten gebannt zurück auf das einst so prächtige Haus, das nun komplett in Flammen stand. „Grazyna!“ schrie Atheris in Richtung des Glutofens, was noch vor wenigen Augenblicken die Eingangshalle gewesen war. „Ja, Atheris?“ hörte dieser auf einmal hinter sich und schloss sofort die rußverschmierte Magierin in die Arme!
Während seine beiden Begleiter noch mit sich beschäftigt waren, begann Ghaban die herbeieilenden Dorfbewohner davon abzuhalten, das Feuer zu löschen. „… Es muss komplett herunterbrennen! Beschränkt euch nur darauf, ein übergreifend auf die anderen Häuser zu verhindern!“ brüllter er ihnen entgegen.
Epilog – Der Lohn eines Hexers
Zwei Tage war das große Feuer her, zwei Tage an denen Ghaban und Atheris mehrfach die Stelle untersucht hatten um sicherzustellen, dass der Dybukk nicht mehr in dieser Welt existierte. Zwei Tage in denen die Dorfbewohner die Hexer noch argwöhnisch betrachteten als bei ihrer Ankunft. Die Dankbarkeit, dass dieses verwunschene Haus endlich vernichtet war, konterkarierte nur bedingt den Schrecken, den das plötzliche Inferno unter ihnen verursacht hatte. Auch Jirkam brauchte die beiden Tage um den Verlust seines prächtigen Hauses zu verdauen, aber zumindest reifte bei ihm schließlich die Einsicht, dass ein verfluchtes Haus ihm weniger genutzt hatte.
Als die Sonnenstrahlen des dritten Tages über dem Dorf erstrahlen, waren Grazyna, Ghaban und Atheris bereit, ihre eigentliche Reise fortzusetzen.
Kaer Iwhaell Festmahl 4
Kaer Iwhaell Festmahl 4
03.-05.12.21
26. Velen 1282, Niemandsland zwischen Lan Exeter und Aedd Gynvael
Liebes Tagebuch, Valerian hatte es tatsächlich für eine gute Idee gehalten Atheris, Jora und mich loszuschicken, um auf Wunsch unseres Gastgebers eine lokale Räuberbande zu verjagen. Ich war tatsächlich überrascht, dass sich die Aufgabe als deutlich leichter herausstellte, als ich zunächst gedacht hatte. Dies mag vor allem der Tatsache geschuldet sein, dass als wir das Lager gefunden hatten, dieses nur schwach besetzte war.
Als wir wenig später dann wieder im Gasthaus ankamen, erfuhren wir auch den Grund dafür – die Räuber hatten versucht, Vladim und einige andere Greifenfreunde zu überfallen – Selbst schuld…
So, oder so war das Gasthaus nun voll mit fremden Hexern und mir zum teil ungekannten Freunden. Keine Ahnung warum Valerian die alle herbei gepfiffen hat, aber es hat bestimmt etwas mit Kaeriseren zu tun – verdammt wie schreibt man das eigentlich? Ach … Egal.
Das Gasthaus war gut voll und ich hatte gerade angefangen, mich unter die Leute zu mischen und mir ordentlich einen hinter die Rüstung zu kippen – als der Abend doch noch spannend wurde. Wie sich herausstellte war eine Dame unter den Gästen eine Werwölfin und sie suchte Hilfe.
Sie hatte schreckliche Angst vor den bereits mutierten Hexern und wandte sich offensichtlich an mich, weil ich in ihren Augen der einzige war, der sie nicht sofort umschneiden würde – muss wohl an meinem Charisma liegen!
Naja, jedenfalls bat sie mich um Hilfe und ich sammelte von da an ganz viele Informationen, um mich darauf vorzubereiten, sie am nächsten Morgen zu heilen. Valerian meinte, es würde eine wundervolle Jagd-Vorprüfung für mich sein.
Eigentlich war ich die ganze Zeit nicht nervös … bis jetzt!
Ich sollte ins Bett gehen, es wird spät und die Bücher, die mir Valerian rausgelegt hat ‘riechen‘ förmlich nach einem laaaaangen Tag und dabei denke ich noch nicht Mal an das Labor, welches mich ebenfalls aus dem Nebenzimmer förmlich anstarrt … andererseits – ich werde mir noch mit Valerian einen in den Damm biebern und dann aber ab ins Bett.
27. Velen 1282
Meine Fresse, diesem Tag soll von ‘nem Mantikor in den Arsch gebissen werden. Mir tut alles weh und muss jetzt noch „Einen Bericht über die Geschehnisse des heutigen Tages, sowie eine Zusammenfassung aller Substanzen und Methoden welche du verwendet hast“, verfassen…. leck mich Valerian!
Aber hilft ja nichts, dann fange ich mal von vorne an:
Natürlich hatte ich mir mit Valerian gestern Abend noch einen reingeorgelt, wie so ein Achtarmiger und habe dann das Training am nächsten Morgen fast verschlafen.
Verdammter Hexer-Metabolismus, dem alten Sack hat man heute Morgen natürlich wieder nichts angemerkt.
Nach dem Frühsport nahm Raaga mich und ein paar andere zum Spurenlesen-üben mit und sorgte dafür, dass ich möglichst viel Schnee in den Mantel bekam.
Als wir dann nach einer gefühlten Ewigkeit wieder zurück kamen, konnte ich mich endlich dem eigentlichen „Werwolf-Problem“ und den dazugehörigen Vorbereitungen, widmen.
Wir entschieden uns ein Serum zu kochen, welches die Physisteile des Werwolfs zerstören sollte. Eilig machte ich mich auf den Weg, die benötigten Kräuter und Zutaten zu sammeln – was sich im Nachhinein durch den ganzen Schnee als gar nicht so einfach erwies. Das Ganze dauerte deswegen leider etwas länger, als ich erwartet hatte, so dass die Werwölfin wohl Panik bekam und aus dem Gasthaus verschwand.
