Svenja
Svenja
Vorname:
Svenja
Funktion in der Gruppe:
Die kleine Neue, Matthias‘ bessere Hälfte
Wohnort:
Würzburg
Charaktername:
Meisterin Nella Hopp
Rasse / Klasse:
Halbelfe / Magiern
Über den Charakter:
„Wie würde mein Lehrmeister, Großmeister Satarius mich wohl besschreiben… vermutlich als ‚bockige Schülerin, die nie darauf Lust darauf hatte ihr ungewolltes magisches Potential vollständig zu erfahren – aber in der Zwischenzeit schon ganz gut weiß was sie tut.‘„
Nella Hopp ist Meisterin der Magie mit einer Spezialisierung auf Feuer und Luft als Elemente und Artefaktmagie. Für eine Feuer-Luft-Magierin ist sie aber eigentlich relativ ruhig, eine gute Beobachterin eher – wenn ihr etwas nahe geht, kann sie aber sehr aufbrausend sein.
Seit kurzem hat Sie eine Dozentenstelle an Kaer Iwhaell inne. Zu der Akademie ist sie gekommen auf eine Empfehlung ihres Meisters Satarius hin, der die Schule zu einem Winterfest besuchte. Seitdem haben sich Valerian und Nella stetig aneinander angenähert, aber auch mit dem Rest der Greifenfreunde kommt Nella gut aus.
Zitate vom Charakter:
„Satarius – AUS!“
„Du musst mehr Trinken!“ (vor allem im Sommer auf Cons)
Zitate über den den Charakter:
„Sie ist wie eine Magierin: Sie ist da, wenn eine gebraucht wird – ansonsten ist sie nicht zu finden.“
Erreichbar über:
Facebook – Svenja Kohlhaas
Peter
Peter
Vorname:
Peter
Funktion in der Gruppe:
The Big One, Meister der Münze
Wohnort:
Stuttgart
Charaktername:
Atheris von Toussaint
Rasse / Klasse:
Mensch-Mutant / Hexer
Über den Charakter:
„Die Sonne – in der Älteren Rede auch feainn genannt, war schon immer ein Sinnbild für Wachstum und Leben. Die Sonne ermöglicht mit Ihrer Wärme das Leben auf dieser Welt. Dies ist nur sinnig, braucht doch alles die Sonne, um zu gedeihen. Kein Wunder also, dass viele Religionen die Sonne zu einem wichtigen Teil ihrer mythischen Auseinandersetzung gewählt haben. Angefangen bei den Elfen – denn auch der sechste Saveaed im elfischen Kalender wird feainn genannt und beginnt mit der Midaëte – der Sommersonnenwende. Und von den Elfen haben auch die Menschen diesen Brauch mit dem Johannisfeuer übernommen. Die Sonne ist ein Geschenk – und so ist es auch Nilfgaard“
-aus dem Tagebuch des Atheris von Toussaint
In den weiten Landen von Toussaint in dem Dorf Avallach, wo das edle Blut der Grafen du Lac die Geschicke lenkt, ward einst ein unehelich‘ Kind geboren, Atheris genannt. Ein Sprössling aus der verbot’nen Liebe zwischen Graf Ramon und Amelie, einer Zofe von holdem Wesen. Sein Pfad führte ihn vom Hofe des Vaters fort, hin zu den Vatt’ghern, einer grimm’gen Bruderschaft, stark und geachtet.
In den Hallen des Wissens erfuhr er die Prüfungen, die eines Hexers würdig sind. Durchschritt er tapfer die Kräuterprobe, doch bei der Gesellenprüfung ging er verloren, vermischt mit den Schatten der Nacht. Doch das Schicksal ließ ihn nicht in Dunkelheit verharren. An der Akademie des Kastells Graupian ward er geläutert, seine Fähigkeiten erprobt. Seine Augen, von geheimnisvoller Art, verliehen ihm den Namen „Atheris“, denn er glich einer Buschviper, schlau und giftig.
Und so zog er weiter, zur stolzen Hauptstadt des Kaiserreichs. An der Militärakademie, wo tapf’re Krieger geschmiedet werden, fand er sein Zuhause. In der vierten Reiterarmee, unter dem Kommando des Generalleutnants Markus Braibant, focht er in den beiden nördlichen Kriegen. Die Schlacht von Sodden überstand er mit Mut und List, und auch das Blutbad bei Brenna überlebte er, das Kriegsgetümmel trotzend.
Das Schicksal jedoch hatte noch mehr für ihn bereit. Während des dritten Feldzuges in den Norden, auf den Pfaden des Krieges, traf er auf Großmeister der Greifenhexer Valerian, eine Gestalt von großer Macht. Nach der ersten Schlacht um Kaer Iwhaell, als die Hämmer der Schlacht verstummt‘, nahm Valerian ihn als seinen Lehrling auf, und so begann für Atheris ein neues Kapitel.
Seine Abenteuer führten ihn auch wieder in seine alte Heimat, wo er seiner Familie in der Not zur Seite stand. Nun ward Atheris du Lac genannt, im Familienstammbaum erkannt, ein Sohn des Grafen Ramon, anerkannt mit stolzer Pracht. Sein Halbbruder, Chevalier Aramis du Lac, teilte mit ihm das Blut, eine gute Beziehung, fest und stark wie eine Burgmauer. Gemeinsam kämpfen sie, Seite an Seite, in den Schlachten und Gefahren des Lebens, Verbundenheit als Brüder, die kein Sturm kann zerbrechen.
So zieht Atheris du Lac, Hexer und Krieger, durch die Lande. Sein Schwert gleißt im Sonnenlicht, seine Augen blicken kalt und wachsam. Ein Mann von Macht und Geheimnissen, mit dem Wissen der Alten und dem Mut der Vatt’ghern. Die Legenden werden von ihm erzählen, von seinen Heldentaten, in Liedern und Geschichten, die durch die Jahrhunderte hallen. Atheris du Lac, ein Name, der in den Annalen verewigt ist.
Zitate vom Charakter:
Gegner: „Achtung, da schleicht sich jemand von hinten an!“ Atheris: „Du siehst mich doch – also kann hier von ’schleichen‘ keine Rede sein!“
„Weißt du, warum viele Nilfgaarder die schwarzweißen Rechtecke an ihrer Kleidung tragen? Es ist ein Bild der sichtbaren Welt, in die der Mensch als Teil hingestellt ist und in der sein Leben sich abspielt. So wie in dem Mosaik die hellen und dunkeln Dreiecke abwechseln, so ist auch in der Natur und im Menschenleben ein steter Wechsel von Licht und Finsternis, von Entstehen und Vergehen, von Freude und Schmerz, von Glück und Unglück, von Leben und Tod. Dadurch aber, dass dieses Mosaik eine vollkommene Regelmäßigkeit in ihrer Abwechslung von hellen und dunkeln Dreiecken zeigt, wird man daran erinnert, dass das irdische Dasein nicht als ein Spiel des blind waltenden Zufalls, sondern als etwas von ewigen Gesetzen in die Bahnen der Entwicklung zum Vollkommenen hin Geleitetes zu betrachten ist“
Zitate über den den Charakter:
„Mit dem Mantel siehst du fast aus wie Valerian…nur in groß!“
Erreichbar:
Instagram – atheris_von_toussaint
Von Fängen, Klauen und braunen Schmuddelbildchen
Von Fängen, Klauen und braunen Schmuddelbildchen
Metagame
Von Matthias
„Der Sturm des Wolfes bricht an, das Zeitalter von Schwert und Axt. Die Zeit der Weißen Kälte und des Weißen Lichts nahet. Die Zeit von Wahnsinn und die Zeit von Verachtung, Tedd Deireádh, die Endzeit. Die Welt wird im Frost vergehen und mit der neuen Sonne wiedergeboren werden.“
Aen Ithlinnespeath, die Prophezeiung Ithlinnes.
Kapitel 1: Alarm im Darm
Wenige Tage nach dem Untergang von Kaer Iwhaell, Rittmarshausen in der Schattenau
Der alte Mann dachte an den Feuerschein und Rauch in der Ferne, die stummen Zeugen der Vernichtung alles, wofür er die letzten Jahre kämpfte. Er dachte daran, wie er mit seinen beiden Begleitern davonritt, das brennende Kaer Iwhaell im Rücken, und sorgte sich wieder einmal um seine Schüler. „Es wird Zeit, in freundlichere Gesichter zu blicken, Valerian – ich dachte ihr seid recht gut mit jedem Freund… man möchte sagen – „Familie“?!“ Volmar lächelte milde, Charlotte grinste verstohlen. Der grauhaarige Alte nickte mit einem leichten Grummeln. Valerian saß auf einem Baumstumpf am Straßenrand und Charlotte stand vor ihm mit ihrem braunen, offen getragenem Wams, unter dem etliche kleine Beutelchen und Taschen umherbaumelten, mit ihrem breiten, braunen Schal der das lyrische Abzeichen auf ihrer Brust beinahe verdeckte und dem olivfarbenen Jägershütchen auf dem Kopf, unter dem ihre langen Haare fast gut versteckt waren. Sie wickelte einen weißen Leinenverband von seinem Kopf und spülte die Platzwunde an der Schläfe noch einmal ab. Valerian sinnierte über ihre eigentliche Haarfarbe, ihm ist bisher nie so recht aufgefallen, ob das ein blond oder ein braun ist – wohl irgendetwas dazwischen. Aber im Zuge seiner Lebensweisheit wusste er, dass man Frauen so etwas nur mit gewissem Risiko fragen konnte, genauso wie wenn man nach ihrem Gewicht in Pfund fragen würde. „Das wars. Wir haben keine Verbände mehr. Aber die Wunde heilt gut Valerian… Nichts, was ich nicht von Hexern gewohnt wäre.“ Sagte Charlotte und bedachte den Wolfshexer Volmar von Brugge mit einem Seitenblick. Der saß ebenfalls auf einem Baumstumpf, aber auf der gegenüberliegenden Straßenseite, und trank etwas aus einem ledernen Trinkschlauch. Danach ruckelte er an seiner braunen Lederrüstung über dem Kettenhemd und dem breiten ledernen Schwertgurt, der über seine linke Schulter ging, um den Sitz seiner beiden Schwerter auf dem Rücken zu ändern. Seine braunen, lockigen Haare und der Vollbart wurden verdeckt von einem mitgenommenen braunen Schal, den er als Kapuze um den Kopf geschlagen hatte. Hinter ihm grasten die Schimmelstute Brunhild, Volmars Rappe Vargheist und Charlottes Fuchs Spalla.
„Wir ändern unsere Route. Wir reiten nicht nach Nordwesten weiter über die Waldau, sondern ziehen westwärts durch die Elfenau und dann erst nach Norden. Mindestens ein freundliches Gesicht erwartet uns – wenngleich es eine typisch elfische Unterkühltheit besitzt… also genau deins Volmar.“ Charlotte kam aus dem Grinsen nicht mehr raus. Zum ersten Mal seit dem Fall von Kaer Iwhaell hob sich die Stimmung des Trios. „Mein lieber Bekannter wird uns sicherlich gut bewirten – und gute Betten haben wir auch mal wieder nötig… außerdem ist der Umweg überschaubar. Ihr kennt ihn: Wir reisen zu Baron Nuriel von der Elfenau, und dann weiter nach Norden zur Elfenküste.“ Volmar betrachtete Valerian: Auch wenn er es ihm nie sagen würde, der etwas kleine alte, grauhaarige Mann besitzt eine natürliche Autorität, ein angeborenes Talent zum Anführer und Lehrmeister – und er kann es noch so sehr leugnen. Sein aubergine-farbener Rüstmantel mit den weißen Runen, seine Lederrüstungsteile mit den Nieten und die runenverzierten Schwerter auf dem Rücken gaben Valerian ein besonderes, passendes Erscheinungsbild zu seiner einzigartigen Persönlichkeit… und dennoch gab es viele Marotten an Valerian, die Volmar unsäglich nervten.
Sie ritten weiter den Weg entlang bis kurz vor die Auengrenze und folgten sodann einer kleinen Straße, die irgendwann von der Haupthandelsstraße abbog. Diese führte sie mitten durch einen dichten Wald, der durch die tiefstehende Nachmittagssonne in mystische, obskure Schattenspiele getaucht wurde. Valerians alte Schimmelstute „Brunhild“ schnaubte. „Willkommen in der Elfenau!“ moderierte Valerian geübt altklug. Volmar spürte, dass dieser Wald voller Geschichte war, voller Zorn und rastloser Seelen. „Der Herr dieser Au, Baron Nuriel, ist seit Beginn unserer Zeit in Solonia ein enger Vertrauter von uns… Er war der erste Auenherr, der eine tiefe Freundschaft zu uns, der Greifenschule aufbaute. Er war es, der uns regelmäßig mit Aufträgen versah…“ „Kann ich mir vorstellen, bei dem scheußlichen Wald.“, warf Charlotte ein. „… zwei gegen einen ist ungerecht.“, grummelte Valerian und zwinkerte Charlotte zu. Plötzlich blieb er stehen und seine beiden Begleiter folgten seinem Beispiel. Die Pferde scheuten und beschwerten sich lauthals. „… du hast nicht zufällig auch diesen Wald intensiv gesäubert, Valerian?“ „Nur die Zonen in der Nähe des waldnahen Anwesens Nuriels, auf der gegenüberliegenden Seite… dieser Wald ist ein Fass ohne Boden, was Geisterwesen betrifft. Auch einige fiese Feenwesen find…“ „VAAAALEEEERIIAAAAAN!“ zwei große bernsteinfarbene, leuchtende Kugelaugen in einer kleinen Silhouette rannte frontal auf die drei Berittenen zu. Charlottes Hand wanderte erschrocken zu ihrem Kurzschwert. Im ersten Reflex ging Volmars linke Hand zum Silberschwertgriff an der linken Schulter – dann lächelte er mild und wies mit einer sanften Handbewegung Charlotte an, sich zu entspannen. Valerian seufzte: „… der Fluch Solonias. Wo man auch hinkommt, immer wieder wird Valerian geschrie…“ „OOPAAAAACHEN!“ Vor den drei Pferden stand eine kleine Gestalt, vielleicht von der Größe eines Gnoms, doch von der Statur eines Kindes. Sie war gehüllt in Sackleinenlumpen, auf dem Rücken lag eine zerrissene alte blaue Pferdedecke wie ein Mäntelchen, und auf dem Kopf thronte ein Reisig Hütchen. An der Spitze aus der Hutmitte blühte ein einzelnes Gänseblümchen – nichtsdestotrotz kam den Hexern ein herber Gestank entgegen. „Hallo Firi. Es ist schön dich zu sehen. Das hier sind meine Freunde Charlotte und Volmar.“ „Hallo Volle Lotte und hallo Voll der Arsch… Was glotzt du so? Du Miesepeter!“ Die kleine Firi streckte Volmar die Zunge raus. „Ein Göttling, Valerian? Hier?“ „Der ist aber süß!“, sagte Charlotte mit geröteten Wangen. „Ich bin Firi! Und bin eine ‚sie‘, wenn schon – ist mein Kleid nicht ein eindeutiger Hinweis?“ Sie machte eine kecke Drehung in der Hoffnung, ihr „Kleid“ würde prinzessinnenhaft wehen – tatsächlich war der schmutzverkrustete Leinenklumpen aber so starr wie Baumrinde, und hing straff an der dürren Gestalt. „Wunderschön Firi. Und es ist schön dich nach den Jahren wiederzusehen. Wir wollen zu Nuriel – erlaubst du uns deinen Wald zu durchqueren?“ Charlotte kicherte über Valerians Förmlichkeit. Firi nahm Haltung an, und sprach stolz: „Gewiss! Ich gewähre euch sogar mein persönliches Geleit! Folgt mir – und wehe der Miesepeter guckt weiter so doof!“ Valerian grinste Volmar an.
„Sag mal, ‚Firi‘…“ begann Volmar, „woher kennst du den alten Mann hier?“ „Er war vor einigen Jahren hier im Wald, und hat dem Elfen, dem neuen Herrn der Elfenau geholfen die Leichenfresser zu verhauen. Ich habe ihn damals zu einigen der Monsternester geführt – muss aber sagen, einige hat er übersehen, vor allem hier im Firiwald! Schäm dich Opachen!“ „Gewiss, wie konnte ich das übersehen…“ Valerian räusperte sich, lehnte sich zu Volmar rüber und flüsterte etwas von ‚Bezahlung Nuriels‘. Volmar nickte bedächtig und lächelte.
„Bekommst du uns sicher hier durch Firi? Ohne Schwierigkeiten?“, fragte Valerian „Klaaaaaar! Es kann nichts passieren. Naja, abgesehen von den zwanzig Leichenfressern hier auf dem Weg!“, entgegnete das kleine Wesen. Alle drei Reiter hielten sofort. „Wie bitte?“, fragte der alte Hexer. „Najaaaa, also ich könnte euch ja eine Abkürzung zeigen – aber dafür müsstet ihr mir einen Gefallen tun…“ Firi drehte sich mit ihren leuchtenden Augen gespenstisch-langsam um, und sah das Trio mit breitem Grinsen an.
„Es ist nicht mehr weit zu meinem Haus. Hopp hopp!“, rief der Göttling fröhlich. Das Trio war inzwischen abgestiegen und führte die Pferde am Halfter durchs Unterholz des Waldes vorbei an dicken Farnen und vorbei an den mächtigen knorrigen Stämmen uralter Bäume. Charlotte und Firi hatten sich inzwischen angefreundet, Charlotte durfte sogar einmal für ein paar Minuten Firis heiligen Reisighut aufziehen – gab diesen Firi aber wegen eines befremdlich unangenehmen Geruches der Kopfbedeckung zügig zurück. Nach einer halben Stunde kamen Sie zu einem riesigen alten toten Baum, dessen massiver Stamm vorne ein kleines Loch aufwies. „So – liebe Hexerchens, hier mein Auftrag.“ Firi räusperte sich würdevoll: „Befreit mein stilles Örtchen von dem dort ansässigen Monsterproblem, und ich zeige euch einen Geheimpfad der sicher zu dem Elfenmann führt.“ Alle drei zogen eine Augenbraue hoch. Charlotte fragte zuerst: „Warum betonst du ansässig so?“ „Ganz einfach Lottilein -weil das Monster wortwörtlich da-sitzt!“, sie zeigte auf das Unterholz weiter hinter den toten Riesenbaum, in das ein kleiner Trampelpfad durch Farne führte. „Hat es dich angegriffen Firi? Bist du verletzt?“ „Nein, nein…“ antwortete sie Valerian. „Eigentlich ist sie ganz lustig. Aber sie weigert sich von meinem Lieblingsplatz runterzukommen – und damit ist meine… Logistik behindert. Ihr sollt sie also nicht totschlagen, nur irgendwie da wegbekommen.“, fuhr Firi fort. Aus drei fragend hochgezogenen Augenbrauen, wurden sechs. „Aaaaach jetzt macht schon. Ihr werdet es sehen, wenn ihr da seid – und tschüss ich warte hier daheim!“ „Und was für ein Mon…“, wollte Volmar gerade ansetzen – aber Firi war bereits im Baum verschwunden.
Die drei Gefährten ließen ihre Pferde angebunden bei Firis Heim zurück und folgten dem Pfad zu Fuß. Trotz der Nacht versuchten sie ihr Glück und suchten nach Spuren und Hinweisen. Der silberne Mondschein war eine leichte Hilfe dabei. Der Pfad war rege gepflastert von jungen wie alten Fußspuren Firis. Sonst war nichts zu sehen – doch stieg mit fortschreitendem Pfad den Hexernasen ein übler Latrinengestank entgegen. „Trollscheiße!“, stellte der alte Hexer überrascht fest. „Wie bitte? Du kannst die Monsterspezies am Gestank der Scheiße erkennen Valerian?“, fragte Volmar ungläubig. „Nur, wenn es sich um miese Diarrhöe handelt… den Geruch kenn ich von unserem ‚Hof-Troll‘ Effenberg und Talbot. Mein Schüler Atheris hatte sich mal den Spaß erlaubt und Effenberg und Talbot etwas weiße Möwe gegeben… wir mussten wegen des Gestanks in der Nacht die Burg evakuieren und im Wald die Nacht verbringen…“, fuhr der Alte fort. Charlotte und Volmar sparten sich lieber die Rückfragen und schlichen weiter voran. Nach einigen Metern offenbarte sich hinter dem Gestrüpp eine kleine, runde Lichtung. In deren Mitte befand sich ein flacher, hohler Baumstumpf, auf dessen Wurzeln ein romantischer Lichtstrahl vom Mond herabschien. Auf dem Stumpf selbst saß eine große dunkle Gestalt. Sie klammerte sich am Stumpf mit ihren riesigen Pranken fest und jaulte unsäglich – wobei ihr ein donnernder Furz entfloh. Dann gleich noch einer – der Wald bebte. Während die drei Helden diesen bizarren Anblick erst verdauen mussten, ließ sie eine dritte gigantische Flatulenz zusammenzucken: Auf diesem Baumstumpf saß eine Trolldame, offenkundig geplagt von ihrem Gedärm – und fäkalierte in die natürliche Latrine inmitten der idyllischen Waldlichtung. „Ich gesagt‘ hab, in Ruhe sch… Oh, ihr nicht Firi? Verschwindet!“, grollte die Dame. Valerian trat vor: „Wir kommen gerade von Firi – wir… wollen dir helfen. Lass mich raten… du hast Firis Eintopf gekostet?“ „Ja! Zwar wenig Fleisch – aber gut lecker. Jetzt ich sitzen drei Tage auf Hintern. Kann Stumpf nicht verlassen.“, erwiderte der Troll. „Moment – woher hast du das mit der dünnschiss-verursachenden Göttlingssuppe gewusst?“, fragte Volmar. Valerian schwieg betreten, und verzog keine Miene – er war zu sehr damit beschäftigt die Erinnerung an jene Suppe vor einigen Jahren zu vergessen. Damals haben seine Jagdgefährten ihm alle mitgeführten wollenen Wundverbände aus ihren Taschen geben müssen für seinen… „Ich kenne dein Leiden. Aber ich kenne auch die Lösung. Warte hier – Volmar und ich werden dir Kräuter bringen, die dir helfen.“, beendete Valerian seine Ausführung. Die Hexer nickten sich kurz zu, und verschwanden dann ins raschelnde Gestrüpp. Die Trolldame wandte sich Charlotte zu, die etwas verloren auf der Lichtung vor dem furzenden Monster stand, im schönsten Mondenschein. „Aaaargh – diese Schmerzen… Was machen Menschleins auf Baumstumpf, um bei Kacka abzulenken?“, fragte das Ungetüm. Charlotte überlegte kurz, lächelte und zog ihren Rucksack vom Rücken.
Wenige Augenblicke später kamen die beiden Hexer zurück. Valerian hatte einiges an Schöllkraut gefunden und hatte nun beide Arme voll davon. Volmar hat ein heilendes Moos gefunden, Wundfuß, das als Allheilmittel der Priesterinnen der Melitele in Ellander genutzt wird. Den Beiden bot sich bei ihrer Rückkehr ein verstörender Anblick: Schräglinks vor der Trolldame kniete Charlotte, aus ihrer Nase ragte ein, in die Nasenlöcher gestopftes Taschentuch, womit sie im Mondenschein aussah wie ein Stier mit stählernem Nasenring, und die kleinen Fasanenfedern an ihrem Hütchen bildeten die Hörner. In Ihren Händen hielt sie kleine und große Pergamentkärtchen. Mit verstopfter Nase klang sie, als ob sie einen üblen Schnupfen hätte: „… und das hier ist Königin Meve von Lyrien. Meine neuste Handelsware! Der mir bekannte Zeichner hat sich bei der Oberweite etwas künstlerische Freiheit gelassen…“, erklärte sie. „Die hat Narbe im Gesicht! Gut Kämpferin?“, fragte die Trolldame. „Oh ja! Während des zweiten Nilfgaard-Krieges verlor unsere geliebte Königin ihre Armee im Kampf gegen das verfickte Nilfgaard. Sie erhielt jedoch Verstärkung durch viele Freiwillige, angeblich auch Zwergen-Söldner aus Mahakam. Sie wurde dann als Anführerin der Rebellen wegen ihrer hellen Haare die ‚Weiße Königin‘ genannt. Es gelang ihnen bis nach Angren vorzudringen und dann zerschlug sie…“ „Ist der da auch weißer König?“, wurde Charlotte von der Trolldame unterbrochen, diese zeigte auf Valerian, der neben Volmar auf die obskure Geschichtsstunde zuschritt. Volmar zuckte zwar kurz als das Wort ‚Angren‘ fiel, antwortete aber dennoch zuerst auf die Trollfrage: „Nein – aber das wäre er bestimmt gern. Er wird ja von allen immer ‚hoher Herr Valerian‘ gena…“ „Wir haben dein Kraut. Kau‘ das hier, in rund einer Stunde wird’s dir besser gehen.“, schnitt Valerian ihn gelassen ab. „So, wir sind hier fertig. Trolldame – hat uns gefreut. Besuch doch mal unseren Burgtroll Effenberg und Tal…“ „Moment – ohne Arschpapier ich hier nicht weg gehen!“ Schweigen legte sich über die drei. Kurz darauf wurde seufzend in den Rucksäcken gekramt: Verbände waren keine mehr da. Zuerst musste also das gute Schreibpergament von Charlotte dran glauben. „Mehr!“ sagte die Dame auf dem Abort. Als nächstes lieferte Volmar aus seinen Taschen eine alte Karte vom Kaiserreich Nilfgaard: „Die ist erstens eh nicht mehr aktuell bei der nilfgaardischen Außenpolitik – und zweitens… wer will schon eine Nilfgaardkarte bei sich haben?“ Charlotte, als Lyrierin erklärte Feindin Nilfgaards, warf Volmar einen belohnenden Blick zu. Valerian meinte sogar ein romantisches Zwinkern zu sehen. „Brauch mehr. Da ist noch…“, beschwerte sich die Trolldame. Valerian kramte weiter in seinem Rucksack, und warf ihr die Karte des Kontinents Solonia zu. „Hast du dem Troll gerade unsere Landkarte für unsere Reise als Arschpapier gereicht, Valerian?“ Valerian räusperte sich „Erstens, kenne ich das Land sehr gut – und zweitens, sind wir gerade dabei zu emigrieren…“, er deutete bedächtig auf den zersplitterten Mond über ihren Köpfen, dessen Teile seit letztem Jahr stetig dem Kontinent entgegenstürzten. „MEHR!“ sagte die Trolldame. „Hab nichts mehr.“, sagten Volmar und Charlotte im Chor. Sie blickten gespannt Valerian an, der seufzte. Er fischte aus seiner Tasche ein Pergament, das kunstvoll in Leder gehüllt war und reichte es den gierigen Trollpranken. „Was war das… Valerian?“, fragte Volmar. „Die Lehensurkunde von Kaer Iwhaell.“ Das Geräusch einer Zikade ertönte. Dann das eines Uhus. „Naja… ist ja jetzt nicht mehr mein Lehen – hab es ja dem Herrn Hartmut von Munzlar übertragen. Der wird’s bestimmt eh umbenennen…“, erklärte der alte Mann. „MEEEEHR!“, schrie das Monster vom Baumstamm herüber. Die drei überlegten kurz, bis schließlich Volmars und Valerians Blicke auf dem Beutelchen vor Charlottes Knien verharrten. „Oooooh neeeein! Nein nein nein! Denkt nicht mal im Traum daran…!“, sagte sie, mit einem Anflug von Panik in ihrem Gesicht.
Das Trio kehrte zum großen toten Baum zurück. „Und, hat alles geklappt?“ „Ja…“, grummelte Charlotte und malte sich aus, wie eine Spur aus braun-besudelten Motivationsbildchen in den Wald führte, eine Spur aus lyrischer Erotik und Trollscheiße. „Sag mal Firi… warum gehst du eigentlich nicht woanders in den Wald zum… fäkalieren?“, fragte Volmar. „Aaaach – fääääääääkaliiiiieren kann ich überall! Aber ich gehe immer da auf meinen Lieblingsstumpf: Seit mir ein Bauer sagte, Kacke sei toll, um Blumen wachsen zu lassen – nehme ich jeden Tag eine frische Handvoll aus dem Baumstumpf für Olivia.“, führte der Göttling aus. „Wer ist Olivia?“, Charlotte bereute die Frage sofort. „Na Olivia ist meine Pflanze im Hut! Die kriegt jeden Tag eine Handvoll aus dem Baumstumpf!“, erklärte Firi. Die Stute Brunhild wieherte laut auf.
Charlotte hat sich im Folgenden stark dafür ausgesprochen Firis Angebot abzulehnen, vor ihrem Baumstumpf die Nacht zu verbringen. Der Göttling hielt sein Wort, und brachte innerhalb von drei Stunden die müde Reisegruppe zum Waldrand. „Sooo – wir sind da Freunde. Grüßt den Elfenmann von mir!“ Sie verabschiedeten sich von dem munteren Göttling mit fehlendem Geruchssinn und wandten den Blick nach vorn: Als sie den dunklen Wald verließen, zeigte sich vor Ihnen weites, offenes Land mit sanften Hügeln, Tälern und Flüssen. In der Senke direkt vor Ihnen stand eine Herrenhaus, das jetzt von dem Licht der aufkeimenden Morgendämmerung kitschig angestrahlt wurde. Die drei lächelten, nickten sich zu, und saßen auf.
Kapitel 2: Träume sanft
Eine Stunde später, in den Gemächern des Herrenhauses
„…Firi kocht also immer noch Suppe – und hat schon wieder jemanden vergiftet…“ Baron Nuriel nickte bedächtig. Der Elf saß in einem silberseidenen Morgengewand mit den drei Gefährten im Kaminzimmer des Hauses, in seiner rechten Hand ein kunstvoll verzierter Tonbecher mit Henkel. Um seinen Hals trug er wie immer die Rune Arhain. Seine spitzen Ohren lugten unter den geflochtenen Strähnen an den Schläfen hervor. ‚Nur ein Elf bringt es fertig früh morgens wie ein gestriegeltes Paradepferd auszusehen‘, dachte Charlotte so bei sich. Nuriel hingegen versuchte Volmar und Charlotte einzuordnen. Er hatte sie zwar an jenen Tagen vor einigen Monden getroffen, jenen schicksalshaften Tagen – an dem König Gernot von den zwölf Auen starb. Doch hatte er sie damals nicht so im Fokus, und allein, weil sie nun die Gesellschaft Valerians teilten, erregten sie seine Neugierde – und Neugier war eine seiner größten Schwächen. „Valerian, so sprich doch endlich – welcher Umstand schickte euch auf die Reise?“ „Auf die Reise hierher, nun… unsere Freundschaft würde ich sagen. Wir wollten nach den letzten unschönen Ereignissen mal wieder ein vertrautes und sympathisches Gesicht sehen.“ Nuriel lächelte kühl und milde – das konnte er seiner Großmutter erzählen. Er hatte den Alten inzwischen allerdings sehr liebgewonnen, und ein loses Band des Vertrauens verknüpfte beide Männer. Valerian fuhr fort: „Ansonsten nun ja, du weißt es ja: Wir verlassen diese Gestade. Kaer Iwhaell wurde vor einigen Tagen verwüstet von hetzenden Fanatikern, und Silberschwerter können sich nicht mit berstenden Himmelskörpern und göttergleichen Lichtelfen aus anderen Sphären messen… Ich meine, wenn es nur popelige Standardelfen wären.“ Nuriel lachte verlegen über den Scherz und verbarg seine tiefe Verbitterung. Einmal hatte er mit anderen diese Welt gerettet, und nun ging sie das zweite mal unter und würde ein Wesen, das so etwas wie einen Tochter für ihn war, wahrscheinlich mit sich reissen, doch behielt er diese Gedanken für sich. „Aber jetzt mal ehrlich, Nuriel. Die Schule wurde vor einigen Tagen zerstört,“ Nuriels Gesicht zuckte einen Bruchteil einer Sekunde bei dieser Nachricht, dann hatte er sich wieder unter Kontrolle „Ich reise mit Volmar und Charlotte in unsere Heimat… wir machen uns auf die Suche nach Wissen: Um die Spezies der Hexer vor dem Aussterben zu bewahren brauchen wir nicht nur eine neue Heimat – sondern auch Antworten auf die Frage unseres Erschaffungsprozesses. Mehr möchte ich dazu nicht sagen, wenn du es gestattest, mein Freund.“ Nuriel nickte bedächtig – wenn jemand Verständnis dafür hatte, Dinge vor anderen zu verbergen, dann er. Er strich flüchtig über die kaum noch sichtbare Narbe an seinem Hals. „Du weißt mein lieber Valerian, dass meine Bibliothek dir offensteht?“ „Ja, aber dieses spezielle Wissen wird sich in keiner Bibliothek Solonias befinden – Leider. Ungern lasse ich meine Familie…“ Volmar verschluckte sich bei dem Wort an seinem dampfenden Kräutertee „… ohne mich zur Leuenmark aufbrechen, doch habe ich es Volmar versprochen – und außerdem…“ „…bist du ein verklärter, moralischer, alter Ehrenmann Valerian.“ Die beiden Männer lächelten sich zu. Charlotte rollte mit den Augen bei diesem geschwollenen Geschwafel.
Nuriel erwies Ihnen seine vollumfängliche Gastfreundschaft, und die Reisenden nahmen diese dankbar an. Einen ganzen Tag und eine ganze Nacht, führten diese unzählige geschwollene und zusehends-nicht-geschwollene Gespräche. Zusehens gewannen auch Nuriel, Volmar und Charlotte leichte Sympathie füreinander. Sie tranken morgens und nachmittags köstlichen Tee und abends sagenhafte Weine, die sich fast mit den besten Toussaints messen konnten. Bis auf Volmar – der sich eher an den Schnäpsen des Hauses erfreute. Der Wolfshexer wollte Nuriel zum Würfelspiel überreden – und zog dem Elfen nach einer Runde derart das Kupfer aus der Geldkatze, dass sich dieser worttrocken aus dem Spiel verabschiedete und Valerian und Charlotte stattdessen den Vortritt zum begnadeten Glücksspieler ließ. Sie tauschten abwechselnd Geschichten und Anekdoten aus, bis die Gefährten sich schließlich zur Nachtruhe in ihre Schlafgemächer zurückzogen.
Doch Nuriel konnte nicht schlafen. Gedankenverloren saß er vor dem Kaminfeuer. Er wischte sich über das Gesicht, als wäre es ein Zeichen für sich selbst, die Maske der Fröhlichkeit abgelegt zu haben. Sicher hatten sie nichts gemerkt, wie aufgewühlt sein Inneres war. Seine Masken waren viele. Unbedarftheit, Naivität, Harmlosigkeit, emotionslose Kühle und viele mehr. Sie verbargen die dünne Schicht, die über dem schlummernden Wahnsinn lag. Er hatte zu viel gesehen. Sogar den Tod selbst.
Er wischte seine Melancholie zur Seite und begann zu meditieren – sein Weg, seinen Geist stabil zu halten, so gut es ging. Nach einiger erhob er sich – er grübelte, und heute wollte seine Konzentration nicht bleiben. Nach einiger Zeit fasste er einen Entschluss: Es war zwar nicht rechtens was er im Sinn hatte, aber er würde sie vielleicht nie wiedersehen – er wollte die letzten Momente mit Ihnen auskosten. Aus einer Truhe holte er seine Glaskugel hervor – er hatte sie Jahre nicht benutzt. Dann setzte er sich mit Blick auf die Kugel vor das Kaminfeuer, öffnete seinen Geist, sein zweites Gesicht und den Blick auf die Astralebenen. Fast liebevoll begann er, seine schlafenden Gäste zu betrachten, als wären es seine Kinder.