Zusammen mit den anderen Hexern nahm ich die Verfolgung auf und schnell verrieten und die Spuren, dass sich die Arme vollständig zum Werwolf transformiert hatte – einige Stunden früher als ich nach meiner Recherche erwartet hatte – was die ganze Sache nun deutlich erschweren würde.
Wir jagten also diese haarige Gewitterziege durch den Wald, Berge hoch und runter, bis wir realisierten, dass sie uns gezielt vom Dorf und dem Gasthaus weglockte.
Wir sprinteten also panisch zurück und fanden den nilfgaardischen Terrier kurz vor dem Gasthaus. Wie die Meister-Hexer versuchte ich den Werwolf zu beschäftigen und mit nicht tödlichen Hieben in Zaun zu halten, damit ich ihm die Spritze mit dem Anti-Werwolf-Serum verpassen konnte.
Beim zweiten Versucht klappte es dann auch! In meiner Freude ließ ich mich leider ablenken und wurde von den Werwolfpranken aufgespießt und durch die Luft geworfen. Das nächste woran ich mich erinnern konnte war der Geschmack vom Heiltrank und ein nicht enden wollender Würgereiz – aber es hatte funktioniert! Wir brachten das Mädchen zurück ins Gasthaus, wo wir uns um den letzten Schritt der „Entwolfung“ kümmern konnten.
Nein, es konnte natürlich noch nicht vorbei sein, denn das Serum sorgte schließlich nur dafür, dass sie sich nicht mehr verwandeln konnte – der Fluch jedoch war noch da. Diesen Rest überließ ich allerdings den anwesenden Magiern, denn mit derart Ritualen kenne ich mich ehrlich noch nicht aus.
Wie es schein haben die den Fluch auf einen Igel übertragen können – zumindest habe ich das so verstanden! Ja, es klingt bescheuert … ist es auch … aber es scheint funktioniert zu haben.
So oder so werde ich mir jetzt den Burggraben füllen und ich denke ich nehme mal die Socke mit – die Neue hat mich jetzt mehrmals angelächelt – sicher ist sicher! Vielleicht wirds ja heute Abend schon was mit dem „Gesetz der Überraschung“!
Fotos von Anne
Neu Ahornbach 9
Neu Ahornbach 9
04.03.-06.03.22
… wir durchquerten also das vereinte Königreich Ahornbach auf der Suche nach Arbeit, Fenja und ich. Die anderen Greifen bildeten ebenfalls kleine verstreute Gruppen um Geld zu verdienen. In Pont Vanis zu überwintern ist kostspieliger als gedacht. Unsere Kasse gähnt vor Leere.
Wir hörten also bei Durchquerung von Ahornbach, dass ein gewisser Großinquisitor und Ritter Rodrigues de Bivar Hilfe bei der Beseitigung von Werwölfen braucht – auch von Dämonenpaktierern und Nekromanten, aber das wollten wir getrost anderen überlassen.
Wir bestiegen also am Abend die letzten Stufen hoch zur Burg des Großinquisitors. Eine Reisegesellschaft ähnlich angelockter ging voran. Sie schritten durch das Burgtor mit natürlicher Selbstverständlichkeit – während Fenja und ich verdutzt guckten: Am Eingang standen zwei Männer mit Fackeln in roten Mönchsroben und weißen Masken. Sie erhoben die Fackeln zum düsteren Spalier und empfingen die Reisenden mit dem Gruß „pax vobiscum“.
„Hast du auch das Gefühl, die schließen hinter uns die Tore, wenn wir da reingehen?“ fragte Fenja verunsichert. So gingen wir ein paar Schritte hinein mit dem Ziel mit den roten Novizen zu sprechen, aber außer „pax vobiscum“ kannten Sie scheinbar nur das Vokabular „der Inquisitor wird eure Fragen beantworten“.
Wir schritten also in den Burghof wo sich eine Menschentraube gebildet hat und ein Herold erhob die Stimme um seinen Herrn den Großinquisitor anzukündigen. Außerdem verkündete er, dass alle Reisenden Passierscheine, Visa und Magiewirkergenehmigungen täglich vorzeigen und neu beantragen müssten. Gekrönt wurde die schräge Vorführung mit einer jungen Frau, die aus einem Kerker gezogen wurde: Sie sei eine Vampirin und solle hingerichtet werden. Sie flehte bitterlich, und ich bezweifelte als Fachmann, dass zwei magere Novizen eine höhere Vampirin oder eine Bruxa einfach festhalten könnten, gefesselt durch einen Leinenstrick. Ich schritt also zum präsentierten Großinquisitor und wollte mich vergewissern, dass ihr Vampirismus bestätigt sei. Er fertigte mich mit flüchtigen Worten ab. Als das Urteil vollstreckt wurde, löste sich die Frau in Asche auf.
Wir fertigten mit unerträglichen Anstehzeiten unser geduldiges Genehmigungspapier aus und wir fragten uns über den Herold nach Arbeit durch, bis wir zur Mitternachtsstunde den Inquisitor sprechen konnten in seinen persönlichen Gemächern: Mehrere Federbetten standen an den Wänden um ein großes Rundes Turmzimmer. Die Betten wiesen verankerte Handschellen auf, und ich wünschte es würde sich um ein liebliches Bettspielzeug handeln – doch der Inquisitor bestätigte mir, dies diene zum verschärften Verhör. Aber Einerlei, Spinner gibt es überall: Wir vereinbarten einen schriftlichen Jagdvertrag um Werwölfe und Ihnen dienende Gestaltwandler zu jagen, die eine große Bedrohung für die Burg und das Land ausmachten.
Von dieser Bedrohung merkten Fenja und ich herzlich wenig: Wir verbrachten einige kalte Nachtstunden in der nicht ganz so kalten Taverne, lernten ein paar nette andere Reisende kennen und wir schließlich zu Bett gingen.
Der Morgen war stink langweilig. Von der sogenannten Bedrohung merkten wir nichts. Es wurde um die Mittagsstunde eine große Hatz im Wald vereinbart. Die Zeit verbrachten wir, um unseren neuen Reisefreunden bei Nachforschungen zu helfen: Sie vermuteten, dass der Großinquisitor etwas verbirgt. Fenja versuchte beispielsweise das Schloss zum Gemach des Inquisitors zu knacken – ohne Erfolg. Dafür wurden wir aber mithilfe eines rhetorischen Vorwands in den Kerker gelassen. Unsere Reisegefährten analysierten, dass die eine Zelle, von einer magischen Barriere umgeben, die Leiche eines Nekromanten beherbergt – der Lebenskraft aus benachbarten Gefangenen ziehen konnte. Die Gefangenen wurden umverlegt und schon war das Problem erledigt. Manchmal geht’s halt auch einfach. Ja ok, es gab irgendwelche Inkognito-Nekromantenschüler die sich unter die Reisenden gemischt hatten – aber die ambitionierten Freizeit-Häscher unter den Reisenden konnten diese Entlarven und dem so vertrauenswürdigen Inquisitor übergeben.. ich weiß ja nicht. Hat den Beigeschmack zweier Übel, zwischen denen ich ungern wählen möchte.
Außerdem lernten Fenja und ich uns besser kennen: Sie erzählte mir von ihrer Jägersfamilie, ihren Brüdern, Erwartungen an sie, die sie scheinbar sehr belasteten… aber sie ist einfach zu stolz um ihre Situation vollkommen offen und ehrlich zu schildern. Sie hat das Herz am rechten Fleck und gerne soll sie uns weiter begleiten: Wenn etwas von dem (vermeintlichem) Monsterjagdruhm auf ihre weiße Weste fällt, so soll sie ihn gerne haben. In meinem Herzen hat Fenja auf jeden Fall einen kleinen Platz verdient.
Aber greifengetreu führten wir zur Mittagszeit unsere Jagd aus: Und waren sehr erfolgreich. Wir brachten rund 12 Wolfs-Gestaltwandler zur Strecke – echte Werwölfe gab es nicht – und konnten aufgrund des Gewichts zu zweit 8 derer Köpfe tragen und dem Inquisitor in der Burg übergeben. Er meinte sodann, er werde die Bezahlung holen – und das ist der Moment in dem so mancher Schuldner plötzlich merkt „oooh meine Soldkasse ist plötzlich weg“, doch dieses mal nicht: Nach einer verdächtig langen Wartezeit kam der Inquisitor aus seinen Gemächern zurück, und überreichte uns 16 gottverdammte riesige Goldtaler! Unfassbar. Ich bedankte mich herzlich und plante sogleich mit Fenja die Abreise aus diesem seltsamen Zirkus. Leider wurden wir durch seltsame Angriffe der Wolfs-Gestaltwandler in der Burg festgehalten: Bis in den tiefen Abend griffen die Wölfe mit voller Härte und Leidenschaft an, sodass Fenja und ich uns unseres Lebens erwehren mussten – naja sozusagen: Fenja hat sich bei dem Angriff unter dem großen Holztisch im Burghof versteckt. Aber sie hat mir das versprechen abgenötigt den anderen Greifen bloß nichts davon zu erzählen, das wäre ihr peinlich.
Fotos von Hannah Gritsch
Anna
Anna
Vorname:
Anna
Funktion in der Gruppe:
Homepagewart
Wohnort:
Oberbergischer Kreis
Charaktername:
Jora
Rasse / Klasse:
Mensch
Über den Charakter:
Jora ist nach Jahrelanger Unterdrückung durch ihre Familie endlich ihrem ungeliebten Leben auf Skellige entflohen, um Zuflucht bei ihrem einzigen Vertrauten, Raaga, zu finden und bei den Greifen ihren großen Traum zu verwirklichen, ein echter Hexer zu werden.
Zitate vom Charakter:
–
Zitate über den den Charakter:
–
Erreichbar:
–
Facebook:
–
Instragram:
–
Nebel und Schatten im Pontartal
Nebel und Schatten im Pontartal
26.11.-28.11.21
Aus dem Tagebuch des Atheris von Toussaint, Pontartal 21.-22. Saovine 1281 (Winter)
Drei Tage sind vergangen, seitdem Großmeister Valerian und ich vom Winterlager der Greifenhexer – im Niemandsland zwischen Lan Exeter und Aedd Gynvael – aufgebrochen sind um einen „kurzen“ Abstecher ins Pontartal zu machen.
Zu meinem Leidwesen hat Valerian mal wieder auf den Einsatz unserer Reittiere verzichtet und stattdessen lieber auf ein von Meisterin Nella erschaffenes Portal gesetzt, welches uns zumindest in die Nähe unseres Ziels bringen sollte – dennoch sind wir nun seit Tagen in dieser unwirtlichen Gegend unterwegs auf der Suche nach einem Vatt‘ghern Namens Angrist, seines Zeichens Experte auf dem Fachgebiet der Herstellung von Tränken. Zumindest haben wir gestern Hinweise erhalten, dass ein Hexer erst vor kurzem durch diese Gegend gezogen ist. Wir werden die Nacht weiterziehen und versuchen aufzuschließen.
Das Glück ist uns hold! Wir haben tatsächlich Meister Angrist kurz nach Einbruch der Nacht mitten im Schneegestöber am Wegesrand angetroffen. Gemeinsam mit ihm und einem temerischen Söldner haben wir uns weiter auf den Weg zu einem Gasthof gemacht, der laut Angrist ganz in der Nähe sein soll.