„Varin… Varin nein…!“ unruhig wälzte sich Volmar in seinem Bett umher, neben ihm lag Charlotte. Auch Valerian träumte sehr rege diese Nacht. Während die Hexer sich in der Traumwelt bewegten, saß der Baron noch vor dem prasselnden Kaminfeuer. In seinen Händen hielt er eine leuchtende Kugel, von der ein violetter Schein ausging. Nuriel konzentrierte sich, und lenkte seinen Fokus auf Volmar:
Nuriel sah durch Volmars Augen erst eine Stadt, eine große, in deren Mitte eine hohe Burg thronte. Die Burg sah aus wie eine Schule, oder Akademie. Vielleicht eine Universität oder Magierakademie aus Volmars Heimat? Er sah eine Gruppe von Zauberern durch eine Straße flanieren, sie passierten den Laden eines Schmieds… dann sah Nuriel ein Schmiedefeuer, und kunstvolles Elfenschmiedewerkzeug hämmerte auf glühenden Stahl, auf einen Schwertrohling. Das Bild verschwamm, der Ort wechselte und die Szene wandelte sich in Feuersschein am Horizont… Männer, und etliche Kinder schrien, es ertönte Kampfeslärm. Nuriel spürte überwältigende Gefühle. Hass, Wut, Furcht, Entsetzen, Trauer… nun sah er einen sehr jungen Volmar inmitten einer zerstörten Burg, vor ihm ein sehr alter Mann mit langen ergrauten Haaren. Um ihn herum lagen Trümmer, glühende Balken und Leichen. Volmar schrie ihn lauthals an und dem jungen Hexer schienen sogar Tränen über seine Wangen zu laufen. Nuriel verstand leider keine Worte, dafür war der Traum zu undeutlich. Der Streit eskalierte in einem starken Handgemenge, der alte Mann war sichtlich dem jungen Hexer überlegen und so brachte er Volmar schnell zu fall, der Traum löste sich im Nebel und dem lauten Aufschrei Volmars auf, und wurde von einem weiteren Traum abgelöst: Nun sah Nuriel einen Sumpf, und darin ein Lagerfeuer. Am Lagerfeuer saßen zerlumpte Gestalten, wahre Hurensöhne mit Narben, Pocken und Tätowierungen. Nuriel erkannte Volmar unter den Gestalten erst sehr spät, da dieser nur in Lumpen und Fetzen gekleidet war, auch seine Schwerter, das wohl markanteste Merkmal eines Hexers, hatte er nicht bei sich. Auf den ersten Blick erinnerte das Szenario den Elfen an eine Art Gefangenenlager, doch schienen die Gestalten keine Gefangenen zu sein, sondern Holzfäller – so folgerte der Baron aus den zahlreichen Äxten, die bei den Gestalten am Lagerfeuer lagen. Plötzlich verschwamm der Traum durch Scharen krächzender Krähen, die durch die Vision flogen und Nuriel die Sicht nahmen. Dann ein schmerzerfüllter Schrei – Blutfontänen spritzten zum Sternenhimmel, die Gestalten vom Lagerfeuer lagen nun mit schmerzverzerrten Gesichtern aufgespießt von Wurzeln im modrigen Matsch. Vor Volmar, der inmitten des Massakers im Dreck kniete stand eine riesenhafte Silhouette, deren Kopf von einem gigantischen Hirschgeweih gekrönt wurde. Mit einem weiteren Schrei… zerfiel der Traum. Volmar musste aufgewacht sein. Nuriel seufzte bedächtig löschte das Licht der Zauberkugel – und schenkte sich gelassen Wein nach. Er wusste, dass Volmar als Hexer gewiss sein Amulett beobachten könnte, den Magiesensor. Also wartete er einige Zeit ab, bevor er sich erneut mit der Kugel im Schoß seinen Fokus auf Charlotte lenkte, die Begleiterin Volmars, von der er immer noch nicht so recht wusste, womit sie eigentlich ihren Lebensunterhalt verdiente. Er wußte nur – ihre Gestalt löste bei ihm Emotionen aus, die er sonst immer verbannt hatte. Einen kurzen Moment grinste er.
Eine große Stadt bei Nacht, Nuriel sieht Charlotte, wie sie an einer Wand lehnt, neben ihr zwei riesige Kartoffelsäcke. Fünf Zwerge kommen zu ihr, blicken sich vorsichtig um. Sie unterhalten sich, doch ist der Traum zu verschwommen, um etwas zu verstehen. Einer der Zwerge wirft ihr mit einem Grinsen einen prallen Münzbeutel zu. Die Jungs packen sich jeweils zu zweit einen der Kartoffelsäcke, da reißt eine Seite an einem Sack auf und mehre Schwerter, Äxte und Dolche fallen klirrend auf das dreckige Straßenpflaster. Wieder verschwimmt die Szene komplett – Der Elf sieht immer noch eine große Stadt, wenn gar nicht sogar dieselbe? Doch diesmal steht Charlotte unter einem großen Torbogen vor einem riesigen Marktplatz. In dessen Mitte steht ein großer Frühlingsfest-Baum, und leicht bekleidete Mädchen laufen im Reigen bei Gesang und Tanz um den Baum und halten lange Stoffbänder an den Händen, die mit der Mastspitze des Festbaums verbunden sind. Nuriel verspürte bei diesem Anblick eine Woge der Erregung – die Nachwirkungen der verfluchten Kette, die man ihm gegen seinen Willen in der Burg der Hexer angelegt und letztes Jahr unter großen Schmerzen entfernt hatte. Das Artefakt hatte seine Emotionen, die er jahrelang durch Meditation so gut unter Kontrolle gebracht hatte, ins Unermessliche übersteigert, etwas, was eine tiefe Krise in ihm ausgelöst hatte, weil emotionale Kontrolle immer das gewesen war, woran er tief geglaubt hatte. Es hatte etwas in ihm verändert, das er noch nicht abschließend einschätzen konnte. Auf eine verbotene Art und Weise gefiel ihm dieser neue Zug an sich. Er konzentrierte sich wieder. Händler, Gaukler, Musikanten, Spielleute, Barden, Dichter und unzählige Feiernde und Betrunkene verstopfen den Platz. Plötzlich blickt Charlotte über ihre rechte Schulter, und sieht noch wie drei Männer sich am anderen Ende des langen Torbogens hinter der Ecke verstecken. Sie hatten Tätowierungen am Hals die Spielkarten zeigten. Nuriel sieht erstmalig wie Charlotte in Panik verfällt: Sie rennt in die Menschenmenge, verlangsamt dort stetig ihr Tempo, um unterzutauchen, und landet irgendwann an einem Ausschank für Schnäpse. Dort sieht sie Volmar und mustert ihn. Wieder verschwimmt die Szenerie, und Nuriel steht in einer einfachen Herberge in einem spartanisch eingerichteten Gästezimmer. Sein Blick wandert von der einsamen, noch tapfer leuchtenden Kerze am Nachttisch auf das Bett – auf dem sich gerade Volmar und Charlotte heftig liebten. Trotz der verringerten Emotionen der Hexer, konnte der Baron bei ihm rege Freude und tiefe Gefühle ablesen – abgesehen von den hormonellen Explosionen, die der Mann sowieso gerade erlebte. Der Elf verzog das Gesicht, erst leicht angewidert, von dem heftigen menschlichen Koitus, der der Ästhetik von liebenden Elfen in Einigem nachstand, dann blickte er äußerst angetan. Er nahm einen tiefen Schluck aus dem Weinglas. Als das nichts half, griff er zur ganzen Flasche. Derselbe Raum, scheinbar etwas später, da sich nun die Morgensonne durch das schmutzverkrustete, mickrige Fenster zwängte. Charlotte und Volmar lagen in voller Nacktheit auf dem Bett, Arm in Arm. Die Tür zum Zimmer flog schlagartig auf, die drei Männer mit der Tätowierung stürmten in den Raum – Volmar rollte, noch splitterfasernackt, seitwärts vom Bett auf die Männer zu. Noch im Aufstehen zog er sein Stahlschwert aus der neben dem Bett aufgestellten Schwertscheide. Nuriel zwinkerte kurz überrascht, als ihm in der Traumwelt eine enorme Blutfontäne entgegensprühte – genervt wischte er erneut mit der Hand zur Seite.
„Die Frau hat wohl auch schon einiges hinters sich. Und ihr Berufsbild ist mir jetzt immerhin klar. Sowie die ‚Kreise‘, in denen sie verkehrte. Hm, … Nun gut. So wollen wir doch noch einmal einen abschließenden Blick in den Geist des alten Haudegens werfen…“, dachte sich Nuriel. Ein paar Zimmer weiter seufzte Valerian im Schlaf, und wälzte sich unruhig umher. Das Amulett an seinem Hals begann zu zucken, bis es aus der weiten Öffnung seines Leibhemdes rausrutschte und auf dem Kissen neben Valerians Hals zum Liegen kam. Das Zucken wurde stärker…
Nuriel sah Wim, den Lehrling Valerians. Sofort zogen sich Sorgenfalten durch die Stirn des Elfen. Er erinnerte sich an den grausamen Traum, den er gesehen hatte, damals. Der Bursche sprintete über den Burghof, auf seinem Rücken ein Rucksack und ein Schwert geschultert – und in der Hand einen großen Schlüssel zwergischer Machart aus einem dunklen Metall. Valerian stand in einem Burgfenster, und erspähte Wim bei der Flucht. Der alte Hexer rief seinem Schüler etwas nach… Nuriel hielt kurz inne: Also ist Wim geflohen? Zu welcher Truhe könnte dieser Schlüssel passen? Könnte es sein, dass sich die Vision von damals erfüllen wird…? Nuriel rief sich die Vision in Erinnerung, die er selbst vor zwei Jahren auf Kaer Iwhaell gesehen hatte: Wim, vom Blutmagier Isador korrumpiert und voller Wahnsinn, tötete erst seine Hexerlehrlingskollegen, und schließlich nach einem spektakulären Klingentanz Valerian. Sollte diese Vision doch wahr werden? Blickt Wim vielleicht in einen dunklen Abgrund, der in ihn zurückblickt und tiefe Schatten hinterlässt? Dies wäre bei einem Herz voller Schatten und Leere, wie es bei dem Hexerlehrling der Fall ist, nicht verwunderlich.
Der Elf setzte seine Erkundung in Valerians Geist fort. *Er sah nun einen jungen Valerian, das Haar nur an den Schläfen leicht ergraut – ihm gegenüber, ein Mann mit braunem Haar, jünger als Valerian, mit athletischer Statur. Sein Rüstzeug schwarz, auf der Brust ein zuckendes Hexeramulett, im Gesicht zwei leuchtende Katzenaugen, aber nicht von jener ruhigen Klarheit Valerians, sondern Augen mit fehlerhafter Mutation, mit geplatzten Äderchen und irrem Blick. Sie standen sich auf einem Bergplateau gegenüber. Beide hielten ein Schwert in Ihrer Hand, doch war das des Fremden merkwürdig gekrümmt – wie ein Säbel oder ein langes Messer, nur zeigte die leichte Krümmung der schlanken Klinge verkehrtherum nach vorne, fast wie bei einer angedeuteten Kralle. Der Schnee lag eine Elle hoch, und frische Flocken flogen sanft und geräuschlos zu Boden. „Aguire – Schon wieder? Reicht nicht eine Schule? Derselbe Fehler erneut? Nach allem, was wir dir gaben? Keiner sonst gab dir eine zweite Chance. Wie konntest du ihn nur umbringen?“, schimpfte Valerian. Der junge Mann schrie wie irre– und griff an: Er webte einen Zauber, und Nuriel nahm durch Valerian die Hitze eines aufkeimenden Feuerzaubers wahr. Valerian webte den Schutzzauber ‚Heliotrop‘, einen magischen Schild, der frontale magische Angriffe abwehren kann – doch schwenkte der aufkeimende Feuerzauber Aguires chaotisch im Elementfluss um, und der Angreifer änderte seine Fingergestik überraschend: Eine magische Druckwelle ‚Aard‘ schoss in den Schneehang rechts von Valerian, und ein Grollen machte sich bemerkbar. Sofort rollten einige Felsen über die Schneedecke auf Valerian zu. Der Greifenhexer machte erst einen großen Satz nach vorne, aber um der breiten Steinfront zu entkommen, setzte er eine Sprungrolle nach – auf Aguire zu: Dieser hatte schon ein krallenförmiges Wurfmesser gezückt und schleuderte es mit einer knappen Bewegung präzise auf Valerian während seiner Rolle zu – und verfehlte knapp dessen Scheitel. Valerian rollte weiter und stand flüssig aus dem Manöver auf, um mit einem diagonalen Streich von links unten das Klingenspiel zu eröffnen – doch dazu kam es nicht. Aguire trat mit der Fußspitze locker in den Pulverschnee und erzeugte eine kleine Schneewolke, die Valerian blenden sollte. Valerian brach seinen Angriff ab, schlug mit dem Schwert von links nach rechts eine abwehrende Mühle und machte eine Pirouette nach links hinten. Er wollte direkt daraus mit einem Hieb von links oben fortfahren, doch war sein Gegner schon im Gegenangriff mit einem starken Streich von links oben. Valerian brach seinen Angriff erneut ab und blockte den Angriff mit seinem schräg erhobenen Schwert in der Parade ab, und machte einen Ausfallschritt unter dem Angriff Aguires hinweg. Er wollte sich Neu-Positionieren… Aguire jedoch schien jeden Streich Valerians zu kennen und im vornherein zu vereiteln. Valerian setzte immer wieder zu Schnitten und Stichen mit dem Hexerschwert an, musste diese aber immer wieder mit einer Pirouette oder Meidbewegung abbrechen. Aguire steht Valerian in nichts nach – im Gegenteil: Deren tanzender Stil ist sehr ähnlich, wenngleich der jüngere Hexer eindeutig heimtückischer und dreckiger kämpfte. In einer kurzen Pause stehen sich beide gegenüber, das Schwert in horizontaler Fechtstellung neben dem Ohr mit der Spitze zum Feind, der ‚Fensterstellung‘. Da greift Aguire in das Revers seiner schwarzen Lederrüstung und wirft Valerian mit einem bösen Lächeln etwas entgegen: In Zeitlupe sieht Valerian, wie ein blutverkrustetes Menschenohr auf ihn zufliegt – im Reflex schlägt er eine Mühle und wehrt das fliegende Körperteil mit der Klingenbreitseite ab. Nuriel spürt, dass Valerian weiß, wem das Ohr gehörte, und der Elf fühlt das Entsetzen des Greifenhexers. Aguire ging wieder zum Angriff über: Mit einem Hagel aus Schlägen und Stichen brachte er Valerian in starke Bedrängnis. Unzählige Drehungen und Finten machten eine Vorhersage der Angriffe fast unmöglich, dazu kam die fremdartige Mechanik der gekrümmten Klinge, die förmlich um die Paraden Valerians herumstechen wollte und Valerian mit weiten Paraden aus der Deckung lockte. Aguire führte nun einen Schnitt von rechts außen auf die Beine Valerians – welchen der Greifenhexer parierte. Doch plötzlich änderte Aguire die Schlagrichtung, und die geschliffene gebogene Rückschneide des Schwertes schnitt zurück – und traf Valerians Oberschenkelinnenseite. Noch bevor die klaffende Wunde der Oberschenkelarterie mit ihrem Spektakel begann, führte er einen Stich zum Herzen Valerians aus. Der Greif parierte diesen kreisförmig von unten nach oben in einer Wischbewegung, doch Aguire nahm den kreisförmigen Impuls auf und schnitt von links in Valerians rechte Körperseite, er nahm daraufhin mit seiner linken Hand Valerians Schwertarm und verdrehte diesen zur Körpermitte hin – auf sein Krummschwert zu. Er zog dieses aus der blutenden Körperseite Valerians und mit der schneidenden Rückbewegung durchtrennte er Adern, Sehnen und Fleisch an Valerians Arminnenseite. Valerians Schwert fiel zu Boden, kurz darauf gefolgt von Blutstropfen. Der Greifenhexer fiel auf die Knie und um ihn herum bildete sich ein schauriges rotes Muster im weißen Schnee. Nuriel wollte schreien, so sehr belastete ihn das Bild. Doch er beherrschte sich. Die Szenerie kam zum Stillstand – als ob die Zeit selbst innehielt, und alles um Valerian herum verschwand. Langsam blickte Valerian auf – und lächelte Nuriel direkt an. Seine rechte Hand hatte das Hexermedaillon in der Hand. *Nuriel war für einen Moment verwirrt. Opachen überraschte ihn immer wieder.
„Sehr interessant.“, dachte der Elf „Nicht nur, dass Valerian schon mal im Schwertkampf besiegt wurde – er scheint auch schon damals so leichtgläubig anderen gegenüber gewesen zu sein wie er es heute ist. Und so ein Wim-Fiasko scheint er ebenfalls schon einmal erlebt zu haben.“ Nuriel blickte aus dem Fenster. „Und, der Alte hat mich wieder einmal mit seinen magischen Fertigkeiten überrascht. Er hat anscheinend das ‚Ankern‘ als Fertigkeit erlernt. Unser Abschied scheint wie unser Kennenlernen – mit einem Moment der freudigen Verblüffung.“ „Überraschen werde ich ihn auch noch ein letztes Mal…“ murmelte er vor sich hin. Er ging zu seinem Schreibtisch, auf dem ein Tannenzapfen lag, und nahm ihn in die Hand. Gedankenverloren blickte er aus dem Fenster in die Nacht, der Mond stand über dem Herrenhaus. Ein paar Minuten später lächelte er zufrieden und ging zu Bett.
Einige Tage später, an der Elfenküste
„Aaaach – das Gekreische von Möwen, das Läuten von Schiffsglocken und wütende Vorarbeiter, die ihre Ladung-löschenden Hafenarbeiter anbrüllen – das klingt so vertraut nach…“ „Novigrad.“ unterbrach Valerian lächelnd die schwärmende Charlotte. Die drei saßen an der Hafenpromenade auf einem Mauervorsprung, und betrachteten gelassen die wuselnden Arbeiter beim Schaffen und Treiben. „… Ich wollte sagen ‚Arbeit‘, Valerian.“, verbesserte Charlotte. „Arbeit… ach du meinst deine ‚Sonderdienstleistungen im Logistik-Nischengeschäft‘?“, fragte Valerian. „Exakt.“ Die drei lachten. Trotz der alptraumhaften Nacht in Nuriels Anwesen, hatten sie einen freundschaftlichen Abschied, und verließen Nuriels Herrenhaus mit frischen Vorräten – vor allem ein paar Fläschlein von Wein und Schnaps machte das Trio sehr glücklich.
Eine große Möwe kreiste über ihnen. Etwas Weißes platschte auf Valerians Rüstung. Angewidert blickte er zur lachenden Möwe über sich. Für einen Moment glaubte er, etwas aus ihren Füßen fallen zu sehen, dann traf ihn etwas am Kopf. „Au! Blödes Vieh!“ entfuhr es ihm. Ein Tannenzapfen kullerte vor seinen Füßen herum. Charlotte wollte den Tannenzapfen wütend wegwerfen, aber Volmar hielt sie davon ab. „Sieh“ sagte er. Auf dem Tannenzapfen war eine grüne Rune aufgemalt.
Valerian ergriff den Tannzapfen und hielt ihn sich vors Gesicht. „Arhain, Nuriels Rune“, murmelte er nachdenklich. Als wäre es das Stichwort gewesen, flackerte ein Licht über dem Zapfen auf, dass sich blitzschnell zu einer schimmerigen Silhouette Nuriels veränderte, der in der üblich theatralischen Art und Weise anfing zu sprechen, die er immer an den Tag legte, wenn ihm danach war. „Alter Angeber.“ Dachte Valerian, das wäre auch weniger theatralisch gegangen. Der Elf musste immer eine gewisse Dramatik erzeugen, ohne ging es wohl nicht bei ihm. Nuriel bedankte sich für die gute Zeit mit Valerian die vergangenen Jahre und den Abend mit Volmar und Charlotte. Und er hatte auch einige Bitten an Valerian gerichtet…
Nachdem sie alle Drei die Abschieds-Botschaft Nuriels gesehen hatten, lächelte Valerian. Er hoffte, dass sie sich wiedersehen würden. Sollte er wieder eine Burg sein Eigen nennen, so würde er dem Wunsch des Elfen entsprechen ein Zimmer für ihn freihalten – gute Dozenten würde er immer brauchen können. Eines nur ärgerte ihn: Arghal. Dass er die elende Möwe des Elfen über sich füttern sollte, bis er sie zu Nuriel zurücksenden wollte, passte ihm gar nicht. Arghal lachte in der Luft und ließ neben Volmar etwas Weißes auf den Boden platschen. Volmar blickte Charlotte angewidert an, aber die grinste nur und zuckte mit den Schultern. Die Möwe landete auf ihrer Schulter und fing liebevoll an, an ihrem Haar zu knabbern. Charlotte grinste: „Also ich mag sie“. Valerian lächelte, und ging in Gedanken noch einmal die Ereignisse der letzten Stunde durch:
Kurz nach ihrer Ankunft in der zentralen Hafenstadt an der Elfenküste steuerte Valerian selbstbewusst auf eine Filiale des vertrauten Handelskontors ‚Benno Stab‘ zu. Am Tresen stand kein bekanntes Gesicht, sondern ein pockennarbiger Kaufmannsgehilfe. „Benno Stab Handelskontor – ‚Wenn‘s der Stab nicht hat, hat’s keiner‘, wie kann ich Ihnen helfen der Herr?“, begrüßte sie der Gehilfe. „Mein Name ist Valerian, und mir gehört die Funkenflug. Seit Wochen schifft ihr unseren Hausstand in die Leuenmark. Vereinbart war, dass wir erst in einer Woche die letzte Ladung überführen sollen – doch der Plan hat sich geändert: Die Schule wurde angegriffen und die Funkenflug muss dringend jetzt schon ablegen, bevor unsere Angreifer das Schiff…“ „Hoher Herr Valerian… “, fiel ihm der Kaufmann ins Wort. Bei der Betitelung musste Volmar Prusten vor Lachen. „Euer Lehrling war bereits vor einigen Tagen hier und hat sich bereits um alles gekümmert.“, fuhr der Gehilfe fort. „… Welcher Lehrling?“, fragte Valerian mit hochgezogenen Augenbrauen. „Na, Wim Delvoye. Er hat sich vergewissert, dass die Ladung, insbesondere die schwere Steintruhe an Bord ist und hat das sofortige Ablegen in Eurem Namen befohlen. Er hatte sogar einen Brief mit einem Greifensiegel mit Instruktionen dazu dabei…“ Valerian schwieg ob der Antwort des Kaufmannes. Volmar stichelte „… du solltest etwas mehr Sorgfalt walten lassen im Verschluss deines Schulsiegels hoher Herr Valerian.“ Der Gehilfe schaute betreten, und fuhr fort: „… ich entschuldige mich für die Unannehmlichkeiten… aber falls es den Herrn Valerian tröstet – Wim wollte ebenfalls den Kurs zur Leuenmark beibehalten, er hat also im weitesten Sinne in Ihrem Interesse gehandelt mein Herr.“, versuchte der Angestellte des Handelskontors zu beschwichtigen. „Wohl kaum. Ich weiß, was er in der Steintruhe sucht… nur gut, dass es sich nicht dort befindet.“, antwortete Valerian mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck.
Valerian konnte beim Kaufmannslehrling trotz Verhandlungsgeschick und ‚Axii‘-Trickkiste keine Überfahrt zur Heimat ermöglichen, da alle Schiffe des Handelskontors bereits ausgebucht oder zu See waren. Charlotte nahm das Ruder in die Hand, und in der erstbesten Hafenkneipe konnte sie einen Kapitän auftreiben, der gegen klingende Münze eine Überfahrt für die drei inklusive Pferden und Möwe in die ferne Heimatwelt des Trios anbot. Später am Abend, nach ein paar Humpen Bier fragte Charlotte leicht angetrunken „Sagt mal ihr beiden – wir machen ja jetzt eine Schiffsfahrt rüber in die Heimat… aber das ist doch mehr als nur ein anderes Land! Also müsste man das eigentlich nicht via Portal machen, so wie ursprünglich geplant? Ich meine, hier ist der Mond in drei Teile gebrochen – in der Heimat ja aber zum Glück nicht… also muss das doch eine ganz andere Welt oder so sein, korrekt? Wie funktionieren diese Schiffsreisen zwischen den Welten denn – ich habe diese Überfahrten zwar wiederholt… ‚arrangiert‘, aber nie so recht verstanden…“ Valerian antwortete unbewusst im Lehrmeisterton: „Gut beobachtet – zumindest das mit dem Mond. Den Rest solltest du eigentlich wissen, weil Nuriel das gestern Nacht erzählt hat. Aber vielleicht warst du auch zu sehr mit dem Rotwein beschäftigt, … oder schmachtenden Blicken zu…“ Volmar räusperte sich geräuschvoll und setzte fort: „Reisen zu fremden Welten sind durchaus via Schiff möglich. Ich meine, schau dich doch mal in den ganzen Welten bei den hunderten von Möchtegern-Abenteurern um: Jeder Hinz und Kunz reist‘ Kreuz und Quer durch die Sphären, nicht nur via Schiff, sondern auch via Portal! Manche Nautiker haben vor langer Zeit durchaus Nadelöhre in andere Welten gefunden, verschlungene Kurse durch mystische Nebel, durch Tore in andere Weltmeere…“, bevor Volmar wieder in einen seiner langen gefürchteten Monologe verfiel, unterbrach ihn Charlotte elegant mit einer beiläufigen Berührung seines Handrückens und sagte: „Danke Volmar, danke Valerian. Ich erinnere mich düster an Nuriels Ausführungen – besonders an den weinerlichen Passus, indem er ausgiebigst beschrieb, dass er zu seiner Welt bisher nicht zurückgefunden hat. Und ja, ich erinnere mich auch an eure Debatte zu ‚Valerians magietheoretischem Wissenschaftspodium mit der Kernhypothese ~steht eine neue Sphärenkonjunktion an? ~‘… da tatsächlich jeder Hinz und Kunz mit Portalen zwischen Welten hin- und herreist… das muss ich zugeben.“ Es gab noch einige Lacher, bevor sich die Sonne langsam dem Meer näherte, und die drei Gefährten das Schiff ‚Iliki‘ bestiegen – was die drei nicht ahnten: Ein neugieriger schwarzer Kater namens Parzival hatte sich bereits an Bord des Schiffes begeben und sollte den Tag verfluchen, an dem er wieder auf ein Schiff mit Valerian gelandet war – wie damals schon in Novigrad. Wie der Burgkater Kaer Iwhaell’s auf das Schiff Iliki kam? Das ist eine andere Geschichte. „Nun, auf zum Festland, auf zur Heimat, auf zur Schatzsuche – gemeinsam werden wir Erfolg haben, zusammen. Auf nach Lan Exeter! Dort…“ „Jaja. Ist schon gut Volmar. Schnapsrunde?“, Charlotte unterbrach Volmar elegant und die drei ließen ihre Zeit in Solonia ein letztes Mal feierlich ausklingen, mit einem klirrenden Anstoßen von Schnaps- und Weinflaschen auf die guten, wie düsteren Tage Solonias und der nunmehr vergangenen Greifenhexerschule Kaer Iwhaell auf dem Kontinent Solonia.
Kapitel 3: Lan Exeter
Mit der Einfahrt in die Praxeda Bucht, rieselten große Schneeflocken sanft zur glatten See hinab, angestrahlt von der roten Morgensonne. Valerian war früh auf. Er konnte schlecht schlafen. Zu viele Gedanken und Erinnerungen kreisten in seinem Kopf umher. Während die Morgenschicht der Deckmannschaft langsam den Dienst übernahm, und begann, die Iliki zum Anlegen klar zu machen, stand Valerian an der Bugreling, faltete seine Hände und stützte die Unterarme auf dem Holz ab und blickte aufs Meer. Einige Meter neben ihm, im gebührenden Abstand, lag der Kater Parzival, und blickte neugierig durch ein Loch in der hölzernen Balustrade der Kogge aufs Meer und die fliegenden Fische darin. Der Kater bemerkte Valerian, fauchte herzhaft und hoppelte davon übers Deck – und versuchte die Möwe Arghal zu fangen, die gerade einen gefangenen Fisch an Deck verzehren wollte. Valerian interessierte die Tiere unwesentlich. Er ordnete seine Gedanken, doch das war schwer. Er fühlte, als hätte er versagt, in der einzigen Aufgabe, die ihm anvertraut war als Ältester der Greifen: Die Schule beisammen zu halten, und das Erbe der Hexerzunft fortzuführen. Kaer Iwhaell in Solonia ist Vergangenheit, und das Schicksal seiner Schüler ist vielfach ungewiss. Ob die Gruppe Atheris, Nella, Logan, Heskor, Egon und Raaga es durch Lennox‘ Portal geschafft haben? Ob sie nun schon in der Mark sind? War es richtig, die Nekromantenmaske heimlich Atheris zu geben, einem Lehrling? Kurz lächelte er, als er an Nella dachte, und den Duft ihrer langen blonden Haare. Doch dann verfinsterte sich seine Miene wieder – Wim. Er hat versucht die Maske aus der Koschbasalttruhe Bruenors auf der Funkenflug zu stehlen… gut, dass er ihm zuvorgekommen ist. Doch was, wenn er mit seinem Vorhaben Erfolg hat? „Warum konnte ich ihn nicht retten…“, seufzte er. Seine Gedanken wanderten zu Mei, seiner Ziehtochter, die in den dunkelsten Stunden der Greifenschule mit irgendwelchen Privatangelegenheiten auf Skellige oder sonst wo beschäftigt war, anstatt bei ihrer Familie, die sie dringender brauchte, denn je, zu sein. Ob sie vielleicht bei diesem adretten Baron aus Orgulistan war – zugegeben, er freute sich für sie, eine so gute Partie gemacht zu haben… Dennoch nahm er eine Distanzierung von Mei zu der Greifenfamilie wahr. Seine Gedanken kreisten weiter: Um Freunde und Bekannte wie Viktor aus Königswald, Tjaske, Vladim, Konrad von Tannhauser, Saleha, Eiwa Al Razina, Hartmut von Munzlar… aber auch um Feinde wie Silven, Isador, Tichondron oder den Lichtelfen… hoffentlich haben die Greifen zumindest vor Letzterem ab nun ihre Ruhe.
Er wischte sich mit beiden Händen deprimiert durch das Gesicht und beruhigte seine rasenden Gedanken. Er musste nach vorne schauen, nach Lan Exeter. Er blickt wortwörtlich auf, und sah nun langsam, durch den Schneefall hindurch, die Silhouette der Drachenberge über der Landmasse aufragen. Er erinnerte sich an diesen Anblick, als er ein junger Mann war. Er hatte sich eine Überfahrt von Novigrad nach Lan Exeter mühsam zusammengeklaut und -gespart, und war gerade dabei das Deck zu schrubben und Taue aufzuschießen, als sich ihm erstmalig der Anblick von Kovir und Poviss anbot, mit seiner wunderschönen Winterhauptstadt Lan Exeter, einer Stadt wie aus dem Märchen.
Moment… wollte Valerian nicht eigentlich den Blick gen Zukunft richten? Er lachte kurz. „Ich bin alt geworden.“ „Nein – das bist du schon lange.“ Mit einem Lächeln gesellten sich Charlotte und Volmar zu ihm, und lehnten sich ebenfalls auf die Reling. Dann begann Volmar mit seiner gefürchteten Erzählerstimme: „Aaaaah – Lan Exeter voraus. Die Winterhauptstadt von Kovir und Poviss. In der großen Tangomündung gelegen ist diese Stadt auf einmalige Art und Weise komplett im Wasser gebaut worden. Eine Stadt ohne Straßen, nur Kanäle, auf denen schlanke Boote mit Rudern und hohem Bug hin und herfahren zwischen steinernen Kais.
Wir werden gewiss den Großen Kanal entlangfahren, die Admiralitätsresidenz, den Sitz der Kaufmannsgilden, und den ‚Kleinen Palast der Kultur und Kunst‘ bestaunen – und alle stattlichen Häuser werden schmale, hohe verzierte Häuserfronten haben, da die Stadtsteuer der Lan Exeter‘ Hausbesitzer an der Breite der Häuserfront progressiv bemessen wird. Sehen werden wir auch den Ensenada Palast König Esterad Thyssens, wo er jetzt gerade noch gewiss im Schlafgemach neben Königin Suleyka von Talgar liegt. Übrigens eine der wenigen Ehen der Edlen, bei denen man sich sicher sein kann, dass beide sich inniglich lieben – so spricht zumindest das Volk und die Palastdienerschaft. Vermutlich liegt neben der Königin ein abgegriffenes, zerlesenes „gutes Buch“ vom Prophet Majoran. Sie ist bekannt für ihre Gläubigkeit.
Kovir ist noch für viele andere Dinge bekannt: Für seine Gelehrten, Händler, Techniker und Magier. Einen der besten Geheimdienste der Welt. Eine der effizientesten Berufsarmeen der nördlichen Welt, mit seinen attraktiven Renten und Prämien für seine Kriegsknechte und Söldner, und allen voran ist es bekannt für seinen unendlichen Reichtum, das war aber nicht immer so:
Erst war Kovir nur für sein Meersalz, und seine Glashüttenarbeiten bekannt, aber auch nicht mehr. Aus dieser Zeit stammen die redanischen oder kaedwenischen Sprichworte ‘jemanden nach Poviss jagen’, ‘dann geh doch nach Kovir!’, ‘ich dulde hier keine kovirischen Zustände!’ oder ‘in Poviss kannst du Schlaumeier spielen!’. Besagte ‚Schlaumeier‘ kamen tatsächlich nach Kovir, so auch einige Geologen. Diese fanden dort reiche Bodenschätze, frei nach dem Motto ‚ist das Land karg, liegen die Schätze der Natur unter dem Lande – denn die Natur liebt das Gleichgewicht.‘ Der Stand heute: Nur Mahakam fördert mehr Eisenerz. Ein Viertel der Kontinent weiten Förderung von Silber, Nickel, Blei, Zinn und Zink findet hier statt. Die Hälfte der Kupfererz Förderung. Ein Dreiviertel von allen seltenen Erzen, die übrigens auch in unseren vorzüglichen Schwertstählen stecken, wie Mangan, Chrom, Titan, Wolfram, Platin oder Ferrosaurum, Kryobelit und Dimeritium – von manchen übrigens auch Dwimerit genannt. Und Gold, Valerian: Man sagt 80 Prozent des weltweit gewonnenen Goldes stammt aus Kovir und Poviss. Fährt man so in Kovir ein, wie wir gleich, so begrüßen einen auf den Molen imposante Mauern und Festu…“ „Volmar…“ Valerian seufzte: „Ich habe hier einen Großteil meiner Jugendzeit verbracht – respektive in Kovir. Du weißt doch, wo die erste Greifenschule Kaer y Seren liegt… oder besser lag, nicht wahr? …Ach Charlotte, warum musste ich ihn diesmal unterbrechen bei seinem Monolog?“ „Ach – ich war dran?“, Charlotte blinzelte unschuldig. „Tut mir leid, ich dachte das letzte Mal war ich dran?!“ Volmar grunzte „Ich such mir was zum Frühstücken…“ und verließ die beiden an der Reling kichernden Kameraden.
Gut gestärkt nach einem gemeinsamen Frühstück und frohen Mutes, standen die drei erneut an der Reling mitsamt Reisegepäck, und bestaunten die von Volmar ausgiebig beschriebenen Mole und Dämme mit seinen Mauern, Türmen und Festungen. Nach den äußeren Hafenmauern überwältigte die drei ein Meer aus Masten und Segeln in dem riesigen Hafen der Stadt. Die Iliki steuerte souverän auf einen der Steinkais im Wasser zu, und nach einem kurzen Händeschütteln mit dem Kapitän verließen die drei über eine knarzende Holzplanke die Kogge. Ein Hafenbeamter mit Holzbrett und Pergament in der einen, und Schreibfeder in der anderen Hand, begrüßte die Ankömmlinge. Er nickte ihnen hektisch zu, sodass beinahe seine große Pelzmütze und seine Hornbrille herunterfiel. „Ihr drei gehört nicht zur Besatzung. Name, Grund des Besuches, Dauer des Verbleibs in Lan Exeter?“ Charlotte sprach mit einem charmanten Lächeln vor: „Grüße von Valentin. Wir gehören zur Handelsgesellschaft.“ Unverhohlen legte sie dem Beamten ein kleines klirrendes Beutelchen aufs Schreibbrett. „So so, Valentin also. Grüß ihn zurück. Na, dann passt auf – ich habe einen Rat für euch. Kehrt direkt wieder auf das Schiff um: Die Stadt ist abgeriegelt. Quarantäne. Seit vorgestern wütet eine Krankheit in der Stadt… man sagt, es sei die Rückkehr der Catriona Seuche. Keiner darf die Stadt verlassen. Ich mach bei euch eine Ausnahme, wenn ihr jetzt gleich wieder zurückwollt…“ Charlotte schüttelte den Kopf: „Kommt nicht in Frage. Aber danke dir, Ansgar.“ Der Schreiberling verbeugte sich, und wollte sich sodann umdrehen, um die gelöschte Fracht zu protokollieren – und stolperte dabei über einen schwarzen Kater der unglücklich hinter ihm saß und sich putzte. Arghal saß auf einem Fass daneben und lachte kreischend.
„Und was nun?“ fragte Volmar die anderen. Sie saßen auf einem der beschriebenen Ruderboote, dass gerade den Hafenkai verließ und auf die Kanäle der Innenstadt zusteuerte, aus der Luft verfolgt von einer weißen Möwe. „Ich kenne da jemanden von früher. Den können wir um Rat fragen, wie wir aus der Stadt kommen.“ Valerian lehnte sich zum Bootsführer rüber und flüsterte ihm etwas ins Ohr, und gab ihm eine Münze. Der Bootsführer nickte, und das Boot hielt weiter auf den Großen Kanal von Lan Exeter zu. Schon nach einigen der prachtvollen Häuser von Edlen und Kaufleuten, steuerte das Boot in einen kleineren Kanal nach rechts, an dem es anlegte. Das Trio folgte einer kleinen Treppe von der steinernen Anlegestelle aus hoch auf das Plateau des schmalen Gehweges entlang des Kanals. Nachdem ein zweites größeres Boot mit ihren Pferden folgte, gingen sie an der beeindruckenden Häuserreihe den großen Kanal entlang – bis Valerian irgendwann vor einem sehr schmuckvollen Haus stehenblieb. Seine schmale hohe Fassade bildete ab dem ersten Obergeschoss einen Überstand, der vor der Haustür mit gravierten und bemalten Holzsäulen schmuckvoll gestützt wurde. Volmar las ein goldenes Schild über dem Gehweg mit der Inschrift „Carduin von Lan Exeter“. Sie banden ihre Pferde an einem Pfosten an.