Gestört wurden wir auf unserem Weg von zwei Gruppen Fistech süchtiger Halsabschneider, die uns im Unterholz auflauerten. Ein erster Versuch der Räuber unser Habe habhaft zu werden endete im Blutvergießen … auf Seiten der Missetäter, versteht sich. Bei einem weiteren Überfall der Verbrecher entschied sich Valerian für die Auszahlung der Verbrecher – womit ich absolut nicht einverstanden war. Im Kaiserreich hätte man mit ihnen kurzen Prozess gemacht und ein Exempel statuiert – nun gut, zumindest haben wir unser Nachtquartier danach ohne weitere Zwischenfälle erreicht.
Wenn mir das jemand vorher erzählt hätte, was mich in der Taverne erwarten würde…ach ich lass es lieber! Neben einem redanischen Begrüßungskommando, einer illustren temerischen Reisegesellschaft und einigen anderen Gestalten, fanden wir einen uns unbekannten verletzten Greifenhexer vor. Die Tatsache, dass er sich als Meister vorstellte, wurde von Großmeister Valerian zugleich in Frage gestellt, da nur er als einziger Überlebender Meister der alten Greifenschule die Meisterschaft erteilen kann.
Trotz meiner kaiserlichen Rüstung und der darauf unverkennbar abgebildeten goldenen Sonne, schenken mir die Nordlinge nur wenig Beachtung – lediglich ein redanischer Soldat fragte beim Betreten der Taverne, ob mir die Rüstung der Schwarzen verliehen wurde oder ob ich sie „erworben“ habe … bevor ich ihm wahrheitsgemäß antworten konnte, tat Valerian die Frage mit „ein Souvenir“ ab – keine Unwahrheit und da der Soldat mit der Antwort offensichtlich zufrieden war, habe ich es auch dabei belassen. Zudem stimmten die Redanier vorhin eine Ballade über die Schlacht bei Brenna an, die sie besonders laut in meine Richtung trällerten – aber abgesehen von der durch die Propaganda der nördlichen Königreiche verdrehten Wahrheit über den Hergang der Schlacht, stören mich derart Lieder nur wenig. Nur einmal drohte die Stimmung kurz zu eskalieren und zwar als der Hauptmann in einem Anfall von Prahlerei die redanische schwere Reiterei als die Beste der Welt darstellte – die Tatsache, dass man gerüstete Reiter auf Ackergäulen als Kavallerie bezeichnet ist ja an sich schon ein Affront! Zumindest schien der Mann Ahnung von Pferden zu haben und die gereizte Stimmung ebbte in einer Diskussion über edle Rösser (die sie im Norden allerdings nicht haben) ab.
Ich habe vorhin zu meiner Freude festgestellt, dass zu der temerischen Reisegesellschaft auch die Magierin Cecilia DeFiné mit ihrer Leibgarde gehört. Sie ist uns Greifen keine Unbekannte und viel Wichtiger – sie hat hervorragenden Wein dabei – könnte also widererwartend ein geselliger Abend werden.
Es war in der Tat ein langer und geselliger Abend – zum Glück macht uns Vatt’ghern ein wenig Alkohol im Blut nichts aus! Auch die meisten anderen Drogen zeigen bei unserem Metabolismus nur bedingt Wirkung, ganz im Gegenteil zu dem örtlichen Holzfäller, der hier seit Sonnenaufgang bei der Taverne auf- und abrennt und verzweifelt versucht eine Eskorte zu finden. Er stammelt etwas davon, dass ihn die Büsche angreifen – er aber Geld für seine Familie verdienen muss!
Ich hätte darauf wetten können, dass Großmeister Valerian dem armen Mann bei seinem Problem mit den Büschen helfen würde – dass aber tatsächlich mehr an der Sache dran war als nur die Halluzination eines Fistech-Süchtigen hätte ich nicht erwartet.
Nein, es waren keine Leshen gewesen – dafür waren sie nicht mächtig genug gewesen – dennoch war es aufgrund ihrer schieren Anzahl kein ungefährliches Unterfangen gewesen, gegen diese Kreaturen anzugehen – zumal der Ursprung und ihre Intention nicht in Erfahrung zu bringen ist.
Zu unserem Leidwesen müssen wir den Tod des Holzfällers betrauen, denn obwohl ich mich noch zwischen einen der lebenden Büsche und den Holzfäller warf, konnte ich den tödlichen Hieb nicht abfangen – man muss dazu aber auch sagen, dass er einfach nicht in Sicherheit bleiben wollte beziehungsweise – aufgrund seines Drogenkonsums – konnte! Als Valerian gerade dabei war einen möglichen Fluch, der auf dem armen Mann gelegen haben mochte, zu brechen – kamen die Nordlinge aus dem Gasthof zu uns in den Wald. Die Kreaturen nutzten den Moment der Ablenkung und fraßen die Leiche mit Haut und Haaren – wahrlich kein schöner Anblick! Immerhin hatte der Ausflug etwas Gutes, die Jägerin Fenja begleitete uns in den Wald und hat sich als angenehme und nützliche Verbündete erwiesen.
Es Dämmert langsam – vieles was in den letzten Stunden um den Gasthof herum vorgefallen ist, bekomme ich nicht zusammen. Es ist die Rede von einem geheimen Labor, indem schändliche Experimente an der örtlichen Bevölkerung vorgenommen werden.
Bis auf einen Fetzten Pergament, den wir im Wald gefunden haben, ergab die Suche von Großmeister Valerian, Fenja und mir keine wesentliche Erkenntnis über Ort, Zweck oder Personen, die hinter all dem hier stecken.
Die Ereignisse haben sich mit Einbruch der Dunkelheit überschlagen! Magierin Cecilia ist verschwunden! Dem Hörensagen nach hat sie versucht vor dem redanischen Hexenjäger zu fliehen, der sich hier im Gasthof aufgehalten hatte und angeblich Wind davon bekommen hat, dass sie eine Magierin ist! Der Hexenjäger ist noch hier … Sie nicht … das riecht nach Ärger! Wir werden uns der Suchexpedition die gerade zusammengestellt wird anschließen!
Das war mehr als knapp! Der Leibwächter von Cecilia kam aufgelöst aus dem Wald gestürmt und informierte uns, dass die Magierin von einer Gruppe Männern entführt wurde. Der junge Mann wartete allerdings nicht, bis sich die Expedition sammeln konnte, sondern machte sich gleich mit gezogener Waffe auf den Weg zurück in den Wald!
Ich muss sagen, dass das Hexertraining sich mehr als ausgezahlt hat, denn die Spur der Entführer beziehungsweise das Licht ihrer Fackeln führte uns einen steilen und sehr … sehr … sehr langen Hang hinauf und im Gegensatz zur Schlacht bei Sodden und dem Berg der Magier, fehlte mir mein treues Streitross doch merklich. Der lange Anstieg riss unsere Gruppe vollends auseinander und nach einem gefühlten ewigen Anstieg erreichten Fenja und ich als erste das gegnerische Lager und die Männer, die uns mit gezogener Waffe erwarteten. Nach dem Motto Angriff ist die beste Verteidigung stürmte ich auf die Männer zu und Dank Fenja’s Warnungen gelang es mir die Feinde zu binden bis Valerian und die anderen sich ebenfalls in Kampfgetümmel stürzten konnten. Keinen Augenblick zu früh erlangten wir die Oberhand und es gelang uns den verrückten Alchemisten – der sich zugleich als der Tavernen Wirt entpuppte – daran zu hindern, Cecile ein letztes Elixier zu verabreichen.
Wie es sich nach dem Verhör des Wirt‘s herausgestellt hat, war es tatsächlich sein erklärtes Ziel durch die Elixiere die Mutation der Hexer zu reproduzieren. Weil seine bisherigen Versuche an der normalen Bevölkerung allesamt schiefgelaufen waren, hatte er der Versuchung nicht widerstehen können, sich an der Magierin zu vergreifen – in der Hoffnung – dass ihre ‚Andersartigkeit‘ und damit verbundene mögliche höhere Widerstandskraft bei der ‚Kräuterprobe‘ helfen würde. Zum Glück mussten wir nicht erfahren, ob er mit dieser Annahme Recht gehabt hätte.
Ein letztes Fazit zu dieser Expedition:
Nach einem längeren Gespräch mit Angrist, konnte ich seine zunächst ablehnende Haltung gegenüber unserem Vorhaben zumindest revidieren und zumindest die Möglichkeit aufrechterhalten, dass wir auf seine Unterstützung in Zukunft hoffen dürfen.
Mit der Jägerin Fenja haben wir eine neue Verbündete gefunden, die sich uns zumindest temporär anschließen möchte.
Reisen ohne Pferd kann man machen – ist aber „stronthe“
Was es mit meinem alten Tagebuch im Besitzt von Angrist auf sich hat, werde ich in einem separaten Eintrag festhalten!
Fotos von Calle Plantiko
Von Bären und Riesenspinnen
Von Bären und Riesenspinnen
Aus dem Tagebuch des Atheris von Toussaint, Wildnis von Kovir & Povis, Winteranfang 1281
Ernsthaft Atheris? Jeder weiß, dass das hier dein Tagebuch ist. Es ist eine verfluchte Sonne darauf – G.
Einige ereignisreiche Wochen liegen hinter uns – Meister Valerian treibt uns zu immer mehr Eile an und ich kann immer noch kaum glauben, dass wir es ohne weitere Vorkommnisse an der Grenze Redaniens vorbei geschafft und nun endlich Povis erreicht haben!
Wie schön, dass du hier geflissentlich die Begegnung mit den Hexenjägern ausblendest – G.
Mittlerweile haben wir zwar endlich ein schönes Gasthaus beziehen können, doch die vorangegangenen Ereignise haben uns schwer zugesetzt – mit Schrecken denke ich an die Ereignisse, lange bevor wir Lan Exeter passierten.
Was ist das denn für eine Exposition? Glaubst du den Kram hier liest irgendjemand? Welcher vernünftige Mensch beginnt denn in seinem Tagebuch mit einer Rückblende nach der Einleitung? – G.
Alles begann damit, dass wir uns auf einem hübschen kleinen Fleckchen ausruhten. Wir, dass war unsere Reisegemeinschaft der Greifen – Gabhan (ich weigere mich als Reisebegleitschaft der Greifen gesehen zu werden –G.), Grazyna, Valerian, Nella, Heskor, Jiri und meine Wenigkeit. Da vernahm Heskor mit einem Mal ein seltsames Geräusch – und erspähte, behände wie er ist, schnell von einem nahen Baum die Umgebung aus.
Wundert mich immer noch, dass das funktioniert hat – G.
Und wie groß war unsere Überraschung, als er uns vermitteln konnte, dass dort die stolzen Soldaten Kovirs und Povis aufmarschierten!
Ach komm schon! Das war doch nun wirklich keine Überraschung – wir waren mitten auf einer Handelsroute und es herrscht Krieg. Und wenn das deine Definition von stolz ist, wird mir einiges klar! – G.
Meister Valerian beschloss natürlich sogleich sich mit den Soldaten gut zu stellen, damit wir ein Stück des Weges gemeinsam reisen konnten. Denn wie sagt er immer? “Ein Fremder ist nur ein Freund den man noch nicht kennt” (mich wundert nichts mehr – G.)