Valerian klopfte und wartete einen Moment, dann klopfte er erneut, aber wieder nichts. Valerian wollte sich gerade umdrehen zu Volmar und Charlotte, um betreten mit der Schulter zu zucken, da hörte man ein genervtes „Jaaa jaaa doch…“, von drinnen. Ein Poltern die Treppe hinunter, ein Schemen hinter dem bunten Glasfenster – und dann öffnete sich die Tür: Vor Ihnen stand ein Mann in Nachtgewand und Schlafmütze. Seine Gesichtszüge wirkten erhaben, er hatte eine dominante Nase und starke Nasolabialfalten. Feine Bartstoppeln schattierten sein Gesicht. Im Kontrast dazu standen helle, bernsteinfarbene Augen. „Valerian? Du hier? Jetzt?… muss das so früh sein? Komm doch bi…“ „Carduin. Es ist wichtig!“, unterbrach ihn der alte Hexer. Carduin seufzte, und winkte die drei hinein in einen Raum, der wohl ein Wohnzimmer gewesen sein musste – bis ungeordnete Büchertürme und Staubschichten verschiedener Generationen das Zimmer erobert hatten. Sie gingen zu einem Tisch, der über und über mit Pergamenten voll war. Gelassen aber zügig, sammelte Carduin die Pergamente ein, um Platz zu schaffen für eine Unterredung. „Mach doch bitte ein Kaminfeuer an, Valerian… Ei‘ grau bist du geworden Bursch!“ Valerian gehorchte mit einem Nicken wie ein Schuljunge, und machte ein wärmendes Feuer im kalten Zimmer an. Sie setzten sich an den Tisch. „Viel ist passiert Valerian, und mich dünkt, es müsste nun gut dreißig Jahre her sein… nicht wahr? Möchtest du mir nicht deine Begleitung vorstellen?“, fragte Carduin. Volmar kam ihm zuvor „Volmar von Brugge, Hexer der Wolfsschule. Und das ist Charlotte.“, sie nickte. „Hocherfreut Charlotte von…?“ Nach einem kurzen Schweigen Volmars und Charlottes, fuhr Valerian fort: „Wir sind gerade angekommen in Lan Exeter und haben von der Quarantäne gehört. Wir wollen die Stadt verlassen. Kannst du uns helfen?“ Der Zauberer Carduin seufzte: „Schwierig. Ich sitze ebenfalls hier fest.“ „…möchtest du denn ebenfalls fort, Carduin von Lan Exeter?“ Carduin blickte Valerian an und versucht zu ergründen, was der Greifenhexer von seinen politischen Verstrickungen in die Angelegenheiten des neuen Rats der Zauberer und König Radowids von Redanien der letzten Jahre mitbekommen hatte. „Du hast recht, Valerian, dies ist mein Name. Doch habe ich seit einiger Zeit ‚Verpflichtungen‘ in Redanien… und dort sollte ich mich eigentlich auch die ganze Zeit befinden, wenn ihr versteht, was ich meine.“ Er schwieg bedeutungsvoll, und fuhrt fort: „Ich habe mich also von meiner derzeitigen Funktion zum Wohle des Großen und Ganzen abgewandt und bin für eine kurze ‚Stippvisite‘ vor drei Tagen hier in meine Heimat gekommen – dann wurde die Stadt abgeriegelt, wegen dieser grassierenden Seuche. Ich habe versucht, mittels Portal die Stadt zu verlassen – doch verhindert die Hofzauberin im Ensenada Palast, dass ich dem Unsinn hier entfliehen kann, mit einem potenten Gegenzauber, der Portalreisen unterdrückt. Kein Wunder: Weder will Thyssen aus altruistischen Gründen eine Seuche verbreiten, wie zuletzt den großen Catriona Ausbruch 1272 in den nördlichen Königreichen – noch möchte man die Gerüchte von infrastruktureller Schwäche in Lan Exeter als Handelszentrum der Meere oder von einem geschwächten Poviss streuen. Stellt euch mal den Einbruch von Devisenmärkten oder Handelskursen vor? Auch politisch, alles sehr verständlich…“, führte der Magier aus. „Mag sein Carduin – aber wir sind keine Magier, und unsere Affinität zu Politik hält sich in Grenzen. Kannst du uns hier rausbringen?“, fragte Valerian etwas ungeduldig. „Das weiß ich nicht – aber vielleicht könnt ihr es selbst, beziehungsweise ihr gemeinsam?“ Das Trio blickte sich fragend an, bevor der Magier fortfuhr. „Ich habe auf den Ebenen der Logik und der Informationswirtschaft in Lan Exeter nach einem Ausweg gesucht. Vergeblich, trotz meiner mannigfaltigen Kontakte hier. Eine Option gibt es noch: Gewiss seid ihr mit der Kunst der Wahrsagerei als magische Disziplin vertraut – die Wahrsagerei hat die unschöne Eigenschaft, dass man sie allein nicht derart gut praktizieren kann, wie mit einem Probanden zusammen. Es ist zwar nicht mein magisches Kerngebiet, aber alles nötige Wissen hat mir die Schule Ban Ard mitgegeben – und alles Weitere steht hier in den Büchern zur Oneiromantie…“ „Ungern Carduin. Die Traumdeutung ist ein sehr vages Feld, und offenbart auch viel Persönliches von den Träumenden…“, stellte Valerian fest. „Valerian, ich kenne dich seitdem du als Bursche nach Lan Exeter gekommen bist. Was fürchtest du, das ich sehen könnte?“, entgegnete der alte Magier. Der Greifenhexer schwieg. Charlotte und Volmar stimmten in das Schweigen mit ein. Eine bessere Idee hatten sie nicht.
Schließlich erklärte sich Valerian wider seiner Bedenken bereit. Er wollte Volmar und Charlotte, die Carduin sowieso schon offenkundig misstrauten, nicht persönlichen Offenbarungen aussetzen. „So, ich bin fertig. Lege dich bitte auf das Canapé, Valerian.“ Carduin hatte das Sofa von verschiedenem Krimskrams seiner Unordnung befreit, und zeigte nun mit offener Hand auf das Möbelstück. Valerian sattelte seinen Schwertgurt vom Rücken ab und drückte ihn mit einem vertrauensvollen Nicken Volmar in die Hand. Dann legte er sich auf die bequeme, wenngleich staubige Liege. „Ich werde dir erst einige Fragen stellen, um mich in einen geistigen Einklang mit dir zu begeben. Mein Ziel ist es, dass unsere mentalen Schwingungen zwischen Träumenden und Führenden sich harmonisieren – so vermag ich es dir als Magier den Traum zu induzieren und diesem Traum dann detailliert im Ablauf zu folgen.“, sprach der Magier und begann mit seinem Vorhaben. „Großartig!“, kommentierte Valerian trocken. „Nun gut mein lieber Hexer. Warum möchtest du Lan Exeter verlassen? Was suchst du außerhalb der Stadt mit deiner Begleitung.“ Valerian dachte nach, und schwieg. Carduin räusperte sich höflich ungeduldig. „Wir sind auf der Reise zur Schule der Wolfshexer. Da die Greifenschule sich erneut im Niedergang befindet, haben Volmar und Charlotte eingewilligt mir in der Suche nach Wissen zu helfen, um die Schule zu retten.“, beantwortete Valerian die Frage. „Fabelhaft Valerian. Was empfindest du dabei? So ein Hexer diese Frage beantworten kann…“, fuhr Carduin mit seinen Fragen fort. „Ganz ehrlich, erschreckend viel Carduin. Furcht, Neugierde, Angst, Zaudern, aber überwiegend Sorge.“, zählte Valerian auf. „…um wen?“, fragte der Magier. „Meine Familie.“ Valerian zwinkerte Volmar zu, der genervt seufzte. Carduin wahrte die Professionalität: „Gut Valerian. Du kennst Lan Exeter. Ich möchte, dass du dir nun vorstellst, wie du den großen Kanal entlangfährst. Ab dem Bernsteinviertel wirst du viele Kranke sehen auf den Promenaden, gehetzte Wachen die Ordnung halten wollen, protestierende Kaufleute wegen der Quarantäne und huschende Pestdoktoren… schließ deine Augen. Entspanne dich…“ In der Stimme Carduins lag eine sonderbare Beruhigung, und Valerian schlief, zu seinem Erstaunen, simultan ein.
Valerian sah den Kanal, die prächtigen Häuserfronten. Er saß allein auf einem Ruderboot, er steuerte dieses selbst auf das Tor von Lan Exeter zu. ‚Valerian! ‘ Hört er eine vertraute Stimme rufen. Er blickte zur Seite, und sah Nella, die ihm aufgeregt zuwinkte. ‚Valeeeriaaaan!‘ Diesmal von der anderen Seite des Kanals – wo Meidwynn stand, sie rief verzweifelt, und der orgulistanische Baron zerrte diese in die Dunkelheit einer Gasse zwischen den Häusern. ‚Valerian! …Valerian! Vaaaleeeeriaaaan!‘ Immer wieder ertönten Stimmen seiner geliebten und geschätzten Menschen. Immer wieder erschienen sie über ihm an den Promenaden des sonst menschenleeren Kais. Sie winkten, sie riefen, sie weinten, sie schrien. Sie bedeutetem ihm schneller zu machen! Schneller zu rudern! Genervt schrie Valerian, und eine Aard-Druckwelle, geboren aus seiner Wut, sprengte in einem Kugelförmigen Ausstoß das Boot. Plötzlich sah Valerian schwere Ketten an seinen Füßen, die ihn tiefer zogen, immer tiefer, in das dunkle-türkisblau des Kanals. Gerade als die Ohnmacht drohte, spürte er eine Hand, die die seine ergriff – und ihn mit einem starken Ruck hochzog: Valerian sprang aus dem Wasser, und stand neben seinem Freund, Konrad von Tannhauser. Valerian erkennt die Hafenstadt Novigrad, wie sie in seiner Kindheit aussah. Da lief ein Kaufmann an ihm vorbei, eilends, hinter ihm her eine verzweifelte Dame, offenkundig aus prekärem sozialem Umfeld und mit zweifelhaftem Beruf. Sie zeigte auf ihren Bauch, und gestikulierte wild – der Mann hörte nicht, und lief auf ein Schiff zu. Er ging auf die Brigg, warf die Ladeplanke von Bord – und schaute plötzlich Valerian an. Das Gesicht des Kaufmanns änderte sich – seine Wangen hoben sich, die Lachfalten, die Nasenfalte… und Valerian sah plötzlich in sein eigenes Gesicht, das ihn anlächelte – und wieder änderte sich das Gesicht, diesmal zum Gesicht Konrads.
Valerian schreckte auf. Er befand sich wieder auf dem edlen Sofa. Carduin sah ihn durchdringend an, Charlotte und Volmar hatten inzwischen auf Stühlen Platz genommen und blickten Valerian fragend an. „Was hast du gesehen Valerian?“, fragte Volmar. Der Greifenhexer war noch nicht in der Lage zu antworten. Carduin übernahm die Erklärung: „Valerians Geist ist voller Sorge um seine Engsten und Liebsten. In dem Gewirr seiner Gedanken aber, sind wir auf eine Goldader der Wahrheit gestoßen, einem verblüffendem Quant Schicksal: Valerian scheint einen lebenden Verwandten zu besitzen, den er bisher wohl nur als Freund kannte, und erfuhr etwas über seine Herkunft.“ Valerian schwieg. „Wollen wir weitermachen, Bursche?“ Er antwortete noch immer nicht. Volmar sprang ein: „Ich übernehme ab hier. Ich denke, Valerian hat genügend Dinge im Geist, die er nun zerdenken muss – mein Geist ist frei von den Ketten an Verwandte und… Familie.“ Valerian und Volmar nickten sich einander zu.
Volmar begrüßte den Komfort des Canapé, im Vergleich zum Stuhl. Noch während der Fragen Carduins, schlief er ein und bestätigte dies mit einem herzhaften Schnarchen. Auch er fuhr im Traume auf dem Großen Kanal, und hielt auf das Stadttor zu. Hinter ihm stand Varin, sein geliebter Ausbilder aus Kaer Morhen. Varin flüsterte ihm ins Ohr: „Sieh genau hin.“ Volmar war irritiert. Er blickte sich um, sah die Kranken, die Doktoren, die Wachen, die Kaufleute, die Proteste vor den Toren… doch dann bemerkte er ein Zucken an seinem Amulett. „Sieh genau hin Volmar.“ Er blinzelte. Über den Kranken sah er ein dunkles, ätherisches Band aus Magie. Es reichte hoch in den Himmel. Volmars blickte geradewegs nach oben, und über ihm und ganz Lan Exeter schwebte die Erscheinung einer toten Frau. Ihr Gewand in Fetzen, ihre Haut warf Eiter- und Pestbeulen, die aufplatzten, und das freigewordene Sekret floss aus den Wunden hinab und wandelte sich im Flug zu grünen Schneeflocken, die auf Lan Exeter schneiten. Das Bild veränderte sich – es stellte sich komplett auf dem Kopf, sodass Lan Exeter im Himmel lag und die Erscheinung mit gefalteten Händen auf dem Boden. Vom Himmel fiel wie ein Blitz das Silberschwert eines Hexers hinab, und durchbohrte die Zunge im Rachen der Frau. Volmar erkannte, dass es sein Silberschwert war. „Eine Pesta!“, Volmar setzte sich ruckartig auf. Carduin runzelte die Stirn: „Eine Pestmaid, eine Erscheinung die Krankheit und Seuche verursachen kann… hmmm…“ Ohne weiteren Kommentar stürmte Carduin aus dem Zimmer, und kam wieder mit einem Pergament. Er las murmelnd einen Krankenbericht, und folgerte dann laut: „Die hier grassierende Seuche kann gar keine Catriona sein. Es findet sich bei den umhin beschriebenen Symptomen kein blutiger Auswurf. Lediglich andere Symptome. Ich stimme deiner Theorie zu, Volmar von Brugge.“ Volmar strahlte – so sehr, was ein Wolfshexer in Sachen Mimik vermochte. „Hört zu, ich habe eine Theorie…“
Es war Mitternacht, die vier Gefährten standen auf dem zentralen Friedhofsplatz. Volmar und Valerian hielten ihr Silberschwert in der Hand, dessen Klinge fahl im Mondlicht glänzten. Auf Valerians Schwert, leuchteten blaue, mythische Runen auf. „Hier ist es.“, Carduin zeigte auf ein Grab. „Galita von Hengfors.“ Diese Wissenschaftlerin wurde vor einer Woche hier in Lan Exeter… zu Tode gefoltert. Sie vertrat einige makabre Theorien zur Catriona Seuche von 1268 und 1272, die nicht in Übereinstimmung mit dem wissenschaftlichen Kanon waren – was erstmal nicht schlimm war. Aber sie ging so weit, dass sie Portale und interdimensionale Reisen untersagen wollte, da sie diese für die Quelle der Catriona hielt. Sie fing an die Portalreisen von anderen Magiern in Lan Exeter zu sabotieren, wobei ein angesehener Stadtzauberer zu Tode kam… das ist gelinde ausgedrückt dafür, dass seine Körperteile an einem Dutzend verschiedener Stellen in der Stadt gefunden wurden…“ Charlotte grunzte. Er fuhr fort: „Die Hofzauberin konnte belegen, dass es Galitas Sabotage war. Nach ihrer Festnahme wurde sie gefoltert und aufgefordert ihre Theorien zu widerrufen. Sie weigerte sich schreiend, bis sie durch den Folterknecht in den Kerkern Lan Exeters den Tod fand…“ „Volmar, hilf mir ein großes Yrden zu ziehen.“ Valerian und Volmar beschworen einen magischen Kreis aus violettem Licht mit einem Durchmesser von rund acht Schritt. Charlotte zündete ein Räucherwerk aus Kräutern an, dass die beiden Hexer vorbereitet hatten, und verteilte den aromatischen Rauch mit wedelnder Hand. Carduin zog ein Pergament aus seiner Tasche und begann: „Nun denn, versuchen wir es wie besprochen. ‚Galita von Hengfors, ich rufe euch zum wissenschaftlichen Kolloquium – um eure These zu verteidigen!‘ …Ean vaín né élle ibháin na larvash!“ Carduins Hände leuchteten grünlich beim Skandieren der elfischen Beschwörungsformel. Nach einer Zeit des Wartens, fuhr aus der Erde eine ätherische Gestalt auf, und manifestierte sich im Kreis des Yrden-Zaubers. Es war die einer Frau, und sie glich der Beschreibung Volmars aus dessen Traum – von fahler ungesunder Haut, in Fetzen einer Gelehrtenrobe gekleidet und voller eitriger Beulen und Pusteln. Ihre Augenhöhlen waren leer und eine lange Zunge lugte aus Ihrem Kopf, dem der Unterkiefer gänzlich fehlte. Sie fauchte, und stöhnte. Carduin räusperte sich: „Verteidige deine Thesen im wissenschaftlichen Disput!“ Die Pestmaid fauchte nun ärgerlicher, und hielt auf Carduin zu. Volmar sprang vom Kreisrand auf die Pesta zu. „So wird das nichts!“ „Verdammt Volmar!“, fluchte Valerian – und sprang von der anderen Seite, weiter entfernt dazu. Carduin stürzte beim Zurückweichen, und fiel rücklings auf den Boden. Die Erscheinung raste jetzt auf ihn zu, und eine meterlange Zunge schoss auf den am Boden liegenden Magier zu. „Vael elan my elyenthain g’lan faray!“ Carduin erhob seine Hände und um ihn herum baute sich eine wabernde goldene Schutzsphäre auf, ein höherer Zauber, an dem die spitze Zunge abprallte. Volmar drosch mit einem horizontalen Hieb von hinten auf die Pesta ein – er spürte den Widerstand von Materie, er hatte sie also getroffen. Galita schrie schrill auf – und alle Vögel und Insekten der Nacht verstummten plötzlich komplett. Charlotte sah es zuerst: „Seht!“ Ein Kreis aus Rattenschwärmen schloss sich um die Gruppe, am Himmel über ihnen flogen Schwärme aus Insekten. „In den Yrden-Kreis!“, schrie Valerian, und zog Charlotte hinein. Die Tiere schwärmten um den Yrden-Kreis herum, aber drangen nicht hinein. Das violette Leuchten der Kreislinien wurde schwächer. Valerian fluchte laut auf, viel mit einer komplexen Handgestik auf die Knie und streckte seine Hände zum Kreisrand hin: „Ich halte das Yrden aufrecht. Volmar halte du die Pesta auf!“ Da war Volmar sowieso schon dabei: In diesem Moment schoss ein Strahl grüner Kotze in einem giftigen Schwall auf Volmar zu – dieser zauberte ein Quen-Schutzzeichen und drehte sich in einer Pirouette zur Seite weg. „Achtung!“, rief Charlotte: Zwei illusionäre Ebenbilder Galitas griffen von den Seiten Volmar an. Der Wolfshexer nutzte den Schwung der Pirouette und schlug in die eine Illusion einen sauberen Schnitt – wodurch sich diese in Rauch auflöste. Charlotte warf ein Wurfmesser auf Galita zu – doch diese löste sich ebenfalls in dunklen Schwaden auf. Plötzlich erschien hinter Charlotte die Pestmaid, um sie von hinten zu umarmen, Charlotte schrie. Volmar nahm sein Silberschwert in die Haltung des ‚Schützen‘, indem er es wie ein Speerwerfer schräg unten hinter sich bereithielt, und dann wie eine Balliste beschleunigte: Das Silberschwert traf genau in den Rachen der Pesta, durchstoß die Zunge und penetrierte die Schädelrückwand des Geistes. Galita sank zu Boden, Volmar nahm Charlotte schützend in den Arm, den Blick auf die Pesta gerichtet. Die Ratten- und Insektenmasse lichtete sich. Valerian erhob sich, und stellte sich schützend neben Volmar und Charlotte. Die Pesta röchelte. Valerian sprach: „Ich bin der Leiter der Schule und Akademie Kaer Iwhaell, und ich habe deine wissenschaftliche Arbeit zu den Hypothesen der Catriona Seuche für wegweisend und deduktorisch korrekt befunden. Ich entlaste deine Arbeit von allen weltlichen Vorwürfen und erkenne diese als Gelehrter an.“ Galitas Röcheln und Fauchen schwand, und ihre Augen weiteten sich. „Wir werden alle weiteren Folgeschritte befolgen, die auf deinen logischen Schlussfolgerungen basieren. Bette dich nun zur Ruhe in dem Wissen, dass du der Menschheit und Wissenschaft ein wichtiges Andenken hinterlassen hast, Galita von Hengfors.“ Der runzlige Körper von Galita wandelte sich kurz in den einer älteren Frau mit einer abgetragenen Professorenrobe, wonach dieser sich sofort in Staub auflöste. Valerian folgerte: „Wissenschaftler wollen nur eines: Anerkennung und Respekt für ihre Arbeit, und ihrem Publikum ein Erbe und Andenken mitsamt ihrem Namen hinterlassen, und den Pfaden ihrer Zunft der Gelehrten dienen und Tore öffnen für die aufkommenden scholarae und studiosi der nächsten Generation…“ Valerian schüttelte den Kopf, und steckte sein Silberschwert routiniert in die Schwertscheide auf dem Rücken. „Also ich würde ja sagen…“, sagte Volmar „… du hast sie greifentypisch totgeplappert.“ „… das kommt gerade von dir Volmar?!“, kommentierte Charlotte. Alle drei lächelten. Carduin nicht – der beschwerte sich über Graberde und Unrat auf seiner orange-roten Magierrobe. Dann hoppelte ein schwarzer Kater aus dem Schatten eines Grabsteins zu Carduin und rieb sich schnurrend an den Beinen des Zauberers.
Kapitel 4: Höhle der Qualen
Die Reisenden blieben noch drei Tage bei Carduin, bis die Beamten der Stadt die Quarantäne aufhoben, da die Seuche wie von Zauberhand verschwunden war. Nach einer intensiven Verkostung der Lan Exeter‘ Weine und Schnäpse bei Carduin in der dritten Nacht, verabschiedete sich das Trio von dem Gastgeber bei Sonnenaufgang. Sie verließen sein Haus, nur um auch ihn durch den Knall eines Portals in seinem Haus verschwinden zu hören. Valerian drehte sich von der Tür des Hauses um, und blickte auf dem Kanal. Vor ihm auf einem stählernen Poller saß eine weiße Möwe – neben einem schwarzen Kater. Der alte Hexer seufzte. „Es kommt nicht in Frage, dass ich euch mitnehme – ‚Kaer Iwhaell ist kein Zoo‘, verdammt! Aber, damit Nuriel oder die tierliebe Mei mir nicht zürnen…“ er räusperte sich, „…lieber Arghal. Bitte bleib bei Parzival bis zu unserer Rückkehr. Diese Reise kann länger dauern, aber wenn wir zurückkommen – dann gewiss über Lan Exeter. Sollten wir in drei Monden nicht zurückkehren – geh zurück zu Nuriel. Ähm… verstanden?“ Arghal kreischte. Parzival gähnte. Volmar schüttelte ungläubig den Kopf. Charlotte nicht: Die hatte angefangen die Szene mit einem Kohlestift flüchtig zu skizzieren, in der der Großmeisterhexer Valerian sich herabbeugte und mit einer Möwe neben einem Kater parlierte – die Skizze wollte sie ihrem Zeichner geben und das fertige Bild „Valerian in Lan Exeter“ taufen. Der Alte war sich irgendwie sicher, dass er die Möwe nicht so schnell loswerden würde – leider. Wieder hatte er einen Zoo an der Backe. Er betrachtete das Federvieh, den Kater und die Pferde, und Brunhild wieherte laut schallend auf.
Sie verließen die Stadt durch das prächtige bannerumwehte Stadttor und ritten zuerst an der Praxeda Bucht ostwärts entlang nach Yspaden in Creyden. Ursprünglich war es Charlottes Plan, ab hier weiter südwärts nach Novigrad zu reisen, doch entschied sie sich freiwillig einen Umweg in Kauf zu nehmen bis zum Kestrelgebirge.
Sie folgten also zu dritt dem Fluss Braa entlang weiter nach Osten bis zur Stadt Jamurlak. Dann gelangten sie weiter über das prächtige Hengfors über die Braa nach Braafeld in das Land Caingorn. Vor ihnen ragte das weiße Kestrelgebirge auf, dass sie von der nächsten Station in Aed Gynvael trennte. Sie beschlossen vor der Passage des Gebirgspasses noch eine Nacht in ordentlichen Betten zu verbringen, und kehrten in eine Taverne an der Hauptstraße ein. Das eingeschneite Gasthausschild zeigte einen steppenden Bären mit der Inschrift: „Zum Tanzenden Bär“. Valerian schmunzelte über den Wortwitzvorrat, den er mit zu seinem befreundeten Bärenhexer Tjaske nehmen würde. Nach dem Absatteln und der Übergabe der Pferde an den pickligen Stallknecht, betraten die drei die geheizte Stube. Es war insgesamt sehr wenig los, sie hatten also freie Platzwahl, und entschieden sich für einen Ecktisch im hinteren Bereich der Wirtsstube, mit guter Sicht über die Taverne. Eine vollbusige Schankmaid empfing sie reizvoll: „Hallo die Herre… Oh! Hallo Volmar. Tut mir leid dich enttäuschen zu müssen, aber deine Stammrunde ist heute nicht zum Würfeln und Kartenspiel da. Ich habe vorhin einen Topf Met heißgemacht, wollt ihr was davon?“
Mit dampfenden Metbechern vertrieben sie die Kälte aus ihren Gliedern. Valerian begann die Konversation: „Sag mal Volmar. Ich gehe davon aus, dass die Schwertlehre der Greifen sich nicht um Welten um die der Wölfe unterscheidet – mein Fechtmeister lehrte mich, dass man sein Schwert im Kampf gegen Monster auf gar keinen Fall in den Schützengriff nehmen und als Speer werfen sollte… ‚sowas tun nur verliebte Narren und Selbstüberschätzer‘. Wie ein Selbstüberschätzer wirkst du mir nicht…“ Er lächelte abwechselnd Volmar und Charlotte zu. Mit etwas Fantasie konnte man den Anflug einer Errötung auf Volmars Wangen erkennen. Charlotte übernahm das Reden: „Er redet nicht so gern über… uns.“ Valerian brach wieder das Schweigen: „Sagt mal, was macht ihr eigentlich, wenn wir in Kaer Morhen fündig geworden sein sollten? Ich werde nach unserer Unternehmung in die Leuenmark reisen und meine Zöglinge suchen.“ Volmar überlegte. Charlotte antwortete zuerst: „Ich werde wie gesagt, morgen abreisen nach Novigrad. Ich habe da noch eine Angelegenheit mit einem gewissen Zwerg namens Hacker zu klären, meine geliebte Arbaleste betreffend…“, Charlotte grummelte etwas in sich rein. Volmar fuhr fort: „Nun Valerian, ich sagte dir damals schon in Solonia – ich möchte dich und die Greifen beobachten. Ich wollte feststellen, worin sich die Wolfsschule von der Greifenschule unterscheidet, und sehen ob und wie wir zusammenarbeiten können. Du siehst, hier an unserer Mission – das Urteil ist vorläufig positiv ausgefallen. Dennoch werde ich mir etwas Zeit auf Kaer Morhen nehmen, um meine weiteren Aktionen in der großen Mission zu planen, die Hexerzunft auf meine Art und Weise zu unterstützen. Du musst wissen Valerian: Ich beäuge deinen Plan zur Kräuterprobe auch sehr Teil kritisch. Ich unterstütze ihn, ja natürlich, das weißt du. Ich habe wortwörtlich mein Blut dafür gegeben. Aber dennoch habe ich Angst vor… fehlgeschlagenen Experimenten, oder fehlgeleiteten Alchemisten oder Magiern, die jenes Wissen missbrauchen könnten, an denen Saleha, Eiwa, Nella und du forschen. Dennoch denke ich, dass es besser ist, dass die Greifen und du, dieses schwierige und notwendige Thema angehen und dabei lieber von mir bewacht und begutachtet werdet, als von irgendwelchen irren Zauberern oder Spinnern. Ich muss gestehen – ich glaube ihr als Greifen könnt das sogar besser ergründen als die paar übrigen einsamen Wölfe.“ Valerian nickte. „Ich verstehe deine Ressentiments. Mehr als manch anderer. Und deswegen freue ich mich so sehr über deine Unterstützung.“, antwortete Valerian. „Doch Valerian, bitte versprich mir, sobald wir in Kaer Morhen sind – kein Wort über unsere Pläne zu meinen Brüdern. Ich möchte nicht, dass sie Probleme bereiten könnten oder sich Sorgen machen, so gerne ich sie auch… teilweise… habe.“, sprach der Wolfshexer weiter. „Einverstanden. Dafür versprich du mir auch etwas Volmar: Ich habe nachgedacht. Wenn das hier vorbei ist, möchte ich im Laufe der nächsten Monate eine Expedition nach Kaer y Seren vorbereiten in den Drachenbergen. Dort liegt zu viel kostbares, als auch gefährliches Wissen, das ich als Ältester der Greifen bergen muss, und zur neuen Greifenschule bringen möchte – so ich diese denn hoffentlich, mit der Zustimmung des Rates der Leuenmark in selbiger errichten darf, versteht sich… aber wenn es soweit ist, versprichst du mir mich zu begleiten, nach Kaer y Seren?“ Theatralisch schlug Volmar in Valerians gereichte Hand ein. „Ach Greif, wenn wir eines gemeinsam haben, dann ist es unsere Einstellung: Wir beide wollen unseren Schulen gerecht werden, unsere Zunft voranbringen und unseren Brüdern helfen. Wir beide sind stolz Hexer zu sein, und das zu tun, was wir tun.“ „Ach Wolf. Der Stolz darauf ist schon lange dahin. Das wird dir in 80 Jahren gewiss auch so gehen.“, antwortete der alte Hexer.
Am nächsten Tag, standen die drei vor der Taverne an der Wegscheidung. Ein Weg kam von Westen, einer führt nach Süden, und einer nach Osten, auf das Kestrelgebirge zu. „Der Zeitpunkt der Verabschiedung, meine lieben Herren.“ Die Schmugglerin wollte südwärts reisen, gen Novigrad. Charlotte und Valerian umarmten sich freundschaftlich. „Ich habe noch was für dich Opa…“, sie kniete sich hin, und fummelte in dem Schaft ihres Stiefels – und zog ein Schmuddelbildchen heraus, dass sie behände in Valerians Gürteltasche steckte. „Hier – mein letztes seit dem Firi-Vorfall… war eigentlich für schlechte Zeiten gedacht – oder schwierige Bestechungen…“ Valerian lachte. „Danke dir Charlotte, ich nehme diese Bestechung von dir gerne an – und beim Wiedersehen sagst du mir, womit ich mich für diese Bestechung dann revanchieren muss.“ Valerian trat zurück, und ließ Volmar nun Raum für die Verabschiedung. Er und Charlotte schauten Valerian aber nur erwartungsvoll an, und etwas betreten. „Achso… ich nun ja, gehe ein paar Schritte vor.“ Valerian räusperte sich, nickte Charlotte zu und schritt gemütlich voran auf die Oststraße zu, wo ihre Pferde schon bereitstanden. Hätte Valerian seine übermenschlichen Hexersinne genutzt, hätte er gewiss gesehen, wie sich Charlotte und Volmar inniglich küssten, bevor sie sich mit einer Umarmung verabschiedeten – aber so etwas hätte Valerian gewiss nie getan, so wie wir ihn kennen, nicht wahr? Er zog stattdessen lieber die Motivationskarte aus seiner Tasche, die Charlotte ihm zusteckte: Sie zeigte einen fetten, betrunkenen Zwerg in unerotischer Pose, der herzhaft rülpste. Er lächelte und stieg in den Sattel auf die treue Brunhild.
So begannen die beiden Hexer mit der letzten Etappe ihrer Reise. Ihr Weg führte über das Kestrelgebirge und seinen Gebirgspass bei Caingorn aus bis nach Kaedwen und die Stadt Aed Gynvael. Auch dort rasteten Sie eine Nacht in einem ordentlichen Wirtshaus, um sich dann weiter ostwärts aufzumachen und der Zielgeraden zu folgen – dem Fluss Gwenllech.
„Ich habe vergessen, wie schön euer Tal ist, Wolf.“, sagte Valerian auf seiner Schimmelstute und bestaunte die Kulisse von Kaer Morhen: In der Talmitte schlängelte sich der türkise Fluss Gwenllech zu dessen rechter Uferseite sie auf einem breiten, erdigen Trampelpfad ritten. Der Fluss war umgeben von grünen Gräsern mit Schneeresten im Schatten, in einem Tal, das von saftig grünen Nadelwäldern gesäumt war, die mit steigender Höhe immer mehr und mehr Schneeweiß zeigten. Eingerahmt wurde das Tal von zwei Gebirgsausläufern der Blauen Berge, des Bergmassivs, auf das sie zuritten. Vor selbigem, in die Gebirgsflanke eines Berges gebaut, lag die Höhenburg Kaer Morhen, gerade rund tausend Schritt entfernt. Volmar auf seinem Rappen hingegen antwortete nicht keck oder stolz auf Valerians Satz – er sah vor dem geistigen Auge die Kulisse in dunkler Silhouette, gekrönt von Rauchsäulen und Feuersschein am Horizont, und hörte die Schreie von… „Volmar?“, Valerian stupste ihn an. Vargheist wieherte besorgt. Der Wolfshexer blinzelte kurz, und nickte. „Ja… gewiss, gewiss Valerian. Jetzt folg mir.“ Er gab dem Rappen die Sporen und wechselte in einen leichten Galopp. Sie ritten den Pfad weiter flussabwärts, bis sie zu einem kleinen Wasserfall kamen. Kurz danach wurde das Flusswasser seichter. Volmar ritt voran und preschte durch das knöchelhohe Wasser der Furt. Die vorher breite Straße wurde nun ein schmaler Trampelpfad, durch hohe Gräser und scharfkantige Felsen. Rechts von Ihnen wurde der Gwenllech breiter, und bildete sogar einige kleine Felsinseln, mit Fichten besetzt, optisch gekrönt von der Ruine der einst stolzen Wolfshexerburg. Sie folgten dem Pfad durch die Idylle weiter, bis direkt neben ihnen eine Holzkonstruktion im Boden begann sich nach vorne hin auszudehnen. „Das hier ist der Damm. Vor hunderten Jahren war hier eine Eisenmine. Der Damm machte die Zeche erst bewirtschaftbar. In jüngerer Historie hatten wir hier eine der Schmieden für die Hexer. Ich weiß, dass dort noch einige Bücher liegen – die können wir inspizieren.“ Volmar nickte nach links, einen steinigen schmalen Weg entlang, der in eine schattige Kluft eines Bergausläufers führte.
Der Pfad führte schlängelnd an den scharfkantigen Flanken der Kluft vorbei, bis zu einem alten Stolleneingang. Die Hexer traten in die allumfassende Dunkelheit und ihre Katzenaugen weiteten sich. „Rechts entlang.“ Volmar schritt voran. Sie durchquerten zwei Abbiegungen und kamen an einem eingestürzten Schacht vorbei zu einer großen Höhle mit Stalagmiten und Stalaktiten. „Hey Volmar, wie kann man sich Stalagmiten und Stalaktiten merken? Mieten steigen – Titten hängen…“, plauderte Valerian. „Valerian… jetzt nicht bitte.“ Valerian räusperte und besann sich. Dieser Ort könnte genauso wie die Höhle der Kräuterprobe ein Platz unschöner Erinnerungen sein, und kein passender für Scherze. „Verzeih.“ Valerian nahm eine feine magische Schwingung wahr. Ihm fielen einige unförmige Steinklumpen am Boden auf. „Volmar schau: Ein Golem stand hier. Wenn du dich konzentrierst, nimmst du noch die Schwingungen des Konstruktes oder seines Befehlszaubers wahr…“ Der Wolf nickte. „Tatsächlich. Einer meiner Brüder erwähnte, dass hier bis vor kurzem einer noch wache gehalten hatte. Komm mal her Valerian.“ Sie gingen weiter durch die Höhle in einen zweiten großen Raum. Dieser war versehen mit einem großen Ofen in der Mitte, Schwertständern an der rechten Seite und Arbeitstischen an der linken, daneben noch einigen Regalen. Wenngleich einige Bücher in den Regalen standen, befand sich in diesen nichts, was für die Kräuterprobe relevant wäre – dort ging es hingegen mehr um Geheimnisse der Metallurgie und der Schmiedekunst. „Die nehme ich mit.“, sagte Volmar.
Sie verließen die Mine am Nachmittag und ritten weiter über den löchrigen Damm, zurück zur Hauptstraße. Diese passierte den Fluss an einer flachen Furt und gabelte sich dann kurz vor der Burg Kaer Morhen. Sie bogen links ab und ritten weiter den Weg entlang nordwärts, und durchquerten die Felsenschlucht zwischen der Hauptburg und einer Turmruine auf einem einsamen Felsvorsprung neben der Burganlage. Nachdem sie die Burgmauern über sich passierten, öffnete sich vor ihnen das Tal erneut und wurde breiter. Jetzt zeigte sich ein kleiner Blick durch weitere Talschlängelungen nordwärts auf den glänzenden See von Kaer Morhen. Sie hielten aber nicht weiter darauf zu, sondern ritten nordwestlich in das Hügelgebiet vor dem See einen schmalen Pfad entlang, vorbei an den abgebrannten Ruinen ehemaliger Holzbehausungen. Der Weg führte direkt in das Gebirge, mehrere hundert Meter steil bergauf. Mit jedem Schritt schloss sich die Schneedecke mehr um das aufstrebende Gras. Irgendwann führte die Serpentine auf einen Felsvorsprung, auf dem sich den Hexern eine Höhle auftat. „Wir sind da. Hier ist es… passiert.“ Sie stiegen von den Pferden ab, schritten durch den knarzenden Schnee und betraten schweigend die Höhle, die aus einem schlauchartigen Höhlengang voller Stalag… zapfen bestand. Das Echo ihrer Schritte war gewaltig – ‚so mussten auch die Schreie der Burschen gewesen sein‘ dachte Valerian sich dabei, aber sagte nichts. Die Höhle selbst öffnete sich nach kurzer Zeit etwas in ihrer Breite. Valerian machte an der linken und rechten Wand alte Fackeln in rostigen, eisernen Fassungen aus, und entzündete diese mit einer magischen ‚Igni‘-Geste. Der Fackelschein gab die Details der Höhle frei: An den Wänden zwischen den knorrigen Steinsäulen der Stalagmiten waren Höhlenmalereien, oder eher Skizzen mit weißer Farbe an der Wand. Hier war der Boden teilweise mit Pflastersteinen geebnet worden. In drei Ausbuchtungen der großen Höhle am Ende des Durchgangs, waren gitterartige Tische aus gebogenen Metallstreben platziert, einige Bücherregale, Tische, Urnen und Bottiche. Valerian und Volmar sahen sich schweigend um. Volmars Blick war auf einen der Metalltische geheftet. Es dauerte, bis er sich von dem Anblick und den üblen Gedanken daran losreißen konnte. Valerian hob ein Blatt vom Boden auf, eine herausgerissene Seite aus einem tabellarischen Register: „… Manfred von Verden, 8, Tod nach Verabreichen des zweiten Kräuterabsuds, Leberversagen. Gisbert von Daevon, 10, Tod nach Verabreichen von Aristida, multiples Organversagen…“ Valerian sparte es sich, den Rest vorzulesen. Ohne dass Volmar es kommentierte, spürte Valerian, dass es so besser sei. Er sah weitere Pergamente auf dem Boden liegen, sammelte wie bei einer Schnitzeljagd die Seiten ein und sortierte die gefundenen Ablaufberichte. Volmar trug eine kleine Urne in der Hand: „Hier. Nimm die mit. Man kann bis heute noch die Mutagenmatsche da drin riechen. Vielleicht hilft es euch ja bei der Entschlüsselung der Formel.“ Valerian sah alle Bücher, Hefte, Kataster und Berichte im Schein alter Fackeln durch. Bei jedem Werk schaute er Volmar mit einem fragenden Blick an, und dieser nickte zustimmend – dann stapelte Valerian die relevanten Dokumente geordnet auf einen Haufen in der Höhlenmitte, neben der Urne mit der stinkenden Mutagenpampe. Mehrere Stunden verlief das so. Sie fanden etliche Versuchsprotokolle, Beschreibungen von Autopsien an den ersten missglückten „Versuchsobjekten“, die Aufschlüsselungen von Versuchsreihen verschiedener erster Mischungen… aber niemals die finale Mixtur der Kräuterprobe, die die Wolfsschule zuletzt nutzte. Immerhin ließen sich einige Inhaltsstoffe und Reagenzien klar bestätigen, wie Germer, Haargerste, Nachtschatten oder Wolfsbann, oder einige Stoffe auch dementieren. „Saleha und Eiwa werden Luftsprünge machen. Ich denke, das wird ihre Forschung immens beschleunigen. Danke Volmar…“, sagte Valerian. Volmar grummelte in Zustimmung. Er inspizierte konzentriert die vermeintlichen Foltertische, diverse Kräuterstößelapparaturen, Bottiche für Kräutertees und, so wie Valerian auch, Bücher – viele Bücher. Plötzlich spürten die Hexer ein Zucken ihrer Medaillons, und die Stimme eines Kindes rief in schwachem Echo: „Ich fühle mich nicht gut Meister… macht mich los! Bitte!“ Die Hexer schwiegen eine Weile. Dann sagte Volmar „Bitte… lass uns hier fertig werden.“
Sie beschleunigten ihr Vorhaben und packten einige Dokumente ungelesen zu dem Stapel in der Höhlenmitte. Auch zwei weitere Urnen haben sich zu den Fundsachen dazugesellt. Alles wurde in mehrere kleine Transportbeutel aufgeteilt, und draußen den wartenden Brunhild und Vargheist an den Sattel geschnürt. Ihr Atem dampfte in der Kälte, denn die wärmende Sonne war längst untergegangen und das Mondlicht untermalte die gespenstische Stimmung des tragischen Ortes. „Es gibt in Kaer Morhen noch einige Bücher die relevant sein könnten… dort reiten wir nun hin, und natürlich, um dort die Nacht zu verbringen. Ich bitte dich, das Reden nach Möglichkeit mir zu überlassen. Und denk an unsere Abmachung: Kein Wort über unsere Unternehmung, Valerian… und alle Dokumente kommen nach dem Abschluss eurer Forschung wieder zu mir zurück.“ Der Alte nickte: „Ich schwöre.“ Sie sprangen auf die Pferde, welche freudig wieherten darob die windige Klippe verlassen zu dürfen und so ritten sie bei hellem Vollmond gemächlich Richtung Tal.
In der Talsohle angekommen ritten sie im langsamen Schritt die Serpentine hoch bis zur Zugbrücke, die über den Burggraben reichte. Vor den beiden erhob sich in der Nacht die Außenmauer und das Tor von Kaer Morhen, voller Löcher und Makel im Mauerwerk. Die Spuren des Angriffs auf die Burg vor etlichen Dekaden, waren immer noch im hellen Mondlicht gut zu sehen. „Komm schon!“, rief Volmar. Sie ritten durch das hohe, schlanke Burgtor durch eine zugige Vorhalle in den ersten Burghof. Valerian hielt inne: Die Burg war auch von dieser Perspektive aus in einem desolaten Zustand. Löcher im Mauerwerk, teilweise dilettantisch geflickt. Morsche Gerüste standen planlos herum und einsame Balken und Bretter verteilten sich über Wände und Böden. Wild wucherndes Unkraut aus jeder Ritze. Er wollte es gerade kommentieren, da hielt er sich doch mit seiner Äußerung zurück: Jemand, dessen Burg gerade erneut zerstört wurde und der gar kein Zuhause mehr besaß, hat sich kritische Kommentare zu der Wolfshexerresidenz zu verkneifen. Außerdem stand es um die Geldgeber der Wolfshexer bestimmt schlechter, als um die der Greifenschule. So hatten sie doch viel Ähnlichkeit miteinander, die Burg der Wölfe und die der Greifen: Beide angegriffen und verwüstet durch wütende Meuten.
Valerian löste sich von den Gedankenspielen. Sie sattelten ab, kümmerten sich um die Pferde und durchschritten die drei verwüsteten Burghöfe der Außenburg, bis sie vor einem großen Portal aus massiver Eiche standen, das in die Innenburg führte. Sie traten ein, und die Hexer rochen den einladenden Duft von Fichtenholzrauch und gekochtem Gulasch. Sie schritten durch die beiden Vorzimmer in die große Haupthalle. Während Valerian die hohen gotischen Deckenbögen und Fensterformen bestaunte, rief Volmar mit einem Echo: „Jemand Zuhause?“ „…Volmar?“ Von rechts hinten her, wo das Kaminfeuer loderte, stand ein Mann auf und kam den beiden Hexern entgegen: Er hatte glatte dunkle Haare und eine verheerende Narbe auf der rechten Wange. „Eskel! Es ist sehr schön dich zu sehen. Bist du alleine hier?“ „Nein. Die anderen schlafen schon, ich bin noch als einziger wach. Wer ist dein Begleiter?“ „Ich möchte dir jemanden vorstellen: Valerian. Er ist ein alter Hexer der Greifenschule.“ Valerian nickte Eskel freundlich zu. Dieser antwortete mit einem Lächeln: „Sehr erfreut, Valerian. Ich bin Eskel. Kaer Morhen hatte immer wieder in seiner Geschichte Angehörige anderer Schulen zu Gast. Sei also willkommen. Bist du ein Freund Volmars, bist du auch mein Freund… Wildgulasch?“
Im Laufe einer ausgiebigen Mahlzeit am Tisch vor dem Kaminfeuer, kamen die drei ins Gespräch. Erst tauschten sich Volmar und Eskel ausgiebig über deren letzte Reisen und Aktionen aus – abgesehen natürlich von dem tatsächlichen Vorhaben, das Volmar und Valerian hier verfolgten. Eskel hakte zum Glück nicht näher nach, weswegen genau die beiden „hier zufällig auf der Durchreise“ waren. Dann irgendwann, nach einer Zeit des respektvollen Zuhörens, klinkte sich der alte Hexer in das Gespräch ein: Valerian berichtete, dass er noch vor der Verwüstung der alten Greifenschule Kaer y Seren und vor dem großen Angriff auf Kaer Morhen einmal die Wolfsschule besuchte. Er war damals noch ein junger Grünschnabel, so erzählte er, und berichtete, wie er einige Bücher aus der berühmten Bibliothek Kaer y Serens nach Kaer Morhen zum Großmeister der Wölfe brachte. Die Drei unterhielten sich ausgelassen über diesen oder jenen Hexer, die sie kennen und kannten und schwelgten in amüsanten Erinnerungen an ihre Ausbildung oder die harte Schule des alltäglichen Hexerdaseins. Die Stimmung war gelockert, also traute sich Valerian: „Welches Vieh hat dir das verpasst?“ und deutete mit seinem Holzlöffel, von dem rote Gulaschsoße tropfte, auf Eskels rechte Gesichtshälfte. Der Narbengesichtige schwieg einen Moment, Volmar blickte betreten in seine Holzschüssel. „Das schlimmste Monster von allen, Valerian. Das Schicksal… Mein Kind der Überraschung hat mich damit überrascht. Ich möchte nicht darüber reden.“ Der Alte nickte verständnisvoll. Eskel wechselte das Thema: „Die Greifenschule… erzähl mir doch mal ein bisschen: Wo treibt ihr euch jetzt herum? Wie viele gibt es noch von euch? Und sag mal… kanntest du eigentlich Coën?“ Valerian hob die Augenbrauen: „Ja, natürlich. Aber was heißt ‚kanntest‘?“ Volmar und Eskel warfen sich einen eindeutigen Blick zu. Eskel berichtete sachlich: „Coën hielt es nicht so mit der üblichen politischen Neutralität der Hexer. Er kämpfte für die nördlichen Königreiche in Brenna. Die Schwarzen haben ihn niedergestreckt in der Schlacht…“ „Verdammt. Er war ein feiner Kerl. Doch wenigstens gehört er zu den wenigen Hexern, dessen Todesumstände seiner Zunft bekannt sind – ein seltenes Phänomen in unserem Berufsstand.“ Eskel sparte sich die pikante Geschichte, dass der Tod Coëns in diesen Hallen, in denen Sie Wildgulasch aßen, von einem Medium vorausgesagt wurde.
Wieder wurde das Thema gewechselt: Valerian ging auf Eskels weitere Fragen ein und erzählte von den vielen Schicksalsschlägen der Greifenschule, erst in den Drachenbergen bei Kaer y Seren, dann in den Amellbergen bei Haern Cadwch und schließlich von Kaer Iwhaell und seiner jüngeren Geschichte. Danach fiel Valerian in bedrückende Gedanken, und eine sorgenvolle Miene breitete sich auf seinem Gesicht aus. Volmar wusste Rat: „Mein lieber Valerian – ich glaube es wird Zeit für eine Fortsetzung unseres Lieblingstrinkspiels aus Ylos: ‚Ich Hexer hab‘ noch nie…‘…“ Eskel lachte laut auf: „Ich hol drei Flaschen weiße Möwe!“ Und so verbrachten die drei ungleichen Monsterjäger einen sagenhaften Abend mit drei Flaschen ungemein starkem, halluzinogenem Hexerschnaps und einem Trinkspiel, bei dem man dann trinken muss, wenn man auf die Frage des Gegenübers hin zu einer Monsterspezies in der Vergangenheit einen Hexerauftrag zu dem Monster versaut hat – und diese amüsanten Geschichten dazu wurden von den Dreien bei schallendem Gelächter in der Halle von Kaer Morhen vor dem Kaminfeuer erzählt, bis tief in die Nacht hinein.
Die strahlende Morgensonne traute sich endlich über die Bergspitzen der Blauen Berge und wärmte den Rücken von Volmar und Valerian und begann den Frost der alten Welt zu schmelzen. Mit gefüllten Taschen ritten sie schweigend und herb verkatert die Straße neben dem kalten Gwenllech entlang. Vargheist und Brunhild schnaubten, und Dampfschwaden verließen ihre Nüstern. Volmar brach die kopfschmerzbedingte Stille: „Sag mal Valerian… einen Platz weiß ich noch, der interessant sein könnte für unsere Reise. Die Wolfshexer hatten vor wenigen Jahren Bekanntschaft gemacht mit einer Bande namens Salamandra, die Wissen um die Kräuterprobe gestohlen haben soll vor einigen Jahren. Diese Geheimnisse wurden zwar weitestgehend von meinen Brüdern zurückerobert – doch existiert da angeblich bei Wyzima ein Labor oder Unterschlupf der Salamandra, dass wir noch inspizieren könnten… was meinst du?“ „Worauf warten wir? Wir werden nicht jünger. Reiten wir los, durch eisige Bergpässe, bevor du deinen jungen Stolz aufs Hexerdasein verlierst, lieber Volmar. Aber selbst, wenn es soweit ist, keine Sorge: Du gehörst jetzt zur Familie.“, Valerian gab seinem Rappen die Sporen und galoppierte voran. Volmar lachte kurz, dann schmunzelte er. „… möge unsere Welt unter einer neuen Sonne wiedergeboren werden.“ Sagte er bei sich und galoppierte dem alten Hexer hinterher. Er meinte noch das Kreischen einer Möwe zu hören, doch ist dies gewiss unmöglich bei der unendlichen Distanz zur Meeresküste.
Das letzte Gefecht um Kaer Iwhaell
Das letzte Gefecht um Kaer Iwhaell
Metagame
Von Peter
Kapitel 1 – Abschied
Greifenburg Kaer Iwhaell, Solonia, Winter 1279
Der Großmeister der Greifenhexer Valerian „Draugr“ von Novigrad stand in seinem grauen Morgenmantel mit einer Tasse heißen Kräutertee auf dem Balkon vor seinem Gemach und schaute hinunter zum verschneiten Innenhof der alten Burg Kaer Iwhaell. Vier seiner verbliebenen fünf Schüler waren gerade dabei, ihre morgendlichen Übungen im Innenhof zu absolvieren. Der ehemalige nilfgaarder Soldat Atheris lieferte sich gerade einen erbitterten Schwertkampf mit Viktor. Die Fähigkeiten der beiden hatte sich in den letzten Monaten erneut deutlich verbessert. Valerian nickte zufrieden und er wendete seine Aufmerksamkeit auf seine beiden jüngsten Schüler. Logan und Egon mussten härter als seine anderen Schüler an ihrer Physis arbeiten, um den Nachteil der fehlenden Kräuterprobe zumindest ein wenig ausgleichen zu können. Das Wissen um die Kräuterprobe, welche die Mutationen bei den Hexern erzeugte, war verloren gegangen. Valerian war strickt dagegen einen seiner Schüler ohne die verbesserten Fähigkeiten auf Monsterjagd zu entsenden, er musste einen Weg finden, das Wissen zurück zu erlangen. Er blickte zu seinem Gepäck, das vor seiner Kleidertruhe für die anstehende Expedition bereitstand. Auf dieser würde er auf die Suche nach dem verlorenen Wissen gehen. Außer den Hexern waren inzwischen viele Bewohner aus dem naheliegenden Dorf ‚Treuhall‘ damit beschäftigt, verschiedenste Kisten, Fässer und Truhen auf Ochsenkarren zu verladen. Gerade erst verließ ein vollbepackter Wagen die Tore in Richtung Hafen an der Elfenküste, um einen Teil der Bibliothek vor dem kommenden Untergang zu bewahren – zumindest was von der Bibliothek nach deren Diebstahl und der langsamen Restaurierung des Bücherbestandes übrig war. Valerians Blick richtete sich zum Himmel. Obwohl die Sonne bereits aufgegangen war, konnte er die Ursache der sich anbahnenden Katastrophe deutlich sehen: Der Mond am Firmament war vor vier Monaten in drei Teile zerbrochen, hatte seine Bahn verlassen und stürzte nun unaufhaltsam auf sie zu. Einige Gelehrte, die Valerian gut kannte, hatten geschätzt, dass im Winter nächsten Jahres der Himmelskörper einschlagen würde, wobei schon deutlich früher Umweltkatastrophen eintreten würden. Valerian hatte daraufhin die Evakuierung von Kaer Iwhaell befohlen und dafür die wenigen Goldreserven verwendet, die er auf die Schnelle zur Verfügung hatte. Sein Ziel war es, soviel Ausrüstung wie möglich zu retten. Die ‚Funkenflug‘, eine alte Handelskogge, die den Greifenhexern gehörte, lag an der Elfenküste vor Anker und wartete auf ihre wertvolle Ladung. Mit dem Schiff würden alle durch die geheime Nebelbank, die vor dem Kontinent Solonia lag und eine Art permanentes Portal bildete, dessen Ursprung Valerian nicht kannte, in die ‚alte Welt‘ gelangen. Einige Minuten verharrte der alte Mann in seiner Beobachterrolle und rief dann laut in den Hof hinunter: „Versammlung in fünfzehn Augenblicken!“ Er drehte sich um und schritt in das Innere der Räumlichkeiten. Viele von seinen persönlichen Sachen waren bereits verladen worden, wodurch der Raum kalt und ungemütlich wirkte. Erneut musste er also ein ihm lieb gewonnenes Heim aufgeben. In seinem, mit vielen Fellen ausgestatteten Bett, lag noch eine blonde Elfe, die ihn halb verschlafen zulächelte, während er sich anzog. Nella würde ihn auf der anstehenden Reise nicht begleiten und dieser Umstand machte ihn, obwohl er doch ein vermeintlich gefühlsloser Hexer war, sehr traurig. Valerian verließ sein Quartier, lief den langen Gang des Wohntraktes entlang, blickte in die leer geräumten Zimmer und gelangte über eine lange gewundene Treppe hinunter. Wenig später waren alle Bewohner von Kaer Iwhaell in der gemütlichen Halle des Marstalls versammelt. Neben den Greifenhexern waren noch die blonde Elfenmagierin Nella, der Händler und Dienstleister Heskor, sowie der Wolfshexer Volmar von Brugge mit seiner Begleiterin Charlotte anwesend. Valerian war ein Führer wider Willen und mochte keine großen Reden halten, deswegen fasste er sich wie immer kurz und knapp: „Die Vorbereitungen zur Evakuierung laufen seit Wochen und sind fast beendet. Die wichtigsten bürokratischen Angelegenheiten hier sind ebenfalls geklärt. Volmar, Charlotte und ich werden heute Mittag bereits abreisen. Ich habe Volmar versprochen, ihn auf der Suche in Kaer Morhen nach essenziellem Wissen für die Zukunft unserer Schule zu unterstützen. Hoffentlich gelingt es mir, das benötigte Wissen bezüglich der Kräuterprobe zu erlangen, an der Saleha und Eiwa so emsig mit uns forschen… wir werden sehen.“ Valerian machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr „Atheris, ich bitte dich die Evakuierung von Kaer Iwhaell wie besprochen zu Ende zu führen. Wir sehen uns dann im Frühjahr in der Leuenmark, bei der Fischzuchtanlage von Alastriona wieder. Noch Fragen?“ Valerian blickte in die Runde und Atheris zeigte ihm mit einem Nicken, dass er verstanden hatte. Der Großmeister der Greifenhexer wartete bis alle den Raum verlassen hatten, um ihren Aufgaben wieder nachzugehen und rief dann nochmal seinen ältesten Schüler zurück. „Atheris, noch eine Sache! Eigentlich war geplant, das Artefakt nun in Bruenors Koschbasalttruhe zu lagern… ich hab mich umentschieden. Du hast bisher gute Arbeit geleistet und die Maske stets in sicherer Bewegung gehalten. Hier – nimm sie erneut an dich“ er drückte dem großen Hexer eine versiegelte, kompakte Truhe in die Hand und fuhr fort, „ich vertraue dir das Artefakt an, erneut. Du kennst die Gefahr und die Macht, die damit verbunden ist, also bleibe nach der Abreise immer in Bewegung, halte dich von Ärger fern und wir treffen uns in einigen Wochen am verabredeten Treffpunkt wieder!“, Valerian packte seinen Schüler noch einmal kräftig an dessen breiten Schultern, schaute ihm tief in die katzenhaften Augen und wendete sich dann ab. Er schritt aus dem Marstall, und traf im Flur den wartenden Volmar – der ihm verstehend zunickte: Sie gingen zusammen in Valerians Studierzimmer: es gab noch einiges vor der Reise mit dem Wolfshexer unter vier Augen zu besprechen.
Am späten Nachmittag war der Moment des Abschiedes gekommen. Während Volmar und Charlotte bereits auf ihren Pferden saßen, befestigte Valerian noch seinen Schlafsack hinten am Sattel. Die restlichen Bewohner der Schule hatten sich am Tor versammelt und unterhielten sich angeregt miteinander. Nachdem der alte Hexer auch seine Schwerter verstaut hatte, schwang er sich auf seine Schimmelstute ‚Brunhild‘, nickte nochmal allen zu und gab dann seinem Tier die Sporen. Die drei Gefährten ritten durch das offene Tor, folgten der geraden, bergab verlaufenden Straße durch das Dorf und erreichten nach einigen hundert Metern das offene Feld.
Atheris stand noch einige Zeit mit Logan auf der Burgmauer und beobachtete die Abreise seines Meisters. Als die drei Reiter am Horizont verschwunden waren, drehte er sich zu seinem Freund um und sagte mit einem Lächeln im Gesicht: „Scheint als ob wir die Ehre haben, als letzte die Lichter auszumachen. Komm, es gibt noch einiges zu erledigen, bevor wir uns ebenfalls zum Hafen aufmachen!“ Der jüngere Hexer schüttelte seinen blonden Schopf und folgte seinem Freund in den Hof, in dem die anderen Schüler bereits warteten.
Die Wintersonne war hinter der alten Burg untergegangen, die letzten Dorfbewohner stellten ihre Arbeit für den Tag ein und die verbliebenen Bewohner von Kaer Iwhaell hatten sich im umgebauten Marstall versammelt. Diese Halle war in den letzten Jahren maßgeblich das Zentrum der Burg gewesen. Vorlesungen, Festmahle, Trainingshalle und so manch einen feuchtfröhlichen Abend hatten die Hexer in den letzten Jahren hier erlebt. Nun wirkte die Halle kahl, die Einrichtung war bereits auf die Ochsenkarren verladen worden und nur der letzte Eichentisch mit zwei langen Bänken stand noch an seinem angestammten Platz. Die Tischplatte war alt und erzählte durch ihre Flecken und Gravuren so manch eine unterhaltsame Geschichte. Da waren zum einen eine fast schon künstlerische Gravur, welches die Wappen der größeren nördlichen Königreiche in einem Quadrat darstellte, welches von der großen flammenden Sonne Nilfgaards umgeben wurde. Böse Zungen behaupteten es sei der nilfgaardische Hexer Atheris gewesen, der dieses Meisterwerk in den Stammtisch geschnitzt hatte, doch dieser widersprach selbst nach dem siebten Schnaps noch und leugnete, dass er für dieses Werk verantwortlich war. Logan hatte eine seiner Eroberungen künstlerisch auf der Platte verewigt und zuletzt gab es noch einen großen roten Fleck, der tief in die Poren des Holzes eingedrungen war und trotz mehrmaligen Schrubbens nicht mehr zu entfernen ging. Diesen legendären Fleck hatte Großmeister Valerian persönlich verursacht und wurde nur liebevoll von seinen Schülern als ‚Pax Valerian‘ bezeichnet. An ihrem letzten Abend, saßen nun die verbliebenen Greifen an ihrem Lieblingstisch und feierten ein letztes Mal. Atheris hatte den Abschied von Kaer Iwhaell als Anlass genommen, seine letzte Flasche ‚Est Est‘ zu öffnen und jedem seiner Freunde einen Schluck des besten und erlesensten Weines aus seiner Heimat Toussaint zu spendieren. Nach dem alle Kelche gefüllt waren, erhob sich Atheris und begann zu sprechen: „Meine Freunde, wenn ich mich in unserer erlauchten Runde umschaue, stelle ich fest, dass wir alle verschiedene Vaterländer haben. Der Begriff Vaterland fühlt sich männlich an. Vaterland kann blutrünstig sein. Vaterland ist gerade in Redanien und Temerien –aber nicht nur dort – auch ein missbrauchter Begriff. Für das Vaterland wurden schreckliche Kriege begonnen. Ich selber habe drei dieser Kriege jahrelang erlebt und bin zu der Erkenntnis gelangt, dass ich mir wünsche, dass es in jedem Staat Männer geben möge, die über die Vorurteile der Völkerschaft hinwegsehen könnten, und genau wüssten, wo Patriotismus Tugend zu sein aufhört. Vor nunmehr fünf Jahren begegnete ich bei einem Sommerfeldzug per Zufall unseren Großmeister Valerian und auch, wenn es noch einige Zeit dauerte, fand ich hier bei den Greifen eine neue Familie, eine neue Heimat.“ Atheris machte eine rhetorische Pause und blickte seinen Freunden einzeln in die Gesichter bevor er fortfuhr. „Heimat! Heimat fühlt sich weiblich an. Heimat bietet Schutz, wie der Schoß einer Mutter. Heimat ist ein Ort der Geborgenheit, der freien Entfaltung, ein Ort der Liebe. Heimat kommt von ‚Heim‘, von Haus. In diesen Tagen starren die Bewohner Solonias genauso wie wir aus unseren Häusern gen Himmel und betrachten den Mond, wie dieser unsere Welt zu zerstören droht. Wir haben die Wahl, erneut gegen die unbesiegbar erscheinenden Lichtelfen ein letztes Mal ins Gefecht zu ziehen oder die Flucht. Pest oder Cholera. So oder so, wir verlieren alle unsere Heimat Kaer Iwhaell. Aber ich frage euch, was macht Kaer Iwhaell aus? Die alten Mauern? Diese Halle hier? Der Tisch an dem wir sitzen? Nein! Meister Valerian hat es bereits vor zwei Jahren bei der Belagerung durch die Redanier richtig erkannt: Wir sind Kaer Iwhaell, wir sind die Greifen und unsere Heimat ist da, wo wir sind! Also lasst uns an diesem letzten Abend kein Trübsal blasen, denn wir schlagen Morgen ein neues Kapitel in der Geschichte der Greifenschule auf! Deswegen lasst uns nicht auf unsere Vaterländer anstoßen, sondern auf unsere Heimat! Auf uns!“ Atheris erhob den Kelch und die anderen Greifen standen von ihren Plätzen auf und erwiderten die letzten Worte unisono. Es sah so aus, als ob es ein feuchtfröhlicher Abend werden würde. Während sich die Hexer eine interessante Geschichte von Logan über eine seiner Eroberungen anhörten, bemerkte Heskor, dass die Elfenmagierin Nella gedankenversunken auf Valerians freien Platz starrte. Der alte Haudegen nahm seinen Kelch und setzte sich zu ihr „Alles in Ordnung meine Liebe?“ fragte er. Sie blickte Heskor an und antwortete mit einem Lächeln: „Ich musste gerade an die letzten Jahre hier auf Kaer Iwhaell denken. Die Zeiten hier waren nie einfach gewesen, aber wir haben viele Freunde kennen gelernt und auch Gutes bewirkt. Nun geht unsere Zeit hier zu Ende, wir haben unser Heim so gut wie geräumt und viele Gefährten der letzten Jahre haben uns inzwischen verlassen, um eigene neue Wege zu gehen. Valerian ist zu seiner Expedition aufgebrochen, Raaga wird irgendwo in Skellige unterwegs sein und auch wir machen uns demnächst auf den Weg in die Leuenmark. Das ist wirklich das Ende eines Kapitels!“ Heskor trank einen Schluck und betrachtete den Honigwein in seinem Kelch, bevor er ebenfalls anfing zu philosophieren „und gleichzeitig der Anfang einer neuen Geschichte. Ich sehe es wie Valerian und Atheris: Wir sind eine Familie und egal an welchem Ort wir uns befinden, die Wege führen uns wieder zusammen. Diese alte Burg hat ihren Zweck als Heimat und Schule erfüllt und ich für meinen Teil freue mich auf die Leuenmark. Wir haben viele sehr gute Freund dort und ich bin überzeugt davon, dass wir dort die Schule wiederaufbauen werden!“ „Ja, ich freue mich auch auf das Neue, aber es fühlt sich schon so an, als wenn wir die Menschen hier in Solonia im Stich lassen…“ fuhr die Elfe fort. Der Unternehmer Heskor hob die Schultern und erwiderte pragmatisch wie er war: „Fast göttliche Wesen, die den Mond zerbrechen lassen können… Zeitblasen und deren Explosionen, von denen ich nichts verstehe und vieles mehr…“ er schwieg einen Moment „Nein, ich sehe wirklich nicht, wie wir hier noch von Hilfe sein können! Das Unheil zu verhindern haben wir die letzten drei Jahre versucht, und die Situation ist nach jedem unternommenen Schachzug schlimmer geworden. Dass wir alle noch am Leben sind, grenzt an ein Wunder!“ Nella war mit ihren magischen Fähigkeiten eine der Wenigen gewesen, die beim letzten Feldzug noch etwas bewirken konnte, aber auch sie gestand sich ein, dass sie hier und jetzt nicht mehr viel ausrichten konnte. Gerade als die Magierin wieder ihr Wort erheben wollte, wurde die Tür zur großen Halle aufgerissen und ein völlig entkräfteter Raaga stürzte hindurch. Geistesgegenwärtig sprangen Viktor und Atheris von der Bank auf und stürmten die zehn Meter bis zur Tür und schafften es gerade noch ihn aufzufangen, bevor er den Boden unfreiwillig küsste. Während die beiden älteren Hexer ihren Freund stützend zum Tisch führten, hatte Egon einen frischen Humpen Met besorgt, den der Skelliger dankend in einem einzigen großen Zug leerte. Nella war inzwischen hinter den erschöpften Hexer getreten und begann leise einen magischen Spruch zu skandieren, woraufhin ihre Handflächen ein leicht rötliches Licht abstrahlten. Sie legte die Hände an Raagas Schläfen und der Neuankömmling seufzte angenehm auf. Nachdem Nella mit ihrem Wirken geendet hatte, schien der Patient wieder soweit bei Kräften zu sein, dass er anfing zu berichten „Freunde, wir haben ein ernsthaftes Problem.“
Kapitel 2 – Unerwartete Wege
Ein Tag früher am Rande der Schwertau, Solonia
Die Wintersonne war inzwischen seit einer ganzen Weile untergegangen und der Wind fegte hörbar um die Taverne, in der sich Raaga für die Nacht niedergelassen hatte. Er saß alleine in einer Ecke des geräumigen Schankraums, hatte die Füße auf einen zweiten Stuhl hochgelegt und nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Humpen. „Hmmmm… was für ein beschissenes Gesöff verkaufen die denn hier als Met!“ grummelte er und nahm zur Sicherheit noch einen großen Schluck hinterher, man konnte sich schließlich auch mal irren. Im Schankraum herrschte ein reges Treiben. Er kannte das aus seiner Heimat, den Skellige-Inseln. Besonders wenn die Winter lange und kalt waren, zog es die Bewohner in die Schenken, um die Wärme und Geselligkeit der Gemeinschaft zu suchen. Eigentlich wollte er schon seit Wochen in seiner alten Heimat sein, um einigen privaten Angelegenheiten nachzugehen, aber es kam anders als erwartet. Ein lukrativer Auftrag hatte ihn in der Schwert-Au gehalten und es war ihm erst heute Morgen gelungen, dem Biest ein Ende zu bereiten. Es war sein bisher härtester Kampf gewesen. Das Ungeheuer hatte sich mit allem gewehrt, was es aufzubieten hatte, aber letztendlich hatte seine scharfe Silberaxt sein Ziel gefunden und es erledigt. Nun lag seine Trophäe neben ihm in der Ecke und morgen früh würde er für sie eine stattliche Summe Gold erhalten. Sein Blick wanderte zum stinkenden, triefenden Bündel, bei dem man, mit ein wenig Fantasie, die Umrisse des Basiliskenkopfes darin erahnen konnte. Raaga richtete seine Aufmerksamkeit zurück auf die Leute im Schankraum. Die Stimmung im Raum war bedrückend, die Welt Solonia mit ihrem gespaltenen Mond war dem Untergang geweiht und die Bewohner wussten es. Zwei Bauern, die sich einige Tische entfernt unterhielten, erregten sein Interesse. Die beiden schienen ihn immer wieder zu beobachten und sich über ihn zu unterhalten. Offensichtlich hatten die beiden zwar was von Hexern gehört, aber nichts von ihren guten Sinnen und somit ahnten sie nicht, dass er die beiden teilweise verstehen konnte. „…sie lagern hier ganz in der Nähe! Wir sollten uns anschließen!“ sagte der schwarzhaarige Jüngling mit dem Lockenkopf. „Sie versprechen einen Ausweg! Einen Weg unser aller Leben zu retten! Lass es uns tun!“ erwiderte der Zweite. Die beiden tranken sich noch etwas Mut an und verließen die Taverne. Raaga zögerte einen Moment „Verdammt, was mach ich hier eigentlich!“ fluchte er, schnappte sich seine Sachen, schnippte eine kullernde Silbermünze auf den Tisch und folgte den beiden in die Nacht hinaus.