Auf der Reise kam es dann zu einem unerwarteten Ereignis – gerade als wir eine große Hängebrücke passierten wurden wir Opfer eines miesen Hinterhalts! Ein Räuber, der es wohl auf die armen Soldaten abgesehen hatte, schnitt das Seil der Brücke durch! Noch nicht einmal mein schnell eingesetztes und meisterlich ausgeführtes Aard konnte mich vor dem Sturz in die Tiefe noch bewahren! (Aha –G.) Aber nicht nur ich! Nein, auch Grazyna und Jiri stürzten in die Tiefe, verschwanden aber vor meinen Augen durch ein Portal – selbstverständlich machte ich mir Sorgen, wenngleich auch Grazyna eine meisterliche Zauberin ist! Doch viel Zeit blieb mir nicht mir Gedanken zu machen, denn schon stürzten wir in die Tiefe.
Ich sah noch in letzter Sekunde, dass sich Meister Valerian gemeinsam mit Nella und Heskor katzengleich auf die andere Seite retten konnte, dann umtosten mich die Fluten des reißenden Flusses.
Atheris, ernsthaft – wer schreibt so sein Tagebuch? Außerdem hatte Valerian Glück. Mehr nicht – G.
Als ich wieder zu Bewusstsein kam war keiner meiner Freunde mehr zu sehen – und ich über und über mit Schlamm und Moder aus dem Sumpfgebiet bedeckt, in welches mich wohl einer der Seitenarme des Flusses gespült hatte. Erst nachdem ich meine stolze Nilfgaarder Rüstung wieder halbwegs gesäubert hatte, wurde ich eines fernen Stöhnens gewahr. Da lag Gabhan! Sauber aufgespießt von einem dicken Ast, der Kettenhemd und Bauch durchschlagen hatte. Wäre doch nur Malva da gewesen um uns professionelle Hilfe angedeihen zu lassen! Da verblute ich lieber – G.
Zu Gabhans Glück wird ein Nilfgaarder Offizier auch auf schwere Verwundungen auf dem Schlachtfeld vorbereitet, so dass ich für Gabhan schnell eine improvisatorische Trage basteln und ihn hinter mir her schleifen konnte. Wir suchten uns einen kleinen Flecken Erde mit sauberem Wasser, um uns um die Wunde zu kümmern. Doch oh Schreck – ich hatte Gabhan keine Sekunde aus den Augen gelassen, da hörte ich ein gewaltiges Brüllen! Offensichtlich hatte der Blutgeruch einen ausgewachsenen Bären mit Jungem angelockt, der in Gabhan wohl aufgrund seines Geruchs eine Gefahr sah! Der sah in mir ein Mittagessen – G.
Wenngleich auch der Bär eine schreckliche Bestie ist, so hatte er doch nichts gegen mein scharfes Schwert, meine gewaltigen Kräfte und der tollen Zusammenarbeit mit Gabhan entgegen zu setzen! Auch genau in der Reihenfolge, hm? – G.
Kaum hatten wir den Bären bezwungen mussten wir uns dringend um die nun noch viel größer gewordene Wunde meines Freundes kümmern! Mit vereinten Kräften zogen wir den sowieso locker gewordenen Stumpf aus seinem Bauch und versiegelten die Wunde mit einem gemeinsamen Igni!
Kaum das Gabhan so verarztet worden war fand uns auch Valerian, Heskor und Nella wieder. Sie hatten mich wohl durch magische Mittlung geortet! Gemeinsam traten wir den Rückweg zu einem sicheren Gasthaus an und besprachen was als nächstes zu tun war. Ohne jeden Zweifel mussten wir Grazyna und Jiri finden – da Nella die beiden irgendwo unterhalb von uns ortete, ließen wir uns von den überlebenden Soldaten den Eingang zu einem Höhlensystem zeigen.
Und siehe da – die Sonne war längst untergegangen, als wir ein Loch im Boden entdeckten. Über und über behängt mit gewaltigen Spinnennetzen. Und dort unten im Halbdunkel konnten wir Jiri und Grazyna ausmachen. Selbstverständlich zog ich sofort mein Schwert und sprang zur Rettung, mein treuer Kumpan Gabhan und auch Meister Valerian an meiner Seite! Weil du sonst gestorben wärst, so ganz alleine du Wahnsinniger! – G.
Tief in der Dunkelheit begegneten wir dem Ungetüm dieser Höhle – einer gewaltigen Spinne! Bestimmt elf Klafter fünfzehn Fuß hoch! Du hast keine Ahnung wie groß ein Klafter ist, oder? – G.
Mit gemeinsamen Kräften bezwang unsere Gruppe das Ungeheuer, ehe Nella die gesamte Brutstätte mit ihrer Feuermagie dem Erdboden gleich machte. Beunruhigender Weise fanden wir bei dem Spinnenwesen ebenfalls eine jener Messingplaketten, die wir auch bei den Experimenten von Asken, dem wahnsinnigen Magier des Kestrel-Gebirges fanden. Hier scheinen diese Magier wohl ebenfalls ihre Finger im Spiel zu haben – doch darum können wir uns kümmern, wenn wir im Frühjahr von unserer Reise nach Kaer y Seren zurück kehren.
Du kannst nur hoffen, dass dieses Buch niemals den falschen Leuten in die Hände fällt mein Freund. Sei froh, dass ich es unten im Gastraum gefunden habe. – G.
Doppeltes Spiel - Der Kurzfilm des Greifenschule e. V.
Der Kurzfilm des Greifenschule e. V.Ein Film von Markus Wacker & Matthias Schmittnägel
Nimmermeer - Im Schatten der Dreifaltigkeit
Nimmermeer - Im Schatten der Dreifaltigkeit
31.08.-02.09.18
Valerian geriet durch einen Portalfehler mal wieder auf Abwege und fand sich bei einer Reisegesellschaft wieder, die eine von Zwergen besetzte Burg infiltrieren wollten. Da dies seine beste Chance auf einen Handel mit einem Magier war, der ihn wegteleportieren konnten, machte Valerian bei der Scharade mit. Er erhielt einen falschen Zwergenbart zum umhängen und mogelte sich mit den anderen in die Burg. Die Scharade wurde dann natürlich durchschaut und wildes Hauen und Stechen begann.
Im Rahmen von zwei Tagen ging es darum, eine Entität namens „Hass“ zu besiegen – wenngleich Valerian sich mehr um die kleinen Nöte und Sorgen von Volk und Reisenden kümmerte. Hier lernte er viele aufrechte Onnurther Glaubenskrieger kennen, und es sollte nicht das letzte mal sein, dass sie gemeinsam zu den Waffen griffen.
Funkenflug 15
Funkenflug 15
7.-10.10.21
Auszug aus dem Brief von Valerian an Nella
“… und so kam es, dass der kommerzielle, rabattierte Teleport, den ich in Hengfors buchte, mich in das Land ‘Harnac’ schickte – zur Erinnerung: Das Land in dem ich vor nunmehr fünf Jahren Atheris kennenlernte.
Es dauerte nicht lange, bis ich in der Wildnis auf eine Reisegesellschaft bunten Volkes traf, dass zum Dorf Hirschhausen unterwegs war, wo ein großes Fest zur Einweihung von mehreren Tempelschreinen für deren gute und neutrale Gottheiten stattfinden sollte. Der lokale Baron veranlasste dies als Politikum, um die kriegsgebeutelte Bevölkerung für sich zu gewinnen.
Kurz vor dem Dorf wurden wir von humanoiden Mutanten angegriffen, die die Reisenden unpräziserweise als ‘Ghule’ bezeichneten. Was für ein Schwachsinn. Sie waren auch überzeugt, die Ghule seien Untote…
Einerlei: Statt einem rauschenden Dorffest fanden wir eine verlassene Dorfruine vor. Die Schreine waren teilweise nichtmal errichtet oder geweiht worden.
Gut, dass mich dieser politische und kirchliche Unsinn nicht wirklich tangiert. Noch besser war aber, dass ich den Barden Kenor traf, der schon einmal Kaer Iwhaell besuchte, sowie die Onnurther Glaubenskrieger Fenja, Arn und Gerlache, die ich schon von anderen Reisen kannte. Ich bekam das Gastrecht ausgesprochen und fand prompt die Onnurther Magierin Sorana, die mir anbot, mir in wenigen Tagen ein Portal in die Heimat zu öffnen. Ich gelobte für diese Zeit die Onnurther Lagergesellschaft zu beschützen.
Während sich der große Abenteurerzirkus um diesen oder jenen Schrein für diesen oder jenen Gott subjektiver Gutheit oder Schlechtheit mit bösen Kultisten und anderen Problemen schlug, traf ich auf ein Gerücht, das meine Aufmerksamkeit erregte: Der Ghulkönig.
Dieses Individiuum sollte meinen Recherchen nach für die Mutationen der Menschen verantwortlich sein. Nach den Ereignissen im Kestrelgebirge, in denen wir die Machenschaften eines wahnsinnigen Forschers im Gebiet der Transhumanen Mutation unterbunden hatten, schwor ich Gabhan mich für die Bürde, die er damals im Labor auf sein Herz legte, mich mit der gleichen Tat zu revanchieren, sollte der Tag kommen.
Während sich alle also wie die kopflosen Hühner um irgendwelche Schreine kümmerten, schrieb ich heimlich einen Brief an den Ghulkönig in Person. Ich bot akademischen Austausch aus ‘Profi’ in Sachen Transhumaner Mutation an. Ich wollte sein Wissen in Gewahrsam bringen, sein Treiben beenden und seine schlimmsten Produkte vernichten.
Während ich einen Tag auf die Einladung warten musste, erhielt ich nachts eine Vision: Ich sah den Forschungsleiter, wie er zwei nackte, weibliche Subjekte begutachtete, die aus einer schleimigen Brutgrube gehoben wurden. Sie wurden inspiziert und für tauglich befunden (ich erwähne dir gegenüber meine Liebe, dass ich natürlich keine andere Wahl hatte, als in der Vision meinen Blick auf Ihre Nacktheit zu richten). Die beiden Subjekte wurden dann angewiesen meinen Leib zu verzehren.
Andere Reisende hatten ähnliche Visionen. Eine besonders dramatische war ein schwangeres Subjekt: Sie wurde der Brutgrube enthoben und das Kinde wurde gewaltsam den Leib entrissen. Das Neugeborene erhielt keinen Namen und kein Begräbnis, es wurde förmlich fortgeschmissen. Diese Tatsache, und die Anwesenheit von starker Magie in dem Labor führten zu meiner These, dass dieses Kind zu einem verfluchten Fehlgeborenen werden könnte.
Bis ich diese These bestätigen oder dementieren könnte, erhielt ich Besuch: Nach einem ausgedehnten Waldspaziergang zur Kräutersuche und zum Spurenlesen wurde ich von zwei Inkognito-Mutanten zum Gespräch mit dem Ghulkönig geladen. Just fand ich mich im Labor aus meiner Vision wieder. Der Forschungsleiter gab sich als Dr. Rax zu erkennen. Er suggerierte mir zwar der Ghulkönig zu sein, dies stellte sich aber als unwahr heraus. Ich schaffte es, ohne zu Lügen, seinen Fragen nach unserer Kräuterprobe und unseren derzeitigen Forschungsarbeiten im Detail auszuweichen; Auf der anderen Seite war es mir hingegen möglich seine Identität zu ermitteln.