Er sah wie die beiden über den schneebedeckten Marktplatz des kleinen Dorfes schlenderten, dann in eine Seitengasse abbogen und schließlich die Dorfgrenze überschritten. Ihr Weg führte sie durch ein kleines Wäldchen, über eine Brücke, die über den teilweise zugefrorenen Fluss ragte, hinaus auf die Felder. Raaga war der beste Spurenleser der Greifenhexer und so fiel es im leicht, den beiden mit genügend Abstand und ungesehen durch die Nacht zu folgen. Nach einer Weile sah der Hexer einen breiten Lichtschein hinter einer Anhöhe und als er sich weiter näherte, hörte er tosenden Krach und lautes Stimmengewirr aus der Ferne. „Das müssen ja hunderte sein!“ dachte er sich und schlich von nun an sehr vorsichtig weiter. Er sah, wie die beiden Verfolgten über einen schmalen Pfad die Anhöhe erklommen und aus seinem Sichtfeld verschwanden. Der Skelliger bog vom Pfad ab und kämpfte sich leise durch die dicht bewachsene Böschung nach oben. Die Böschung gab aufgrund des Winters nur bedingt Sichtschutz, aber Raaga rechnete auch nicht mit besonders aufmerksamen Wachen. Schließlich fand er eine geeignete Stelle, die genügend Schutz bot, den Rand der Anhöhe zu observieren. Von seinem kleinen Versteck aus erblickte er ein riesiges Heerlager – wobei ‚Heerlager‘ der falsche Ausdruck war, verbesserte Raaga seinen eigenen Gedankengang. Für ein Militärlager herrschte hier zu viel Chaos, lediglich im Zentrum konnte der Hexer eine gewisse Grundordnung erkennen. Seine Sinne hatten ihn nicht getäuscht: Grob überschlagen sah er an die hundert Zelte und ein Vielfaches an Menschen. In der Mitte des Lagers war ein größerer freier Platz, in dessen Mitte ein großes Lagerfeuer brannte. Hier auf dem zentralen Platz hatte sich ein Großteil der Menschen versammelt; sie trugen lange weiße Roben, die mit einem zerbrochenen roten Vollmond bemalt waren. Auf dem Kopf trugen sie ebenfalls weiße Gugeln, die so tief ins Gesicht gezogen waren, dass man ihre Gesichter nicht erkennen konnte, bei einigen sah es danach aus, dass sie extra Sehschlitze in den Stoff geschnitten hatten. Auf einem Podest stand ein Mann in roter Robe und einem langen rötlichen Vollbart. Er wirkte in Verbindung mit dem flackernden Lichtschein des Lagerfeuers sehr bedrohlich. Dieser Bärtige sprach im lauten, hetzerischen Tonfall zu seinen Anhängern:“… seitdem der unselige, verstorbene König Gernot diesen Bastarden ein Lehen überlassen hat, haben die Probleme in Solonia erst begonnen! Untote Drachen, Dämonenbeschwörungen, adoptierte, betrunkene Trolle, die wahllose Züchtung tollwütiger Wildtiere, ausländische Besatzungsarmeen und Lichtelfen! Selbst die Orks befinden sich auf der Flucht! Der Ursprung allen Übels liegt nicht mehr weit von hier! Ich sage euch meine Brüder! Lasst uns zu ihrer Burg ziehen und sie ein für alle Male ausrotten! Die Götter werden uns ob dieses Dienstes gnädig sein und unsere Welt verschonen!“ die Vorwürfe gingen noch weiter und Raaga musste immer wieder verwundert den Kopfschütteln. Er war dabei gewesen, als die Greifenhexer zum ersten Mal nach Solonia gekommen waren und er hatte die meisten Ereignisse, die nun gegen die Hexer gerichtet wurden, selbst miterlebt. Die Greifen waren während der ganzen Krisen in den letzten Jahren immer an vorderster Frontlinie gestanden und hatten viel bluten müssen, um die Bewohner der Welt zu schützen und nun wurde von diesem Blender alles gegen sie verwendet. Raaga kochte innerlich vor Wut, aber er schaffte seine Emotionen unter Kontrolle zu halten und hörte der Brandrede weiter zu „… Alle neuen Brüder, die sich uns heute angeschlossen haben: Bewaffnet euch, wir ziehen morgen weiter!“ Der Fanatiker sprach noch ein paar weitere Plattitüden, bevor er das Zentrum des Lagers unter tosendem Applaus und lautem Geschrei verließ. Er lief einmal um das Feuer, ließ sich ausgiebig feiern und zog sich schließlich mit einigen Männern und Frauen in ein großes Zelt zurückzog, vor dem zwei Wachen standen. „Die haben sie doch nicht mehr alle!“ grummelte Raaga geschockt, nachdem er die Worte vernommen hatte. Er lag noch eine ganze Weile in seinem Versteck und versuchte, so viele Informationen wie möglich zu sammeln, die für die Greifen relevant werden könnten: Mannstärke, Bewaffnung, Belagerungsgerät, Vorräte und vieles mehr. Unerwartet tat sich ihm auf einmal eine günstige Gelegenheit auf, als einer der Fanatiker sich seiner Position näherte, um auszutreten. Als der Mann seine Hose öffnete, schlich sich der Hexer in einem kurzen Bogen hinter ihn und setzte ihm sein gezücktes Jagdmesser an den Hals. „Da habe ich dich wohl mit runtergelassenen Hosen erwischt! Ist dir etwa kalt? Scheint heute nicht mehr dein Tag zu werden!“ flüsterte Raaga dem Fanatiker ins Ohr. Mit einem kräftigen Schlag auf den Hinterkopf schickte er diesen ins Land der Träume. Raaga fesselte den Bewusstlosen und versteckte ihn. Der Hexer betrachtete das Gesicht des jungen Mannes, er war keine zwanzig Jahre alt, seine Mine wirkte friedlich. „Verdammter Fanatismus!“ fluchte Raaga, und packte den Mann in seinen Schlafsack, damit dieser nicht über Nacht erfrieren würde. Wenig später marschierte der Hexer durch das Lager, die erbeutete Gugel hatte er tief ins Gesicht gezogen und die weiße Robe verdeckte sein Stahlschwert, das er vor sich auf den Bauch gebunden hatte. Nicht, dass Raaga damit rechnete aufgrund seiner markanten Gesichtszüge oder seines blonden Bartes erkannt zu werden, aber wegen seiner katzenartigen Augen. Mit seiner langen Axt in der Hand wanderte er langsam durch das Lager, blieb bei manchen Grüppchen stehen und lauschte den Gesprächen. Es gab so viel Hass unter ihnen und alles fokussierte sich auf Kaer Iwhaell und die dort lebenden Hexer. Endlich stand er vor seinem eigentlichen Ziel, dem großen Zelt im Zentrum des Lagers, in dem der vermeintliche Anführer verschwunden war. Vor dem Eingang standen immer noch zwei Wachen. Er schlenderte unauffällig zum Eingang und stellte sich neben eine der Wachen und wirkte das ‚Axii‘-Zeichen. Mit diesem Zauber beeinflusste er den Verstand des Wachmanns, bevor Raaga ihm mit freundschaftlichen Tonfall begrüßte: „Hol dir ein Bier, mein Bruder. Ich werde solange für dich hier die Stellung halten!“ Mit einem wohlwollenden Nicken schritt der Fanatiker davon, auf der Jagd nach etwas ‚Gutem‘ zu Trinken. Als Raaga an die nun freigewordene Stelle trat, musterte der zweite Mann vor dem Zelt den Neuankömmling. Zum Glück trug der Hexer nicht wie die meisten seiner Gefährten zwei ikonische Schwerter auf dem Rücken, sondern bevorzugte seine Silberaxt zusätzlich zu dem Stahlschwert. „Schönes Stück trägst du da bei dir, mein Bruder!“ sprach der Fanatiker nach einem kurzen Moment und zeigte auf die Axt. „Danke, … Bruder. Ich kann es kaum erwarten, das gute Stück in die Köpfe der Bastarde zu versenken!“ antwortete Raaga, spuckte auf den Boden und versuchte dabei so angewidert wie möglich zu klingen. In seiner neuen Position stand er lange Zeit ruhig vor dem Zelt und richtete seine Aufmerksamkeit auf das, was er vom Inneren des Zeltes vernahm. Viel konnte er trotz seiner guten Sinne nicht vernehmen, aber er hörte immer wieder die Worte ‚Isador‘, ‚Maske‘ und ‚unvorstellbare Macht‘. Bei den Worten verzog Raaga das Gesicht, er hasste den bösartigen Magier Isador und viel schlimmer war, dass diese Fanatiker oder zumindest ihre Führung von dem Artefakt wussten, das sich seit einigen Wochen in der Verwahrung der Greifenhexer befand. Er musste so schnell wie möglich zu Valerian gelangen und seinen Ziehvater vor der Bedrohung warnen. Endlich kehrte der Wachmann von seinen ein, zwei oder vielleicht auch drei Getränken zurück. Als er an Raagas Seite trat, konnte dieser eine deutliche Alkoholfahne wahrnehmen. Der Hexer nickte dem Mann kurz zu und schlenderte ruhig und lässigen Schrittes aus dem Lager. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte er endlich den Rand des Lagers, seine Schritte beschleunigten immer mehr und als er sich sicher war, dass er außer Sicht war, warf er die Gugel und die Robe hinter einen Busch und begann zu rennen.
Als die Wintersonne über der Schwert-Au aufging und die verschneite Welt in einen Winterzauber verwandelte, entdeckten zwei Fanatiker beim morgendlichen Austreten einen ihrer Brüder. Er lag bewusstlos, und gut in einen Schlafsack verpackt, in einem Gebüsch. Aus dem neben ihm stehenden, blutigen Sack kam ihnen ein übelriechender Gestank entgegen und mit etwas Fantasie, konnte man die Umrisse eines Basiliskenkopfes erahnen.
Kapitel 3 – Es beginnt
Wieder in der Gegenwart, Greifenburg Kaer Iwhaell, Solonia Raaga rang nach Luft, außer Atem nach seinem Dauerlauf zur Burg: „Ich bin vor einem Tag auf eine Gruppe von Fanatikern gestoßen und sie haben nur ein Ziel – uns!“ „Var’oom? Ich meine ‚warum‘?“ fragte Atheris, dessen Laune sich schlagartig verdüstert hatte. „Sie geben uns die Schuld an den Ereignissen in den letzten Jahren! Mit unserem Eintreffen hat der Niedergang Solonias begonnen und sie verbreiten die Ansicht, dass, wenn sie uns auslöschen, die Götter das Unheil abwenden werden!“ „Je extremer die Situation, desto leichter lassen sich die Menschen durch so einen Blödsinn beeinflussen!“ schimpfte der sonst stille Viktor. „Was machen wir jetzt?“ fragte Logan. „Wir sollten einen Boten Valerian hinterhersenden, er sollte unterrichtet werden! Raaga, wieviel Zeit bleibt uns schätzungsweise noch, bevor die Fanatiker hier eintreffen?“ fragte Atheris. Raaga überlegte einen kurzen Moment und schätze, dass eine entsendete Vorhut aus Reitern innerhalb weniger Stunden eintreffen könnte. Nach einer kurzen, aber intensiven Diskussion über ihre Lage, waren sich die Hexer einig, dass eine sofortige Evakuierung der Burg die einzige sinnvolle Lösung war. Egon und Logan liefen daraufhin los und trommelten die Dorfbewohner erneut zusammen. Sie mussten über die Gefahr informiert werden. Nathan, einer der beiden Stallburschen wurde Valerian hinterhergeschickt und die Hexer begannen noch in der Nacht mit dem finalen Auszug aus Kaer Iwhaell.
Die ganze Nacht über herrschte reges Treiben in der Burg. Vier vollbeladene Ochsenkarren verließen im Morgengrauen die Burg, drei weitere standen noch im Innenhof und wurden in Eile beladen. Atheris hatte seinen schwarzen Hengst Ker’zaer bereits fertig gesattelt und prüfte den Sitz der Satteltaschen. Logan und Egon waren noch im Hauptgebäude und liefen ein letztes Mal die Räumlichkeiten ab, um zu prüfen, ob etwas Wichtiges vergessen worden war. Die Magierin Nella instruierte gerade noch zwei kräftige Kerle, die dabei waren, eine schwere Kiste aus Valerians Labor auf einen der Wagen zu hieven. Die verpackten Gläser darin klimperten und klirrten aufgeregt. Heskor verstaute den letzten Rest seiner Handelswaren auf dem zweiten Wagen und Viktor stand seit Stunden oben auf dem alten Bergfried von Kaer Iwhaell und hielt Ausschau nach den Fanatikern. Lediglich Raaga hatte sich für einige Stunden zum Schlafen hingelegt. Es war eine heftige Diskussion gewesen, da er sich störrisch geweigert hatte sich auszuruhen. Letztlich war es Nella, die es geschafft hatte, ihn zur Vernunft zu bringen. Es würde nicht mehr lange dauern und sie würden sich auf den Weg zum großen Hafen in der Elfen-Au machen, um diese Welt für immer zu verlassen. Es war Viktors lauter Schrei, der sie alle aufschrecken ließ
„Sichtung! Eine Gruppe von fünfzehn Reitern kommt auf uns zu!“ Die anderen Hexer rannten zur Burgmauer neben dem Haupttor und mussten mit ansehen, wie die Reiter über die vier Ochsenkarren herfielen, die vor wenigen Augenblicken Kaer Iwhaell verlassen hatten. Die Fahrer wurden brutal massakriert und die wertvolle Ladung in Brand gesteckt. Einige Dorfbewohner, die nichts mit der Evakuierung der Burg zu tun hatten, kamen schreiend aus ihren Häusern gerannt und liefen auf das noch offene Burgtor zu, um sich in die vermeintliche Sicherheit der Mauern zu bringen. „Nein! Diese verdammten Bastarde!“ schrie Logan und zog in einer fließenden Bewegung sein Schwert. Atheris war inzwischen in den Innenhof gesprungen, schwang sich gekonnt auf sein Streitross und preschte im gestreckten Galopp durch das offene Burgtor. Mit gezogenen Stahlschwert ritt er die enge gepflasterte Straße hinunter, vorbei an den flüchtenden Bewohnern und erreichte nur wenige Augenblicke vor den Angreifern die Dorfgrenze. Dort zügelte der nilfgaarder Hexer sein Pferd und wartete. Die Fanatiker verlangsamten ihr Tempo und versuchten die neue Situation einzuschätzen. Einen Moment betrachtete die Gruppe den in schwarz-gold gerüsteten Reiter, der sich ihnen in den Weg gestellt hatte. Die goldene Sonne des Kaiserreichs Nilfgaard, die auf seiner Rüstung angebracht war, strahlte passend in der nun aufgegangenen Morgensonne und die scharfe Stahlklinge in seiner Hand erschien wie ein Versprechen Atheris‘. Nach einer kurzen Absprache lösten sich vier Reiter aus der Gruppe der Fanatiker und bildeten eine lose Formation. Atheris beobachtete ruhig, wie sich die Vier im schnellen Galopp auf ihn zubewegten. Seine langjährige Erfahrung in der kaiserlichen Armee ließ ihn erkennen, dass diese Reiter keine erfahrenen Kavalleristen waren. Im Galopp standen drei von ihnen in ihren Steigbügeln und nur einer von ihnen war in der Lage, den Schwung seines Pferdes im Sattel auszusitzen. Ihre Zügel hielten sie krampfhaft in der einen Hand, während sie in der anderen ihre gezogene Waffe schwangen. Ein kampferprobter Reiter musste in der Lage sein, bei hoher Geschwindigkeit sicher im Sattel zu sitzen und die Besten von ihnen steuerten ihr Pferde im Kampf nicht mit den Zügeln, sondern mit dem Druck ihrer Unterschenkel, zu leicht konnte es in der Schlacht passieren, dass man durch wildes Gezerre an den Zügeln die Kontrolle über das Reittier verlor und im schlimmsten Fall abgeworfen wurde. Atheris ließ seinen schwarzen Hengst steigen und wild mit den Vorderhufen auskeilen, bevor er mit einem lauten „Se’ege na tuvean!“ seinem Ross die Sporen gab und frontal auf die gegnerische Formation losstürmte.
Sein einfaches Einschüchterungsmanöver zeigte Wirkung, die Fanatiker zögerten für einen Moment und waren sich ihrer selber nicht mehr so sicher. Atheris nutzte ihr zögerliches Verhalten und brach zwischen den beiden mittleren Reitern durch die Formation. Mit einem sauberen Mittelhau durchtrennte er dem Reiter rechts von ihm die Kehle und da die Formation alles andere als sauber geritten war, hatte er sogar noch die Zeit den Schwung seines Streiches in einen Stich über seine linke Schulter enden zu lassen und damit den Fanatiker links von ihm in dessen Blöße zu treffen. Beide Gegner landeten tödlich getroffen auf dem Boden. Atheris ließ Ker’zaer eine Wendung um die Hinterhand aus dem vollen Galopp vollführen und in die gegenläufige Richtung wieder angaloppieren. Durch dieses Wendemanöver brachte sich der Hexer hinter die beiden verbliebenen Angreifer und setzte ihnen nach. Die beiden Fanatiker waren einen weiten Bogen geritten, um ihn erneut zu stellen. Das kostete Zeit und durch die Kehrtwende konnte sich Atheris sein nächstes Ziel in aller Ruhe aussuchen. Für Ker’zaer, das edle Streitross aus Toussaint, war es ein leichtes die beiden anderen Tiere einzuholen und obwohl die Verfolgten mit Hacken versuchten den Hexer loszuwerden, schafften sie es nicht. „Nicht mal einfache Galoppwechsel haben diese Anfänger drauf“, dachte sich Atheris und setzt sich von hinten zwischen die beiden Fanatiker und mit einem präzisen Stich von hinten holte er den Rechten der beiden aus dem Sattel. Der Linke versuchte mit einem Rückhandschlag den Hexer zu treffen, der band aber den Hau mit seinem Parier, ergriff dessen Handgelenk und zog ihn mit einem kräftigen Ruck vom Pferderücken. Mit einem hörbaren Knacken landete dieser auf dem schneebedeckten Boden. Der Nilfgaarder blickte sich zu den übrigen Reitern um, offensichtlich hatten sie kein Interesse, es ihren Kameraden gleich zu tun. Im versammelten Galopp ritt Atheris im Triumph zurück zur Dorfgrenze und platzierte sich wieder an der Ausgangsposition. Dort ließ er gekonnt seinen Hengst auf der Stelle tänzeln. „Glaeddyvan vort! Lasst die Schwerter fallen und kehrt zurück zu euren Familien! Ihr werdet Solonia nicht retten können, indem ihr unsere Burg angreift. Hier wartet nur der Tod auf Euch, Aen Ard Feainn!“ schrie Atheris ihnen zu, machte kehrt und ritt im leichten Galopp zurück zur Burg. Dort angelangt empfing ihn Raaga mit den Worten „Meine Fresse, Atheris! Was ist in dich gefahren! “ „Ich habe fast mein ganzes Leben in der kaiserlichen Armee Nilfgaards gedient. Diese Reiter dort sind jeder für sich keine sonderlich große Gefahr! Für sie ist ein Pferd ein Transportmittel und keine Waffe! Die waren ja schon mit einem einfachen Frontalangriff überfordert!“ verteidigte Atheris sein Handeln, „und außerdem habe ich so den Dorfbewohnern etwas Zeit verschaffen können“, fuhr er fort. „Was machen wir jetzt?“ fragte Logan in die inzwischen versammelte Runde. Die Blicke richteten sich auf Raaga, er war der ranghöchste Greifenhexer und die rechte Hand von Valerian. Er war diese Rolle sichtlich noch nicht gewohnt, aber in Stresssituationen trotzdem immer fähig, entschieden zu handeln. Der Skelliger blickte zur Dorfgrenze, dort verweilten die übriggebliebenen Fanatiker und schienen auf etwas zu warten. „Wenn eine erste Vorhut bereits hier ist, bezweifle ich, dass wir es mit den übrigen Ochsenkarren bis zum Hafen schaffen. Ich hatte gehofft wir hätten mehr Zeit, aber sie scheinen sich ziemlich beeilt zu haben… Was haben wir denn noch für Möglichkeiten?“ erfasste Raaga die Situation. Es entbrannte eine hitzige, aber sachliche Diskussion in der klar wurde, dass eine Belagerung spätestens mit dem Eintreffen der von Raaga beschriebenen Hauptstreitmacht der Fanatiker zu ihren Ungunsten enden würde. Dementsprechend blieb ihnen nur die Flucht, die Frage war nur wie? Die Dorfbewohner Treuhalls waren allesamt in die Burg geflüchtet und die Hexer konnten sie nicht einfach im Stich lassen, nicht nachdem sie sehen mussten, was mit den Fahrern der Ochsenkarren passiert ist. Es gab einen schmalen versteckten Pfad, der vom alten Teil Kaer Iwhaells den Burghügel hinunterführte in ein kleines Waldstück. Dort gab es ein kleines Höhlensystem, in dem die Einwohner ausharren konnten. Das Problem war aber, dass die Bewohner nur dann eine realistische Möglichkeit hatten unentdeckt zu bleiben, wenn die Fanatiker nicht nach ihnen suchen würden und das war der Fall, wenn die Hexer tot oder sichtbar entkommen würden. „Wir können versuchen, die Portalsteine meines Schülers Lennox zu verwenden!“ meldete sich die Magierin Nella zu Wort. „Wenn ich es schaffe, die Steine richtig anzuordnen, bringen sie uns in seine Heimat und wir wären in Sicherheit. Problem ist aber, dass ich erstmal die versiegelte Kiste mit den Steinen aufbekommen muss und anschließend die korrekte Anordnung aus seinen Notizen herausfinden muss. Außerdem lässt das arkane Potential der Steine nur eine begrenzte Anzahl von reisenden Personen zu. Die Ochsenkarren müssen wir zurücklassen!“ fuhr die Elfe fort und ihre süßen Spitzöhrchen wippten aufgeregt beim Reden. „In Ordnung, dann beginne du mit deiner Arbeit.“ sagte Raaga. „Das Portal sollten wir im Innenhof des alten Burgteils aufstellen, diesen können wir mit unserer geringen Zahl am längsten halten.“ ergänzte Atheris. Die Greifen begannen mit der Vorbereitung für das letzte Gefecht um Kaer Iwhaell.
Einige Stunden vorher auf dem Weg in Richtung Elfen-Au
Valerian, Volmar und Charlotte ritten gemütlich die Hauptstraße entlang. Den Mantel eng um seine breiten Schultern geschlungen, saß der alte Hexer gedankenverloren tief in seinem Sattel. „Aaaach…wenn mein alter Meister Heswinn mich so sehen könnte…oder Erland, oder der alte Keldar… die würden den Kopf schütteln. Ich bin nicht mal ein Schatten ihrer damaligen Größe. Ob ich es jemals zu deren Meisterschaft als Großmeister bringen werde? Ich hätte mir nie erträumen lassen, dass das Schicksaal der Greifenschule von mir als ihrem Ältesten abhängt! Was ist, wenn ich versagen sollte? Was wird dann aus meinen Schülern? Was ist, wenn mir etwas zustoßen sollte? Der Großteil des alten Wissens der Greifen würde verloren gehen…“ Die Geräusche eines sich schnell nähernden Reiters rissen Valerian aus seinen Gedanken. Er drehte sich zeitgleich mit Volmar im Sattel um und blickte aufmerksam zurück. „Was ist los?“ fragte Charlotte, deren Sinne nicht mit denen der Mutanten mithalten konnten. „Ein Reiter, der sich uns schnell nähert!“ antwortete Volmar. „Es ist Nathan, mein Stallknecht! Was macht der hier!?“ Valerian ließ seine Stute Brunhild wenden und galoppierte seinem Bediensteten entgegen. Als der alte Hexer den jungen Mann erreichte, erkannte er die Pfeilspitze, die aus dessen Schulter ragte. Valerian zügelte sein Pferd, stieg ab und holte den Knecht vorsichtig aus dem Sattel und legte ihn auf den Boden. Nathan hatte viel Blut verloren und die Wunde musste dringend versorgt werden. „Meister Valerian!“ stammelte der Jüngling „Kaer Iwhaell wird von Fanatikern angegriffen. Sie geben uns die Schuld an dem furchtbaren Schicksal Solonias!“ stammelte der Verwundete. Valerians katzenartige Augen weiteten sich. „Ich danke dir Nathan für das Überbringen der Nachricht. Kennst du den Plan meiner Schüler?“ fragte der alte Hexer. „Als ich aufgebrochen bin, war der Plan, die Burg vorzeitig zu evakuieren, man wollte es nicht auf einen Kampf ankommen lassen!“ antwortete der Jüngling. „Volmar…Charlotte, könnt ihr euch bitte um Nathans Verletzung kümmern…?“ Valerian blickte angespannt zu seinen Begleitern. „… Valerian, zieh endlich los!“ Volmar und Charlotte nickten dem alten Hexer zu. Dieser sprang in einer fließenden Bewegung auf seine Schimmelstute und gab ihr die Sporen.
Kapitel 5 – Das letzte Gefecht um Kaer Iwhaell
Greifenburg Kaer Iwhaell, Solonia
Den ganzen Vormittag über trafen immer wieder kleinere Gruppen der Fanatiker auf den offenen Feldern vor dem Dorf Treuhall ein. „Ich zähle inzwischen dreiundsiebzig von ihnen!“ erstatte Egon an Raaga Bericht. Die Hexer gingen davon aus, dass es sich bei diesen Einheiten um eine Vorhut handelte, die alle Wege zu Kaer Iwhaell patrouilliert hatten, um eine Flucht der Hexer zu verhindern. Wie viele der Ochsenkarren in Richtung Elfenau in ihre Hände gefallen waren, mochte sich keiner auf der Burg ausmalen. Atheris und Raaga standen oben auf dem alten Bergfried und betrachteten die Situation. Kaer Iwhaell lag auf einer Anhöhe direkt hinter dem Dorf Treuhall. Der einzige befestigte Weg zur Burg führte durch die enge, gepflasterte Dorfstraße direkt zum Haupttor. Der Fluchtweg, den die Dorfbewohner genommen hatten, lag auf der gegenüber liegenden Seite des Haupteingangs und dürfte keinem der Angreifer bekannt sein. Trotzdem hatten sie einen freiwilligen Mann aus dem Dorf am Eingang positioniert, um die Hexer zu warnen, sollten sich doch Angreifer von hinten nähern. Ein dritter Weg führte durch einen Bergwald zum Haupttor. Dieser Weg eignete sich aufgrund des Gefälles aber nicht für schweres Belagerungsgerät. Atheris vermutete, dass die Fanatiker das Haupttor direkt angreifen würden, so wie es vor zwei Jahren das Expeditionscorps der verhassten Redanier getan hatte. Damals standen viele Verbündete den Greifen zur Seite und es war schon eine schier unmögliche Aufgabe, das Tor zu halten. Jetzt standen die Hexer ohne Verstärkung da und zusätzlich hatten sie auch noch Mitstreiter von damals verloren. Lediglich ein Dutzend junger Männer aus dem Dorf hatten sich Waffen besorgt und waren bereit, die Burg zu verteidigen. „Unser letztes Gefecht werden wir wohl am Eingang zum alten Burgteil führen.“ sagte Atheris und zeigte auf die Treppe und den anschließenden Torbogen zum alten Teil der Innenburg Kaer Iwhaells auf einer Anhöhe, innerhalb der äußeren Burgmauern. Der Innenteil bestand aus einer Burgruine, aus alten, wehrhafteren Tagen in Solonia. Die Ruine hatte keine Dächer mehr, aber die Mauern waren dick und stabil und der alte Bergfried, der ebenfalls zur Innenburg gehörte, war wunderbar geeignet, den Innenhof mit tödlichen Pfeilen einzudecken. Hinter dem Torbogen zu Füßen des Bergfrieds war Nella dabei, das Portal auf dem schneebedeckten Hof zu errichten.
„Es ist, wie du es beschrieben hast Raaga, ein wild zusammengewürfelter Haufen. Ich sehe kaum Struktur in ihrem Aufmarsch! Siehst du die mit den Schilden im Zentrum? Das sind vermutlich die einzigen Söldner auf dem Feld!“ Atheris zeigte auf eine Formation mit zwanzig schwer bewaffneten Männern. Raaga brummte zustimmend. „Unser Vorteil ist, dass sie uns nicht einfach von allen Seiten angreifen können.“ fuhr Atheris fort. „Wenn sie wüssten wie wenige wir sind, hätten sie uns schon längst angegriffen und überrannt. Vielleicht kennen sie die Geschichte mit der redanischen Belagerung vor zwei Jahren?“ beendete der nilfgaarder Hexer seine Ausführung.
Nella hatte die magisch versiegelte Kiste mit den acht Portalsteinen geöffnet. Die richtige Anordnung machte ihr zu schaffen: Es gab zu viele Kombinationsmöglichkeiten der acht Steine und jede Falsche konnte beim Versuch, das Portal zu nutzen, in einem totalen Desaster enden. Sie überschlug die Anzahl stochastischer Optionen… achtmal der mathematische Operator Fakultät … Ihr rann eine Schweißperle über das sonst so stoische Elfengesicht „…vierzigtausenddreihundertzwanzig Permutationen.“ Die Notizen, die ihr Schüler Lennox hinterlassen hatte, waren noch nicht fertiggestellt. Immerhin wurde die Kombination der ersten fünf Steine beschrieben. Somit musste sie nur die korrekte Anordnung der letzten drei Steine selber analytisch kombinieren, was dann wesentlich weniger Permutationen bedeutete. Als Raaga zu ihr hinunterkam und sich nach dem Stand des Portals erkundigte, antwortete die Magierin zuversichtlich „ich brauche nicht mehr lange, wir können das notwendige Gepäck bereits im Steinkreis platzieren!“ der Hexer brummte.
Atheris, der inzwischen ebenfalls den Bergfried verlassen hatte, gesellte sich zu den beiden. „Ich werde zu den Verrückten da draußen reiten und versuchen zu verhandeln. Ich glaube zwar nicht, dass es inhaltlich etwas bringen wird, aber zumindest könnte es uns etwas zusätzliche Zeit verschaffen. Valerian würde sicher auch so handeln!“ informierte er seine Freunde. „Atheris, bei aller Liebe zur Diplomatie, das hier sind Fanatiker, die sind doch nicht mehr klar in der Birne, was willst du mit denen verhandeln?“ fragte Raaga auf seine typisch rohe Art. „Ich war dabei, als Valerian mit den Kodros-Barbaren der Leuenmark verhandelt hat, es hatte damals ebenfalls nichts gebracht, aber ihre Anführer waren für eine gute Stunde mit uns beschäftigt und wir konnten einige Informationen gewinnen!“ entgegnete Atheris. „Also gut, mach was du nicht lassen kannst, aber bleibe wenigstens so weit weg von deren Angriffslinie, dass du noch fliehen kannst!“ stimmte Raaga zu. Atheris ging in den großen Innenhof des neuen Burgteils, nahm sich eine alte Lanze von der Wand der Rüstkammer, befestigte ein weißes Tuch an dessen Spitze und ging zu seinem treuen Ross.
Valerian hatte in einem Gewaltritt die Strecke zur Burg zurückgelegt. Von seiner Position aus hatte er einen guten Überblick über die Lage auf den Feldern vor Kaer Iwhaell. „Verdammt, dass sieht nicht gut aus!“ schimpfte er und ritt weiter auf die Feinde zu. Es dauerte nicht lange, bis er von den Fanatikern erblickt wurde. Kurz darauf löste sich eine Gruppe von zwölf Reitern, die ihm entgegenkam. Die Hände als Geste der Friedfertigkeit erhoben, ließ er sich von den Reitern einkesseln. „Mein Name ist Valerian ‚Draugr‘ von Novigrad, Meister der Greifenhexer und Herr der Burg von König Gernots Gnaden, die ihr im Begriff seid anzugreifen. Ich will mit eurem Anführer verhandeln!“ Die Reiter blickten sich kurz enttäuscht an, bevor der älteste von ihnen antwortete „Folge uns!“ In Formation ritten sie ins Zentrum der kleinen Armee auf den Feldern vor Treuhall. Valerian war gerade dabei sich zu fragen, warum ihn keiner aufgefordert hatte, seine Waffen niederzulegen und erwartete kühn das Schlimmste für sich, in der Hoffnung seinen Schülern Zeit zu verschaffen oder mit seinem Opfer den rasenden Zorn der Wilden zu besänftigen – als ihn ein harter Schlag an der Schläfe traf und er träge aus dem Sattel kippte. Das dumpfe Geräusch seines eigenen Aufpralls auf dem frostigen Boden hat er in seiner Bewusstlosigkeit nicht mehr gehört.
Atheris war gerade dabei, sich in seinen Sattel zu schwingen, als Viktor oben vom Bergfried rief: „Es tut sich was, sie haben Holz auf einen Wagen geladen und einen Pfahl aufgestellt! Leute, das sieht aus wie ein Scheiterhaufen!“ Die übrigen Hexer rannten zur Mauer und schauten zur Dorfgrenze. Der fahrbare Scheiterhaufen wurde auf einem Karren fast bis an den Dorfrand geschoben und was sie dann sahen, ließ den Hexern das Blut im Körper erstarren: Eine Gruppe von schwer bewaffneten Soldaten führten einen sichtlich geschlagenen und gefesselten Valerian zum Wagen und ohne eine Gegenwehr vom Alten banden sie ihn an den Pfahl. Ein Mann in einer roten Robe und langem rötlichen Bart trat mit einer Fackel aus der Menge hervor, entzündete sie und begann überraschend laut zu rufen: „Feinde Solonias! Seht her, wir haben euren Meister! Er wird der Erste sein, der zur Besänftigung der Götter beitragen wird! Und ihr werdet ihm in Kürze in die Hölle folgen!“ Mit diesen Worten zündete der Mann den Scheiterhaufen an. „Vaaaater! Nein!!!“ schrie Raaga, blind vor Zorn zog der Skelliger seine silberne Axt vom Rücken, sprang über die Mauer aufs Pflaster der Dorfstraße und rannte in einer unnatürlich hohen Geschwindigkeit die Dorfstraße hinunter zum brennenden Scheiterhaufen, geradewegs auf die Fanatiker zu.
„Was passiert da draußen?“ rief Atheris vom Innenhof hinauf zur Mauer „Es ist Valerian, sie verbrennen ihn auf einem Scheiterhaufen!“ antwortete Logan mit gehetztem Gesichtsausdruck „und Raaga ist losgerannt, um ihn zu befreien!“ fuhr der junge Blondschopf fort. „Öffnet die Tore, schnell!“ befahl Atheris den beiden Männern, die am Haupttor standen und preschte los.
Raaga erreicht im vollen Sprint die erste Reihe der Robenträger, die ihm auf der gepflasterten Dorfstraße im Weg standen. Es waren sechs von ihnen, die mit ihren Speeren auf ihn warteten. Mit dem Zeichen „Aard“ erzeugte der Skelliger eine Druckwelle, welche eine Bresche in die Formation blies und Raaga den Durchbruch ermöglichte. Eine zweite Reihe aus ebenfalls sechs Fanatikern wartete einige Meter dahinter auf ihn. Sie waren ausgestattet mit kleinen Bucklern und Kurzschwertern. Mit einem ordentlichen Hieb zielte er auf den Kopf des vor ihm stehenden Mannes und obwohl dieser die Axt mit seinem Buckler zu blocken versuchte, reichte die Wucht des Hiebes aus, um ihm den Schädel zu spalten. Die beiden neben ihm stehenden Fanatiker gingen nun ebenfalls zum Angriff über: Den ersten Streich, der auf seine Brust zielte, wehrte Raaga mit dem Axtschaft ab und tauchte unter dem zweiten Hieb, der auf seinen Hals zielte, hindurch. In geduckter Haltung legte der Skelliger sein ganzes Gewicht nach vorne und rammte den Mann, der ihn gerade noch enthaupten wollte, mit aller Wucht seine Schulter in die Gegend seiner Leber. Entkräftet landete der Fanatiker auf den Boden, aber Raaga hatte keine Zeit ihm nachzusetzten, die nächsten beiden Schwerter rasten bereits auf ihn zu. Mit einer Rolle zur Seite brachte er sich aus Angriffsreichweite der Schwerter, allerdings bedrohten ihn nun wieder die Speerspitzen der ersten Reihe hinter ihm. Mit einem Abwehrschwung schlug er die Speere beiseite, sprang zwischen die Speerträger und verwandelte ihren Distanzvorteil in ihren tödlichen Nachteil. Mit zwei kurzen ruckartigen Schlägen tötete er zwei von ihnen, bevor ein Dritter ihn von hinten umfasste und ein weiterer versuchte, ihn mit seinem Speer zu durchbohren. Mit dem Hinterkopf brach der Hexer dem Fanatiker hinter sich die Nase, woraufhin dieser seinen Griff lockerte. Dies reichte Raaga, um mit einer halben Körperdrehung dem Speer auszuweichen, so dass dieser den Mann hinter ihm erstach. Zwei weitere Angriffe von Schwertern prasselten auf ihn ein, den ersten Streich konnte er noch mit dem Axt-Blatt parieren, der Zweite erwischte ihn trotz Ausweichmanövers noch am Oberarm. Die Lederrüstung des Hexers verhinderte schlimmere Verletzungen und im Rausche von Kampf und Zorn fühlte Raaga nicht den Schmerz der klaffenden Wunde. Die Fanatiker hatten es geschafft, Raaga zu stellen und von allen Seiten drohten ihm nun bedrohliche Klingen. Gerade als er sich bereit machte zu seiner Verteidigung das Zeichen „Quen“ zu wirken, bahnte sich ein in schwarz-gold gerüsteter Reiter seine Bahn durch die Reihen der Fanatiker. Raaga nutzte die erneute Bresche, die Atheris mit seinem Sturmangriff geschlagen hatte, und setzte erneut seinen Feinden zu.
Valerian versuchte seine Sinne zu sammeln und sich von seinen Fesseln zu befreien, aber er hatte keinen Erfolg. Er erkannte das Brennen des seltenen Metalls an seinen Handgelenken: Die Dimeritiumfesseln an seinen Handgelenken erlaubten ihm, keine magischen Zeichen zu wirken und die Stricke die ihn hielten, gaben keinen Millimeter nach. Der Qualm in seinen Augen ließ seine Sicht verschwimmen, aber er konnte erkennen, wie sein Ziehsohn Raaga mit erhobener Axt in die Front der weißen Roben brach und in jener Wildheit, die einen Skelliger auszeichnete, auf die Schädel seiner Gegner einschlug.
Keinen Augenblick zu früh durchbrach Atheris die Reihen der Fanatiker neben Raaga. Die Ersten von ihnen konnten dem anstürmenden Nilfgaarder mit einem Sprung zur Seite noch ausweichen, bevor die Lanze Zwei von ihnen durchbohrte. Atheris musste den schweren Spieß fallen lassen und zog in einer flüssigen Bewegung sein Schwert aus der Scheide, die er an der Flanke seines Hengstes befestigt hatte. Von oben ließ er die scharfe Stahlklinge auf die rotweißen Männer niederrasen. Die Zuversicht, Valerian erreichen zu können wich, als sich ihm eine dritte Reihe gepanzerte Schildträger in den Weg stellten und mit langen Speeren nach ihm stachen. Es waren die Söldner, die er mit Raaga ausgemacht hatte. „A d’yaebl aép arse!“ fluchte Atheris, als sein Ansturm vollends zum Erliegen kam und er damit beschäftigt war, sich nicht vom Pferd reißen zu lassen. Es war diesmal Raaga mit seiner Axt, der Atheris in die Bresche gefolgt war und nun neben ihm auftauchte und Tod und Verderben unter die Fanatiker brachte. Es wurden aber immer mehr, und die Schildträger hatten einen Wall geformt und drängten die beiden Hexer vom Wagen weg. Raaga schrie vor Zorn auf, als er merkte, dass sie ihr Ziel aus dem Auge verloren. Auf einmal entfesselte sich um sie herum ein Feuerinferno. Atheris schütze seine Augen vor der Hitze und Ker’zaer geriet in Panik und drohte ihn abzuwerfen. Brennende und verkohlte Körper flogen durch die Luft, und es stank nach Schwefel und verbranntem Fleisch. Dem Nilfgaarder kamen schlagartig Gedanken an die erlebte Schlacht in Sodden in den Sinn, in welcher er vor vielen Jahren ein ähnliches Inferno überlebt hatte. Gerade als er seinen Hengst wieder unter Kontrolle gebracht hatte, sah er einen zweiten riesigen Feuerball über seinen Kopf fliegen und einige Meter weiter in die Reihen der Fanatiker einschlagen. Der Feuersturm wiederholte sich und die Reihen der Feinde gerieten endgültig in Unordnung. Wie Ameisen rannten die Feinde hin und her und Raaga, nutzte die Gelegenheit und versuchte sich seinen Weg, trotz der Flammen zu Valerian zu bahnen. Atheris drehte sich im Sattel um und sah, wie Nella auf der Mauer neben dem Haupttor stand und beide Hände gen Himmel erhoben hatte, ihr Gesicht von Wut und Verzweiflung gezeichnet. Sie formte mit ihren Händen erneut einen Feuerball, ließ diesen mit ihrer Energie anwachsen um ihn schließlich in hohem Bogen fliegen zu lassen.
Der dritte Einschlag war der heftigste. Die Druckwelle warf den Wagen mit dem Scheiterhaufen um. Valerian landete erneut hart auf dem Boden, diesmal aber in höchster Konzentration. Er realisierte schnell, dass der Pfahl gebrochen war und er sich von ihm lösen konnte. Er robbte den Boden entlang und Streifte den Holzpfahl von seinem Rücken ab. Danach brachte er seine mit dem Dimeritium gefesselten Hände über die angezogenen Beine nach vorne, ergriff sich ein kurzes Schwert von einer Leiche neben ihm und schaffte es gerade noch die ersten Angreifer mit dem Falchion gekonnt abzuwehren. Mit dem Wagen im Rücken rückten ihm die Fanatiker immer näher und egal wie viele er tötete, es kam immer ein Neuer nach. Auch wenn die Lage immer noch aussichtslos erschien, stand er wenigstens nicht mehr auf einem brennenden Scheiterhaufen – und Valerian entsann sich an die Lektionen der Greifenschule zur Abwehr mehrerer Gegner. Die Dimeritiumfesseln brannten auf der Haut seiner Handgelenke und der Großmeister der Greifen konzentrierte sich auf den Tanz seiner Klinge. Er beschloss möglichst viele von den Spinnern in den Tod mitzunehmen. „Von Oben!“ grollte ein tiefer Kampfschrei in seiner Nähe und im gleichen Augenblick wurden die beiden Fanatiker vor Valerian durch eine riesige Holzkeule zermalmt. „Alter Mann – gehen jetzt!“ brüllte der der riesige Troll, der auf einmal vor Valerian auftauchte.
Der Hexer sprang über die ihm dargebotene Hand auf die Schultern des Ungetüms. Es war der Steintroll Effenberg und Talbot, der in den Wäldern nahe der Burg lebte und über die Jahre eine feste Freundschaft zu den Greifen aufgebaut hatte – basierend auf starkem Alkohol, mit dem der Troll bei Laune gehalten wurde. Nie war Valerian glücklicher gewesen ihn zu sehen. Von den Trollschultern aus hatte Valerian einen besseren Blick über die Situation: Sein Blick wanderte zu Raaga und Atheris, die unter starker Bedrängnis versuchten, sich zu ihm durchzuschlagen. Jedoch schlossen sich die Reihen der zuströmenden Fanatiker um die beiden und sie würden nicht mehr lange standhalten können. „Raaga, Atheris! Zieht euch zurück so lange ihr noch könnt! Ich komme hier klar!“ schrie der Meister ihnen zu. „Vaaalleeeriannn! Wir werden Lennox‘ Weg nehmen!“ schrie Atheris über die Köpfe der Feinde hinweg und Valerian gab ihm ein Zeichen, dass er verstanden hatte. Atheris ließ seinen Hengst über die Hinterhand wild dreimal im Kreis drehen und verschaffte sich so etwas Platz. Schnell zog er den Skelliger hoch auf sein Pferd und Raaga wirkte ein letztes „Ard“-Zeichen und die Druckwelle, die er entfachte, ließ sie aus der Umkesselung ausbrechen und die beiden Hexer preschten im gestreckten Galopp die Dorfstraße wieder hinauf zur Burg, dicht gefolgt von den Fanatikern, die jede taktische Disziplin verloren hatten. Oben auf der Mauer hatten Viktor, Logan und Egon angespannt das Geschehen auf dem Feld verfolgt. Viktor hatte die beiden jüngeren Hexer daran gehindert ebenfalls blind die Burg zu verlassen und den letzten Rückzugsort preis zu geben. Jetzt sah das Trio, wie die beiden Freunde die Dorfstraße hoch preschten und sahen den Pulk an Fanatikern die ihnen dicht folgten. „Seht doch nur, dort!“ schrie Logan und zeigte auf die letzte Seitengasse, die keine zwanzig Schritt vor den Burgtoren auf die größere Dorfstraße mündete. Dort hatte sich eine kleine Gruppe von Robenträgern versteckt und hielten eine lange Holzstange bereit. „Verdammt! Mir nach!“ schrie Viktor und setzte über die Mauer. So schnell ihn seine Beine trugen überbrückte er die kurze Strecke zur Gasse und gerade als die Gegner die beiden Flüchtenden mit der Stange zu Fall bringen wollten, schleuderte der langhaarige Hexer seine lange Stahlklinge auf den Ersten von ihnen. Die Klinge durchbohrte die Brust seines Opfers und ließ den Mann vornüber auf die Stange kippen. Dies reichte aus, dass sich der schwarze Hengst über das nun flach am Bodenliegende Hindernis ohne Probleme hinwegsetzten konnte und der Hinterhalt misslang. Viktor zog sein Jagdmesser aus dem Gürtel, duckte sich unter einem Schwerthieb hinweg und versenkte die kurze Klinge zwischen den Rippen des zweiten Angreifers. Ein Dritter Fanatiker wollten ihn von hinten erstechen, aber im letzten Moment wurde dessen Klinge von einer kräftigen Parade zur Seite geschlagen und Logans runder Schwertknauf zertrümmerte mit einem lauten Knacken dessen Gesicht. Viktor zog mit einem Ruck seine geworfene Waffe aus dem leblosen Körper, drehte sich in einer fließenden Bewegung um und sah, wie Egon mit einer Finte die Attacke des vierten Robenträgers ins Leere rauschen ließ und diesen mit zwei rasch ausgeführten Hieben auf Unterarm und Hals humorlos tötete. Den letzten Angreifer nahm sich Logan vor, indem er dem Mann seine rechte Blöße anbot. Als der erwartete Stich des Gegners erfolgte, machte er einen Satz nach links, drehte sich über seine linke Schulter und nutzte den Schwung der Drehung, um mit einem mächtigen Hieb, den Fanatiker den Kopf von den Schultern zu trennen. „Das hättest du aber auch leichter haben können!“ stellte Egon fest, der das Manöver beobachtete hatte. Logan antwortete mit einem schelmischen Grinsen, drehte sich um und rannte so schnell er konnte zurück zum Haupttor, dicht gefolgt von Viktor und Egon. „Feuer frei!“ schrie Atheris, noch bevor die Dorfbewohner das Tor geöffnet hatten. Die zwölf Freiwilligen begannen mit Bögen und Armbrüsten einen tödlichen Hagel aus Pfeilen und Bolzen auf die Fanatiker niederregnen zu lassen und ermöglichten dadurch allen fünf Hexern die sichere Rückkehr in die Burg. Das letzte Gefecht um Kaer Iwhaell hatte endgültig begonnen.
„Alles in Ordnung bei dir Raaga?“ fragte Atheris völlig fertig von dem Ausfall. „Ein paar Kratzer, ich werde es überleben!“ antwortete der Skelliger, während sich dunkle, nasse Flecken auf seinem Rüstwams zeigten und die provisorisch verbundenen Wunde an seinem Arm durchnässte. „Dann auf die Mauer! Es hat gerade erst begonnen!“ lächelte Atheris und sprang die Treppe hinauf zu ihren Freunden. Die Beiden stellten sich zu den anderen Hexern und blickten auf die Feinde, die gegen die Burgmauer brandeten, doch noch hielt das eiserne Tor dem Ansturm halt. „Wo sind Nella und Heskor?“ fragte Atheris, während er sich unter einem zischenden Armbrustbolzen hinwegduckte. „Nella hat nach ihrem dritten Feuerball das Bewusstsein verloren! Heskor hat sie nach hinten in den Bergfried gebracht und versucht ihr zu helfen!“ schrie Logan, während er einem Fanatiker, der es auf die Mauer geschafft hatte, mit einem sauber geführten Hieb die Kehle aufschlitze und ihn mit einem kräftigen Tritt zurück in die Menschenmenge vor der Mauer beförderte. Keiner der Hexer hätte sagen können, wie lange das Massaker bereits dauerte, aber Valerians hartes Training zahlte sich aus, denn jeder, der die Mauer betrat, fand augenblicklich den Tod. Untypisch für den Kampfstil der Greifen verzichteten sie auf die große Fechtkunst, die komplexe Bewegungslehre oder den üblichen Klingentanz – dafür war einfach weder Platz noch Zeit. Es wurden nur kurze, lethale Schläge und Stiche angesetzt auf Venen und Aorten – es war das reinste Morden. Die Situation verschlechterte sich rapide, als die Fanatiker einen improvisierten Rammbock die Dorfstraße hinaufzogen. „Wenn das Tor fällt, ziehen wir uns zum alten Teil der Burg zurück!“ schrie Atheris über das Kampfgetümmel hinweg den anderen zu. „Igni auf mein Zeichen!“ schrie Raaga, als der riesige, angespitzte Baumstamm vor den Toren in Position stand. Raaga und Viktor wirkten gemeinsam das Hexerzeichen mit einer Handgeste, sodass zwei Feuerströme auf die Ramme einwirkten. Die anderen Schüler konnten die Zeichen noch nicht wirken und Atheris war damit beschäftigt, die Lücke, die durch das Fehlen von Raaga und Viktor entstanden, war zu schließen. Von den Flammen erfasst, schrien die Rammenträger und wälzten sich entflammt am Boden, nur um wenige Momente später von anderen Fanatikern ersetzt zu werden. Die Hexer wiederholten das Ganze noch einmal, doch obwohl die Ramme brannte, ließen die Feinde nicht von ihr ab. Mit einem hässlich klingenden metallischen Getöse barst das Tor schließlich und ein rotweißer Strom ergoss sich auf den Innenhof von Kaer Iwhaell. „Rückzug!“ befahl Raaga und die überlebenden Dorfbewohner und die Hexer kletterten und sprangen von der Mauer und sprinteten über den großen Innenhof zum alten Teil der Burg. Der Eingang lag einige Schritt über dem äußeren Hof und nur eine schmale Treppe führte zu ihm hinauf. Hier mussten die Hexer solange Widerstand leisten, bis das Portal einsatzbereit sein würde. Während die überlebenden Männer des Dorfes quer durch den Innenhof der Ruinen liefen und den geheimen Pfad in das Höhlensystem hinter der Burg nahmen verteidigten die Hexer den Zugang zur Innenburg. Da die Treppe nur Platz für zwei Männer nebeneinander bot, rotierten die Verteidiger immer wieder durch, um sich so vereinzelt Verschnaufpausen zu verschaffen. „Uns bleibt nicht mehr viel Zeit! Ich gehe nach hinten und verschaffe mir einen Überblick über die Situation mit dem Portal!“ rief Atheris, schwer keuchend. Der ältere Hexer rannte in den hinteren Teil der Ruine, wo das Portal aufgebaut werden sollte. Auf einen Umhang gebettet lag Nella, neben ihr saß Heskor, der alles versuchte, um sie wieder zu Bewusstsein zu bringen. „Heskor…?“ fragte Atheris und schaute besorgt auf die Elfe und Panik stieg in ihm auf, als er sah, dass die Portalsteine offenkundig nicht fertig angeordnet waren. „Stront! Die letzten drei Steine fehlen immer noch!“ schimpfte Atheris. Er griff das Notizbuch von Lennox, welches neben den drei Portalsteinen lag und öffnete es. „Aha… So so!“ staunte Atheris laut. „Kannst du damit was anfangen, Atheris?“ fragte Heskor überrascht. „Äh, nein! Hier steht etwas, aber ich könnte dir nicht mal sagen, welche Sprache das sein soll! Aber hey, hier gibt es zumindest ein paar Bilder…vielleicht…“ antwortete Atheris, drehte das Buch und seine Skizzen mit fragendem Blick auf den Kopf und fing dabei an, die drei Portalsteine mit den gemalten Bildern und kryptischen Skizzen möglicher Anordnungsmuster abzugleichen. Nur wenige Augenblicke später ertönte ein lauter Schrei vom Eingang des Bergfrieds „Atheris! Wir können sie nicht mehr aufhalten!“ es war Raagas Stimme und es lag verzweifelte Wut in ihr. „… alles klar, gebt mir ein paar Wimpernschläge und zieht euch dann zurück!“ rief Atheris zurück. Heskor schaute den Hexer verdutzt an „Wie? Was? Bist du dir sicher?“ Atheris zuckte nur mit den Schultern „was soll ich denn sonst sagen? Das wir hier nicht wegkommen? Los bring Nella in den Kreis!“ rief Atheris, nahm die Steine, das Büchlein und seinen treuen Hengst und führte diesen in den offenen Steinkreis. Mit einem kurzen Axii-Zeichen beruhigte er das Tier. Der Nilfgaarder setzte zwei der drei Steine in die Kreisformation ein. Dabei orientierte er sich an den Abständen der bisher ausgelegten Steine. Den letzten Stein hielt er in der Hand und der Hexer hoffte inständig, dass dies der Schlüsselstein war. „Achtung Kartätsche!“ hörte man Viktors Schrei und eine kleine Explosion erschütterte den alten Torbogen und Steine prasselten auf den Boden. Durch den dicken Qualm, der durch den Eingang drang, stürmten die vier übel gezeichneten Hexer in Richtung Portal, dicht gefolgt von schwer gerüsteten Fanatikern. Völlig außer Atem erreichten sie den Steinkreis. „Atheris, los!“ schrie Raaga von der anderen Seite. Atheris setzte den vermeintlichen Schlüsselstein ein, doch nichts geschah. „Verdammt! Muss man noch eine Zauberformel sprechen!?“ schimpfte er. Doch gerade als er die Steine wieder versetzten wollte, bildete sich ein bläuliches Feld um sie herum und der Kopf eines Angreifers, der sich gerade auf Egon stürzen wollte, fiel sauber abgetrennt zu Boden in die blaue Säule, die sich um die Greifen gebildet hatte. Blaue Blitze bildeten sich um den Portalkreis und durchzuckten den kleinen Innenhof. Auf einmal verschwamm die Szenerie vor ihnen und einen Augenblick später umhüllte sie absolute Dunkelheit.
Zeitgleich verstärkten sich die blauen Blitze und Funken sprühten vom Portal aus in alle Richtungen des Innenhofs. Die Fanatiker warfen sich vor Panik auf den Boden. Einer der Blitze fand seinen Weg zu einem der vollbeladenen Ochsenkarren, auf dem ein Teil des Labors von Valerian verladen war und fing Feuer. Es dauerte nicht lange bis ein größerer Behälter mit der Aufschrift ‚Serrikanische Mischung‘ in die Luft flog und eine heftige Kettenreaktion mit den anderen alchemistischen Gütern auf dem Karren verursachte. Die heftige Explosion verwüstet einen Großteil von Kaer Iwhaell und ließ den alten Bergfried zusammenbrechen. Außerhalb des Dorfes Treuhall stand ein Mann, in roter Robe gekleidet und lachte erregt, als er beseelt das ewige Feuer der Reinigung im Hort des Bösen erblickte.
Einige Augenblicke früher, auf den Feldern vor Kaer Iwhaell
Valerian wollte ihnen zunächst auf den Schultern des Trolls zur Burg folgen, aber ein zweiter Schildwall schnitt ihm auf der gepflasterten Dorfstraße den Weg ab. „Zurück zum Wald, mein Freund!“ schrie Valerian und der Troll stampfte in die gewünschte Richtung. Kurz bevor sie den Waldrand erreichten, kam eine Gruppe von Reitern, die mit Seilen und Hacken versuchten, den Troll zu Fall zu bringen. Valerians kurzes Falchion erschlug diejenigen, die er mit der kurzen Klinge vom Trollrücken aus erreichen konnte – aber das reichte nicht. Mit einem lauten ‚Rumms‘ schlug der schwere Leib des Trolls im zertrampelten Schnee auf und der alte Hexer musste sich mit einer gekonnten Sprungrolle retten und befand sich wieder mitten unter den Fanatikern. Der Troll grollte vor Wut, schaffte es aber nicht mehr wegen der Menschenmassen, die sich auf ihn warfen, zurück auf die Beine zu kommen. Valerian konnte die Angreifer, die ihn umzingelten mit seiner überlegenen Fechtkunst ausstechen: Einen diagonalen Hau eines Robenträgers passierter er geduckt mit einer Parade und positionierte sich neben den Angreifer. Mit einer flüssigen Doppelschrittdrehung brachte er den Falchionknauf an den Klingenansatz des gegnerischen Langschwertes und schleuderte dieses in seiner Körperdrehung mit einer Entwaffnung schwungvoll weg – direkt in den Brustkorb des Hintermannes. Valerian drehte sich in einer Pirouette weiter, wechselte die Manöverrichtung überraschend und hieb mit dem Falchion einem weiteren Fanatiker von unten in den Schritt, sodass die gekrümmte Klinge steckenblieb. Valerian duckte sich in Drehung unter einem horizontalen Hau weg und zog dabei das geworfene Langschwert aus dem Torso des am Boden liegenden Schreienden Robenträgers. Kurze Zeit später befand sich ein Kreis aus Blutspuren und abgetrennten Gliedmaßen um den alten keuchenden Mann. Da sah er, wie eine zweite, größere Welle an Fanatikern sich dem Dorf näherte. Er musste kurz schlucken und eine innere Hoffnungslosigkeit machte sich in ihm breit. Der Kreis der Angreifer umschloss Valerian enger: Mit einer schnellen Parade ließ er die Klinge des Angreifers, der Valerians Unachtsamkeit ausnutzen wollte, zur Seite abgleiten und mit einem kurzen Rückhandstreich schlitze der alte Hexer dem Mann die Halsschlagader durch. „Na los! Wer will der nächste sein!“ brüllte Valerian in aller Verzweiflung die um ihn stehenden Gegner an. Eine kleine, unscheinbare Bewegung aus dem nahen Waldrand erweckte seine Aufmerksamkeit. Plötzlich lächelte er, und schloss seine Augen: Ein lauter Knall, gefolgt von einem grellen Blitz durchbrach die Szenerie. Valerian wurde von zwei starken Armen zur Seite gezogen und ein paar geschickte Hände warfen ihm eine Robe und eine Gugel über den Kopf. In der allgemeinen Verwirrung, die im Umkreis von mehreren Metern herrschte, wurde er schnellen Schrittes ins Unterholz des Waldes geführt. Unerkannt erreichte er mit seinen beiden Helfern das Herz des Waldes. Volmar und Charlotte zogen sich die Gugeln vom Kopf „Das wurde mehr als knapp, tausend Dank!“ sagte Valerian und lächelte seinen Rettern zu. „Wir müssen hier verschwinden alter Mann, komm schnell!“ flüsterte Volmar und zeigte tiefer in den Wald. Valerian drehte sich noch einmal um: Die Burg war inzwischen überrannt worden, das Haupttor stand offen und die Horde stürmte in den Innenhof. Ein paar blaue Blitze zuckten in der Nähe vom alten Bergfried durch die Luft, gefolgt von mehreren starken Explosionen, welche die alte Burg erschüttern ließen. Augenblicklich stand die Hälfte von Kaer Iwhaell in Flammen, dunkler Rauch und Flammenzungen stiegen in die Luft. Auf dem Feld vor dem Dorf setzten Jubelschreie unter den Fanatikern ein. Valerian senkte den Blick und hoffte, dass seine Freunde alle aus dieser Feuerhölle entkommen waren. Er folgten Volmar und Charlotte im Laufschritt, bis sie zu einer ihm wohlbekannten Lichtung kamen: Hier war das Zuhause des Steintrolls und hier hatte er viele makabre Unterhaltungen mit ihm geführt – und natürlich sehr viel Alkohol getrunken. Nun standen dort in der Mitte der Lichtung ihre Pferde. Seine Stute Brunhild grüßte ihn mit einem vertrauten Schnauben. Charlotte ging zu einem alten Baumstumpf und zog ein paar Äste zur Seite. Zum Vorschein kam ein langes Bündel, dass Charlotte aufnahm, zu Valerian hinüberging und es ihm in die Hand drückte. „Nein… wie hast… unglaublich… Danke!“ stammelte Valerian. Er brauchte das Bündel nicht zu öffnen, um zu wissen, was es enthielt. Er konnte die Magie der Runen auf seinen Schwertern fühlen. „Frag lieber nicht, wie Charlotte an deine Stute und die Schwerter gekommen ist!“ grinste Volmar und die Schmugglerin aus Lyrien machte dabei einen leichten Knicks und grinste frech. Sie trat näher an Valerian heran und stand dicht vor ihm, „da wäre noch eine Kleinigkeit zu erledigen oder, Meister Valerian?“ fragte sie keck. Sie stellte sich auf ihre Zehenspitzen und schaute Valerian vielversprechend in die Augen. Dieser zog irritiert die Augenbrauen hoch und versuchte sich zu räuspern, als sich mit einem leisen Klicken die Dimeritiumfesseln an seinen Handgelenken lösten. Mit einem breiten Lächeln steckte sie die wertvollen Fesseln in ihre Tasche und blickte verrucht in Richtung Volmar, der davon allerdings nichts mitbekam, da er gerade dabei war, sein Stahlschwert von der Rückenscheide zu ziehen. „Sie kommen, wir sollten hier jetzt verschwinden!“ rief er und alle drei schwangen sich in ihre Sättel und ritten einen kleinen Jagdpfad entlang. Als sie am Ende des Pfades den Wald verließen und in einem weiten Bogen nordwärts ritten, konnten sie nochmal einen letzten Blick zurückwerfen. Das Feuer hatte die Burg fest im Griff und dunkler Qualm stieg in den blauen Winterhimmel. Im Schatten des Waldes konnte er eine große buckelige Silhouette erkennen, die ihm zum Abschied zuwinkte und ganz gewiss vertraut und bestialisch nach Schnaps stank.
„Der Sturm des Wolfes bricht an, das Zeitalter von Schwert und Axt. Die Zeit der weißen Kälte und des weißen Lichts nahet. Die Zeit von Wahnsinn und die Zeit von Verachtung, Tedd Deireádh, die Endzeit. Die Welt wird im Frost vergehen und mit der neuen Sonne wiedergeboren werden…“ zitierte Valerian lehrmeisterhaft, wendete seinen Blick von Kaer Iwhaell ab und richtete seinen Blick auf den Weg, der vor dem Trio lag.
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Metagame
Von Helena
Kaedwen, das kleine Städtchen Sturmbach, 28. Jenner des Jahres 1279
Es war ein eisiger Morgen, als sich Ida vom Hof ihres Vaters aufmachte. Sie hatte von ihrer Freundin den Rat bekommen, sich der örtlichen Heilkundigen mit ihrem Problem anzuvertrauen. „Sie urteilt nicht über dich, sie wird dir helfen“ hatte Hanna gesagt. Hoffentlich behältst du Recht dachte Ida, als sie ihren Mantel eng um den Körper schlang und los eilte. Es war noch so früh, die Wolken waren rosa von der aufgehenden Sonne, und vereinzelte Schneeflocken tänzelten durch die kalte Luft. Es waren wenige Minuten bis die ersten Häuser des Städtchens zu sehen waren, auf den Straßen war kaum jemand unterwegs. Vor ihr bog ein Ochsenkarren auf den Weg, der leere Kisten und Fässer transportierte. Der große Wagen holperte über die Spurrillen im gefrorenen Schlamm und durchbrach leise quietschend die morgendliche Stille. Ida erreichte den Marktplatz, und nur wenige Straßen weiter an einer Ecke erkannte sie das Aushängeschild nach dem sie Ausschau gehalten hatte: „Van Beldrias – Heilkunde und Apotheke“. Nervös blieb sie vor der Tür stehen. Ihr warmer Atem bildete weiße Wölkchen vor ihrem Gesicht, und sie griff an ihren Gürtel, wie um sich zu vergewissern, dass der Beutel mit den ersparten Münzen immer noch da war. Das raue Leder und das metallische Klimpern gaben ihr den nötigen Mut, die Tür auf zu stoßen und einzutreten.
Der Innenraum des kleinen, zweistöckigen Stadthäuschens schien sehr geräumig und gleichzeitig vollgestellt. Das Öffnen der Tür hatte kein Glöckchen ausgelöst, wie es häufig der Fall war bei den Geschäften in der Stadt, und trotzdem erschien sofort eine junge Frau aus einem Hinterzimmer, und kam an den Verkaufstisch. „Guten Morgen! Wie kann ich helfen?“ Ein leises Lächeln ermutigte Ida, näher zu treten. An dem hölzernen Tresen angekommen antwortete sie: „Guten Morgen. Sind Sie Frau van Beldrias?“ „Ja, die bin ich. Was brauchst du?“ „Ich bräuchte Ihre Hilfe. Ich… also ich hab…“ verunsichert stammelte Ida vor sich hin, und sah dabei auf ihre Füße. Sie spürte den durchdringenden Blick der Frau auf sich ruhen und wurde noch nervöser. „Wie heißt du, Mädchen?“ wurde sie gefragt. Verunsichert sah sie auf, und blickte dabei in auffällig hellbraune Augen. „Ida“, gab sie leise von sich. „Hallo Ida. Du kannst mich Malva nennen“, antwortete die ruhige, freundliche Stimme. Der Blick der Ärztin bohrte sich in den von Ida, und ihr war als würde ein Flüstern oder Rascheln durch den Raum ziehen. „Du brauchst keine Angst haben. Sag mir, wie ich dir helfen kann.“ Malva hatte sich leicht nach vorne gebeugt und die letzten Worte mit viel Nachdruck gesprochen.
„Ich… ich war vor etwa zwei oder drei Monden mit einem jungen Mann zusammen. Ich hatte ihn auf dem Markt kennen gelernt, und wir hatten uns am Abend in der Taverne wieder getroffen. Es führte eins zum anderen, nun habe ich seit dem keine Blutung mehr gehabt, und ich habe ihn nie wieder gesehen, er ist wie verschwunden. Mein Ruf ist ruiniert, und wenn ich jetzt ein Kind bekomme, ohne einen Ehemann, dann wird mein Vater mich rausschmeißen. Ich kann das Kind nicht bekommen. Ich.. ich kann nicht“, sprudelte es aus Ida heraus, ihre Scham schien verschwunden und ihr Angst vor einem Urteil gleich mit. Malva musste ein selbstzufriedenes Schmunzeln unterdrücken und fragte: „Du möchtest das Kind loswerden?“. Ida nickte. Malva hielt einen Moment inne, als würde sie irgendetwas versuchen zu hören. „Was ist?“ fragte Ida, und blickte sich verwirrt um. „Ach nichts. Gib mir einen Moment, ich hole etwas, das wird dir helfen.“ Sie verschwand im Nebenzimmer, aus dem sie zuvor gekommen war, man hörte, wie ein Korken aus einer Flasche gezogen wurde, sowie ein paar weitere Geräusche, die Ida allerdings nicht genau zuordnen konnte.
Stattdessen sah sie sich im Laden etwas um. Von der Decke hingen an einigen Holzbalken Kräuter, die zum Trocknen aufgehängt wurden, sowie Knoblauchketten und ein vereinzeltes Tierfell, wohl das eines Marders. Im hinteren Teil des Raums war ein gusseiserner Ofen, in dem ein Feuer prasselte und den ganzen Raum angenehm erwärmte. Darauf stand ein Topf mit einer dampfenden Flüssigkeit, daneben waren Regale mit Mörsern, Flaschen gefüllt mit eingelegten Kräutern, kleine Salbentöpfchen und viele Bücher. Gegenüber vom Ofen war ein großer, massiver Tisch aufgebaut, darauf lagen ein weißes Tuch und eine Art strohgefülltes Kopfkissen. Auf dem Tresen direkt vor sich sah Ida ein großes Glas, gefüllt mit kleinen Stoffsäckchen die prall gefüllt und mit einer Schleife zugebunden waren. Auf einem kleinen Schild daneben stand „Nächtliche Alpträume und Dämonen im Kopf halten Dich wach? Ein Säckchen friedlicher Schlaf für nur 6 Kopper“. Neugierig beugte sich Ida über das Glas, um sich die Säckchen genauer anzusehen. Ihr strömte ein angenehmer Lavendelduft entgegen, gemischt mit einem anderen, süßlichen Geruch, den sie aber nicht erkannte. „Die Säckchen brauchst du wohl kaum, wenn du das hier nimmst.“ Ida schreckte auf, Malva war lautlos wieder aufgetaucht und stand jetzt vor ihr, mit einem kleinen Fläschchen in der Hand.
„Das ist eine Tinktur aus Beifuss und Frauenmantel. Träufele davon 25 Tropfen in einen kleinen Becher Wein, und trinke den in einem Zug leer. Du wirst Schmerzen haben, aber wenn alles gut verläuft, wirst du das Kind kurz darauf tot gebären. Die Tage danach musst du dich schonen. Trink genug, iss tüchtig und überanstrenge dich nicht. Du wirst müde sein, aber auch entspannt. Wenn du am dritten Tag noch immer bluten solltest, oder vorher sehr viel, lass nach mir rufen.“ Malva reichte Ida das Fläschchen, doch als diese danach greifen wollte, hielt die Ärztin es für einen Moment noch fest. „Nimm das nur, wenn du dir ganz sicher bist.“ Ida nickte, und nahm das Fläschchen entgegen. Sie hielt es mit ihrer Hand fest umklammert, sah dann zu Malva auf und sagte sehr leise: „Danke! Ich glaube, niemand außer dir hätte mir geholfen!“
Malva schmunzelte. „Ich sehe keinen Sinn darin, dir Hilfe zu verwehren. Dafür verstehe ich wohl zu wenig von moralischen Dilemmas. Ich versteh auch nicht viel von Verzweiflung oder Angst, aber ich erkenne, dass du sie hast. Wenn ich dir dabei helfen kann, wieso sollte ich es nicht?“ Ida lächelte. Sie hatte nicht erwartet, dass ihr Ausflug so positiv für sie enden würde. Sie bezahlte die Tinktur, bedankte sich noch einmal und wollte gerade den Laden verlassen, als die Tür aufflog und vier Personen hastig in die kleine Apotheke traten. Eine der Gestalten wurde von zweien gestützt. „Bitte, helft ihm! Konrad hat sich das Bein gebrochen!“ rief eine Frau, die den offensichtlich verletzten Konrad stützte. Ida erkannte die Personen, es waren der Förster von Sturmbach, seine Ehefrau, sowie deren beiden Söhne. Sie blickte zu Malva, die tief durchatmete, sich sammelte und dann sagte: „Bringt ihn auf den Behandlungstisch. Aber vorsichtig, das Bein sollte er nicht mehr bewegen.“ Konrad wurde von seiner Frau und seinem jüngeren Sohn am Tresen vorbei zum massiven Holztisch geschleppt, wo er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht absetzte. Der ältere Sohn blickte sich skeptisch in dem Raum um, bevor er seiner Familie folgte. „Leg das Bein hoch, wenn‘s geht, ich bin sofort bei euch“, sagte Malva, und verschwand zügig im Hinterzimmer.
„Wir sollten zum alten Michel gehen, der hat Ahnung von dem was er tut“, raunte der ältere Sohn. „Sei still, Vince. Der alte Michel wohnt zu weit weg, und von ihr habe ich nichts Schlechtes gehört!“ zischte die Mutter. Vince schnaubte. „Aber auch nur, weil du dich nur mit unserer Ziege unterhältst! Diese Ärztin ist schon seit drei Jahren in Sturmbach, und niemand kennt sie so wirklich. Ich hab viele Gerüchte gehört. Sie würde alchemistische Experimente machen, sie scheint Dinge zu wissen, die kein normaler Medicus weiß… sie kommt mir komisch vor.“ „Wenn ich dir so suspekt bin, dann verlass mein Haus.“ Malva war wieder im Raum, und stand auf einmal sehr dicht vor Vince. „Keine Sorge, ich werde mich um deinen Vater kümmern, aber ich will niemanden der mich bei meiner Arbeit behindert hier drin haben.“ Sie klang sehr ruhig, aber bestimmt. „Das ist doch lächerlich!“ Vince wich ihrem Blick aus, und versuchte seine Anspannung mit einem Lachen zu überspielen. „Jetzt beeil dich, Vater verblutet sonst noch.“
Ida, die die ganze Szenerie bisher vom Tresen aus beobachtet hatte, blickte zum ersten Mal auf das Bein von Konrad, welches vor Blut triefte, und an dessen Unterschenkel ein Stück Knochen aus dem Fleisch hervor ragte. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck und sie musste weg sehen. Malva starrte Vince noch einen Augenblick lang an, dann ging sie zu Konrad. „Nimm hiervon einen Schluck. Das ist Mohn-Extrakt, das wird die Schmerzen lindern, und dich schläfrig machen, sodass ich mich besser um dein Bein kümmern kann.“ Sie hielt ihm eine kleine, braune Flasche an den Mund und ließ ihn trinken. „Was eine Spinnerin“, gab Vince kopfschüttelnd von sich, während er auf und ab lief. Seine Mutter hielt währenddessen Konrads Hand fest und strich ihm die Haare von der verschwitzten Stirn. „Lass doch einfach gut sein, Vince. Sie hilft Papa…“ meldete sich der jüngere zu Wort.
„Wenn helfen darin besteht ihn auf Drogen zu setz-„ weiter kam er nicht, den Malva hatte sich abrupt zu ihm umgedreht, ihm den Mörser aus der Hand genommen, welchen er aus Neugierde vom Regal genommen hatte, und erwiderte lautstark: „Wenn du ein Problem mit meinen Arbeitsmethoden hast, dann verschwinde aus meinem Haus. Ich werde das kein drittes Mal sagen, also verzieh dich.“
Vince war für einen Moment wie erstarrt, doch er schien Malva nicht ernst zu nehmen. Sein Fehler, denn einen Augenblick später hatte sie ihn am Kragen gepackt, zur Tür geschliffen und ihn raus geworfen, im wahrsten Sinne des Wortes. Ida war überrascht, denn so stark sah Malva nicht aus, und sie wusste das Konrad mit seinen Söhnen regelmäßig Holz hacken war. Die Tür schlug zu, Malva drehte sich zu den verbliebenen vier Personen im Raum um und versuchte ein Lächeln.
„Verzeiht mir, aber Störungen bei der Arbeit kann ich wirklich nicht gebrauchen.“ Sie eilte hinter den Tresen, krempelte die Ärmel ihres roten Wamses hoch, strich sich eine dunkelblonde Strähne aus dem Gesicht und legte verschiedene Werkzeuge parat. Konrad schien inzwischen etwas weggetreten zu sein, und seine Frau und der verbliebene Sohn wagten kein Wort mehr zu sagen, während Malva sich daran machte, die offene Wunde und das gebrochene Bein zu versorgen. Als ein lautes Knacken ertönte, und Konrad schmerzerfüllt aufstöhnte sah Ida das pulsartig austretende Blut und ihr wurde plötzlich speiübel. Sie lief zur Tür, das Fläschchen mit der Tinktur in ihrer Hand fest umschlungen, und verließ das Haus. Vor der Apotheke musste sie erst einmal tief durchatmen. Die kalte Luft stach in ihrer Lunge, aber langsam verzog sich die Übelkeit.
„Na, haste auch zu viel von der Irren?“ Vince stand an die Hauswand gelehnt, sein dreckiger Stiefel ruhte an der Fassade. „Ja, genau“, nervös lachte Ida. Sie wollte schnell nach Hause. „Wozu warst du überhaupt bei der?“ fragte er mit einer Mischung aus Neugierde und Skepsis in der Stimme. „Nur was gegen Bauchschmerzen“, murmelte sie, und hielt dabei das Fläschchen etwas hoch. Vince nickte.