Nachdem ich zurückteleportiert wurde weihte ich wenige Vertraute aus dem Lager ein, die die Ergreifung des Athron-Priesters, des Gott des Wissens, organisierten – unter der Bedingung, dass ich alle Forschungsnotizen aus seinem Labor erhalten möge. Er wurde folglich ergriffen und alle meine Thesen wurden bestätigt, bis auf die wahre Identität des Ghulkönigs. Der Portalschlüssel den er bei sich trug, konnte, so ergab es die Analyse der Magier, nur von einer Person genutzt werden. Ich erhielt als Einziger das Privileg, das Labor zu stürmen. Mehr Angst hatte ich aber ehrlichgesagt vor dem einweisenden Magier, als vor dem Labor, da er auf meine Rückfragen hin zugab, sich bisher noch nie praktisch mit der Teleportation beschäftigt zu haben. Einer der Abenteurer, der mich eigentlich begleiten wollte, legte mir noch ein persönliches Amulett um, um mir alles gute für meine Mission zu wünschen.
Ich schaffte es zum Wohle meiner Gliedmaßen das Labor in einem Stück zu betreten. Es war derselbe Raum, wie schon zu meiner Audienz. Während ich also die Unterlagen zusammenklaubte, hörte ich plötzlich ein feines Plätschern. Ein Seufzen. Ein Grunzen. Ich schlich zum Tisch, auf dem ich mein Silberschwert Komatetsu abgelegt hatte, und verschob die Knarzenden Platten: Darunter lag ein Brutbecken voller Schleim, und darin eine weiter Mutantin – eine Frau von rund zwanzig Jahren. Ihr aktiver werdendes Gebaren verriet ihren Hunger nach Menschenfleisch, und so fasste ich das Schwert in meinem Herzen mit festem Griff – und erfüllte mein Versprechen gegenüber Gabhan. Ich tötete Sie mit einem Stich ins Herz. So sehr mich der Moment auch ergriff, versuchte ich danach dem Raum, der sich in einer arkanen Globule befand, zu entkommen – aber ich fand keinen Ausweg. Es sollte sich rausstellen, dass der Portalstein zurück noch im Besitz von Dr. Rax war. Während ich also alle Schriften wälzte, alle Wände, Möbel und Schränke durchsuchte, ja sogar versuchte Mei’s Zauberamulett zu aktivieren um mit ihr zu sprechen, wuchs stetig in mir die Erkenntnis, dass ich den Raum nicht verlassen konnte.
Es knallte: Und vor mir standen fünf Abenteurer aus dem Lager, unter anderem der Besitzer des Amuletts, das er mir gab. Sie nutzten das Amulett als Anker, um einen Weg in die arkane Globule zu finden. So begab es sich, dass mich diese Truppe aus der Globule befreite.
Es war perfekt: Der irre Forscher war in Gewahrsam, ich hatte alle Schriften bei mir, und das Labor wurde fortan versiegelt. Ich wähnte mich schon in Sicherheit, und bereitete mich im Alchemielabor auf einen Konflikt mit einem verfluchten Fehlgeborenen zur Sicherheit vor – als Scharmützel im Lager ausbrachen. Die Mutanten griffen an, und sie eroberten Dr. Rax zurück.
D.h. liebe Nella – uns klebt ab jetzt ein rachsüchtiger Zauberer und mächtiger Athronkleriker am Arsch. Ich muss nicht erwähnen, dass ich sehr unglücklich mit dieser Situation war, aber sie ließ sich nicht ändern.
Während ich also vollgerüstet und mit Verfluchtenöl vorbereitet das Lager patroullierte, hörte ich just Geschrei – das Geschrei eines Kleinkindes. Eine Priesterin aus der Abenteurergesellschaft hielt es im Arm, und sie wirkte überfordert. Das kleine Kind war von dunkler Haut, und weißen, bösen Äuglein. Ich näherte mich dem Kind, nahm von einem Heiler eine Bandage und drückte es zur Sicherheit auf den kleinen Mund, damit es mich bei der Untersuchung nicht beißen möge – doch schlug mein Amulett nicht an. Es war nicht verflucht – es war vollständig mutiert.
Von dieser Angelegenheit persönlich schwer getroffen, fing ich an zu trinken. Ich patroullierte das Lager und schlachtete angreifende Kultisten des ‘bösen’ Gottes so und so ab. Ich metzelte Sie nieder. Einen nach dem anderen. Ich nahm alle vorbereiteten Stärkungstränke zu mir, brachte mich in Fahrt, ja ich zerfetzte einige von Ihnen sogar mit einer Wurfbombe.
Einige Zeit später kehrte ich zu der Priesterin Leonie zurück: Sie stand in einem Kreis aus Abenteurern die hitzig diskutierten, wie Sie mit dem “Monsterkind” umgehen sollten. Ich trat in den Kreis und beanspruchte das Kind für mich. Doch Priesterin Leonie gab es nicht heraus.
Ich bat sie zum Vieraugengespräch. In diesem versicherte Sie mir als Hohepriesterin und Adelige, dass sie persönlich sich um das Kind kümmern werde und ihm alle Liebe angedeihen lassen will, zu der sie fähig ist – was bei einer Dienerin einer Liebesgöttin verheißungsvoll klingt. Ich willigte ein unter der Bedingung, dass ich das Kind ‘Kessia’ besuchen dürfe, und Leonie sie zu mir bringen möge, sowie das Kind seine Bestimmung und seinen Platz in der Welt suchen würde.
Im Idealfall, wird dieser Brief dich lange nach mir erreichen, wenn der Teleport von Sorana morgen funktioniert. Wenn er dich nicht bis zur Wintersonnenwende erreicht möchte ich, dass du dich meiner Liebe erinnerst und Mei mein Testament nutzt.
Und gib Gabhan dem armen Bären ein paar Kronen für seine kaputten Hexerschwerter, das kann ich als Freund ja nicht mit ansehen.