„Die Schlampe wird es noch bereuen mich rausgeschmissen zu haben.“ Er spuckte aus, direkt vor die Eingangstür. Ida war die ganze Situation sehr unangenehm. Sie gab noch ein nervöses Lachen von sich, dann stammelte sie etwas von „muss jetzt los“, und machte sich hastig auf den Weg, zurück zum Marktplatz und über den matschigen Weg nach Hause.
Kaedwen, das kleine Städtchen Sturmbach, 12. Hornung des Jahres 1279
Nachdem Ida die letzten drei Tage schmerzerfüllt und zurückgezogen durchlebt hatte, ging es ihr endlich besser. Ihr ging es sogar richtig gut. Sie fühlte sich befreit, und nachdem sie ihre blutigen Laken gewaschen, selbst ein warmes Bad genommen und eine heiße Suppe gegessen hatte, machte sie sich auf nach Sturmbach. Sie wollte Malva danken. Dafür, dass sie ohne Sorge um ihre Zukunft weiter leben konnte. Es war nach wie vor bitterkalt draußen, und die letzten Tage schien es geschneit zu haben, doch mit ungetrübter Laune stapfte Ida durch den knirschenden Schnee. Nach einigen Minuten erreichte sie die ersten Häuser des Städtchens, in dem es genauso ruhig schien wie bei ihrem letzten Besuch. Als sie den Marktplatz und die Straßenecken danach erreichte, hielt sie vergeblich Ausschau nach dem Schild der Apotheke. Sie war in der richtigen Straße, doch als sie näher kam, sah sie, dass das Schild abgerissen war, und zertrümmert am Boden lag. Nur noch die Worte „Heilkunde und Apotheke“ waren lesbar, der Name war vollkommen zersplittert. Entsetzt blickte sich Ida um. Das sah nicht nach dem Ergebnis einer starken Windböe aus. Dann erst viel ihr das Ausmaß des Schadens auf. Sie taumelte einige Schritte zurück, und schlug vor Schreck die Hände vor den Mund.
Die Fenster des kleinen Stadthäuschens waren eingeschlagen, die Tür hing schief in der Angel und das Haus schien weitestgehend ausgeräumt zu sein. Vor dem Fenster lagen die noch leicht qualmenden, verkohlten Überreste einiger Möbelstücke. Von Malva war keine Spur mehr. „Was ist hier geschehen?“ fragte Ida einen Mann, der ein paar Häuser weiter ein paar Säcke Getreide von einem Karren schleppte.
„Die haben diese Ärztin verjagt, gestern Abend. Haben gesagt, sie sei eine Hexe oder sowas. Nicht ganz klar im Kopf. Eine Gefahr für die Allgemeinheit. Sie war aber schon gar nicht mehr zuhause. Hatte wohl ihre Habseligkeiten gepackt und war verschwunden. Sehr verdächtig, wenn du mich fragst“, murrte der Alte. Ida bedankte sich, ging ein paar Schritte zurück zum Haus, und sah sich noch einmal die Trümmer an. Ein noch glimmendes Stuhlbein brach zusammen und wirbelte dabei grau-weiße Asche auf, die den herunterfallenden Schneeflocken entgegen stieg. Es war ein kalter Tag.
Gestrandet
Gestrandet
Metagame
Von Peter
Schwertau, Königreich der Zwölf Auen, Winter 1279
„Verdammt ist es kalt geworden!“ murmelte Logan und zog seinen Umhang enger um die Schultern. Atheris, der größere und deutlich ältere der beiden Vatt’ghern, schaute zu seinem Begleiter rüber und nickte ihm zustimmend zu. Die beiden waren jetzt bereits seit einer Woche im Auftrag des Großmeisters der Greifenhexer Valerian im Grenzgebiet der Schwertau unterwegs. Mit sich führten sie eine gefährliche Ladung, die sicher in einer kleinen verschlossenen Holztruhe verstaut war. „Immer in Bewegung bleiben, haltet euch von Ärger fern und wir treffen uns in zwei Wochen am verabredeten Treffpunkt wieder“ waren die letzten Worte ihres Meisters gewesen. Ohne die eisige Kälte wäre es ein richtig schöner Ausritt gewesen, die Sonne schien strahlend vom Himmel, die Landschaft war vom weißen Schnee bedeckt und die Berge im Hintergrund bildeten eine beachtliche Kulisse. Gegen Nachmittag machten die beiden Reiter am Wegesrand eine Pause. Während Atheris die Karte studierte, versorgte Logan die Pferde. „So ein Mist, die Wasserschläuche sind zugefroren und unser Mittagessen ist hart wie Stein“ schimpfte er und biss dabei leicht genervt auf einem Stück Brot herum. Atheris blickte von der Karte auf und erwiderte, „nicht allzu weit von hier ist, glaube ich, ein Gasthof auf der Karte vermerkt. Er liegt zwar nicht auf unserer vorgesehenen Strecke, aber ich denke, wir sollten den Umweg in Kauf nehmen!“ Der junge Hexer nickte zustimmend. Die Aussicht, die Nacht in einem warmen Bett und mit einer ordentlichen Mahlzeit im Bauch verbringen zu können, hellte ihre Laune auf. Und so schwangen sich die beiden zurück auf den Rücken ihrer Pferde und zogen weiter.
Am Nachmittag waren die beiden Hexer tief in ihren Sätteln zusammengesunken und schwiegen, als sie von einem plötzlichen Wetterumschwung überrascht wurden: Innerhalb von wenigen Momenten wurde aus einem schönen Wintertag das reinste Schneechaos. Der Wind peitschte ihnen den Schnee ins Gesicht und jagte die Kälte endgültig durch ihre Mäntel. „Verdammt! Ich kann die Hand vor Augen kaum noch sehen!“ fluchte Atheris. „Wir müssen aufpassen, dass wir uns in dem Chaos nicht verlieren! Wir sollten uns aneinanderbinden!“ schrie Logan zurück. „Gute Idee!“ erwiderte der große Hexer. Sie befestigten ein Seil zwischen sich und führten fortan ihre Pferde am Zügel. Es dauerte gefühlt eine Ewigkeit, aber schließlich zeigte Atheris auf ein kaum wahrnehmbares Licht mitten im undurchdringlichen Weiß des Schneesturms. Völlig durchfroren erreichten sie das gesuchte Gasthaus „Sieht doch ganz einladend aus“, meinte Logan schmunzelnd. Er war sichtlich erleichtert, endlich angekommen zu sein. Das Gasthaus bestand aus einem zweistöckigen, gemütlich aussehenden Haupthaus und einem Nebengebäude, das aussah wie die Stallungen. Die beiden Hexer führten ihre Pferde in den Stall. Ein Bursche, der gerade dabei war, die Stallungen zu säubern, kam angelaufen und nahm die Tiere in Empfang. Atheris warf ihm eine silberne Münze zu, um sicherzustellen, dass die Reittiere bestens versorgt wurden. Mit ihrem leichten Gepäck unterm Arm gingen sie in den Schankraum. Mit einem prüfenden Blick musterten die beiden Gefährten die anderen Gäste. Am auffälligsten waren vier Soldaten aus der Au, die ebenfalls vor dem Sturm hier Zuflucht gesucht hatten. Am Tresen stand der Gastwirt, ein großer rothaariger Mann, der auch gut und gerne ein Schmied hätte sein können und neben ihm seine auf den ersten Blick wunderschöne Tochter, die ebenfalls rote Haare und Sommersprossen im Gesicht hatte. Entgegen der nördlichen Königreiche wurden Hexer in der Schwertau nicht sofort mit Beleidigungen oder einem Hausverbot bedacht. Hier galt das Gastrecht noch als hohes Gut, und so begrüßte der Wirt die beiden Monsterjäger freundlich. „Guten Tag die Herren, mein Name ist Hermann und das ist meine Tochter Charlotte – was können wir für euch tun?“ eröffnete er seine Begrüßung. „Wir hätten gerne ein Zimmer mit zwei Betten, wenn es geht ein heißes Bad und zuletzt ein warmes Essen mit einer Flasche Wein!“ entgegnete Atheris und legte dabei seine Geldkatze klingend auf den Tresen, um die Zahlungsfähigkeit der beiden zu untermauern. „Wie ihr wünscht, die Herren!“ sagte der Wirt und gab seiner Tochter ein Zeichen. Sie führte die beiden mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht eine Treppe hoch auf die obere Etage, wo sich offensichtlich die Gästezimmer befanden. Ihr Zimmer war einfach, sauber und vor allem warm. Diese Tatsache alleine zauberte Logan ein weiteres breites Lächeln in sein jugendliches Gesicht. „Wenn ihr beiden so weit seid, dann kommt wieder runter: Ich bereite euch das Bad vor“, sprach Charlotte und verließ sie. Wenn sich die scharfen katzenhaften Augen des älteren Hexers nicht täuschten, hatte das Mädchen beim Gehen Logan frech zugezwinkert – ob der Blondschopf das auch bemerkt hatte? Schwer zu sagen, denn er hatte sich schon auf sein Bett geworfen und strahlte wie ein kleiner Junge. „Es braucht ja nicht viel, um dich glücklich zu machen“ lachte Atheris. Nachdem sie ihr Gepäck verstaut hatten, machten sie sich auf den Weg ins Bad. Nur das geheime Truhenförmige mit Tüchern umhüllte Bündel, das sie bewachen sollten, nahmen sie mit.
Als sie sich in den Zuber setzten und das heiße Wasser die Kälte aus ihren Gliedmaßen vertrieb, kehrten vollends die Lebensgeister wieder. Sie ließen sich von Charlotte jeweils einen Humpen Bier bringen und unter den Umständen schmeckte es köstlich und hob ihre Stimmung. Sie blieben eine ganze Weile im Zuber und ließen sich von der Wirtstochter gerne den Rücken schrubben. Gebadet und mit guter Laune machten sie sich später im Schankraum an das Abendessen. Es gab leider kein Wildbret, aber dafür einen schmackhaften Eintopf. Nachdem sie satt waren, gesellte sich Logan an den Tresen und fing an, sich mit Charlotte zu unterhalten, die gerade mit dem Zapfhahn ein frisches Weinfass anschlug, während Atheris sich mit einem Kelch Rotwein an einen freien Tisch setzte, sein Tagebuch aus einer Tasche holte und anfing, seinen letzten Eintrag zu vervollständigen.
Der kürzliche Tod von zwei Reisegefährtinnen während der Sommerfeldzüge hatte ihn in letzter Zeit beschäftigt und veranlassten ihn über sein eigenes Schicksal nachzudenken. So notierte er die folgenden Worte auf die leere Seite: „Nach meinem Empfinden entfaltet sich das Elysium eines Vatt’ghern in seinem Gewissen, und wenn er sich seiner Verantwortung bewusst ist, wenn er gesucht und gefunden hat, wenn er sich dem gemeinsamen Ideal seiner Schule angenähert, seine Pflichten als Jäger erfüllt hat, dann ist er gut darauf vorbereitet, eine Welt zu verlassen, die er ein wenig besser zu machen sich bemüht hat. Er wird seinen Nachfolgern ein Königreich hinterlassen, das von seiner Arbeit geprägt und für alle Menschen lebenswerter sein wird.“ Ein gellender Schrei ließ ihn aufschrecken. Sein Blick traf sich mit dem von Logan und fast simultan zogen sie ihre Schwerter und stürmten los. Hinter dem Tresen führte eine steile Treppe in das Kellergewölbe des Gasthofes, vorbei an einem kleinen runden Tisch, an dem wohl öfters Karten gespielt wurde, vorbei an Regalen voller Geschirr und einem Spülzuber in einen großen Raum, in dem der Wirt seine Vorräte lagerte und in dessen Mitte sich ein alter, verschlossener Brunnen befand. Hier stand die Charlotte, die kreidebleich und mit beiden Händen an den Wangen etwas anstarrte, was weiter hinten im Raum vor den Blicken der Hexer verborgen lag. Mit gezogenen Schwertern drängten sich die beiden an der Frau vorbei. Ein paar Füße schauten hinter einem großen Fass hervor. „Das ist einer der Soldaten aus der Au!“ flüsterte Logan. Sie näherten sich weiter und behielten dabei die Umgebung genau im Auge, aber sie konnten keine weitere Gefahr ausmachen. Atheris beugte sich zum Leichnam des Soldaten runter und untersuchte ihn. Die Todesursache war schnell gefunden, ein scharfes Küchenmesser steckte in seinem Brustkorb. Er war an seinem eigenen Blut erstickt. Es gab keine Anzeichen für einen Kampf im Raum, noch wies der Körper weitere frische Blessuren auf. Als sich die beiden Hexer gerade daran machten den Raum weiter zu untersuchen, kamen die drei Kameraden des Gefallenen angelaufen. Die leicht angetrunkenen Soldaten sahen ihren Mann am Boden liegen und der älteste von ihnen schrie: „Was bei allen Göttern ist hier passiert! Verdammt! Macht Platz!“ fuhr er fort und schob die beiden Hexer zur Seite. Atheris und Logan blickten sich kurz an und zogen sich in den Schankraum zurück. Als sie sich wieder an ihren Tisch gesetzt hatten, fragte der jüngere der beiden Hexer: „Was meinst du was da unten passiert ist?“ „Ich kann wirklich nicht sagen, was da unten passiert ist Logan, es sieht für mich auf den ersten Blick nach einem Unfall aus! Letztendlich ist es aber nicht unser Problem. Valerians Anweisungen sind eindeutig, wir sollen uns aus Ärger heraushalten und auf das Artefakt achten“ erwiderte der sichtlich mies gelaunte muskelbepackte Hexer. Sie blieben noch eine Weile im Schankraum, bevor sie sich in ihr Zimmer begaben und sich zur Nachtruhe niederlegten. Die Tür und die Fenster sicherten sie mit kleinen Alarmglöckchen ab, diese hatte ihnen ihr Freund der Händler und Meisterattentäter Heskor mitgegeben, der berühmt für sein Alarmglöckchenspiel ist.
Am nächsten Morgen erwachte Atheris ausgeschlafen nach einer ruhigen Nacht. Wie er schnell feststellte, war er alleine im Zimmer. Das zweite Bett war leer, jedoch lag Logans Ausrüstung noch wie am Vorabend aufgeräumt auf einem Stuhl in der Zimmerecke. Die Tür war verschlossen, aber nicht mehr gesichert, er musste heute Nacht unbemerkt das Zimmer verlassen haben. Der Hexer zog sich an, prüfte das geheime Bündel, das neben ihm im Bett gelegen hatte, und nachdem alles in Ordnung schien, ging er hinunter in den Schankraum. Auch hier war sein Begleiter nicht aufzufinden. Nicht dass er sich Sorgen um ihn machte, sein Freund war durchaus mehr als in der Lage, auf sich selber aufzupassen, aber unter den Umständen des Vorabends würde er ihn doch gerne bei guter Gesundheit wissen, bevor er sich einem ausgiebigen Frühstück widmen würde. Nachdem er seinen Gefährten im Haupthaus nicht findet konnte, machte er sich über den kleinen überdachten Verbindungsweg auf den Weg zum Nebengebäude. Der Schneesturm hatte über Nacht kaum an Stärke verloren, und der Schnee peitschte ihm erneut unangenehm ins Gesicht. „So schnell werden wir hier wohl nicht wegkommen!“ seufzte er leise vor sich hin und schritt die letzten Meter weiter zu den Stallungen. Dort angelangt vergewisserte er sich, dass ihre beiden Pferde gut versorgt waren. Gerade als er dabei war, seinem schwarzen Hengst Ker’zaer eine Rübe zu reichen, vernahm er ein Geräusch vom Dachboden. „Logan! Bis du da oben auf dem Heuboden?“ rief er laut. Es dauerte nicht lange und der blonde Schopf schaute über den Rand nach unten und sein breites Grinsen im Gesicht sprach Bände. „Kommst du auch zum Frühstücken oder brauchst du noch etwas Zeit?“ fragte Atheris mit einem Grinsen im Gesicht. Der junge Hexer ließ sich elegant vom Heuboden herabgleiten, ihm folgte wenig später Charlotte und beide schlossen sich dem älteren Hexer an. Wenig später waren die beiden Gefährten mit dem Essen fertig und unterhielten sich, was sie als nächstes tun sollten. „Wir sind hier vorerst gestrandet Logan, und werden hier noch eine Zeit ausharren müssen!“ sprach Atheris und nippte an seinem Becher. „Wollen wir den Mord an dem Soldaten weiter untersuchen?“, fragte der junge Hexer, während er seinen heißen Tee schlückchenweise trank. „Die Anweisungen von Valerian waren klar, ‚haltet euch von Ärger fern!‘ Und zudem hast du ja selber mit angesehen, dass die Soldaten unsere Hilfe nicht wollen, also halten wir die Füße still und erledigen unseren Auftrag!“ Und so kam es, dass die beiden Hexer einen ruhigen Tag im Haus verbrachten. Logan vertrieb sich seine Zeit am Tresen, indem er viel mit Charlotte turtelte, und Atheris saß mit dem geheimen Paket in einer Ecke des Schankraumes und las in einem Buch mit dem Titel „Vampire – Fakten und Mythen“. Meister Valerian hatte es ihm auf die Reise mitgegeben, um sein Wissen um die Blutsauger zu vertiefen. Gerade las Atheris die spektakuläre Hypothese des Dottore Marxell Hippocampi der Universität Kastell Graupian, nach welcher ‚Vampiroide nur Blut Anderer trinken müssen, weil sie nicht bei Tageslicht hinauskönnen und deswegen einen wichtigen Nährstoff im Körper nicht bilden können, der sich nur bei Tageslicht synthetisiert im Körper – man könnte also sagen Ihre Lebensvoraussetzung der Dunkelheit mache sie depressiv, und der Rausch unseres Blutes heile sie von dieser Tristessé.‘
Der ältere der beiden Hexer beobachtete immer wieder das Treiben im Schankraum und wie die Schwertauer Soldaten versuchten, dass Schicksal ihres Kameraden zu ergründen. Der Abend verging genauso ereignisarm wie der Rest des Tages. Nach einem guten Abendessen verabschiedete sich Atheris und ging zu Bett. „Ich komme in ein paar Augenblicken nach, ich werde noch einmal im Stall nach dem Rechten schauen!“ gab ihm Logan mit einem Augenzwinkern zu verstehen. Nachdem das Zimmer wieder mit den Glöckchen abgesichert war, legte sich der große Hexer ins Bett und schlief sofort ein. Es war mitten in der Nacht, als ein abscheulicher Schrei ihn abrupt aus seinen Träumen riss. Die einsetzenden Rufe und Befehle der Soldaten verrieten, dass nichts Gutes passiert sein konnte. Schnell zog sich Atheris Hose und Hemd an und machte sich mit seinem Schwertgurt über die Schulter geworfen auf den Weg runter in den Keller, aus welchem er die Stimmen der Soldaten hörte. „…es kann nicht sein, niemand hat den Keller betreten, wir hatten permanent eine Wache am Eingang stehen!“ stammelte einer der Soldaten, sie verstummten, als sie Atheris die Treppe runter schreiten sahen. „Darf ich fragen was passiert ist und warum hier so ein Tumult mitten in der Nacht ausgebrochen ist, oder soll ich mich wieder schlafen legen, weil ihr alles im Griff habt?“ fragte der muskulöse Hexer die zwei vor ihm stehenden Soldaten. Nach einem kurzen Blickwechsel entgegnete der ältere der beiden: „Unser Kamerad war im Kellergewölbe unterwegs, um weiter nach Hinweisen für das Geschehen gestern Abend zu suchen, als wir den Schrei hörten. Er liegt dahinten, neben dem Regal, es ist auf ihn gekippt und hat ihn vermutlich erschlagen!“ Er zeigte auf ein umgestürztes schweres Holzregal im hinteren Teil des Raumes. Neben zerbrochenen Krügen und Tellern lag der Verstorbene, den die beiden Kameraden bereits geborgen und dort unter einem Tuch abgelegt hatten. „Darf ich mir ein Bild von der Lage machen, oder wollen die Herren Soldaten ihre eigenen Ermittlungen fortführen?“ fragte Atheris mit einer bewusst hochgezogenen Augenbraue. Wieder blickten die beiden sich an, dann nahm einer seine Geldkatze von der Seite und fragte Atheris mit einem verachtenden Blick: „Wieviel nimmst du, Meister?“ über das ‚Meister‘ wollte er beinahe grinsen, ließ sich aber nichts anmerken. Atheris ließ die beiden links stehen und antwortete ohne sich umzudrehen „die nächste Runde geht auf euch!“ Gerade als er sich dem Gefallenen näherte, stieß Logan zu ihm. „Sieht auf den ersten Blick wieder wie ein Unfall aus!“ meinte der junge Hexer und betrachtete das Chaos vor sich. Atheris blickte auf und schaute zu ihm rüber, „so erscheint es zumindest! Hast du dich geschnitten Logan? Du hast Blut an deinem Hals!“ sprach er und senkte seinen Blick wieder. „Das ist nur ein Kratzer, Charlotte hatte sich bei dem Schrei erschreckt und muss mich dabei gekratzt haben!“ erwiderte er. „…Ganz gewiss hat sie dich dabei gekratzt.“ Zwinkerte Atheris ihm zu. Beide machten sich an die Arbeit und begannen sich systematisch vom Körper aus umzuschauen. Nach einer Weile setzten sich die beiden auf den Rand des versiegelten Brunnens, der ganz in der Nähe des Opfers mitten im Raum war, und begannen zu diskutieren. „Die Todesursache war definitiv das gebrochene Genick des Mannes. Das schwere Regal hat ihm beim Umstürzen unglücklich erwischt – es sieht auch bei genauerer Betrachtung noch nach einem Unfall aus!“ fasste Logan die Erkenntnisse zusammen. Atheris nickte zustimmend und dachte laut nach: „Es sieht aus wie ein Unfall, definitiv. Es gibt auch keinerlei Hinweise, die darauf schließen lassen, dass jemand anderes in diesem Raum war, und die Soldaten hatten den einzigen uns bekannten Zugang zusätzlich auch noch permanent bewacht. Aber wir sind uns beide einig, dass die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Unfälle innerhalb von so kurzer Zeit, die mitten in der Nacht passieren und zwei erfahrenen Soldaten das Leben gekostet haben, nicht sehr hoch sein kann.“ Der große Hexer ließ den Blick durch den Raum wandern, verharrte kurz bei der Vorratskammer, in dem der andere Soldat aufgefunden worden war und blickte wieder zurück zu Logan, bevor er weitersprach: „Eines haben beide Vorfälle aber gemein, die Soldaten sind jeweils mit dem Blick in unsere Richtung verunglückt, kann das ein Zufall sein? Wie wahrscheinlich ist es, dass jemand so schnell rückwärts gegen ein Regal stößt, dass dieses auf ihn stürzt? Du hast es gesehen, dass Regal ist alt, aber stabil und war zusätzlich sogar noch in der Wand leicht verankert. Ich bin fest davon überzeugt, dass es nicht ohne weiteres umgefallen sein kann!“ Beide saßen noch eine ganze Weile da und sprachen mögliche Theorien durch, aber weder kamen sie auf eine plausible Erklärung noch fanden sie einen weiteren Hinweis, der ihnen half. Während die beiden Soldaten sich um ihren toten Kameraden kümmerten und der Wirt mit seiner Tochter anfing, den Keller wieder aufzuräumen, machten sich die beiden auf den Weg zu ihrem Zimmer und legten sich schlafen. Der neue Morgen brachte nichts neues, das Schneechaos war noch schlimmer geworden und es gab weder von den Soldaten noch vom Wirt Nachrichten über weitere Vorkommnisse in der Nacht. „Ich denke es bleibt uns nichts Anderes übrig, als uns heute Nacht selber auf die Lauer zu legen und mit eigenen Augen zu prüfen, was da Nachts im Gewölbe vor sich geht“, sagte Atheris, während er ein Stück Wurst abschnitt und es auf sein Frühstücksbrot legte. „Wie wollen wir das anstellen?“ entgegnete Logan interessiert. „Ganz einfach, wir stecken dich in ein leeres Fass und du beobachtest, was passiert und falls es gefährlich wird, schreist du laut. Währenddessen werde ich vor dem Keller die Stellung halten“, antwortete der ältere Hexer. Logan’s Blick verlor seine fröhliche Mimik, denn es war klar, dass ihn die Aussicht auf die bevorstehende Nacht nicht sonderlich glücklich machte – wenngleich er das Ausharren in Holzkonstruktionen gewöhnt war, zumindest laut hartnäckiger Schulexterner Gerüchte bezüglich eines ominösen Hexerschrankes. In den Armen von Charlotte hätte es ihm sicherlich besser gefallen, aber das war nun mal das Schicksal eines Vatt’ghern. Nachdem sie die beiden verbliebenen Soldaten und den Wirt über das Vorhaben unterrichtet hatten, verbrachten sie den Mittag mit den Vorbereitungen. Ein präpariertes Eichenfass stellten sie in eine schlecht ausgeleuchtete Ecke, so dass Logan eine gute Sicht auf den Raum haben würde. Einen kleinen Hocker konnten sie im Versteck noch unterbringen, dadurch würde es zumindest etwas bequemer werden. Einigermaßen zufrieden mit ihrer Arbeit zogen sich die beiden in ihr Zimmer zurück, damit sie für ihr Vorhaben gut ausgeruht sein würden.
Am späten Abend saß Logan schließlich in seinem Versteck. Ihm war schnell langweilig und seine Gliedmaßen schmerzten nach kurzer Zeit. Die Meditationsübungen, die er von Meister Valerian gelernt hatte, halfen ein wenig die Situation erträglicher zu machen. Innerlich verfluchte sich Logan, dass er bei diesen Lektionen nicht besser aufgepasst hatte. Er hatte immer mehr Spaß beim Fechten und den körperlichen Übungen gehabt. Die Meditationsübungen hatte er immer als die Spinnereien eines alten Mannes abgetan und das rächte sich nun. Wie lange er letztendlich in dem Fass verbrachte, konnte er nicht mehr sagen; und als er gerade innerlich am Hadern und Schimpfen war, wäre im fast die leichte Bewegung am Rand des Brunnens entgangen. Sein Adrenalinspiegel schnellte nach oben und seine Sinne schärften sich. „Was bei Valerians grauem Bart ist das nur?“ dachte er sich und beobachtete, wie jemand oder etwas aus dem verschlossenen Brunnen kletterte. Das Wesen stand nun im Raum, mit dem Rücken zu ihm gewendet. Von der Statur her war es ein junges Mädchen, vielleicht zwölf Jahre alt mit hellem schütterem Haar. Es stand da, nur mit einem zerschlissenen Nachthemd bekleidet. Unter ihr bildete sich langsam eine Pfütze und ihre nackten Füße platschten spielerisch in dem Wasser. Logan hatte in seinem Leben schon einiges an Monstern und geheimnisvollen Wesen gesehen, aber das sich ihm jetzt bietende Szenario verursachte bei ihm eine Gänsehaut. Ziemlich lange stand das Mädchen einfach nur da, den Blick zu Boden gerichtet, das lange Haar verdeckte ihr Gesicht und die Schultern hingen schlaff nach unten, als ob es keine Körperspannung hätte. Es summte dabei eine kaum hörbare Melodie, die Logan seltsam vertraut vorkam und in ihm traurige Gefühle weckte. Gerade als er sich an die Situation gewöhnte, wendete das Mädchen plötzlich den Kopf in seine Richtung, der Blick der fahlen Augen, die ihn gefühlt direkt durch das Fass anstarrten, ließen sein Herz zu Eis erstarren. Ohne dass es ihm bewusst war, hielt er die Luft an. Nach einer gefühlten Unendlichkeit verschwand das Mädchen schließlich wieder in den verschlossenen Brunnen. Der junge Hexer zählte langsam bis hundert, beruhigte seine Nerven und stieg endlich aus dem Fass. Er ging zum Brunnen und betrachtete die Abdeckung: Sie war massiv, verschlossen und es gab auch kein Anzeichen für eine Pfütze an der Stelle, wo gerade noch das Mädchen gestanden hatte. „Das erklärt einiges!“ murmelte Logan und ging mit schmerzenden Gliedmaßen in Richtung Ausgang. Hinter der Tür kauerte Atheris auf der Treppe, seine silberne Klinge war gezogen und ruhte griffbereit auf seinem Schoß. Er blickte auf, als Logan durch die Tür trat.
Wenig später saßen alle versammelt im Schankraum und Logan erzählte ausführlich über seine Beobachtungen, anschließend zogen sich die beiden Hexer in eine Ecke zurück und besprachen das weitere Vorgehen. Atheris holte aus seinem Reisegepäck ein altes Buch hervor mit dem Titel „Geister, Erscheinungen und die Verdammten“, er hatte es aus der Bibliothek von Kaer Iwhaell mitgenommen, zumindest was von der gestohlenen und abgebrannten Bibliothek seit der redanischen Belagerung übrig blieb, und sah nun eilig Seite für Seite durch bis er schließlich den gesuchten Eintrag mit einer Zeichnung gefunden hatte. Mit einem Finger zeigte er auf das Bild und meinte „deine Beschreibungen haben mich hieran erinnert, Logan. Was meinst du?“ „Es trifft ziemlich gut zu, allerdings Bekleidung und vor allem das Alter war natürlich anders,“ stimmte der junge Hexer zu. „Will man eine Erscheinung loswerden, muss man zuerst ihren Körper finden. Man versuche es in ungeweihter Erde oder in der Ecke eines Friedhofs, wo Gesetzlose begraben werden. Wenn man den Leichnam ausgräbt, wird man feststellen, dass er nicht verwest ist und Blut auf den Lippen hat. Man durchbohre den Leichnam mit einem Espenpflock, schneide den Kopf ab, lege ihn dem Leichnam zwischen die Beine und zünde alles an – sicher ist sicher. Dann kehrt die Erscheinung niemals zurück. Es sei denn, man macht etwas falsch – dann ist es um einen geschehen!“ las Atheris laut aus dem Buch vor und blickte seinen Freund an. „Also fehlt uns nur der Leichnam, ein Espenflock – wo auch immer wir den herbekommen sollen im Winter – und einen Friedhof hat es hier auch nicht und ja, ich denke auch was du denkst, die Erscheinung kam aus dem Brunnen und…“ Logan schluckte bei dem Gedanken und hielt kurz inne bevor er fortfuhr „…im Brunnen, das bedeutet einer muss sich wohl abseilen und nach dem Körper tauchen. Schau mich nicht so mit deinen Katzenaugen an Atheris, wir knobeln wie immer!“ fasste Logan zusammen. Atheris blickte an sich herunter und deutete mit seinen beiden Handflächen die Breite seines Körpers an und anschließend tat er das gleiche bei Logan, er sagte aber nichts weiter, und der junge Hexer gab mit einem Nicken zu verstehen, dass er dem Argument zustimmte. So kam es, dass Logan nur wenig später an einem Seil hängend in die Dunkelheit herabgelassen wurde. Wie sehr wünschte er sich die Katzenaugen von Atheris in diesem Moment. Als er den Wasserspiegel berührte, schnitt das kalte Wasser wie ein Dolch in seine Haut. „Der Brunnen musste gewiss von einem Gletscher unterirdisch gespeist werden!“ dachte sich der junge Lehrling. Als Logan komplett ins Wasser eingetaucht war, konnte er im ersten Moment nichts außer den Steinwänden mit den Händen ertasten und seine Füße fanden den Grund nicht. Logan holte ein paar Mal tief Luft und ließ sich dann unter die Wasseroberfläche gleiten. Nach einer kurzen Strecke öffnete sich eine größere Zisterne und er konnte sich nicht mehr am Brunnenrand orientieren. Die dunkle Kälte umfasste ihn, und er verlor das Gefühl für Raum und Zeit. Fast wäre er in Panik geraten, als etwas Weiches seinen nackten Fuß berührte. Geistesgegenwärtig machte er eine Rolle und griff beherzt nach dem Etwas, das ihn da berührt hatte. Er fühlte sich sehr beklommen, als ihm klar wurde, dass er eine kleine Hand in seinem Griff hatte. Er zog dreimal am Seil und tauchte vorsichtig dem kleinen Licht entgegen, das durch die Lampe, die Atheris runtergelassen hatte, verströmt wurde. Mit dem Seil zogen sie den kleinen, zerbrechlich wirkenden Körper hoch in das Kellergewölbe.
„Für eine Wasserleiche ziemlich gut erhalten, lediglich die Blutspuren auf dem Mund fehlen, aber sie lag ja auch im Wasser und nicht unter der Erde. Hier am Hals weist sie eine Wunde auf, könnten Bissspuren sein, aber es ist nicht mehr wirklich gut zu erkennen, zu aufgequollen ist die Haut!“ sprach Atheris und zeigte zuerst auf die Lippen und anschließend auf die Stelle am Hals. Logan, der sich in der Zwischenzeit abgetrocknet und wieder angezogen hatte, nickte zustimmend. Der Wirt und die Soldaten betrachteten ebenfalls den Leichnam, konnten aber auch keine neuen Erkenntnisse liefern. Der Wirt wusste auch nicht von einem vermissten Mädchen zu berichten. Er und die beiden Soldaten legten zusammen und boten den Vatt’ghern in Summe zwei Gold- und vier Silberstücke, wenn Sie sich um das Problem mit dem Geist kümmern würden. „Wir nehmen den Auftrag an!“ sagte Atheris und nahm die Münzen an sich. Die beiden gingen auf ihr Zimmer. Auf dem Weg dorthin flüsterte Logan: „Was ist aus dem Vorsatz geworden, uns aus allen Schwierigkeiten rauszuhalten?“ Atheris blieb stehen und blickte Logan in die Augen bevor er antwortete: „Ich weiß Logan, es sind nicht die Anweisungen unseres Meisters, aber hier sterben Menschen und wir können versuchen, etwas dagegen zu machen. Valerian hat noch nie jemanden im Stich gelassen, der unsere Hilfe benötigte und ich denke, wenn er hier wäre, würde er nicht anders handeln wie wir. Außer dass er wohl besser wüsste, auf was er sich hier einlässt als wir beide!“ Beim letzten Satz mussten beide schmunzeln und gingen weiter.
Die Vorbereitungen für den Bannversuch dauerten den ganzen Nachmittag an, doch woher den Espenpflock nehmen? Logan brachte Besenstile und Heugabeln – doch war jenes Holz schon brüchig und voller Makel. Atheris grübelnder Blick schweifte durch den Schankraum, bis er auf einen Gegenstand auf dem Tresen verharrte: Den massiven Zapfhahn eines Weinfasses.
Die beiden Hexer bereiteten die Überreste wie in dem Buch beschrieben vor. Es war sicher nicht die beste Idee, das Feuer im Kellergewölbe zu entzünden, aber einen besseren Raum gab es in diesem Schneechaos nicht. Anschließend bauten sie in ihrem Zimmer das kleine Reise-Alchemie-Labor auf und fertigten ein Klingenöl an, das im Wesentlichen aus Arenaria und Bärenfett bestand. Logan betrachtete seine eingefettete Silberklinge und zitierte aus dem Lehrbruch: „Es existiert eine geheimnisvolle Grenze zwischen den Welten der Toten und der Lebenden, welche für rastlose Geister einfacher zu überqueren ist als für Menschen. Wenn Ihr einen geisterhaften Gegner verletzen wollt, dann überzieht zuerst eine Klinge mit diesem Öl. Dann erst wird die Waffe den Vorhang durchdringen können, der die Welten trennt und somit den Geist schädigt.“ Als letzte Vorsichtsmaßnahme bildete Atheris das Zeichen Yrden um die zu verbrennenden Überreste. Die magische Falle würde ihnen einen weiteren Vorteil verschaffen, falls etwas Unerwartetes passieren sollte. Logan beherrschte das Zeichen zwar nicht, aber untertützte Atheris beim Wirken mit seiner eigenen Kraft.
Nachdem die Vorbereitungen kurz nach Einbruch der Nacht beendet waren, verließ der Wirt den Keller und nur die beiden Hexer blieben zurück. Atheris wirkte ein kleines Igni-Zeichen und der magisch entstandene Funke setzte die mit Öl übergossene Leiche in Brand, in ihr gipfelnd ein eingeschlagener Zapfhahn im Brustkorb, der Fasshammer zum Anstich noch daneben liegend. Ein unangenehmer Geruch verbreitete sich im Raum und der Qualm begann in den Augen zu brennen. Gerade als das Feuer seinen vermeintlichen Höhepunkt erreichte, barst der Körper in einem Funkenregen auseinander, und wie eine Furie brach die Erscheinung hervor und mit einem hasserfüllten Gesichtsausdruck, wendete sie sich gegen Atheris, der mit gezogenem Silberschwert bereitstand. Er duckte sich unter dem ersten Schlag der Verdammten hinweg, berührte mit seiner Hand das Yrden-Zeichen und schickte all seine magische Energie hinein. Ein violetter Lichtkegel bildete sich augenblicklich um das Wesen und den Hexer und ließ ersteres sich manifestieren. Nun kam die Zeit der Schwerter: Logan sprang von hinten in den Kreis und durchbohrte mit seiner Klinge die Erscheinung. Mit großen überraschten Augen betrachtete diese den aus dem Brustkorb ragenden Ort des silbernen Schwertes, und als nach einem kurzen Augenblick das Wesen den Blick wieder auf Atheris richtete, konnte sie nur noch die im Feuerschein blitzende Klinge des großen Hexers wahrnehmen, bevor sich ihr Kopf vom restlichen Körper trennte und der ganze Spuk sich in einer grauweißen Wolke auflöste. „War es das jetzt?“ fragte Logan. „Ich denke…ja!“ antwortete Atheris langsam. „Es ging ehrlichgesagt… schnell. Sehr schnell. Es lief etwas anders als erwartet, aber die Vorbereitung hat sich bezahlt gemacht!“ fügte er nach einem kurzen Moment des Schweigens hinzu. Er zuckte überrascht mit den Schultern. Die beiden Gefährten verharrten noch eine Weile an ihren Plätzen und betrachteten die Glut bis diese endgültig erloschen war. Erst als nur noch die kalte Asche übrig war und es keinerlei weitere Anhaltspunkte mehr gab, dass noch etwas in dieser Nacht passieren könnte, packten die Hexer ihre Ausrüstung zusammen und verließen den Keller. „Ist es vorbei?“ fragte Charlotte, die Wirtstochter, mit großen Augen, als die beiden Hexer den Schankraum betraten. „Ja, es ist vorbei!“ antwortete Logan ihr mit einem liebevollen Lächeln. Zur Erfrischung bot der Wirt ihnen jeweils einen großen Krug Bier an, und die beiden Freunde nahmen es dankend an. „Es gibt Schlimmeres, als sich den Staub mit einem Bier die Kehle herunterzuspülen!“ sagte Logan und leerte den ersten Becher mit einem Zug, und Atheris tat es ihm gleich. Nach einigen weiteren Runden wollte Logan nach den Pferden sehen und verabschiedete sich mit einem Augenzwinkern von dem großen Hexer. Es war natürlich kein Zufall, denn Charlotte hatte erst vor wenigen Augenblicken den Schankraum in Richtung Stall verlassen. „Es sei dem Kleinen gegönnt!“ dachte sich Atheris und nahm noch einen großen Schluck, dann begab er sich zu Bett. Währenddessen lag Logan auf dem Heuboden im Stroh und ließ sich von seiner Herzensdame langsam ausziehen. Er genoss den Duft ihrer Haare, die durch sein Gesicht streiften und die sanften Lippen, di seine nackte Brust berührten. Er ließ sich komplett fallen und lebte ganz im Hier und Jetzt. So kam es, dass er die beiden scharfen Zähne von Charlotte nicht bemerkte, die auf einmal aus ihrem Mund ragten. Wie hypnotisiert ließ er alles über sich ergehen. Selbst den Moment, als die messerscharfen Zähne in seinen Hals eindrangen, quittierte er nur mit einem lauten Aufstöhnen. Zeitgleich erreichte Atheris das Schlafzimmer und wollte gerade das aufgeschlagene Buch über Vampire, das noch auf seinem Bett lag, beiseitelegen, als sich auf einmal sein Augen weiteten, die Haut bleich wurde und der Adrenalinspiegel nach oben schoss. Er zog in einer flüssigen Bewegung sein Silberschwert aus der Scheide, griff in Eile nach einem kleinen Hölzernen Kästchen, in dem sich ein halbes Dutzend kleiner Phiolen befand, griff sich Diejenige mit der Aufschrift „schwarzes Blut“, löste den Verschluss, schluckte die übel schmeckende Flüssigkeit hinunter und sprintete los. Das Buch, indem er gerade noch gelesen hatte, fiel dabei geöffnet vom Bett auf den Boden. Auf dessen linker Seite war eine Zeichnung zu erkennen, die eine wunderschöne junge Frau dargestellte, und auf der anderen Seite ein Monster, das nur noch entfernt an ein weibliches Wesen erinnerte, dessen Maul mit spitzen Zähnen ausgestattet war und dessen Hände wie furchtbare Klauen aussahen. Der Text darunter lautete: „Es heißt, Bruxae suchen attraktive junge Männer heim und saugen ihnen das Blut aus. Diese Vampire bewegen sich lautlos in der Dunkelheit und tauchen unvermittelt vor ihren Opfern auf. Bruxae können die Gestalt wunderschöner junger Mädchen annehmen, weshalb manche sie mit Wassernymphen verwechseln, doch ihre langen Fangzähne und ihr unverhohlener Blutdurst verraten sie immer…“. Atheris erreichte den Nebeneingang zum Stall, in seinem Gesicht traten auf Grund des Trankes seine Adern bereits schwarz hervor. Er riss die Tür auf und stürmte in die Stallung. Sein Blick wanderte sofort Richtung Heuboden, auf dem er die beiden Liebenden bereits das letzte Mal vorgefunden hatte. Er erkannte nur noch Charlottes roten Schopf, weitere Ähnlichkeit hatte das Wesen, das er über Logan gebeugt sah, nicht mehr mit dem hübschen Mädchen gemein. Er bündelte alle seine verbliebenen magischen Reserven und wirkte das Ard-Zeichen, welches für Atheris‘ Verhältnisse eine sehr heftig ausfallende Druckwelle auslöste, durch welche die beiden vorderen Stützen des Dachbodens weggerissen wurden. Logan und der Vampir krachten hart auf den Stallboden, Atheris näherte sich mit einem riesigen Satz und mit einem gut platzierten Stoß durchbohrte er die Brust der Bruxa. Für einen kurzen Moment stiegen schon Triumphgefühle in dem älteren Hexer auf, und ein zufriedenes Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, als er sein Schwert mit einem Ruck aus dem Körper des Monsters befreite, um zu einem weiteren tödlichen Schlag in Richtung Hals auszuholen. Im letzten Moment blockte der Vampir mit seinen scharfen Klauen die Klinge. Den Gegenangriff mit der anderen Klaue konnte Atheris gerade noch mit der Parierstange seines Schwertes abfangen. Mit wilden Hieben trieb Charlotte den Hexerlehrling zurück. Gerade als sich eine Kontermöglichkeit ergab und er einen tiefen Stoß in Richtung Kehle platzieren wollte, löste sich das Wesen vor ihm in Luft auf. „Verdammt, ich wusste nicht, dass die das können!“ fluchte der Hexer und bewegte sich vorsichtig in Richtung Logan, der gerade dabei war wieder zu sich zu kommen. „Über dir, Atheris!“ schrie Logan. Der Angriff des Vampirs kam von oben, aber dank Logan konnte Atheris gerade noch reagieren: Es fehlte nicht viel und ihre Klauen hätten ihm seinen Hals zerfetzt, so aber gruben sich die Krallen tief in seine linke Schulterrüstung und hinterließen drei tiefe Schrammen im Stahl. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis Atheris es schaffte, sie mit einem Schlag des Schwertknaufes, den er ihr mitten ins Gesicht verpasste, abzuschütteln. Die Bruxa taumelte nun schwer im Gesicht getroffen von dem Hexer weg. Es sah so aus, als ob der Schlag sie ein paar Zähne gekostet hatte „ich glaube du hast da was verloren!“ schrie der Hexer und setzte ihr nach, und mit einer schnellen einstudierten Folge von Hieben, die er sich von seinem Meister abgeschaut hatte, konnte er dem Wesen noch einige Wunden hinzufügen. Bevor er jedoch den letzten, vermeintlich tödlichen Hieb des Ausfalls setzten konnte, löste sich der Vampir wieder in Luft auf, so dass der Hau nur die Luft zerschnitt. „Verdammt!“ fluchte Atheris und nahm sofort wieder seine Hut ein. Die Pferde wieherten und der schwarze Ker’zaer war inzwischen kurz davor, die Tür seiner Box zu zerlegen. Er blickte sich in alle Richtungen um und versuchte in seinen Bewegungen kein Muster erkennen zu lassen. Sein Blick suchte Logan, doch er konnte seinen Freund nicht mehr sehen. Ein Fußabdruck auf dem von Hafer und Stroh bedeckten Boden verriet den nächsten Angriff des Vampirs. Mit einer schnellen Drehbewegung verbunden mit einem tiefen Ausfallschritt gelang es Atheris erneut das Wesen mit einem präzisen Stoß zu durchbohren. Die Wucht des Angriffs des Vampirs warf beide zu Boden, und der Hexer konnte seine Klinge nicht mehr befreien. Die beiden rollten ineinander verschlungen über den Boden. Atheris versuchte immer wieder mit kurzen, aber harten Faustschlägen, sich einen Vorteil zu verschaffen und so das Wesen abzuschütteln, aber sie erzielten leider nicht die erhoffte Wirkung. Letztendlich war es die Bruxa, die es schaffte, den Hexer am Boden festzunageln, und ihre Fänge gruben sich in seinen Hals. Gerade als er dabei war das Bewusstsein zu verlieren durchbohrte eine lange Silberklinge den Kopf des Monsters. Ihre Augen brachen und die Bruxa verwandelte sich zurück in das junge Mädchen. Logan zog langsam seine Klinge zurück, und man konnte ihm ansehen, dass er innerlich zutiefst erschüttert schien. „Danke Logan, das war im aller letzten Moment!“ stöhnte Atheris, sichtlich gezeichnet von dem Kampf, versuchte er sich zu erheben. Gerade als die beiden den Stall verlassen wollten, kam der Wirt hereingestürmt. Als er seine Tochter tot am Boden liegen sah, brach er in Tränen aus, und er begann mit einem lauten Wehklagen. Logan ergriff das Wort und erklärte im ruhigen Tonfall dem verzweifelten Mann, was sich zugetragen hatte und dass dies hier mit Sicherheit nicht seine Tochter war. Der junge Hexer blieb beim verwirrten Mann, während Atheris sich zurück zum Zimmer schleppte. Er suchte in der kleinen Holzkiste die rote Flasche mit der Aufschrift „Schwalbe“ und trank den Inhalt in einem Schluck. Es schmeckte etwas bitter, aber er hatte sich in letzter Zeit leider an den Geschmack gewöhnen müssen. Mit dem Gedanken, die Welt wieder ein wenig sicherer gemacht zu haben, legte sich Atheris auf sein Bett, vertraute sich der Wirkung des Trankes an und fiel Dank des enthaltenen Diethylethers in einen tiefen heilenden Schlaf. Vier Tage später ließ der Schneesturm endlich nach und auch Atheris war wieder in einem Zustand, der ihm eine Weiterreise erlaubte. Logan hatte die Pferde gesattelt und die Ausrüstung sicher verstaut. Es fehlte nur noch die geheimnisvolle kleine Truhe, die Atheris mit sich trug. Nach einer kurzen Verabschiedung gaben die beiden Hexer ihren Reittieren die Sporen und machten sich auf die längst überfällige Weiterreise.
Der Wirt beobachtete die beiden Reiter, wie sie in der Winterlandschaft verschwanden. Das Wesen, das sich hinter ihm aus dem Nichts materialisierte, bemerkte er dabei nicht.
Vertigo - Teil 1 - Gift und Biebermütze
Vertigo - Teil 1 - Gift und Biebermütze
Metagame
von Earl
Es roch durchdringend nach Alkohol, Schweiß und Rauch. Das Gasthaus „Schwarze Rose“ hier in Dreiberg war ein kleines, etwas abseits des Stadtzentrums gelegenes Etablissement. Es war proppenvoll und unglaublich laut. An der Theke drängten sich die Zecher und schrien abwechselnd nach mehr Bier, Wein oder Schnaps. Und mit jedem Mal wurden die Rufe gellender, unverständlicher und mit noch mehr unflätigen Ausdrücken geschmückt. Zwischen den Gästen drängten sich die Huren und stellten ihre Argumente in engen Miedern und weit ausgeschnittenen Blusen zur Schau. An den Tischen ging es wie auch am Ausschank laut und geschäftig zu. Mindestens genauso viele Kopper und Kronen wechselten den Besitzer mit atemberaubender Geschwindigkeit. Es wurde gespielt. Würfel rollten, Karten wurden triumphierend auf Tische geworfen. Wetten wurden abgegeben, ob sich Gast X nun tatsächlich auf Hure Y einließ. Laute Pfiffe der Verlierer und Triumphjubel der Gewinner hallten von den gekalkten Wänden wider.
„Komm, los Mann. Eine Runde noch. Ich will ´ne zweite Chance du Hohlbirne!“, lies sich ein Untersetzter aus einer der Würfelrunden vernehmen. Ein anderer, der aufgestanden war und sich gerade zum gehen wandte drehte sich um. „Bleib locker Ullrich, ich nehm dir dein restliches Geld noch früh genug ab. Es is´ spät. Ich will heim. Muss morgen früh raus.“, schrie die Hohlbirne gegen den Lärm an, gähnte und schob sich die rote Biebermütze mit den Rabenfedern auf dem Kopf zurecht. Der untersetzte Ullrich lachte dröhnend auf. „Ach was, die Nacht is´ noch jung und die Huren frisch“, mit diesen Worten packte er der am nächsten stehenden Dirne an den Hintern, worauf er sich direkt eine schallende Ohrfeige von ihr einhandelte. „10 Kopper du Sau!“, schrie ihn die Dirne an. Ullrich wandte sich um, wollte seinen Kumpanen fragen, ob er den Preis angemessen fände, doch der andere war bereits Richtung Tür verschwunden.
Hieronymus torkelte hinaus auf die enge Gasse. Er schloss hinter sich die Türe zum Gasthaus und sofort sank der Lärmpegel ab. Tatsächlich fiepte nun ein unerträglicher Ton in seinen überreizten Ohren. Mit einem tiefen Zug atmete er die frische, kühle Nachtluft ein und fast augenblicklich traf ihn die volle Wucht des Alkohols, den er den ganzen Abend in sich hinein gekippt hatte. Er taumelte kurz und musste sich an einem der Butzenfenster der „Schwarzen Rose“ abstützen. In seinem Kopf drehte sich alles. Er atmete schneller, versuchte den Ekel in der Magengegend abzuschütteln, doch es gelang ihm nicht. Mit einem lauten Würgen erbrach er sich gegen die Fachwerkfassade. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn. Noch einmal schüttelte es ihn krampfartig und er übergab sich abermals platschend gegen die Wand. Er taumelte rückwärts und wischte sich mit dem Handrücken Reste seines Mageninhalts und Speichel von Mund und Kinn. „Scheiße, der letzte Wodka war schlecht.“, flüsterte er schwer atmend. Als er sich etwas beruhigt hatte und wieder klarer denken konnte wurde ihm erst bewusst, was er da gerade angerichtet hatte. Schnell drehte er sich um und verließ unsicheren, torkelnden Schrittes die Szenerie Richtung Obermarkt.
Am nächsten Morgen erwachte er mit heftigen Kopfschmerzen. Durch das geschlossene Fenster fielen einige wenige Sonnenstrahlen in denen Staubkörnchen tanzten. Hieronymus setzte sich auf und zog sich den verbeulten Hut aus dem Gesicht. Er sah an sich hinab, er trug immer noch Hemd, Hose und Schuhe. Mit einem Stöhnen fiel er zurück in die Kissen und versuchte sich an den Heimweg zu erinnern. Doch irgendwie prangte in seiner Erinnerung ein gähnendes Loch. Er wusste, dass er die steile Treppe zu seiner Kammer erst nach mehrmaligen Anläufen hatte erklimmen können. Doch wie er es ins Bett geschafft hatte, wie er es überhaupt geschafft hatte, die Türe zu öffnen war ihm rätselhaft. Er schlief erneut ein.
Nach weiteren zwei Stunden erwachte er. Diesmal ging es ihm schon besser. Er griff zu einem Fläschchen mit einer orangefarbenen Flüssigkeit auf seinem Nachttisch. Er besah sich den Korken und den Wachsrand, befand dass niemand während seiner Abwesenheit die Flasche manipuliert hatte und entkorkte eben jene. Er leerte den Inhalt mit einem Zug, verzog das Gesicht zu einer angewiderten Grimasse und schüttelte sich. „Uähh, dieses Siffzeug. Ich trink nie mehr Alkohol.“ Der Redanier schlug die Decke zurück und versuchte sich zum Aufstehen zu Motivieren. Beim dritten Anlauf gelang es ihm und er schwang sich abrupt aus dem Bett. Fast augenblicklich kehrten die Kopfschmerzen zurück. Er fasste sich mit schmerzverzerrter Miene an die Stirn und hielt kurz inne, bis die Schmerzen sich auf ein erträgliches Maß eingependelt hatten. Hieronymus zog sein Hemd aus und warf es in die Ecke, wo sich bereits ein kleiner Haufen Wäsche befand. Er ging zu einem Tisch mit Spülschüssel am Fenster, öffnete jenes und goß aus einer bereit gestellten Karaffe kühles Wasser in die Schüssel. Einen Moment lang beobachtete er die bunte Menschenmenge, die sich unten auf der Gasse tummelte. Hie und da bellte ein Hund, Hühner gackerten, man rief sich Grüße zu. Er riss sich von dem Anblick los und wusch sich schnell aber gründlich den Mief der vergangenen Nacht vom Leib.
Als er ein frisches Hemd angezogen hatte, fingerte er seine rote Biebermütze mit der silbernen Entenbrosche und den Rabenfedern zwischen den Falten der Bettdecke hervor und griff sich dann seine Fechtjacke vom Haken an der Wand neben der Türe und zog sie an. Vom Tischchen daneben nahm er seine fingerlosen Handschuhe und streifte auch diese über. Er zog sich die modisch geschnittene Jacke glatt und kontrollierte das Rote Wappen mit dem weißen Adler. Der Redanier befand, dass damit alles in bester Ordnung war. Als er schon fast zur Türe hinaus war, fiel ihm auf, dass er seinen Gürtel vergessen hatte. Hieronymus stöhnte genervt auf.
Als er den Gürtel mit seinen Ausrüstungstaschen und dem Hodendolch endlich am Fußende seines Bettes gefunden, sich gegürtet und das Haus verlassen hatte war eine gute halbe Stunde vergangen. „Moin Hieronymus!“, rief sogleich ein kleiner rattengesichtiger Mann der drei Häuser weiter gerade noch mit einem Händler um ein paar Schuhe gefeilscht hatte. Nun eilte er die Straße herauf und gab dem Junker vom Aschenberg die Hand. „Grüß dich Wilmund. Na, was führt dich hier herauf in die Strohgasse? Du kannst mir doch nicht erzählen, dass du nur wegen einem Paar Schuhe hier bist.“ Hieronymus grinste verschwörerisch. Auch Wilmund grinste. „Weißte, gestern Nacht hat jemand Mara Haager ans Bein gepisst. Du weißt doch. Ihr gehört die „Schwarze Rose“. Irgendein Depp hat es geschafft anderthalb Meter der Gasthausfassade voll zu kotzen. Sie hat mich beauftragt den Trunkenbold zu finden, der das zu verantworten hat. Sie hat was von Prügel und Hausverbot gefaselt.“ Mit einem Mal wurde es Hieronymus ziemlich warm unter der Mütze und er nahm sie ab. „Puhh, Wilmund. Das is‘ keine leichte Aufgabe oder. Wie willst du den denn finden?“ Der Rattengesichtige machte eine siegessichere Miene. „Is doch ganz klar. Ich pick mir einen der vielen Suffköppe raus, die hier oben am „Goldbarsch“ rumlungern. Den füll ich richtig ab und bring ihn ihr vorbei. Todsicheres Ding.“ Hieronymus kratzte sich am Kopf. „Ja klar, todsicher. Du temerischer Fuchs. Tja, weißt du ich muss dann auch mal weiter. Zum Mittag ist in der Kaserne eine Besprechung der Offiziere angesetzt. Na dann. Wir sehen uns.“ Und ohne ein weiteres Wort abzuwarten eilte der junge Stabsunteroffizier in die entgegengesetzte Richtung davon.
Er kam an Lädchen und Marktständen vorbei, an offenen Kochstellen über denen Fleisch auf Rosten brutzelte, an ein oder zwei Gauklertruppen und an einem Bärendompteur. Als er schließlich an der Taverne „goldener Adler“, die an einem großen Marktplatz lag, hielt um sich einen Schluck Bier zu genehmigen begann gerade auf der anderen Seite des Marktes ein Barde in malvenfarbenem Doublet und mit keckem Hütchen gleicher Farbe zu singen und dazu zu Klampfen. Als er das Gasthaus wieder verließ war der Barde verschwunden. Hieronymus ging über den Markplatz. Wieder vorbei an Ständen. Er entschied sich für eine Abkürzung zur Kaserne, die zwischen zwei großen Stadthäusern hindurch führte.
Als er in die enge Gasse eingetreten war, bemerkte er zwei Kerle, die in etwa 3 Meter entfernt herum lungerten. Einer von ihnen trug einen breitkrempigen braunen Hut und einen alten zerschlissenen Gambeson. Der Andere hatte sich die langen Haare zu einem festen Knoten im Nacken gebunden und trug eine auffällige rote Weste. Sofort machte sich ein Kribbeln in Hieronymus Nacken breit. Der Junker zögerte nicht, sondern ging schnurgerade zwischen den beiden Häuserfassaden weiter. Als er noch etwa 4 Schritt entfernt war zog der Schläger mit dem Hut einen Katzbalger aus der Scheide an seiner Hüfte. Der andere mit den langen Haaren griff sich einen herum liegenden faustgroßen Sandstein vom Boden und zog ebenfalls seine Kurzwehr blank. Sie harrten einen Moment aus. Dieser Moment reichte dem Stabsunteroffizier um mit der rechten seinen Dolch und mit der linken Hand eine etwa 20 cm lange Nadel aus der Hutkrempe zu ziehen. Dann sprangen die beiden Angreifer los. Der Hutträger hieb von links unten zu. Mit einer Halbdrehung entzog sich der junge Offizier dem Hieb, sah sich allerdings zugleich mit einem Stich des Langhaarigen auf sein Gesicht konfrontiert. Er zog im letzten Moment den Kopf zur Seite und machte einen Ausfallschritt nach rechts. Er zog das linke Bein nach, duckte sich unter dem herannahenden Sandstein hinweg und rammte dem langhaarigen die Nadel tief ins Knie. Sein Gegner schrie auf und ließ den Sandstein fallen. Diesen kleinen Triumph nutzte Hieronymus um ihm den Hodendolch knapp über der Hüfte in die Seite zu stechen. Blut schoß aus der Wunde hervor und lief dem Junker sogleich über die Hand. Er rutschte mit der Hand vom Dolch ab und kam aus dem Gleichgewicht. In der Zwischenzeit hatte der breitkrempige Hut die Distanz überwunden. Geistesgegenwärtig griff der junge Mann nach dem fallen gelassenen Stein und blockte damit den Katzbalger. Der Mann mit der roten Weste war gerade im Begriff vor Schmerzen in die Knie zu gehen, da packte ihn Vertigo, riss ihn hoch und drückte ihn zwischen sich und den nächsten Stich des Katzbalgers. Der konnte nicht mehr stoppen und durchbohrte den Langhaarigen auf Brusthöhe. Ein letzter Schrei. Dann war er Tod.
Doch schon hatte der Mann mit dem Hut sein Kurzschwert zurück gezogen, trat zwei Schritte vorwärts und setzte zum nächsten Angriff an. Sein Gegenüber mit der Biebermütze nutzte den Moment um ihm den Sandstein entgegen zu schleudern. Dann hob er schnell die Kurzwehr des Gefallenen auf und startete seinen Angriff. Eine schnelle Finte rechts oben, dann das Schwert nach unten ziehend in Richtung des Oberschenkels. Doch sein Gegner hatte nicht geschlafen und sein Schwert ebenfalls nach unten gerissen. Klirrend trafen die Waffen aufeinander. Doch Hieronymus war schon einen Schritt weiter. Er riss die Faust hoch und verpasste dem Hutträger einen Schlag auf die Nase. Diese brach knackend. Für einen Moment war er vom Schmerz geblendet und gab Hieronymus die Chance abermals zuzuschlagen. Er ließ den Katzbalger fallen. Auch Hieronymus senkte seine Klinge. „Wer hat dich gekauft? Wer hat dich für meinen Tod bezahlt? Die Nilfgaarder? Hääh? Machs Maul auf.“ „Leck mich“, presste sein Blut überströmter Gegner hervor. Krachend traf sein Schädel auf das Fachwerk eines der Stadthäuser. Und noch einmal knallte sein Kopf gegen die Wand. Blut lief unter seinem Hut hervor. „Und jetzt?“ Ein blutverschmiertes Grinsen. Hieronymus verlor nun tatsächlich die Geduld. Er stieß seinen Angreifer zu Boden. Trat ihm hart gegen den Kopf. Ein leises Stöhnen. Hieronymus bückte sich zu seinem Opfer hinab. „Was hast du gesagt?“ „Grüße von Emhyr du redanischer Hurensohn!“ Und mit diesen Worten schnellte ein Stilett hervor und durchbohrte Vertigos Wade. Schreiend ging Hieronymus in die Knie. Er riss das Stilett aus seinem Bein und rammte es seinem Gegner durch den Hals. Ein Röcheln. Dann war der Attentäter Tod.
Hieronymus erhob sich unter Stöhnen. Er presste die Zähne zusammen und fingerte an seiner Gürteltasche mit den Trankfläschchen herum. Schnell fand er, wonach er gesucht hatte. Eine Phiole mit gelber zäher Flüssigkeit. Mit zitternden Fingern entkorkte er das Gefäß. Er spürte bereits das Kribbeln im Bein. Mit einer vergifteten Klinge hatte der junge Offizier gerechnet. Hieronymus kippte also schnell den pulshemmenden Stoff hinunter. Mit etwas Glück würde er es schnell genug zum Offizierslazarett schaffen. Schon taumelte er dem Licht der belebten Straße entgegen. Die Flüssigkeit begann seinen Puls zu schwächen. Die Augenlider flimmerten, die Ränder seines Sichtfeldes verschwammen. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht! Hieronymus presste ein Stöhnen hervor. Blut hatte seine Hose und das Fußbett seines linken Schuhs durchtränkt. Er schlurfte unter Aufbietung seiner letzten Kräfte der großen Straße entgegen. Er fiel vornüber. Direkt vor die Füße einer Stadtpatrouille. Seine Lippen formten die Worte: „Offizierslazarett. Vergiftung. Schnell.“ Dann umfing ihn Dunkelheit.
„Hier lang. Schnell. Hier herüber. Nein da lang. Los Beeilung. Er wurde vergiftet. Ja. Und er hat viel Blut verloren. Wir müssen sofort handeln.“
Kopfschmerzen und ein dumpfes Pochen im linken Bein weckten Hieronymus auf. Er blinzelte, konnte jedoch nichts erkennen, denn das Licht blendete ihn. Also schloss er die Augen wieder. Wie durch einen dicken Wattebausch nahm er Geräusche wahr, konnte jedoch nicht klar genug denken um sie genauer zu verorten. Stöhnend versuchte er seinen Kopf frei zu bekommen und nach ein paar Augenblicken gelang ihm das tatsächlich. Nun konnte er auch die Augen einen Spalt breit öffnen. Er lag offenbar unter einem weit geöffneten Fenster und darüber erstreckte sich eine tiefe Balkendecke. „Können Sie mich hören? Hieronymus Katz. Können Sie mich verstehen?“ Hieronymus drehte leicht den Kopf (was ihn schon eine gewaltige Kraftanstrengung kostete) und erblickte eine große Gestalt in grün. Er versuchte zu antworten, doch es kam nur ein brüchiger Laut heraus. „Er ist noch zu schwach. Er braucht mehr Ruhe.“
Hieronymus musste wieder eingeschlafen sein, denn als er das nächste Mal zum Fenster empor sah, war es geschlossen und nur einige wenige Sonnenstrahlen fielen rot glühend durch die Butzenscheiben. Und auch diesmal war sofort jemand da, der sich nach seinem Befinden erkundigte. Und diesmal, konnte er antworten: „Ja. Ja ich..verstehe. Mir geht’s gut.“ brachte er mühsam hervor. „Herr Katz ruhen Sie sich aus.“ Doch er wollte sich nicht ausruhen. Er hatte sich genug ausgeruht. Wie lange hatte er wohl schon in diesem Zimmer verbracht? „Wie lange?“, erkundigte er sich leise. „Wie bitte? Ach so! Nun in ein paar Stunden sind Sie seit genau 9 Tagen hier im Offizierslazarett“, gab die grüne Gestalt zum Besten. Seit 9 Tagen! Seit 9 Tagen schon lag er untätig hier herum! Er hatte seine Besprechung mit den anderen Offizieren der Dreiberg-Division verpasst! Er hatte den Auftritt von Lea van Dyken im „Drei Kronen“ verpasst! Hätte er es gekonnt, so hätte er sich jetzt wohl mit der Hand vor den Kopf geschlagen. Stattdessen stieß er hart die Luft aus. „Was ´s passiert?“, erkundigte er sich weiter. „Sie müssen sich ausruhen. Herr Katz. Hören Sie.“
Hieronymus schreckte hoch! „Wie lange? Was passiert?“, plärrte er. Und noch während er das tat, sah er sich zum ersten Mal richtig um. Da standen weitere Betten. Mindestens 5 in einem langen Raum mit niedriger Balkendecke. Nur 2 andere Betten waren belegt. Und die beiden Offiziere sahen nun zu ihm herüber. „Ey Mann. Halt die Fresse! Du bist hier nicht alleine!“, rief einer der beiden. Der Junker vom Aschenberg versuchte sich zu sammeln, spähte angestrengt im Raum umher, konnte allerdings niemanden außer den beiden Leidensgenossen sehen…. Er schlug augenblicklich die Decke zurück und sprang aus dem Bett, fiel allerdings sofort vorn über und schlug hart auf dem Boden auf. Seine Beine schmerzten und das linke Bein pochte immer noch sehr unangenehm. Während er sich wieder aufrichtete tropfte Blut aus seiner aufgeschlagenen Nase, doch das störte ihn nicht. Auch das Lachen der beiden anderen Offiziere störte ihn nicht, im Gegenteil, es stachelte ihn an. Und so erhob er sich vollends und machte einige langsame Schritte, wobei er das Gesicht schmerzerfüllt verzerrte. In seinem Kopf arbeitete es fieberhaft. Das hier war also das Offizierslazarett in Dreiberg. Hmm. Irgendwo hier mussten seine Sachen aufbewahrt werden. Nur wo? Er blickte sich um, doch da flog schon die Türe am Ende des Raumes auf und herein marschierte ein Medicus, der Vertigo vorwurfsvoll ansah: „Sofort zurück ins Bett! Sind Sie noch bei Trost? Sie haben …“ Doch Hieronymus Katz vom Aschenberg hörte ihm gar nicht zu, er hatte besseres zu tun. Grob stieß er den Mann in Grün beiseite und näherte sich dem Ausgang. „Sie sind doch irre! Ich hole die Wachposten!“, rief der Medicus laut und rannte los. „Gut“, rief ihm Vertigo mit rauher Stimme hinterher, „dann können Sie auch gleich Nikolas Treuhand her schleifen! Ich will eine Unterredung mit ihm und zwar sofort! Und bringen sie mir meinen Hut, sonst hol ich mir hier drin ja noch eine Erkältung.“
Eine halbe Stunde später saß Vertigo, lediglich mit leinenem Hemd, Bruche und knallroter Biebermütze bekleidet im Garten des Offizierslazaretts auf einer Bank, beobachtete die Bienen bei der Arbeit und wartete darauf, dass Nikolas Treuhand endlich auftauchen würde. Man hatte versucht ihn mit Gewalt zurück ins Bett zu befördern, doch erst nachdem er einen der Wachposten unter größter Anstrengung zu Boden geschlagen hatte und verlangt hatte, man möge sich Dienstschlüssel und Berechtigungsstufe in seiner Militärakte ansehen, da war man bereit gewesen nach Nikolas Treuhand, dem Chef der Abteilung für leichte Kavallerie der Dreiberger Stadtsicherheit, zu schicken.
Nikolas Treuhand war ein Oberst im Dienste des redanischen Militärgeheimdienstes und hatte natürlich nur sehr wenig mit der Stadtsicherheit von Dreiberg zu schaffen, gab es doch offiziell sowieso nur 2 leichte Kavallerieeinheiten bei der Stadtsicherheit Dreibergs. Inoffiziell lag diese Zahl bei 15. Diese Kavallerieeinheiten des Geheimdienstes waren in der gesamten Stadt und im Umland von Dreiberg stationiert und warteten nur darauf in sämtliche Himmelsrichtungen losgeschickt zu werden um Handelspapiere sicher zu stellen, Truppenbewegungen der Scoi’iateal und Nilfgaarder Verbände auszukundschaften, wichtige Handelsmissionen zu schützen usw.
„Haltung annehmen, Oberst Nikolas Treuhand anwesend!“, gebot eine raue Stimme. Vertigo schreckte aus seinen Gedanken hoch, sprang auf und salutierte. Einen Moment blieb es still, dann gebot dieselbe Stimme „Rühren Herr Stabsunteroffizier.“ Er legte die angespannte Haltung ab und drehte sich zu Nikolas Treuhand um. Der Chef der Geheimdienstabteilung war ein Mann in den Dreißigern, er hatte rabenschwarzes Haar und einen ebenso schwarzen Vollbart. Er war Hochgeschossen und äußerst sehnig. Der Oberst trug eine schwarze Cotte aus Samtstoff und darüber den typischen Offiziersgarnasche der Reitereieinheit von Dreiberg. „Nun Vertigo, ich sehe du bist wohlauf. Wir hatten größte Bedenken ob wir dich jemals wieder für den aktiven Dienst einsetzen könnten. Aber du hattest offenbar einen guten Einfall und sehr großes Glück obendrein. Das Herzschmerz einzusetzen, um die Durchblutung zu verlangsamen und dadurch die Ausbreitung des Giftes zu stoppen war sehr schlau und sehr dumm zugleich. Du hattest gerade einen Kampf hinter dir, warst aufgepeitscht und dein Puls war hoch. Dagegen dieses Zeug anwirken zu lassen war, als würdest du einem Pferd in vollem Galopp einen Baumstamm vor die Hufe werfen. Du bist zusammengebrochen, weil dein Körper das nicht verkraftet hat. Hätte dich nicht die Patrouille gefunden wärst du wahrscheinlich tot. Du kannst dich glücklich schätzen, dass es kein neuartiges Gift war und die Medici hier im Hospital so gut ausgebildet sind. Es hat in der Woche vor dem Angriff auf dich schon zwei weitere Anschläge auf Geheimdienstler gegeben. Die beiden hatten nicht so viel Glück.“
Einen Moment herrschte Stille. Dann fragte Hieronymus: „Was sagen die Ärzte, bin ich tauglich? Wann kann ich zurück in den Dienst? Der Drahtzieher hinter dieser Sache muss gefunden werden. Gibt es da schon Hinweise? “ „Nee du. Es gibt keine weiteren Befunde bei dir. Zumindest nicht, dass wir wüssten. Die Medici hätten dich allerdings gerne noch ein paar Tage hier behalten um sicher zu gehen, dass es da nicht doch irgendwas gibt“, antwortete Nikolas reserviert. „Ach was! Mumpitz! Ich muss zurück in den Dienst. Ich bin tauglich!“, beteuerte Hieronymus. „Es liegt nicht in deinem Aufgabengebiet das festzustellen! Reiß dich zusammen Mann. Ich brauche Leute, die gesund und einsatzfähig sind. Keine kranken Krähen, die plötzlich im Einsatz vom Gaul kippen! Die Drahtzieher sind übrigens gefunden. Oder was dachtest du, was der Geheimdienst die letzten 15 Tage seit dem ersten Attentat gemacht hat? Wir stehen kurz vor der Festnahme der betreffenden Personen. Rotte 7 wird sich morgen Mittag um diese Angelegenheit kümmern. Du kannst dich also ganz beruhigt noch ein paar Tage ausruhen. Unternimm ein paar Spaziergänge im Garten. Leg dich auf die faule Haut. Und in ein paar Tagen bist du wieder voll einsatzfähig.“
Der Junker nickte langsam, in seinem Kopf arbeitete es bereits. „Na gut, aber was wenn mich die Medici bis morgen Mittag für tauglich befinden?“ Nikolas zog eine Augenbraue streng nach oben: „Was willst du damit sagen?“ „Ist doch klar. Wenn ich tauglich bin, überträgst du dann der Rotte 3 den Einsatz? Du weißt du schuldest mir noch was!“ Nikolas lachte: „Scheint als wärst du tatsächlich schon wieder ganz der Alte. Du Gauner. Ja. Ja gut. Sollte man dich für tauglich befinden, was man nicht tun wird, dann kriegst du den Auftrag. Abgemacht!“
Die beiden hatten sich unter Händeschütteln verabschiedet und als Nikolas gegangen war, hatte Vertigo einen der Heileradepten losgeschickt, ihm einige seiner Habseligkeiten zu holen und ihn dann sofort mit einem wichtigen Auftrag in die Oberstadt weiter geschickt. Er lachte bei dem Gedanken daran, welch dummes Gesicht Nikolas machen würde, wenn er, Hieronymus Katz Junker vom Aschenberg, morgen früh voll tauglich bereit stehen würde. Bester Laune ließ er sich auf einer Bank im sonnendurchfluteten Garten nieder, schob die rote Biebermütze in den Nacken und steckte sich seine Pfeife an.